Gz BKA-F141.020/0048-II/4/2008

bearbeiterin Frau Dr. Anna Lasser

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An das

Bundesministerium für Justiz

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

dagmar.dimmel@bmj.gv.at

kzl.b@bmj.gv.at

 

 

 

Betreff: 2. Gewaltschutzgesetz - 2. GeSchG;

Begutachtungsverfahren; Stellungnahme

 

Sehr geehrte Frau Maga. Dimmel!

 

 

Das Bundeskanzleramt, Sektion Frauen und Gleichstellung, dankt für die Übermittlung des im Betreff genannten Entwurfs und übermittelt dazu nachstehende Stellungnahme.

 

Der Entwurf des 2. Gewaltschutzgesetzes wird aus frauenpolitischer Sicht insgesamt äußerst positiv gesehen. Die vorgeschlagenen Neuregelungen tragen wesentlich dazu bei, Lücken im Gewaltschutz zu schließen, die Opferrechte weiter zu stärken und opfergerechte Bedingungen auch in zivilrechtlichen Verfahren zu verankern.

 

Zu Artikel I - Änderung der Exekutionsordnung:

 

Zu Z 1 (382b EO)

Die systematische Trennung des Schutzes vor „Gewalt in Wohnungen“ vom „Allgemeinen Schutz vor Gewalt“ wird begrüßt.

 

Die Entkoppelung der einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen (und folgerichtig auch in § 382e neu) von jeglicher Angehörigeneigenschaft unterstreicht, dass jeder Mensch Anspruch auf staatlichen Schutz vor häuslicher Gewalt hat, unabhängig von der Form des Zusammenlebens.

 

Desgleichen wird die Ausdehnung der Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung von bisher maximal drei auf zukünftig maximal sechs Monate, wenn kein Hauptverfahren anhängig gemacht wird, unter Verweis auf die diesbezüglichen Ausführungen in den Erläuterungen, die uneingeschränkt geteilt werden, als besonders wichtig erachtet.

 

Aber auch wenn diese Neuregelung  in vielen Fällen zu einer deutlichen Entlastung der Opfer führen wird, bleibt das Problem, dass Kinder ein Hauptverfahren nicht anstrengen können und damit nur eine einstweilige Verfügung von höchstens sechs Monaten erwirken können, ungelöst. Es müssen daher weiter Wege gesucht werden, den Schutz der Kinder vor Gewalt – über das gegenständliche Gesetzesvorhaben hinaus – zu verbessern.

 

Zu Z 3 (§ 382e EO)

Die einstweilige Verfügung zum Allgemeinen Schutz vor Gewalt bringt bedeutende Verbesserung für Opfer mit sich. Die Ausweitung des persönlichen Anwendungsbereichs (zukünftig keine Einschränkung auf nahe Angehörige mehr), die Verlängerung der Geltungsdauer (maximal ein Jahr) ohne Konnex mit einem Hauptverfahren sowie die neu geschaffene Verlängerungsmöglichkeit für das Aufenthalts- und Kontaktverbot, wenn der Antragsgegner gegen die aufrechte einstweilige Verfügung verstoßen hat, werden befürwortet.

 

Zu begrüßen ist auch die vorgeschlagene Möglichkeit, dass eine einstweilige Verfügung zum allgemeinen Schutz vor Gewalt auch durch ein Hauptverfahren verlängert werden kann, wenn sie mit einer einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen kombiniert und diesbezüglich ein solches eingeleitet wird.

 

Umgekehrt wird jedoch davon ausgegangen, dass auch bei Kombination der beiden einstweiligen Verfügungen sämtliche Verlängerungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen: dass somit die einstweilige Verfügung zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen durch das Hauptverfahren und die einstweilige Verfügung zum allgemeinen Schutz vor Gewalt bei Verstoß dagegen nach § 382e Abs 2, letzter Satz um bis zu einem weiteren Jahr verlängert werden können. Dies ist in den Fällen von hoher Relevanz, wo das Hauptverfahren rasch abgeschlossen werden kann, wie z.B. bei einvernehmlichen Scheidungen.

 

Weiters wird davon ausgegangen, dass die mit der Erlassung einer einstweiligen Verfügung zum allgemeinen Schutz vor Gewalt verbundene „Beeinträchtigung bei der Ausübung von Obsorgerechten und das Recht auf persönlichen Verkehr mit den minderjährigen Kindern“ weiterhin deren Erlassung nicht hindert (vgl. EFSlg 112.542 mwN). Es wird jedoch angeregt, dies in den Erläuterungen ausdrücklich klar zu stellen.

 

Zu Z 4 (§ 382g EO) und Z 6 (§ 387 Abs 4 EO)

Die Angleichung der Geltungsdauer der einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre (Stalking) wird befürwortet. Zukünftig werden auch Aufenthaltsverbote ohne das Erfordernis eines Hauptverfahrens in der Dauer von bis zu einem Jahr erlassen werden können.

 

Die neu geschaffene Verlängerungsmöglichkeit um maximal ein weiteres Jahr wird ebenfalls befürwortet. Besonders begrüßt wird auch die vorgeschlagene besondere Zuständigkeit (gewöhnlicher Aufenthalt der gefährdeten Partei) im Falle einer einstweiligen Verfügung zum Schutz vor Stalking, wenn kein Hauptverfahren eingeleitet wird.

 

Gegenständliche Regelungen geben aber auch Anlass zu folgenden Bedenken:

§ 38a Abs. 7 SPG verweist hinsichtlich der Verlängerung des Betretungsverbots von 10 auf maximal 20 Tage auf einen fristgerecht eingebrachten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO.

 

§ 382b EO in der geltenden Fassung regelt sowohl „das gerichtliche Betretungsverbot“ der Wohnung (Abs. 1)  als auch das Aufenthalts- und Kontaktverbot (Abs. 2). Nach der neuen Systematik verbleibt in § 382b EO zukünftig nur die gerichtliche Ausweisung aus der Wohnung (Schutz vor Gewalt in Wohnungen), während das Aufenthalts- und Kontaktverbot in § 382e zu finden sein werden. Um den bisherigen Schutzstandard aufrecht zu erhalten, wäre § 38a Abs. 7 SPG um einen Verweis auf § 382e EO zu ergänzen.

 

Im Regelfall wird wohl eine gerichtliche Ausweisung aus der Wohnung auf das Betretungsverbot folgen (und dieses damit verlängern), doch soll auch für die Fälle, in denen zum Schutz vor Gewalt nur ein Aufenthalts- und Kontaktverbot erforderlich oder rechtlich möglich ist (z.B. kein dringendes Wohnbedürfnis aufgrund einer adäquaten zumutbaren „Ersatzwohnung“), der bisherige Schutzumfang weiter bestehen bleiben.

 

Im Übrigen wird angeregt, darüber hinaus auch eine einstweilige Verfügung zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre (Stalking) nach § 382g EO als Grund für die Verlängerung eines Betretungsverbots in § 38a Abs. 7 SPG aufzunehmen und die Dauer eines Betretungsverbots gesetzlich von 10 Tagen auf 14 Tage auszuweiten.

 

Desgleichen verankert die StPO als gelinderes Mittel zur Untersuchungshaft in § 173 Abs 5 Z 3 das Gelöbnis, eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO nicht zu übertreten. Aufgrund der systematischen Neuordnung der einstweiligen Verfügungen wird eine Adaptierung des Gesetzeswortlauts angeregt.

 

Weiters ist § 215 Abs. 2 ABGB insofern zu ergänzen, als dem Jugendwohlfahrtsträger das Recht eingeräumt werden muss, im Interesse des Wohles eines minderjährigen Menschen eine einstweilige Verfügung zum Allgemeinen Schutz vor Gewalt (wie bisher) und darüber hinaus zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre zu beantragen und vollziehen zu lassen.

 

Darüber hinaus wird vorgeschlagen, in der EO eine Bestimmung zu verankern, wonach die Polizei den Gefährder - über Gerichtsauftrag - von einem eingebrachten Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung verständigen muss.

 

Wird eine einstweilige Verfügung erst gegen Ende der 10tägigen Frist nach Verhängung eines Betretungsverbots beantragt, besteht das Risiko, dass der Weggewiesene von der Antragstellung und somit von der Verlängerung des Betretungsverbots keine Kenntnis erhält. Er erfährt dies erst, wenn ihm die Polizei die Wohnungsschlüssel nicht ausfolgt oder er Kontakt zur gefährdeten Partei aufnimmt. Kontaktaufnahmen mit der gefährdeten Partei bergen ein Sicherheitsrisiko in sich, das durch eine Information des Gefährders durch die Polizei verringert werden kann.

 

Dieses Anliegen wurde in der Arbeitsgruppe „Gewaltschutz“ ebenfalls diskutiert und wurde erwogen, in der EO eine entsprechende Regelung zu treffen.

 

 

Zu Artikel II – Änderung der ZPO

Die vorgeschlagenen Änderungen werden befürwortet, nachstehend wird daher im Einzelnen nur auf einige wenige Punkte näher eingegangen, die zum Anlass genommen werden, weitere Verbesserungen oder Klarstellungen anzuregen.

 

Zu § 73a ZPO

Die Ausdehnung der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung auf ein sachlich in Zusammenhang stehendes Zivilverfahren wird uneingeschränkt begrüßt, die konkrete Ausgestaltung der neuen Bestimmungen wird äußerst positiv gesehen.

Um allfälligen Unklarheiten bereits im Vorfeld zu begegnen, wird jedoch folgendes angeregt:

 

Die Rechte der ProzessbegleiterInnen sind für das Strafverfahren in der StPO dezidiert niedergelegt, so z.B. in § 66 Abs. 2 (Begleitung zu Vernehmungen im Ermittlungs- und Hauptverfahren) oder § 221, wonach (auch) die Prozessbegleitung zur Hauptverhandlung zu laden ist. Über deren Rechte im Zivilverfahren könnten Zweifel auftreten, sodass es sich empfiehlt, auch diese ausdrücklich zu regeln. Insbesondere muss eindeutig klargelegt sein, dass der psychosozialen Prozessbegleitung das Recht zukommt, das Opfer in sämtlichen Verfahrensarten (auch z.B. im außerstreitigen Verfahren) und Verfahrenshandlungen (ob als Partei oder als Zeugin) zu begleiten, und sie nicht - wie Vertrauenspersonen - von bestimmten Verfahren ausgeschlossen werden können.

 

Zu §§ 75a, 76 und 177 ZPO

Die Geheimhaltung der Wohnanschrift des Opfers  bzw. einer Zeugin/eines Zeugen ist in bestimmten Fällen wesentlich für effektive Gewaltprävention und Opferschutz. Es wird daher angeregt, die praktische Umsetzung dieser neuen Bestimmung zu beobachten und nach Ablauf z. B. eines Jahres eine Evaluierung vorzunehmen.

 

Zu §§ 289a, 289b ZPO

Die abgesonderte Vernehmung im Zivilverfahren ist ebenfalls ein weiterer wesentlicher Schritt zu mehr Opferschonung bei Gericht. Die vorgeschlagene Neuregelung trifft auf vollste Zustimmung.

 

Angeregt wird jedoch, die entsprechenden Bestimmungen im Strafverfahren an das dann teilweise höhere Schutzniveau der ZPO anzugleichen. Dies betrifft die Vernehmung durch eine/n Sachverständige/n – die im Zivilverfahren für Minderjährige vorgesehen ist, im Strafverfahren jedoch (nur) für Unmündige. Außerdem ist die Vernehmung durch eine/n Sachverständige/n im Strafprozess nur bei einer Straftat, durch die das Opfer in ihrer/seiner Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte, zwingend vorgesehen (§ 165 Abs. 4 STPO), hingegen in der geplanten Novelle der ZPO für alle Opfer iSd § 65 Z 1 lit. a StPO.

 

Die zum Schutz von Minderjährigen vorgesehenen weiteren Instrumentarien (gänzliches oder teilweises Absehen von der Vernehmung, Zuziehung von Vertrauenspersonen) werden begrüßt; auch hier wird aber angeregt, die praktische Umsetzung zu beobachten und eine Evaluierung vorzunehmen, um gegebenenfalls gesetzliche Adaptierungen vornehmen zu können.

 

Hinsichtlich der Zuziehung von Vertrauenspersonen wird noch einmal angeregt, klar zu stellen, welche Rechte den ProzessbegleiterInnen und welche den Vertrauenspersonen zukommen. Im Falle von Minderjährigen wird davon ausgegangen, dass bei der Vernehmung sowohl die Prozessbegleiterin als auch eine Vertrauensperson der/des Minderjährigen anwesend sein kann.

 

Weiters wird auf folgende problematische Situation hingewiesen: Eine abgesonderte Vernehmung soll nach § 289a Abs 1 im Zivilprozess nur dann möglich sein, wenn der Gegenstand des Zivilprozesses in sachlichem Zusammenhang mit einem Strafverfahren steht. Damit kann in Verfahren bei den Arbeits- und Sozialgerichten wegen sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in der Regel nicht von dieser Neureglung Gebrauch gemacht werden, da die Intensität der Belästigungen oft nicht die Strafbarkeitsschwelle des § 218 StGB oder anderer strafrechtlich relevanter Tatbestände erreicht.

 

Dennoch ist in diesen Fällen ebenfalls ein besonderer Schutz der Opfer geboten, da die Übergriffe zu einer massiven psychischen Belastung der Opfer führen. Im Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission wird auf diesen Umstand Rücksicht genommen.

 

Frauen, die am Arbeitsplatz sexuell belästigt wurden, nehmen jedoch häufig von einer gerichtlichen Geltendmachung ihrer Schadenersatzansprüche Abstand, weil sie den Kontakt mit der beklagten Partei bei ihrer Vernehmung scheuen.

 

Es wird daher angeregt, § 289a ZPO dahin gehend zu ergänzen, dass auch Schadenersatzklage nach § 6 iVm § 12 Abs 11 GlBG 2004 umfasst sind.

 

 

Zu Artikel V – Änderung des STGB

 

Zu Z 3 bis 5 (§ 50 Abs 2 Z 2a, § 52 Abs 2 Z 4, § 52a StGB)

Die vorgeschlagenen Maßnahmen (gerichtliche Aufsicht über bedingt entlassene Sexualstraftäter bzw. sexuell motivierte Gewalttäter, obligatorische Anordnung von Bewährungshilfe, Erteilung von Weisungen) zur Verbesserung der Prävention durch Maßnahmen der Rückfallsvermeidung werden begrüßt.

 

In Ergänzung dazu wird im Sinne der Wahrung der Opferinteressen vorgeschlagen, die Opfer zumindest über eine (bedingte oder unbedingte) Entlassung aus der Freiheitsstrafe oder dem Maßnahmenvollzug/der Unterbringung zu informieren. Gemäß § 177 Abs 5 StPO sind Personen, die Anspruch auf Prozessbegleitung haben, von Amtswegen von der Freilassung eines Beschuldigten aus der Untersuchungshaft zu verständigen. Diese Bestimmung, die ihrem Schutz dient, sollte analog auf die Entlassung aus sämtlichen freiheitsentziehenden Maßnahmen ausgedehnt werden.

 

Ebenfalls zum Schutz der Opfer sollte im Strafvollzugsgesetz die Möglichkeit geschaffen werden, bei Aus- und Freigängen Weisungen, insbesondere ein Kontaktverbot oder ein Verbot, eine bestimmte Wohnung aufzusuchen, erteilen zu können, um den Opferschutz während der Aus- und Freigänge zu optimieren.

 

Zu Z 6 (§ 58 Abs 3 Z 3 StGB)

Die Nichteinrechnung der Zeit bis zum Erreichen der Volljährigkeit in die Verjährungsfrist im Falle des neuen § 107b Abs 4 – wiederholt gesetzte Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung des Opfers – wird uneingeschränkt befürwortet.

 

Zu Z 7 (§ 107b StGB)

Die Einführung des neuen Straftatbestands „Beharrliche Gewaltausübung“ wird sehr begrüßt. Besonders positiv ist, dass – bisher in der Regel straflose – Misshandlungen strafbar sein werden und damit ein unmissverständliches Signal gesetzt wird, dass solche Übergriffe unter bestimmten Voraussetzungen vom Staat nicht geduldet werden.

 

Angeregt wird jedoch, bereits in dessen Definition (§ 107b Abs 2 StGB) die strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Integrität mit anzuführen – in der vorgeschlagenen Fassung werden diese erst(mals) in Abs 4 als Qualifikationstatbestand genannt.

 

Zu § 107b Abs 5 wird angeregt, auch Selbstmord und Selbstmordversuch des Opfers als strafsatzerhöhenden Umstand zu berücksichtigen; ebenso eine Schwangerschaft als Folge einer in eine beharrliche Gewaltausübung eingebetteten Vergewaltigung.

 

Begrüßt wird hingegen die in den Erläuterungen getroffene Klarstellung, dass diversionelle Erledigungen, insb. ein außergerichtlicher Tatausgleich, bei beharrlicher Gewaltausübung in Partnerschaften in der Regel nicht geeignet sind  und die Erteilung von Weisungen besser geeignet ist.

 

Es wird dennoch – unter Hinweis auf diesbezügliche Diskussionen in der Arbeitsgruppe „Gewaltschutz“ - vorgeschlagen, für Fälle häuslicher Gewalt und Stalking ausdrücklich im Gesetz (z.B. durch eine entsprechende Ergänzung des § 204 Abs 2 StPO) festzulegen, dass ein außergerichtlicher Tatausgleich ausschließlich mit Zustimmung des Opfers möglich sein soll.

 

 

Zu Artikel VI – Änderung der Strafprozessordnung

Zu Z 1 und 2 (§§ 66 Abs 3 und § 67 Abs 7 StPO) Die Einführung von Prozessbegleitung auch für Opfer von Verbrechen, durch das ihr privater Lebensbereich verletzt ist, wird begrüßt.

 

Allerdings wird aufgrund praktischer Erfahrungen eine weitere Ausweitung von Prozessbegleitung für emotional besonders stark betroffene ZeugInnen einer Tat für wichtig erachtet: Derzeit haben neben den unmittelbar betroffenen Opfern nur bestimmte nahe Angehörige einer durch eine Straftat getöteten Person oder andere Angehörige, sofern sie ZeugInnen dieser Tat waren, Anspruch auf Prozessbegleitung.

 

Überlebt das Opfer zB. einen Mordversuch oder steht ein/e ZeugIn in keinem Angehörigenverhältnis zur getöteten Person (z.B. Freundin des Mordopfers), besteht trotz der besonderen emotionalen Belastung kein Anspruch auf Prozessbegleitung.

 

Analog zur Neureglung in § 66 Abs 3 sollte dies zumindest auf Antrag einer anerkannten Opferschutzeinrichtung unter den dort normierten Voraussetzungen ermöglicht werden.

 

Zu Z 3 und 4 (§ 78 Abs 3 und 78a StPO) sowie Z 7 (§ 197a StPO)

Die Neuregelung der Anzeigepflicht sowie die damit im Zusammenhang für Minderjährige geschaffenen Schutzmaßnahmen für Minderjährige sind ein zentraler Punkt des gegenständlichen Reformvorhabens, der jedoch zu weitreichenden Überlegungen Anlass gibt:

 

Vorweg wird angemerkt, dass in § 78a (2) auch PsychotherapeutInnen von der Anzeigepflicht auszunehmen wären – die Vertraulichkeit einer Psychotherapie ist als ähnlich wichtig wie das Beichtgeheimnis einzustufen und daher schützenswert.

 

Weiters wird angeregt, zumindest in den Erläuterungen näher zu präzisieren, welche Personen und Berufsgruppen von der Neuregelung betroffen sein sollen. Eine allfällige Unklarheit darüber unterläuft das Ziel einer einheitlichen Regelung, die gewaltpräventiv wirken soll.

 

Zum grundsätzlichen Konzept der Neuregelung ist den Erläuterungen insofern jedenfalls zu folgen, als Strafverfahren opfergerechter geworden sind und vielfältige Maßnahmen zur Vermeidung von Retraumatisierung getroffen wurden. Als eine der wesentlichsten Maßnahmen wurde der gesetzliche Anspruch auf Prozessbegleitung geschaffen – das Kind/die jugendliche Person sollte Prozessbegleitung allerdings bereits zur Vorbereitung der und Begleitung bei der Anzeigeerstattung bzw. ersten Befragung erhalten.

 

Bei der vorgeschlagenen Anzeigepflicht ist dies nicht mit Sicherheit gewährleistet. Die zur Anzeige verpflichtete Person leitet ihren Verdacht an Polizei oder Staatsanwaltschaft weiter, die darauf hin zu ermitteln beginnt. Wer bereitet das Kind auf das bevorstehende Procedere vor, wer organisiert seine Prozessbegleitung?

 

Bei Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz ist die proaktive Kontaktaufnahme der Interventionsstelle mit dem Opfer und damit die frühestmögliche Vorbereitung des Opfers gewährleistet – doch werden z. B. gerade bei sexuellem Missbrauch von Kindern oft keine Betretungsverbote ausgesprochen.

 

Eine erstmalige Vernehmung des Kindes erst nach Abbrechung und Fortsetzung des Verfahrens wird in vielen Fällen an den Voraussetzungen scheitern: nur dann, wenn es andere Beweismittel (Verletzungen, Sperma, TatzeugInnen, Geständnis) außer der Aussage des Kindes gibt , ist das Konzept Beweismittelsicherung durch Staatsanwaltschaft, Vernehmung des Verdächtigen, Abbrechung des Verfahrens zur Stabilisierung und Vorbereitung des Kindes und erst nach Wiederaufnahme des Verfahrens – das zwischenzeitlich psychosoziale Prozessbegleitung bekommt - Vernehmung des Kindes jedenfalls überzeugend.

 

Gründet sich der Verdacht jedoch ausschließlich oder weitgehend auf die Aussage des Kindes, das sich einer Vertrauensperson anvertraut, sollte es so früh wie möglich (noch vor der Anzeige) psychosozial betreut werden.

 

Auch in den Fällen, wo das Kind das einzige oder zumindest wichtigste (potentielle) Beweismittel ist, sich der Verdacht jedoch nicht auf seine Angaben, sondern auf andere Umstände / Hinweise gründet (Bettnässen, Verhaltensauffälligkeiten in der Schule, Kinderzeichnungen ….), stellt sich die Frage, was nach einer Anzeige passiert. Dann muss das Kind ev. sofort befragt werden, um einen Verdacht zu erhärten – da eine Befragung des mutmaßlichen Täters ohne ihn mit fundierten Verdachtsgründen konfrontieren zu können, vermutlich nicht zum Geständnis führen wird. Leugnet das Kind jedoch die ihm zugefügte Gewalt, um z.B. einen nahen Familienangehörigen zu schützen oder aus Angst, Scham- oder Schuldgefühlen, verbleibt es ungeschützt in der Familie!

 

Eine Abbrechung des Verfahrens, um das Kind zu schonen, wird nicht zuletzt auch in vielen Fällen nicht möglich sein, - dann, wenn die Entlassung des Verdächtigen aus der U-Haft gegen gelinderes Mittel (Weisung, sich vom Kind fernzuhalten) das Kind nicht zuverlässig schützen kann. Diesfalls muss das Verfahren weiter geführt, d.h. das Kind vernommen werden.

 

Diese Problemstellungen sollten umfassend und breit diskutiert werden, um die optimale Lösung zur Wahrung des Anspruchs der Opfer auf staatlichen Schutz vor Gewalt bei gleichzeitiger Vermeidung vor Überforderung und Retraumatisierung zu erarbeiten.

 

Dabei könnte z.B. auch in Betracht gezogen werden, die betroffenen Berufsgruppen/Personen nicht zur Anzeige an die Polizei/Staatsanwaltschaft, sondern zur Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger zu verpflichten. Der Jugendwohlfahrtsträger hätte dann Prozessbegleitung zu vermitteln und für die der Situation des Kindes angepassten Rahmenbedingungen zu sorgen, sowie seinerseits die Anzeige zu erstatten.

 

Oder es könnte überlegt werden, analog zu den jetzigen Interventionsstellen gegen Gewalt spezialisierte Einrichtungen für Kinder zu schaffen – oder solche in die bestehenden Interventionsstellen zu integrieren. Diese sollten nach Datenübermittlung durch die Behörde proaktiv tätig werden und dem Kind in dieser Situation umfassend beistehen sowie die nötige Vernetzung mit sämtlichen beteiligten Berufsgruppen übernehmen (Fallkonferenzen, case management).

 

Betont wird, dass es bei all diesen Überlegungen nicht um den Schutz von Vertraulichkeit geht oder die Verteidigung von Erwachsenen, die bei Gewalt gegen Kinder deren Schutz vernachlässigen und „weg schauen“, sondern ausschließlich um den Schutz des Kindes vor Überforderung. Eine vereinheitlichte, verschärfte Anzeigepflicht wird daher nicht per se abgelehnt, aber diese muss in Begleitmaßnahmen eingebettet sein, die sowohl die Sicherheit des Kindes vor (weiterer) Gewalt als auch die flankierende psychosoziale Beratung, Unterstützung und Begleitung sicher stellen.

 

 

Abschließend wird noch einmal betont, dass gegenständliches Gesetzesvorhaben in hohem Ausmaß zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Maßnahmen zur Gewaltprävention und zum Opferschutz beitragen wird und aus frauenpolitischer Sicht sehr begrüßenswert ist. Bedauert wird allerdings, dass mit dem 2. GeSchG nicht gleichzeitig das SPG, insbesondere hinsichtlich einer Ausweitung der Geltungsdauer des Betretungsverbots gemäß § 38a, novelliert wird und dies einem weiteren Reformschritt vorbehalten bleiben muss.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

3. Juni 2008

Für die Bundesministerin:

LASSER

 

 

 

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