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è Jugend, Frauen, Familie

    und Generationen

                                                                   

kinder+jugendanwaltschaft

Bearbeiter: MMag. Martin Knopper
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GZ:

Kija-GewSchG/2008-1

     

     

Graz, am 13. Juni 2008

 

Ggst.:

 Begutachtung

 Entwurf „2. Gewaltschutzgesetz – 2. GeSchG“

 BMJ-B12.101/000-3-I 5/2008

 


 

 

Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Exekutionsordnung, die Zivilprozessordnung, das Außerstreitgesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz 1962, das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975 und das Tilgungsgesetz 1972 geändert werden (2. Gewaltschutzgesetz – 2. GeSchG)

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

aus Sicht der Kinder- und Jugendanwaltschaft Steiermark möchten wir zum vorgelegten Entwurf des 2. GeSchG wie folgt Stellung nehmen:

 

 

Wir begrüßen uneingeschränkt die Intention, mit dem 2. GeSchG eine „… Stärkung des Rechts von Kindern auf staatlichen Schutz anzustreben“ bzw. „… die Ausübung von Gewalt gegen Minderjährige gesellschaftlich zu ächten und in weiterer Folge auch zurückzudrängen“.[1]

 

So werden die Änderungen im Rahmen der Exekutionsordnung „Schutz vor Gewalt“ bzw. „Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre“ als grundsätzlich positiv gesehen, wenn auch in der Praxis im Zusammenhang mit Minderjährigen bisher kaum solche „Wegweisungen“ ausgesprochen worden sind.

 

Ebenfalls grundsätzliche positiv ist die Ausweitung der psychosozialen bzw. juristischen Prozessbegleitung auf das Zivilverfahren (ZPO bzw. AußStrG), soferne ein sachlicher Zusammenhang mit einem Strafverfahren besteht.

 

Die Neuerungen im Bereich des Strafrechtes sind teilweise zu befürworten, teilweise aber strikt abzulehnen und insoferne zu ändern bzw. zu unterlassen.

Befürwortet wird der neue Straftatbestand „Beharrliche Gewaltausübung“ (§ 107b neu StGB).

 

 

Allerdings ist die Intention, „… die Funktion der Anzeige als in manchen Fällen notwendige Schutzmaßnahme für das Opfer vor weiterer Gefährdung …“ verstärkt zu betonen, in der geplanten Form völlig verfehlt! Dies gilt insbesondere für minderjährige Opfer von sexualisierter bzw. psychischer Gewalt.

 

Denn im Endeffekt würde sich die drohende Ausweitung der Anzeigeverpflichtung (§ 78a neu StGB) aus Sicht eines Kindes/Jugendlichen in den allermeisten Fällen als absolut kontraproduktiv auswirken!!!

 

Mit anderen Worten: der durch den Entwurf geplante, neu einzufügende § 78a StGB und die damit drohende Ausweitung der Anzeigeverpflichtung auf „Personen, denen die Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integrität des Minderjährigen obliegt“ entspricht, entgegen(!) den Ausführungen in den Erläuterungen[2], N I C H T dem Wohle des Kindes (Art 3 UN-Kinderrechtekonvention) bzw. der Vermeidung jeder sekundären Viktimisierung (Art 39 UN-Kinderrechtekonvention)!!!

 

Vielmehr noch: Die (geplante) erweiterte Anzeigeverpflichtung schützt potentiell den Beschuldigten (bzw. potentiellen Täter) eher als das (potentielle) Opfer! Daher ist die geplante Ausweitung der Anzeigeverpflichtung abzulehnen! Die Gründe dafür sollen im Folgenden dargelegt werden:

 

 

 

1.     Ein Symptom stellt nicht notwendigerweise ein Indiz dar

2.     Eine Anzeigeverpflichtung bedeutet nicht Gefährdungsabschätzung

3.     Eine Anzeigeverpflichtung bedeutet keine Orientierung an den Bedürfnissen von Minderjährigen

4.     Eine Anzeigeverpflichtung bedeutet nicht gleichzeitig Kooperationsverpflichtung

5.     Die Argumente in den Erläuterungen greifen nicht

6.     „Abbrechung des Verfahrens im Opferinteresse“ (§ 197a neu StPO) ist im Endeffekt Täterschutz

7.     Fazit 1: Eine Ausweitung der Anzeigeverpflichtung ist keine Garantie für Kinderschutz

8.     Fazit 2: Anzeigeplanung = Traumareduktion = Kinderschutz

9.     Fazit 3: Empfehlung

 

 

 


1.    Ein Symptom stellt nicht notwendigerweise ein Indiz dar

 

Personen im sozialen Nahbereich der Kinder/Jugendlichen (KindergartenpädagogInnen, PädagogInnen, BetreuerInnen) nehmen potentiell tatsächlich oft die ersten Hinweise für Gewalt oder Missbrauch wahr.

 

Dennoch: Gewalt an Kindern (insbesondere sexuelle oder psychische Gewalt) führt sehr selten zu spezifischen Hinweisen, sondern meist zu Auffälligkeiten bzw. Symptomen, die auch anderen Problemfeldern zugeordnet werden können.

 

Daher bedarf es im Vorfeld fundierter Abklärung und einer sorgfältigen Gefährdungseinschätzung; nicht zuletzt auch deshalb, um möglichst abzuklären, auf welcher Ursache die beobachteten Symptome gründen. Daraufhin ist dann ein abgestimmter Interventionsplan mit dem Blick auf das Kindeswohl zu erstellen.

 

Eine „unverzügliche“ Anzeigeverpflichtung würde aber den Druck auf die Personen im sozialen Nahbereich der Kinder/Jugendlichen nur zusätzlich erhöhen. Damit steigt aber wiederum die Gefahr vorschnellen Agierens in Form von überschießenden Reaktionen („unbegründete Anzeigen“). In der Folge würde die Gefahr für Personen im sozialen Nahfeld dramatisch steigen, sich etwa Verleumdungsklagen oder Kreditschädigungsklagen ausgesetzt zu sehen. Dies birgt nun wiederum die Gefahr, dass Bezugs- bzw. Betreuungspersonen hinkünftig Symptome bagatellisieren und überhaupt keine Anzeige erstatten. Die Folge davon wäre geradezu das Gegenteil, nämlich Täterschutz, das heißt, das Unterbleiben der Verfolgung und Bestrafung des Täters und nicht (der durch die vorliegende Novelle intendierte) Opferschutz!

 

Es ist daher festzuhalten, dass der Behauptung in den Erläuterungen, dass „… Fehleinschätzungen nicht vermieden werden konnten …“ nicht damit begegnet werden kann, einfach eine generelle Anzeigverpflichtung gesetzlich zu normieren; denn so würden Fehleinschätzungen nicht nur nicht „vermieden“, sondern geradezu „in Kauf genommen“ werden. Der „Preis“ dafür wäre: Täterschutz. Und diesen Preis hätten Kinder bzw. Jugendliche (Opfer!) zu zahlen. Es scheint zumindest zynisch, hier das Wort „Phyrrussieg“ zu bemühen.

 

 

2.    Eine Anzeigeverpflichtung bedeutet nicht Gefährdungsabschätzung

 

Bei Verdacht auf Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist es daher, aus den oben genannten Gründen, für Berufsgruppen, die in der Betreuung von „gefährdeten“ Kindern/Jugendlichen tätig sind, essentiell, mit erfahrenen Fachkräften aus z.B. Kinderschutzzentren oder spezialisierten Beratungseinrichtungen die getätigten Beobachtungen

·         besprechen zu können,

·         so zu einer Gefährdungseinschätzung zu kommen, um dadurch

·         gestärkt die nächsten Schritte einleiten zu können (z.B. Stützung des Kindes, Meldung an die Jugendwohlfahrt, Anzeige).

 

So lautet auch die Prämisse der Standards für Prozessbegleitung von Mädchen, Buben und Jugendlichen als Opfer sexueller und psychischer Gewalt: „Keine Person und keine Institution kann sexuellen Missbrauch und Misshandlung alleine abklären, beenden und die Folgen tragen. Kooperation zwischen den involvierten Berufsgruppen ist unbedingt notwendig.“

 

Die Meldepflicht im Rahmen des Jugendwohlfahrtsgesetzes (§ 37 JWG) gewährleistet, dass die Maßnahmenplanung und Umsetzung durch ExpertInnen aus dem Bereich Gewalt gegen Kinder erfolgt. Dadurch kann ein Hilfeplan für das Kind erstellt und Maßnahmen zum Schutz des Kindes gesetzt werden.

 

Durch die geplante Ausweitung der Anzeigeverpflichtung würde aber die wichtige Rolle der Jugendwohlfahrt als Drehscheibe wegfallen. Diese Rolle würde nun der Polizei bzw. Staatsanwaltschaft zufallen. Ob und wie diese Behörden dieser Aufgabe mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gerecht werden könnten, wird in den Erläuterungen nicht erwähnt.

 

 

3.    Eine Anzeigeverpflichtung bedeutet keine Orientierung an den Bedürfnissen von Minderjährigen

 

Damit Kinder/Jugendliche, die von Gewalt betroffen sind, über ihre Erlebnisse sprechen können, braucht es viel Vertrauen in ihre Bezugspersonen und vor allem auch viel Zeit. Es ist wichtig, dass Kinder/Jugendliche in dieser sensiblen Phase der Aufdeckung gestärkt und altersadäquat über die geplanten Schritte informiert und auf diese auch vorbereitet werden.

 

Eine „unverzügliche“, verfrühte Anzeige, auf Verdacht hin, führt häufig zum Rückzug des Kindes. Dies deshalb, weil zwischen ihm und dem Täter sehr oft eine Bindung besteht und das Kind/der Jugendliche (u.a. auch aus Loyalitätsgründen) den Täter (unbewusst) in Schutz nimmt, um die Bindung zu ihm nicht zu gefährden. Das Opfer beginnt sich mit dem Täter zu identifizieren.

 

Der Effekt davon ist, dass das Kind/der Jugendliche über das Erlebte nicht mehr spricht, es wird sich also weigern, über das Erlebte auszusagen!

 

Damit werden jegliche Maßnahmen, das Kind zu schützen, massiv erschwert bzw. sogar auf lange Zeit hin unmöglich gemacht. In der Folge wird sich das Kind wiederum der Erwachsenenwelt hilflos ausgeliefert sehen. Die Folge davon: Die Täter-Opfer-Spirale dreht sich weiter.

 

Das ist auch der Grund für die empirisch ist zu belegende Tatsache, dass die Anzahl der Verfahrenseinstellungen oder auch Freisprüchen bei Gewalt an Minderjährigen besonders hoch sind. So kommt es im Rahmen der Delikte „schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen„ (§ 206 StGB) bzw. „sexueller Missbrauch von Unmündigen“ (§ 207 StGB) im Schnitt bei 75% der Verfahren zu Freisprüchen! Daher kann eine (sofortige) Anzeigeverpflichtung (allein!) keinesfalls den Schutz von Kindern gewährleisten oder gar verbessern! Im Gegenteil: Eine Ausweitung der Anzeigeverpflichtung würde diese Situation nur noch dramatisch verschlechtern, als mit Sicherheit noch mehr Verfahrenseinstellungen bzw. Freisprüche zu erwarten wären.

Daher muss klargestellt werden, dass das (auch in den Erläuterungen) mehrmals zitierte „Vertrauensverhältnis“ (in Bezug auf das Kind/den Jugendlichen) auch aus der Sicht von Betreuungseinrichtungen klarerweise keinen Selbstzweck darstellt. Es geht also um keine „Konkurrenz“ zwischen der Jugendwohlfahrt und Betreuungseinrichtungen auf der einen Seite und Justiz (bzw. Kriminalpolizei) auf der anderen. Aber, wie sogleich unten unter Punkt 4 ausgeführt werden wird, wirken nur Maßnahmen in direktem Zusammenhang mit dem Kind/Jugendlichen unmittelbar auf dessen Situation. Das bedeutet, dass es darum geht, möglichst „im System des Kindes/Jugendlichen“, also den Bedürfnissen der jeweiligen Situation angepasst, zu agieren, um eben besagtes Vertrauensverhältnis nicht zu torpetieren.

 

Speziell die Jugendwohlfahrt wie auch auf das Lebensalter von Kindern und Jugendlichen spezialisierte Einrichtungen (Kinderschutzzentren etc.) sind darin geschult, Zugänge zu traumatisierten Kindern und Jugendlichen entweder aufrecht zu erhalten oder zu schaffen – und damit Kommunikation mit ihnen zu ermöglichen. Denn, wie unschwer festzustellen ist, stellt auch im Sinne von Aussagen im Zusammenhang mit (strafrechtlichen) Anzeigen, „Kommunikation“ den Dreh- und Angelpunkt dar. Reißt daher die Kommunikation bzw. die Bereitschaft dazu von Seiten des Kindes/Jugendlichen ab, ist für eine allfällige Behandlung der Anzeige bzw. für die weitere Strafverfolgung nichts gewonnen.

 

Dies ist der Grund, wieso gerade im Vorfeld einer Anzeige auch auf die Bereitschaft wie auch überhaupt Fähigkeit von Kommunikation des (traumatisierten!) Kindes/Jugendlichen über die der Anzeige zu Grunde liegenden Sachverhalte größtes Augenmerk zu legen ist.

 

„Unverzügliche“ Anzeigen bzw. solche ohne begründeten Verzug (so die Erläuterungen wörtlich), bieten jedenfalls größtes Potential darin, einerseits das Vertrauensverhältnis zum Kind/Jugendlichen zu verlieren und daher andererseits (zumindest für lange Zeit) Kommunikation zu verunmöglichen.

 

Darüber hinaus sei auch die Tatsache in Erinnerung gerufen, dass im Rahmen der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung folgende drei Opfergruppen unterschieden werden:

·         Opfer situativer Gewalt und Gewalt im öffentlichen Raum,

·         Frauen als Opfer familiär oder sexuell orientierter Gewalt (Männergewalt),

·         Kinder und Jugendliche als Opfer auf Grund von Missbrauch oder Misshandlung.

 

Diese Unterscheidung hatte und hat seinen Grund darin, dass die Vor- und Herangehensweise der Prozessbegleitung die speziellen Bedürfnisse dieser verschiedenen Gruppen zu berücksichtigen hat. Insoferne sind Spezialisierungen auf (eine) dieser Gruppen notwendig, um dem essentiellen Ziel der Prozessbegleitung, adäquaten und best möglichen OPFERSCHUTZ, sicher- und überhaupt bewerkstelligen zu können!

 

Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass insbesondere bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Prozessbegleitung besondere Erfordernisse wie auch Herangehensweisen bestehen, die ihren hauptsächlichen Grund darin haben, Zugang zu und damit Kommunikation mit Kindern und Jugendlichen zu sichern bzw. herzustellen.

 

Genau in diesem Zusammenhang sei zum Satz in den Erläuterungen, dass dem „… Minderjährigen selbst … eine Anzeigeerstattung oftmals nicht möglich [ist], sodass es Aufgabe der genannten Personen sein muss, zum Schutz des Kindes die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen“ folgender Kommentar erlaubt: Dass dem so ist, bedürfte im Grunde keiner Erläuterung, vielmehr hätte man dann dem Thema „psychosoziale und juristische Prozessbegleitung“ in den letzen zehn Jahren (Straf-) Rechtsgeschichte nicht so viel Bedeutung beigemessen haben müssen.

 

 

4.    Eine Anzeigeverpflichtung bedeutet nicht gleichzeitig Kooperationsverpflichtung

 

Über die derzeit bestehende Meldeverpflichtung nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz ist die Einbeziehung der Jugendwohlfahrt gewährleistet.

 

Die Meldepflicht verlangt von allen beteiligten Berufsgruppen einen sehr informativen, transparenten und kooperativen Arbeitsstil, der im Endeffekt eine Zentrierung von Hilfsmaßnahmen (Maßnahmenplan) mündet.

 

Dabei ist freilich festzuhalten, dass eine (strafrechtliche) Anzeige der Jugendwohlfahrtsbehörde an die Sicherheitsbehörden bzw. Staatsanwaltschaft in vielen Fällen ohne Zweifel eine der möglichen bzw. logischen Handlungen im Falle von Gewalt gegen Kinder/Jugendliche sein wird.

 

Allerdings sind, wie oben dargelegt, vor einer Anzeige (begleitende) Maßnahmen unumgänglich, um das Kind/den Jugendlichen („das Opfer“) zu schützen und um es schließlich dazu zu befähigen, Aussagen über seine Erlebnisse zu machen! Diese (begleitenden) Maßnahmen müssen aber zusammen und direkt mit dem Kind/Jugendlichen vorgenommen werden.

 

Mit der geplanten Anzeigeverpflichtung würde das gesamte System der Jugendwohlfahrt ad absurdum geführt bzw. sogar torpediert werden.

 

 

5. Die Argumente in den Erläuterungen greifen nicht

 

Die Argumente, die in den Erläuterungen zu § 78a neu StGB geführt werden, können daher keinesfalls greifen, nämlich, dass „… die Strafverfolgungsbehörden … über eine Vielzahl gewaltpräventiver Instrumente [verfügen] …, auf welche in diesem Kontext nicht verzichtet werden darf“; als da angeführt werden:

Ø  Verhängung der Untersuchungshaft,

Ø  Anordnung von Weisungen,

Ø  vorläufige Bewährungshilfe,

Ø  Therapieeinweisungen.

 

Zum einen bleibt dabei völlig ungelöst, wie diese Maßnahmen in der Praxis, ohne (vorerst) konkrete Aussage d/ein/es (potentiellen) Opfers, auf eine „unverzügliche Anzeige“ hin, also praktisch „auf bloßen Verdacht hin“, durchgesetzt werden sollen. Vielmehr müsste man hier (durchaus im Sinne des Beschuldigten) mit Art 6 EMRK, besonders mit Art 2 leg. cit. (Unschuldsvermutung) gegen (wiederum) „vorschnelle“ Maßnahmen argumentieren.

 

Zu fragen ist in diesem Zusammenhang auch, wie hier, so die Erläuterungen wörtlich(!), „… Hilfe für die Opfer auf hohem Niveau [geboten werden] und verantwortungsvoll die Aufklärung solcher Fälle [betrieben werden kann]. Eine solche Hilfe ist, wie oben ausgeführt, lediglich in der Form möglich, die Kommunikationsbasis zwischen dem (traumatisierten) Kind/Jugendlichen aufrecht zu erhalten bzw. zu stärken, indem das Vertrauensverhältnis ebenfalls zumindest aufrecht erhalten bzw. gestärkt wird.

 

Maßnahmen, die am Beschuldigten ansetzen (Untersuchungshaft etc.) sind deshalb dafür bzw. als Opferschutz allein ungeeignet. Vielmehr drängt sich die Frage auf, ob hier nicht insgesamt Indizien zu finden sind, dass damit eigentlich im Endeffekt eher Täter (bzw. Beschuldigter) statt Opfer geschützt werden.

 

 

6. „Abbrechung des Verfahrens im Opferinteresse“ (§ 197a neu StPO) ist im Endeffekt Täterschutz

 

Völlig systemwidrig ist der geplante neue § 197a StPO, der die Möglichkeit bieten soll, das Verfahren für höchstens sechs Monate auszusetzen. Denn einerseits wird im Rahmen von § 78a neu StPO von einer „unverzüglichen“ Anzeige bzw. ohne begründeten Verzug gesprochen, um „… Hilfe für die Opfer auf hohem Niveau bieten zu können und verantwortungsvoll die Aufklärung solcher Fälle zu betreiben“.

 

Andererseits wird im Rahmen von § 197a neu StPO die „Interventionskette“ bemüht, weil „… Verbrechensopfer erst nach einiger Zeit psychisch in der Lage sind, über belastende und intime Fakten zu sprechen …“. Darüber hinaus wird herausgestrichen, dass die „… Abbrechung des Verfahrens … auch für den Beschuldigten nicht nachteilig sein [muss], bietet sie ihm doch die Möglichkeit, Verantwortung für die Tat zu übernehmen und zB Bereitschaft zu psychosozialen Therapien zu zeigen, wodurch im Anklage- bzw. Urteilszeitpunkt eine günstigere Prognose bewirkt werden kann.“

 

Vor allem letzteres Argument zielt wiederum eher auf den Schutz bzw. die Schonung des Beschuldigten bzw. Täters. Gerade bei sexuell motivierten Straftätern handelt es sich um eine potentiell resistente Tätergruppe. Unseres Wissens nach existieren weder empirische noch wissenschaftliche Indizien dahingehend, dass das Inaussichtstellen einer Strafmilderung (für den Beschuldigten) irgendwelche Konsequenzen in Bezug auf den Schutz des Opfers, insbesondere, was den Schutz von Kindern als Opfer betrifft, hätte.

 

 

7. Fazit 1: Eine Ausweitung der Anzeigeverpflichtung ist keine Garantie für Kinderschutz

 

Das Ziel Gewalt an Kindern „aus dem Dunkelfeld herauszuholen“ und damit Kindern das grundsätzliche Recht auf Schutz vor Gewalt zu sichern, kann durch eine Ausweitung der Anzeigeverpflichtung auf alle mit Kindern befasste Professionen nicht gewährleistet werden. Daran ändert auch der geplante neue § 197a StPO nichts.

 

Auch wenn in der Obhut von behördlichen oder privaten Einrichtungen klare Hinweise auf Gewalt an Kindern auftreten, braucht es, um Maßnahmen zum Schutz eines Minderjährigen setzen zu können, eine koordinierte Vorgangsweise und damit die Zusammenarbeit mit der Jugendwohlfahrt und auf Kinder und Jugendliche spezialisierte Opferschutzeinrichtungen. Möglichkeiten der Justiz wie Untersuchungshaft bzw. gelindere Mittel, diversionelle Weisungen oder auch einstweilige Verfügungen sind, wie soeben dargelegt, vor allem und gerade aus Sicht des Opfers(!), zahnlose Instrumente!

 

Wird daher von der geplanten „unverzüglichen“ Anzeigepflicht nicht abgegangen, würde der bisherige Weg der Opferzentriertheit des Verfahrens im Rahmen von sexuell bzw. psychisch motivierter Gewalt wieder völlig verlassen werden, hin zu einer, nicht auf den ersten Blick ersichtlichen, aber dennoch weitestgehenden Täterzentriertheit (und viele Jahre Kinder/Jugend-Gewaltschutz-entwicklung wären vernichtet).

 

 

8. Fazit 2: Anzeigeplanung = Traumareduktion = Kinderschutz

 

Bei einer geplanten Anzeige ist wichtig, dass Kinder/Jugendliche auf den Ablauf und die Rahmenbedingungen eines Strafverfahrens vorbereitet werden.

 

Erst dadurch wird es möglich das Strafverfahren für Kinder mit allen derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln möglichst schonend zu gestalten und einer weiteren Traumatisierung durch das Strafverfahren vorzubeugen.

 

Um die entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen für das Kind und deren Bezugspersonen (Schutzmaßnahmen, Prozessbegleitung, familienentlastende Maßnahmen…) gut koordinieren zu können, braucht es wiederum als Drehscheibe die Jugendwohlfahrt wie auch auf die Prozessbegleitung von Kindern und Jugendlichen spezialisierten Beratungseinrichtungen.

 

Aus vielen Jahren Erfahrung (z. B. im Bereich der Prozessbegleitung von minderjährigen Gewaltopfern) wissen wir, dass es für Kinder eine weitere massiv traumatisierende Erfahrung ist, wenn durch vorschnelle Anzeigen das juristische Verfahren mangels an Beweisen eingestellt wird oder durch Freispruch endet.

 

 

9. Fazit 3: Empfehlung

 

Die Kinder- und Jugendanwaltschaft Steiermark empfiehlt daher dringend, § 78a bzw. 197a StPO nicht vorzusehen!

 

Abschließend sei angemerkt, dass der Jugendwohlfahrtsbeirat des Landes Steiermark die gleich lautende Empfehlung abgibt.

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

Mag. Christian Theiss                                               MMag. Martin Knopper



[1] So die wörtlichen Zitate aus dem „Vorblatt“ der Erläuterungen.

[2] Siehe „Vorblatt“ der Erläuterungen