An das

 

Bundesministerium für Justiz

 

per E-Mail: kzl.b@bmj.gv.at

 

 

 

GZ: BMSK-10310/0003-I/A/4/2008

Wien, 13.06.2008

 

 

 

 

Betreff:  Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Exekutionsordnung, die Zivilprozessordnung, das Gerichtliche Einbringungsgesetz 1962, das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975 und das Tilgungsge­setz 1972 geändert werden (2. Gewaltschutzgesetz – 2. GeSchG); Stellungnahme des Bundesministeriums für Soziales und Konsumen­tenschutz

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Unter Bezugnahme auf die Note vom 6. Mai 2008, GZ BMJ‑B12.101/0003‑I 5/2008, betreffend den Entwurf für ein 2. Gewaltschutzgesetz nimmt das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz wie folgt Stellung:

 

Vorbemerkungen

 

Grundsätzlich wird die Anpassung der gesetzlichen Regelungen zum Schutz vor Ge­walt in der Familie, vor Eingriffen in die Privatsphäre sowie der Ausbau der Opfer­rechte im Zivilverfahren begrüßt. Insbesondere die Ausdehnung der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung auf das Zivilverfahren sowie die Möglichkeit einer gesonderten Vernehmung sind wichtige Schritte, um Opfer bei der Durchsetzung ih­rer Ansprüche zu unterstützen und eine sekundäre Traumatisierung zu verhindern.

 

Angeregt wird, in einem nächsten Reformschritt besonders Bedacht auf die Verbes­serung des Schutzes und der Opferrechte der von Gewalt betroffenen älteren Men­schen zu legen.

 

 

Zu den Bestimmungen im Einzelnen

 

Zu Artikel I (Änderung der Exekutionsordnung)

 

Zu den Z 1, 3 und 4 (§ 382b, § 382e neu, § 382g Abs. 2 und 3):

 

Zur Überschrift des § 382b EO „Schutz vor Gewalt in Wohnungen“ wird angemerkt, dass der Begriff „Wohnung“ in den Begriff „Wohnbereich“ umformuliert werden sollte, damit alle Arten von Wohnmöglichkeiten (vom Haus bis zur institutionellen Wohnmöglichkeit etc.) mitberücksichtigt sind.

 

Der Entfall der Einschränkung auf den "nahen Angehörigen" bei § 382b (Schutz vor Gewalt in Wohnungen) und der Verzicht auf eine derartige Einschränkung bei § 382e (Allgemeiner Schutz vor Gewalt) sowie die klare Trennung zwischen dem "Schutz vor Gewalt in Wohnungen" und dem "Allgemeinen Schutz vor Gewalt" werden begrüßt, weil dadurch auch Fälle erfasst werden können, die bis dato nicht inkludiert waren. Zudem wird die Anpassung der Schutzdauer der einstweiligen Verfügungen nach § 382e an die Schutzdauer der einstweiligen Verfügung nach § 382g (Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre) möglich. Begrüßt wird auch die Erhöhung der mögli­chen Dauer der einstweiligen Verfügung nach § 382b von drei auf sechs Monate und die Möglichkeit der Verlängerung der einstweiligen Verfügung nach § 382e und nach § 382g bei Zuwiderhandeln durch den Antragsgegner.

 

Allfällige Bedenken hinsichtlich der Unverhältnismäßigkeit sind nicht gerechtfertigt, da einstweilige Verfügungen nach § 382b, § 382e und § 382g nach Prüfung des Sachverhalts durch unabhängige Gerichte erlassen werden und die vorgesehenen Höchstfristen nicht in jedem Fall ausgeschöpft werden müssen. Insgesamt sollte aber sichergestellt werden, dass eine möglichst lange Frist von vorneherein verein­bart wird, damit die Opfer nicht sofort wieder der Bedrohungssituation ausgesetzt sind.

 

Angeregt wird, für § 382e (Allgemeiner Schutz vor Gewalt) und § 382g (Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre) eine eigene Bestimmung zu möglichen Hauptverfahren aufzunehmen, in der Besuchsrechtsverfahren, Obsorgeverfahren oder auch Sach­walterschaftsverfahren enthalten sind, wenn diese in Zusammenhang mit Gewalt­ausübung stehen. Dadurch wäre bei Gewalt an Kindern oder an älteren Menschen die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung für die Dauer eines Hauptverfahrens gegeben, in dem es nicht um die Zuweisung der Wohnung geht.

 

Angeregt wird weiters eine Anpassung des § 215 ABGB, damit auch eine einstwei­lige Verfügung nach § 382g durch den Jugendwohlfahrtsträger oder eine andere zur Vertretung befugte Person (z.B. eines Sachwalters/einer Sachwalterin oder einen Vorsorgebevollmächtigten/ eine Vorsorgebevollmächtigte) beantragt werden kann.

 

 

Zu Artikel II (Änderung der Zivilprozessordnung)

 

Zu Z 1 (Achter Titel; § 73a):

 

Die Verankerung des Anspruchs auf Prozessbegleitung für Opfer von Gewalt im Zi­vilverfahren wird ausdrücklich begrüßt. Insbesondere wird positiv angemerkt, dass der Anspruch des Opfers auf Prozessbegleitung im Zivilverfahren nicht an eine Ver­urteilung des Beschuldigten im Strafverfahren gebunden ist.

 

Angeregt wird eine klare Regelung des Anspruchs auf Prozessbegleitung analog zum Strafverfahren. So etwa sollte sichergestellt sein, dass neben der/dem psycho­sozialen und juristischen Prozessbegleiter/in auch eine Vertrauensperson des Opfers anwesend sein darf und die/der Prozessbegleiter/in und die Vertrauensperson nicht auf Antrag des Gegners vom Verfahren ausgeschlossen werden dürfen.

 

 

Zu Z 5 (§§ 289a und 289b):

 

Die Verankerung des Anspruchs auf abgesonderte Vernehmung im Zivilverfahren wird begrüßt, da es Opfern dadurch ermöglicht wird, ohne größere psychische Be­lastung durch Kontakt mit dem Gegner ihre Rechtsansprüche durchzusetzen.

 

Zu erwägen wäre eine klare Regelung analog zum Strafverfahren, sodass gewähr­leistet ist, dass alle Opferechte parallel in Anspruch genommen werden können (z.B. Psychosoziale Prozessbegleitung, Verfahrenshilfe, Vertrauensperson, Abge­sonderte Vernehmung).

 

 

Zu Artikel V (Änderung des Strafgesetzbuches)

 

Zu den Z 1 und 7 (§§ 11, 92 Abs.1, 205 Abs.1 und § 107b StGB):

 

Die Streichung des Begriffs „Schwachsinn“ wird begrüßt.

 

Der vorgesehene Text in den §§ 92 Abs. 1 und 107b Abs. 3 Z 1 StGB lautet:

 

„§ 92. (1) Wer einem anderen, der seiner Fürsorge oder Obhut untersteht und der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlos ist, körperliche oder seelische Qualen zufügt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“

 

„§ 107b. (3) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren ist zu bestrafen, wer 1. beharrlich Gewalt gegen eine unmündige oder wegen Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung wehrlose Person ausübt oder …

 

Vorgeschlagen wird, den veralteten und von Menschen mit Behinderungen als diskriminierend erachteten Begriff der Gebrechlichkeit zu vermeiden und statt der Wortfolge „Gebrechlichkeit, Krankheit oder einer geistigen Behinderung“ jeweils die Wortfolge: „Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder psychischen Be­hinderung“ zu verwenden.

 

 

Zu Z 2 (§ 48 Abs. 1 zweiter Satz):

 

Positiv zu vermerken ist, dass nunmehr auch bei bedingten Entlassungen aus einer Freiheitsstrafe wegen strafbaren Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung eine Probezeit von fünf Jahren vorgesehen ist, insbesondere wenn diese Probezeit mit der Weisung verknüpft wird, nach § 51 Abs. 3 an einem Täterprogramm, z.B. dem Wiener Psychotherapeutischem Programm für Sexualtäter, teilzunehmen.

 

 

Zu Z 5 (§ 52a samt Überschrift):

 

Ausdrücklich begrüßt wird die Möglichkeit der gerichtlichen Aufsicht über diese Tä­tergruppe und die Möglichkeit der Betrauung weiterer Behörden oder anderer geeig­neter Einrichtungen mit der Überwachung, da sich in der Praxis gezeigt hat, dass ein Überwachungsnetz entscheidend dazu beitragen kann, weitere einschlägige Straf­taten zu verhindern.

 

 

Zu Z 7 (§ 107b samt Überschrift):

 

Mit dem neuen Tatbestand der beharrlichen Gewaltausübung wird der Dynamik von Gewaltbeziehungen Rechnung getragen und den Opfern ein Rechtsinstrument ge­gen lang andauernde Gewalt zur Verfügung gestellt. Die Bandbreite der Strafdro­hung und die Qualifikationen ermöglichen eine adäquate Reaktion der Gerichte. Die Einführung des Tatbestands der beharrlichen Gewaltausübung wird daher sehr be­grüßt.

 

Kritisch gesehen wird die in den Erläuterungen vorgesehene Möglichkeit diversionel­ler Erledigungen bei Tatbegehung nach § 107b Abs. 1 StGB, insbesondere die Durchführung eines außergerichtlichen Tatausgleichs nach § 204 StPO, auch wenn darauf verwiesen wird, dass angesichts der Gewaltdynamik besonders in lang an­dauernden Gewaltbeziehungen mediatorische Lösungsstrategien nicht geeignet sind. Es wird angeregt, beim Tatbestand der  beharrlichen Gewaltausübung die Durchfüh­rung eines außergerichtlichen Tatausgleichs nach § 204 StPO im Gesetzestext selbst auszuschließen.

 

 

Artikel VI (Änderung der Strafprozessordnung 1975)

 

Zu Z 1 (§ 66 Abs. 3):

 

Die Erweiterung des Kreises der Anspruchberechtigten für Prozessbegleitung wird begrüßt.

 

Unklar ist, warum Opfern im Sinne des § 65 Z 1 lit. a oder b auf ihr Verlangen psy­chosoziale und juristische Prozessbegleitung zu gewähren ist, Opfern außerhalb der Voraussetzungen des Abs. 2 jedoch nur auf Antrag einer anerkannten Opferschutz­einrichtung. Sollte dies beibehalten werden, wird davon ausgegangen, dass Pro­zessbegleitung nach § 66 Abs. 3 nicht nur auf Antrag von anerkannten Opferschutz­einrichtungen nach § 25 Abs. 3 SPG, sondern auf Antrag von allen vertraglich vom Bundesministerin für Justiz mit Prozessbegleitung beauftragten bewährten geeigne­ten Einrichtungen gewährt wird.

 

 

Zu Z 4 (§ 78a):

 

Gegen die Ausdehnung der unverzüglichen Anzeigepflicht auf Personen, denen die Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integri­tät des Minderjährigen obliegt, bestehen Bedenken.

 

Nach § 78 Abs. 2 besteht nur dann keine Pflicht zur Anzeige nach Abs. 1, wenn die Anzeige eine amtliche Tätigkeit beeinträchtigen würde, deren Wirksamkeit eines per­sönlichen Vertrauensverhältnisses bedarf. Nach § 78a sind alle Personen von einer Anzeigepflicht betroffen, deren Arbeit zwar ein Vertrauensverhältnis voraussetzt, die­ses jedoch nicht für eine amtliche Tätigkeit wirksam wird (z.B. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten oder Psychologinnen und Psychologen). Es wird betont, dass es hier nicht um den Schutz eines Vertrauensverhältnisses geht, wie dies in den Erläuterungen angedeutet wird, sondern um den Schutz des Kindes, das das Vertrauensverhältnis braucht, um eine an ihm begangene Gewalttat realisieren zu können. Zudem hat sich in der Praxis gezeigt, dass ein gesicherter Verdacht in vielen Fällen nicht gegeben ist  (Verdachtsmomente können z.B. Verhaltensauffälligkeiten, Selbstverletzungstendenzen, aber auch physische Verletzungen sein, die allesamt verschiedenste Ursachen haben können). Zielführender wäre die Verpflichtung zur Meldung an die Jugendwohlfahrt, wobei hier eine Verankerung einer Anzeigepflicht im Jugendwohlfahrtsgesetz zu erwägen wäre, an Kinderschutzgruppen in Spitälern, Kinderschutzzentren und Prozessbegleitungseinrichtungen, damit im Interesse des Kindes Verdachtsfälle in interdisziplinärer Zusammenarbeit erhärtet und das Kind und ggf. seine Bezugspersonen im Rahmen der Prozessbegleitung unterstützt wer­den können, bevor eine Anzeige erfolgt.

 

Eine ähnliche interdisziplinäre Vorgangsweise wäre auch bei hilfe- und betreuungs­bedürftigen älteren Menschen zu empfehlen, insbesondere bei Menschen mit De­menz. Eine unverzügliche Anzeigepflicht ohne die entsprechenden Rahmenbedin­gungen wäre auch in diesen Fällen keine adäquate Lösung.

 

 

Zu Z 7 (§ 197a):

 

Die Möglichkeit, ein Verfahren im Interesse des Opfers zu unterbrechen, wird aus­drücklich begrüßt. Es darf darauf hingewiesen werden, dass die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung des Opfers, die ja die Voraussetzung für die Abbrechung eines Verfahrens ist, geringer ist, wenn das Opfer z.B. im Rahmen der psychosozialen Prozessbegleitung auf die Anzeige vorbereitet und während des Verfahrens begleitet wird.

 

Schließlich wird mitgeteilt, dass diese Stellungnahme in elektronischer Form auch an die E‑Mail‑Adresse des Nationalrates „begutachtungsverfahren@parlament.gv.at“ übermittelt wird.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Für den Bundesminister:

Ing. Manfred Kornfehl

 

 

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