Amt der Tiroler Landesregierung

 

 

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Entwurf für ein 2. Gewaltschutzgesetz; Stellungnahme

Geschäftszahl

Innsbruck,

Präs.II-924/43
02.06.2008

 

 

Zu GZ. BMJ-B12.101/0002-I 5/2008 vom 30. April 2008

 

I. Allgemeines:

Gegen einzelne Bestimmungen des oben angeführten Gesetzentwurfes bestehen seitens des Landes Tirol erhebliche Bedenken. Die Regelungen des Art. V Z. 5 (§ 52a StGB) und des Art. VI Z. 3 und 4 (§ 78 Abs. 3 und § 78a StPO) des Entwurfes werden entschieden abgelehnt.

Die Bestimmung des § 52a Abs. 2 StGB in der Fassung des gegenständlichen Entwurfes, wonach das Gericht unter anderem die Jugendwohlfahrt mit der Überwachung von Sexualstraftätern und sexuell motivierten Gewalttätern betrauen kann, verkennt die Aufgaben und Möglichkeiten der Einrichtungen der Jugendwohlfahrt und ist zudem aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich.

Die §§ 78 Abs. 3 und 78a StPO in der Fassung des vorliegenden Entwurfes sehen eine massive Ver­schärfung der Anzeigepflicht vor. Danach trifft Behörden oder öffentliche Dienststellen auch in den Fällen des § 78 Abs. 2 Z. 1 StPO (also in Fällen, in denen die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf) eine unbedingte Anzeige­verpflichtung. Weiters haben Personen, denen die Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integrität des Minderjährigen obliegt, unverzüglich Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zu erstatten, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen der Verdacht besteht, dass ein Minderjähriger Opfer einer im § 65 Z. 1 lit. a StPO bezeichneten Tat geworden sein könnte.

Mit dem Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526/1993, wurde die Anzeigepflicht von Behörden und öffentlichen Dienststellen (im § 84 StPO, nunmehr § 78 StPO) präzisiert und eingeschränkt. In der Folge wurden in zahlreichen dienstrechtlichen Vorschriften für Bedienstete Ausnahmen von der Pflicht zur Meldung eines ihnen bekannt gewordenen Verdachtes einer von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlungen vorgesehen (vgl. beispielsweise die §§ 45 und 53 des Beamten-Dienstrechtsge­setzes 1979) und in mehreren Gesetzen für bestimmte Einrichtungen bzw. Personen in Fällen eines wahr­genommenen Verdachts, dass Minderjährige misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell miss­braucht wurden, Meldepflichten an den Jugendwohlfahrtsträger festgelegt (vgl. z. B. § 54 des Ärztege­setzes 1998 und § 37 des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989).

 

In dem an alle Ämter der Landesregierungen ergangenen Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 09.12.1999, GZ. 415.003/58-II.3/1999, betreffend die Handhabung der Anzeigepflicht wird unter anderem ausgeführt: ...“Insgesamt wird durch diese Rechtslage anerkannt und berücksichtigt, dass das Hauptinte­resse der Angehörigen von Berufsgruppen, die mit der Begutachtung, Betreuung und Behandlung Min­derjähriger befasst sind, zumeist nicht auf die Strafverfolgung einer Person, sondern auf eine effektive Hilfe für das betroffene Kind oder den Jugendlichen gerichtet ist. Eine unbedingte Anzeigepflicht brächte insbesondere auch die Gefahr mit sich, dass ein Strafverfahren in Gang gesetzt wird, ohne dass für das betroffene Kind und dessen Betreuungsperson genügend Zeit bleibt, sich darauf vorzubereiten. Aner­kannte Experten auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpsychiatrie verweisen darauf, dass Interventions­fehler sich für das Kind bzw. den Jugendlichen verhängnisvoll und für die beabsichtigte strafrechtliche Verfolgung des Täters behindernd auswirken können. Umsicht und Besonnenheit bei der Aufdeckung wer­den für die therapeutische Aufarbeitung eines traumatischen Erlebnisses des Opfers als besonders wichtig beschrieben........ Eine unbedingte Anzeigepflicht könnte außerdem die Gefahr des (inbs. verfrühten) Ab­schiebens der Verantwortung auf die Strafverfolgungsbehörden – gerade in heiklen Fällen und im ungüns­tigsten Augenblick – hervorrufen, wenn eine ausreichende Verifizierung des Tatverdachts noch nicht mög­lich ist, und so kontraproduktive Wirkungen entfalten........Aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz hat demnach die Einschränkung der Anzeigepflicht nicht nur zur weiteren Sensibilisierung der betroffenen Berufsgruppen beigetragen sondern auch eine beträchtliche Erweiterung der Möglichkeiten zur Beratung, Betreuung und Prävention und damit eine Hinwendung zu effizienter Hilfestellung bewirkt.“

Diese Ausführungen aus dem Jahr 1999 haben im Wesentlichen auch heute noch Gültigkeit. Die in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf behaupteten angeblichen Fehleinschätzungen rechtfertigen keinesfalls die Einführung einer undifferenzierten Anzeigeverpflichtung. Gegen die Verschärfung der Anzeigepflicht sprechen insbesondere folgende Gründe:

·         Die vorgesehene Anzeigeverpflichtung dient in keiner Weise dem Kinderschutz. Die Jugendwohlfahrt, die seit Jahrzehnten Erfahrungen in der Arbeit mit dem Kinderschutz hat, wird durch die Anzeigepflicht vielmehr ausgehebelt. Wenn mutmaßliche TäterInnen sofort angezeigt werden, werden diese im Regelfall nicht mehr mit der Jugendwohlfahrt kooperieren (z. B. ein von der Jugendwohlfahrt ver­mitteltes Anti-Gewalttraining absolvieren). Auch Hilfen zur Erziehung werden von ihnen zumeist nicht mehr angenommen werden. Es werden Kinder somit vermehrt in stationären Einrichtungen unterge­bracht werden müssen, weil die familiäre Situation nach einer Anzeige noch unsicherer ist als vorher.

·         Derzeit kann die Jugendwohlfahrt mutmaßliche TäterInnen, die eine allfällige Anzeige zu befürchten haben, zur Inanspruchnahme von Hilfestellungen (z. B. Therapie, Anti-Gewalttraining) verhalten. Das „Druckmittel“ einer möglichen Anzeigeerstattung, das sich in der Praxis gut bewährt hat, würde künftig nicht mehr zur Verfügung stehen.

·         Wenn alle Personen, die derzeit mit der Betreuung, Beratung und Behandlung Minderjähriger bzw. deren Eltern betraut sind (z. B. ÄrztInnen, LehrerInnen, Bedienstete in Beratungs- und Betreuungsein­richtungen der Jungendwohlfahrt [z. B. in Kriseninterventionszentren, Gewaltschutzzentren, Er­ziehungs- und Familienberatungsstellen oder in der Kinder- und Jugendanwaltschaft]) künftig eine An­zeigeverpflichtung treffen soll, ist zu befürchten, dass die Betreuungs- und Beratungsangebote nicht mehr in Anspruch genommen werden bzw. misshandelte oder missbrauchte Kinder nicht mehr einer ärztlichen Behandlung zugeführt werden. Viele Misshandlungs- bzw. Missbrauchsfälle, für die derzeit (weil sie bekannt werden) entsprechende Hilfestellungen angeboten werden können, werden künftig im Dunkeln bleiben. Eine derartige Entwicklung wäre mit schwer wiegenden Folgen für die betroffenen Minderjährigen verbunden.

·         Gerade in Fällen familiärer Gewalt kann das Strafrecht minderjährigen Gewaltopfern keinen aus­reichenden Schutz bieten, weil sie nach erfolgter Anzeige oft wieder in ihre Familie zurückkehren müssen.

·         Besonders bei sexuellem Missbrauch müsste die Anzeige zu einem Zeitpunkt erstattet werden, zu dem Kinder oder Jugendliche noch nicht in der Lage sind, über den Missbrauch zu sprechen und mit ihren Ängsten und den Folgen der Traumatisierung umzugehen. Eine Anzeige, die nicht mit dem Kind und den Bezugspersonen abgesprochen ist und die nicht zu einem mit Sicht auf das Kind richtigen Zeit­punkt erfolgt, führt zu einem neuerlichen Vertrauensverlust und zum Gefühl, der Erwachsenenwelt ausgeliefert zu sein. Damit erfolgt mit der Anzeige und den damit verbundenen Einvernahmen eine Verstärkung der schweren psychischen Folgen und Verletzungen, die der sexuelle Missbrauch hinter­lassen hat. Die meist unsichere Beweislage führt dazu, dass das Gericht in vielen Fällen keinen wirk­samen Schutz für die Betroffenen bewirken kann (wie etwa die im Entwurf erwähnte Untersuchungs­haft). Damit steigt der Druck auf die Kinder oder Jugendlichen zur weiteren Geheimhaltung und die Gefahr, dass Kinder oder Jugendliche zu keiner Aussage fähig sind bzw. eine erste Aussage wieder zurückziehen. Die bereits jetzt sehr geringe Zahl an Verurteilungen wird weiter sinken. Ein weiteres Mal wird den betroffenen Kindern oder Jugendlichen nicht geglaubt und damit die Traumatisierung ver­stärkt.

Statt einer Verschärfung der Anzeigepflicht bedarf es vor allem einer umfassenden Ausweitung von Prä­ventionsmaßnahmen, umfangreicher und wiederholter Schulungen für alle Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, und der Bereitstellung jener personellen und finanziellen Ressourcen, die erforder­lich sind, um die ständig steigenden Anforderungen, mit denen die Jugendwohlfahrt konfrontiert ist, auch bewältigen zu können. Zudem wäre das Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 umfassend zu novellieren. Diesbe­züglich wird insbesondere angeregt, die Gefährdungsabklärung als wesentliche Aufgabe der Jugendwohl­fahrt ausdrücklich im Gesetz zu verankern, Standards für die Gefährdungsabklärung festzulegen und dem Jugendwohlfahrtsträger jene Befugnisse zu erteilen, die für eine umfassende Gefährdungsabklärung erfor­derlich sind (wie etwa das Recht zum Betreten der Wohnung oder das Recht auf persönliche Kontaktauf­nahme mit dem Kind auch gegen den Willen der Eltern).

Auch der beim Amt der Tiroler Landesregierung eingerichtete Jugendwohlfahrtsbeirat hat sich in seiner Sitzung vom 27.05.2008 sowohl gegen die vorgesehene Verschärfung der Anzeigepflicht, als auch gegen die im § 52a StGB des Entwurfes vorgesehene Heranziehung (auch) der Jugendwohlfahrt zur Über­wachung von bedingt entlassenen Sexualstraftätern und sexuell motivierten Gewalttätern ausgesprochen.

Die Ausführungen hinsichtlich der finanziellen Auswirkungen des Entwurfes sind im Vorblatt und in den Erläuterungen nur sehr knapp und allgemein gehalten und entsprechen keinesfalls den Vorgaben der Ver­einbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über einen Konsultationsmechanismus und einen künftigen Stabilitätspakt der Gebietskörperschaften. Bei Inkrafttreten eines dem Entwurf ent­sprechenden Gesetzes würden den Ländern erhebliche Mehrkosten erwachsen. Das Land Tirol hat daher mit Schreiben vom 2. Juni 2008 (GZ. VII-1/211/268) Verhandlungen in einem Konsultationsgremium ver­langt.

 

 


II. Bemerkungen zu einzelnen Bestimmungen:

 

Zu Art. V Z. 5 (§ 52a StGB)

Im Abs. 1 wird die gerichtliche Aufsicht über bedingt entlassene Sexualstraftäter und sexuell motivierte Gewalttäter geregelt, wobei dem Gericht die Erteilung einer Weisung, bestimmte Tätigkeiten nicht auszu­üben, ermöglicht wird. Da eine solche Weisung, wie etwa das in den Erläuterungen zu dieser Bestimmung genannte Berufsverbot, tief in die Persönlichkeitsrechte des bedingt Entlassenen eingreifen kann, sollte sie nur zulässig sein, wenn sie zur Rückfallsvermeidung unbedingt notwendig ist.

Nach Abs. 2 hat das Gericht während der gerichtlichen Aufsicht das Verhalten des Rechtsbrechers und die Erfüllung der Weisungen zu überwachen. „In geeigneten Fällen“ kann das Gericht mit der Überwachung unter anderem auch die Jugendwohlfahrt betrauen. Die mit der Überwachung betrauten Stellen haben dem Gericht über die von ihnen gesetzten Maßnahmen und über ihre Wahrnehmungen zu berichten. Ge­gen diese Bestimmung bestehen in mehrfacher Hinsicht erhebliche, insbesondere auch verfassungsrecht­liche, Bedenken.

Die Jugendwohlfahrtsbehörden sind keine Sicherheitsbehörden. Ihnen stehen weder das für eine Über­wachung von Sexualstraftätern und sexuell motivierten Gewalttätern erforderliche Personal und Know-how zur Verfügung noch kommen ihnen sicherheitsbehördliche Befugnisse zu. Eine derartige Überwachungs­tätigkeit fällt auch nicht in den gesetzlichen Zuständigkeitsbereich der Jugendwohlfahrtsbehörden.

Nach § 1 des Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989 hat die Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge (öffentliche Jugendwohlfahrt) für die Betreuung der Mütter, der werdenden Mütter und ihrer Leibesfrucht sowie von Säuglingen und deren Eltern vorzusorgen (Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge) und die Ent­wicklung Minderjähriger durch Anbot von Hilfen zur Pflege und Erziehung zu fördern und durch Gewäh­rung von Erziehungsmaßnahmen zu sichern (Jugendfürsorge).

Die vorgesehenen Überwachungstätigkeiten durch Einrichtungen der Jugendwohlfahrt können auch keine Maßnahmen der Amtshilfe darstellen, da eine Verpflichtung zur Amtshilfe nach Art. 22 B-VG nur im Rah­men des jeweiligen gesetzmäßigen Wirkungsbereiches besteht.

Der gegenständliche Gesetzentwurf stützt sich in kompetenzrechtlicher Hinsicht, wie im Vorblatt und im Allgemeinen Teil der Erläuterungen festgestellt wird, auf Art. 10 Abs. 1 Z. 6 B-VG (Zivil- und Strafrechts­wesen). In den Angelegenheiten der Mutterschafts-, Säuglings- und Jugendfürsorge ist nach Art.12 Abs. 1 Z. 1 B-VG Bundessache die Gesetzgebung über die Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausfüh­rungsgesetzen und die Vollziehung. Eine verfassungskonforme Begründung einer neuen Aufgabe für die Einrichtungen der Jugendwohlfahrt könnte daher nur durch eine entsprechende, auch ausdrücklich als solche bezeichnete, Grundsatzbestimmung bzw. durch ein entsprechendes Grundsatzgesetz erfolgen.

Die Regelung des § 52a Abs. 2 StGB ist aber auch aus der Sicht der Bestimmung des Art. 94 B-VG, die einen wesentlichen Bestandteil des gewaltentrennenden Grundprinzips darstellt, bedenklich. Danach sind nämlich alle Aufgaben der Vollziehung vom Gesetzgeber nach objektiven Kriterien entweder der Gerichts­barkeit oder der Verwaltung zu übertragen und Weisungen von Organen der Gerichtsbarkeit an Organe der Verwaltung ausgeschlossen.

§ 52a StGB ordnet an, dass der Rechtsbrecher zu überwachen ist. Wie die Überwachung erfolgen soll, lässt diese Bestimmung aber völlig offen und wird auch an anderer Stelle nicht geregelt. Insbesondere ist unklar, wie oft die Überwachung zu erfolgen hat und welche Überwachungsmethoden angewendet werden dürfen. Damit verstößt diese Bestimmung aber auch gegen das aus Art. 18 B-VG abgeleitete, an den Ge­setzgeber gerichtete, Gebot inhaltlich ausreichend bestimmte Regelungen zu schaffen.

Aus den oben dargelegten Gründen wird daher die beabsichtigte Heranziehung (auch) der Jugendwohl­fahrt zur Überwachung von Sexualstraftätern und sexuell motivierten Gewalttätern entschieden abgelehnt.

 

Zu Art. VI Z. 3 (§ 78 Abs. 3 StPO)

Einleitend wird auf die Ausführungen unter Punkt I. verwiesen.

Nach § 78 Abs. 2 Z. 1 StPO besteht für eine Behörde oder öffentliche Dienststelle keine Anzeigepflicht, wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf. Die im Entwurf vorgesehene Neufassung des § 78 Abs. 3 StPO erweitert die Anzeigepflicht für Behörden und öffentliche Dienststellen, wobei das Verhältnis zur Ausnahmebe­stimmung des § 78 Abs. 2 Z. 1 StPO unklar bleibt. Dadurch entsteht für die Einrichtungen der Jugend­wohlfahrt eine Rechtsunsicherheit, ob im konkreten Fall Anzeige zu erstatten ist oder nicht.

§ 53 Abs. 1a BDG 1979 befreit Beamte in Fällen, in denen ihnen in Ausübung ihres Dienstes der begrün­dete Verdacht einer von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlung bekannt wird, von der Pflicht zur Erstattung einer Meldung, wenn die Meldung eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines persönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf.

§ 45 Abs. 4 BDG 1979 befreit den Dienststellenleiter bzw. die zur Anzeige berufene Stelle unter denselben Voraussetzungen, wie sie im § 78 Abs. 2 StPO genannt sind, von der Pflicht zur Erstattung einer Anzeige.

Entsprechende Regelungen (wie im § 45 Abs. 3 und im § 53 Abs. 1a BDG 1979) finden sich auch in ande­ren Dienstrechtsgesetzen des Bundes und der Länder.

Die Bestimmung des § 78 Abs. 3 StPO in der Fassung des Entwurfes steht zu diesen Regelungen im Widerspruch.

Wenn der Schutz des Opfers oder anderer Personen vor Gefährdung nicht anders als durch Erstattung einer Anzeige bewirkt werden kann, so ist bereits nach derzeitiger Rechtslage Anzeige zu erstatten. Die vorgesehene Änderung des § 78 Abs. 3 StPO wird daher weder als erforderlich noch als sinnvoll ange­sehen.

 

Zu Art. VI Z. 4 (§ 78a StPO)

Zunächst wird auf die Ausführungen unter Punkt I. verwiesen. Im Übrigen wird Folgendes bemerkt:

Zahlreiche Personen, die Adressaten der Anzeigepflicht nach § 78a StPO sind, stehen in einem Dienst­verhältnis zu einer Gebietskörperschaft (z. B. LandeslehrerInnen, BundeslehrerInnen, KindergärtnerInnen, ErzieherInnen in Horten).

Die im Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehenden Personen sind aufgrund der einschlägigen dienstrechtlichen Vorschriften im Regelfall nicht dazu befugt, Anzeige zu erstatten. Vielmehr haben diese Personen, sofern für sie nicht eine Ausnahme von der Meldepflicht vorgesehen ist, den ihnen bekannt gewordenen Verdacht einer von Amts wegen zu verfolgenden gerichtlich strafbaren Handlung dem Leiter der Dienststelle zu melden. Der Leiter der Dienststelle wiederum hat den bekannt gewordenen Verdacht, sofern für ihn nicht eine Ausnahme von der Meldepflicht vorgesehen ist, unverzüglich der zur Anzeige be­rufenen Stelle zu melden oder, wenn er selbst hiezu berufen ist, die Anzeige zu erstatten (vgl. dazu die §§ 45 und 53 BDG 1979 und die, diesen Bestimmungen nachgebildeten, dienstrechtlichen Regelungen des Bundes und der Länder).

 

Soweit die Bestimmung des § 78a StPO in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehenden Personen eine Anzeigeverpflichtung auferlegt, steht sie im Widerspruch zu den für diese Personen gelten­den dienstrechtlichen Regelungen. Die Regelung, welcher Person oder Stelle im Fall eines bekannt ge­wordenen Verdachts einer strafbaren Handlung die Erstattung einer Anzeige obliegt, kommt dem jeweili­gen Dienstrechtsgesetzgeber zu. Die Bestimmung des § 78a StPO greift somit in verfassungswidriger Weise in die Dienstrechtskompetenz der Länder nach Art. 21 B-VG ein.

Sofern in einem Dienstverhältnis zu einer Gebietskörperschaft stehenden Personen der Verdacht einer strafbaren Handlung im Rahmen der Hoheitsverwaltung bekannt wird (z. B. LehrerInnen bei Erteilung des Unterrichts oder bei Führung der Aufsicht – vgl. dazu z. B. OGH 11.01.1978, 1 Ob30/1977, und OGH 20.01.1988, 1 Ob5/88) steht § 78a StPO auch in einem Spannungsverhältnis zu § 78 StPO (nach § 78 Abs. 1 StPO hat die Behörde oder öffentliche Dienststelle, nach § 78a StPO der betreffende Bedienstete, Anzeige zu erstatten).

Die Bestimmung des § 78a StPO steht, soweit sie die Verpflichtung zur unverzüglichen Anzeige festlegt, auch im Widerspruch zu § 54 des Ärztegesetzes 1998.

Nach § 54 Abs. 5 des Ärztegesetzes 1998 hat der Arzt, wenn sich für ihn in Ausübung seines Berufes der Verdacht ergibt, dass ein Minderjähriger misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist, Anzeige an die Sicherheitsbehörde zu erstatten. Richtet sich der Verdacht gegen einen nahen Angehörigen (§ 166 StGB), so kann die Anzeige so lange unterbleiben, als dies das Wohl des Minderjähri­gen erfordert und eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger und gegebenenfalls eine Einbe­ziehung einer Kinderschutzeinrichtung an einer Krankenanstalt erfolgt.

Für viele Personen, denen die „Sorge für die körperliche oder seelische Integrität des Minderjährigen ob­liegt“, gelten berufsrechtliche Regelungen, die eine strenge Verschwiegenheitspflicht vorsehen (z. B. für PsychotherapeutInnen und PsychologInnen). Die Bestimmung des § 78a StPO berücksichtigt solche ge­setzlich normierte berufsrechtliche Verschwiegenheitspflichten (z. B. § 15 des Psychotherapiegesetzes oder § 14 des Psychologengesetzes) in keiner Weise.

 

Zu Art. VI Z. 8 (§ 514 StPO):

Nach § 514 Abs. 4 StPO sollen die Bestimmungen der §§ 78 Abs. 3 und 78a des Entwurfes mit 1. Jänner 2009 in Kraft treten. Zu diesem Zeitpunkt haben alle Adressaten von § 78a StPO sämtliche ihnen bekann­ten Verdachtsfälle gemäß § 65 Z. 1 lit. a StPO anzuzeigen. Da § 78a StPO auf das Bestehen eines Ver­dachtes abstellt (und nicht gesetzlich bestimmt ist, dass nur nach dem 31.12.2008 neu bekannt gewordene Verdachtsfälle anzuzeigen sind), haben die Adressaten des § 78a StPO sämtliche ihnen bekannten, also auch alle vor dem 01.01.2009 bekannt gewordenen, Verdachtsfälle anzeigen.

Eine derart undifferenzierte Anzeigeverpflichtung, bei der vor dem 01.01.2009 unter dem Siegel der Ver­schwiegenheit Mitgeteiltes nachträglich anzuzeigen ist, sollte im Interesse der Vertrauensbasis zu den betroffenen KlientInnen jedenfalls vermieden werden.

 

Zu Art. VII Z. 2 (§ 6 Abs. 1 Z. 8 des Tilgungsgesetzes 1972)

Zur Erfüllung der nichthoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt werden in einem großen Ausmaß private Einrichtungen herangezogen (z. B. Unterbringung von Minderjährigen in bewilligten statio­nären Einrichtungen privater Rechtsträger zumeist Vereine). Die Personalhoheit über die bei diesen pri­vaten Rechtsträgern angestellten Personen kommt den betreffenden Rechtsträgern zu. Um zu vermeiden, dass allfällige Vorbelastungen bei Personen, die mit der Betreuung oder Erziehung von Kindern in privaten Einrichtungen zu tun haben, im Dunkeln bleiben, sollen auch die betreffenden Einrichtungen zur uneinge­schränkten Auskunft über Verurteilungen wegen Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbe­stimmung berechtigt werden.

Es wird daher angeregt, § 6 Abs. 1 Z. 8 des Tilgungsgesetzes 1972 wie folgt zu formulieren:

„8. den mit Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt betrauten Behörden und Dienststellen sowie den mit nichthoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt betrauten Einrichtungen über Verurteilun­gen wegen Straftaten nach dem 10. Abschnitt des StGB.“

 

Eine Ausfertigung dieser Stellungnahme wird unter einem auch dem Präsidium des Nationalrates über­mittelt.

 

 

 

 

Für die Landesregierung

 

 

Dr. Liener
Landesamtsdirektor