An das

Bundesministerium für Justiz

 

Museumstraße 7

1070  Wien

 

 

 

Wien, am 14.06.2008

 

 

 

Betrifft: Entwurf für ein 2. Gewaltschutzgesetz

                        Begutachtungsverfahren

Bezug:              BMJ-B12.101/0002-I 5/2008

 

 

Zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Exekutionsordnung, die Zivilprozessordnung, das Außerstreitgesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz 1962, das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975 und das Tilgungsgesetz 1972 geändert werden (2. Gewaltschutzgesetz – 2. GeSchG), erlaubt sich die Kriminalitätsopferhilfe „Weisser Ring“ folgende

 

Stellungnahme

 

abzugeben:

 

Die Intentionen, die dem Entwurf zugrunde liegen und die vorgesehenen Regelungen werden grundsätzlich begrüßt. Es ist zu hoffen, dass durch dieses Gesetz ein weiterer wesentlicher Schritt zum besseren Schutz von Opfern strafbarer Handlungen gegangen wird. Insoweit daher im Folgenden nicht Stellung  genommen wird, ist der Weisse Ring mit den vorgeschlagenen Änderungen einverstanden.

 

Zu Art. I (Änderungen der Exekutionsordnung):

 

Die vorgeschlagenen Änderungen der Exekutionsordnung entsprechen schon lang erhobenen Forderungen der Opferschutz- und Opferhilfeorganisationen. Begrüßt wird insbesondere die Entkoppelung der einstweiligen Verfügung „Zum Schutz vor Gewalt in Wohnungen“ von der Angehörigeneigenschaft als Antragslegitimation und die Einführung der Maximaldauer von 6 Monaten wenn es zu keinem Hauptverfahren kommt. Auch die Einführung der einstweiligen Verfügung zum „Allgemeinen Schutz vor Gewalt“ wird ausdrücklich begrüßt.

 

Zu Art. II und III (Änderungen der Zivilprozessordnung und des Außerstreitgesetzes)

 

Zu Z 1 (§ 73a ZPO):

Überaus erfreulich ist, dass künftig Opfern, denen im Strafverfahren psychosoziale und juristische Prozessbegleitung gewährt wurde, diese nun auch im anschließenden Zivilprozess bzw. außerstreitigen Verfahren gewährt wird. Besonders bedeutsam ist, dass dies durch die vorgeschlagene Änderung des § 66 Abs. 3 StPO nun auch traumatisierten Opfern zugute kommen soll, die nicht Gewalt oder gefährlicher Drohung im engeren Sinn ausgesetzt waren.

 

Allerdings birgt die gewählte Konstruktion, anstelle juristischer Prozessbegleitung im Zivilprozess und außerstreitigen Verfahren dem Opfer Verfahrenshilfe durch Beigabe eines Rechtsanwalts zu gewähren, eine ganze Fülle von Problemen:

 

So ist das Opfer durch die Verfahrenshilfe zwar von der Tragung der eigenen Kosten befreit, im Falle eines Unterliegens im Zivilverfahren hat es allerdings – entsprechend den Bestimmungen der Kostenersatzpflicht im Rahmen der Verfahrenshilfe – jedenfalls dann die Kosten der Rechtsvertretung des Beschuldigten im Zivilverfahren zu tragen. Eine Kostenersatzpflicht wird bereits dann ausgelöst, wenn der Beschuldigte mit seinem Anspruch mit mehr als der Hälfte obsiegt, was insbesondere bei Verfahren über Schmerzengeldansprüche immer wieder vorkommt, weil für den Vertreter des Opfers die eindeutige Bezifferung der Schmerzengeldansprüche oft schwer abschätzbar ist.

 

Aber auch aus anderen Gründen würde die vorgeschlagene Regelung zweifellos dazu führen, dass eine durchgängige juristische Begleitung des Opfers sowohl im Straf- als auch im Zivilverfahren nicht mehr gewährleistet ist. Für die juristische Prozessbegleitung im Strafverfahren wäre es wohl kaum möglich, in allen daran anknüpfenden Zivilverfahren als Verfahrenshelfer zur Verfügung zu stehen, was sich schon daraus ergibt, dass in zahlreichen Gerichtssprengeln die Zahl der juristischen Prozessbegleiter im Strafverfahren die Zahl der von den Rechtsanwaltskammern bestellten Verfahrenshelfer im Zivilprozess weit übersteigt. Im übrigen bedürfte auch die Koordination der Einrichtungen, die vertragsgemäß für das BMJ juristische Prozessbegleiter im Strafverfahren bestellen, mit den jeweils zuständigen Rechtsanwaltskammern, die die Bestellung von Verfahrenshelfern vorzunehmen haben, konkrete überaus komplizierte Regelungen.

 

Letztlich wäre auch finanziell für den Bund durch die vorgegebene Konstruktion nichts gewonnen:

Aus den Erläuterungen geht hervor, dass in der zuletzt abgerechneten Förderungsperiode für psychosoziale und juristische Prozessbegleitung ein Betrag von ca. EUR 2,8 Mio aufgewendet wurde. Es wird davon ausgegangen, dass sich die beiden Schienen der Prozessbegleitung diesen Betrag teilen, weshalb eine Summe von EUR 1,4 Mio an Kosten für die psychosoziale Prozessbegleitung im Zivilverfahren veranschlagt wird. Die Kosten für die juristische Prozessbegleitung im Rahmen der Verfahrenshilfe werden durch eine Pauschalvergütung an die Rechtsanwaltskammern ersetzt. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Werte im Rahmen der Pauschalvergütung werden dafür Kosten von ca. EUR 1,5 Mio angesetzt. Insofern die Kosten der juristischen Prozessbegleitung im Zivilverfahren gleichfalls nach dem Modell der psychosozialen Prozessbegleitung gerechnet werden, ergibt sich hiefür ein aufzuwendender Betrag von EUR 1,4 Mio, welcher sogar unter dem Betrag der Pauschalvergütung liegt. Es ist daher auch aus finanzieller Sicht günstiger, das System der juristischen Prozessbegleitung im Zivilverfahren nach dem Modell des § 66 Abs 2 StPO zu verfolgen.

 

Aus den genannten Gründen wird daher vorgeschlagen, die bewährte Regelung der Strafprozessordnung auch im Zivilprozess und im außerstreitigen Verfahren zu übernehmen, das heißt die Einrichtungen, die mit der Durchführung der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung im Strafprozess gemäß § 66 Abs. 2 StPO beauftragt sind, auch mit der Durchführung der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung im Zivil- und außerstreitigen Verfahren zu beauftragen.

 

Zu Z 5 (§ 289a ZPO):

Auch die Einführung der schonenden abgesonderten Einvernahme im Zivilprozess entspricht langjährigen Forderungen des Weissen Ringes aufgrund ganz elementarer Bedürfnisse der betroffenen Opfer.

 

Genauso wie im Strafprozess besteht ein elementares Bedürfnis auf schonende abgesonderte Vernehmung aber nicht nur für Opfer im Sinne des § 65 Z 1 lit. a StPO, sondern auch für Opfer, die nicht durch eine Gewalttat, sondern durch einen anderen Eingriff in ihrem privaten Lebensbereich starken psychischen Belastungen ausgesetzt sind, wie dies oftmals insbesondere bei älteren Personen, die Opfer von Einbruchs-/Einschleichdiebstahl geworden sind, der Fall ist. Genauso wie in §§ 165, 250 StPO (siehe Stellungnahme zu Art. VI Z 1) müsste daher auch in § 289a ZPO für diese Personen ein Anspruch auf schonende Einvernahme vorgesehen werden.

 

Zu Art. V (Änderungen des Strafgesetzbuches):

 

Zu Z 2 – 5 (§§ 48, 50, 52, 52a StGB):

Die Intensivierung von Begleitmaßnahmen im Zusammenhang mit der bedingten Entlassung, die schon durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2008 eingeleitet wurde, ist durchaus zu begrüßen.

 

Allerdings erscheint nicht einsichtig, neben einer sinnvollen Betreuung durch einen Bewährungshelfer und entsprechende gerichtliche Weisungen wirklich noch ein eigenes Institut der „Gerichtlichen Aufsicht bei Sexualstraftätern und sexuell motivierten Gewalttätern“ (§ 52a) vorzusehen. Da die Aufsicht gem § 52a Abs 2 StGB auch mit Unterstützung der Bewährungshilfe erfolgen kann, stellt sich die Frage, ob Bewährungshelfer im Dienste der gerichtlichen Aufsicht eine Art "Vollzugsorgan" des Gerichts sind. Über den genauen Inhalt der Tätigkeit, der Rechte und Pflichten von Bewährungshelfern wie auch Mitarbeitern der anderen in § 52a Abs 2 StGB genannten Einrichtungen kann nur spekuliert werden, weil eine dem BewHG vergleichbare Rechtsgrundlage fehlt. Sollte die Zielsetzung des § 52a StGB tatsächlich nur die Kontrolle von Sexualstraftätern durch Beobachtung und Weiterleitung entsprechender Informationen an das Gericht sein, könnte dem auch mit einer obligatorischen Bewährungshilfe für Sexualstraftäter Genüge getan werden. § 50 Abs 2 StGB wäre entsprechend zu ergänzen. Darüber hinaus wären in § 52 Abs 2 StGB die Berichtspflichten anzupassen.

 

Zu Z 7 (§ 107b StGB):

 

Das hinter dieser Norm stehende Anliegen, mit Blick auf länger andauernde Gewaltbeziehungen effektiven Strafrechtsschutz zu schaffen, ist sehr zu begrüßen. Allerdings gibt schon die systematische Einordnung im Rahmen der Freiheitsdelikte Anlass zu Kritik, weil der Grundtatbestand nicht nur an die fortgesetzte Begehung von Freiheitsdelikten anknüpft, sondern auch und gerade an Delikte gegen Leib und Leben. Dieses grundsätzliche Spannungsverhältnis ist offenbar auch Anlass dafür, dass sich die erläuternden Bemerkungen an eine Interpretation des Gewaltbegriffs wagen, die mit sämtlichen der bisher in Österreich vertretenen Konzepte unvereinbar ist. So wird beispielsweise von psychischer Gewalt durch strafbare Handlungen gegen die Freiheit gesprochen. Entsprechend unklar ist auch das Rechtsgut, "die Freiheit des Einzelnen, ein Leben ohne Gewalt führen zu können". Sollte sich ein solches Verständnis des Rechtsgutsbegriffs durchsetzen, dann ist zu befürchten, dass alle möglichen Delikte gegen Individualrechtsgüter mit dem Zusatz "Freiheit von ..." in den dritten Abschnitt integriert werden. Eine solche Entwicklung ist wohl nicht gewünscht.

 

Einen Ausweg könnte es daher darstellen, die in § 107b StGB enthaltenen, recht unterschiedlichen Tatbestandsalternativen aus der gemeinsamen Klammer der beharrlichen Gewaltausübung zu lösen. Das könnte bedeuten, dass der Grundtatbestand des Abs 2 2. Alternative (fortgesetzte Begehung von strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit) und die Qualifikationen des Abs 3, 4 und 5 als Qualifikationstatbestände den dafür in Frage kommenden Delikten im ersten und dritten Abschnitt des StGB angefügt werden. Der Misshandlungstatbestand in Abs 2 1. Alternative könnte als § 83 Abs 3 StGB eigenständige Bedeutung erlangen. Mit einer solchen Lösung wäre nicht nur systematische Klarheit geschaffen, man könnte auch auf die irreführende Bezeichnung der beharrlichen Gewaltausübung verzichten und das materielle Ungleichgewicht zwischen den beiden Grundtatbeständen in Abs 2 vermeiden.

 

Zu Art. VI (Änderungen der Strafprozessordnung):

 

Zu Z 1 (§ 66 Abs. 3):

Wie schon in der Stellungnahme zur ZPO erwähnt, entspricht die Erweiterung der Prozessbegleitung auf Opfer eines Verbrechens, durch das sein privater Lebensbereich verletzt worden sein könnte und das dadurch seelischen Belastungen ausgesetzt worden war, einer langjährigen Forderung des Weissen Rings. Wir sind immer wieder  mit Opfern von Diebstählen, Einbruchsdiebstählen, Einschleichdiebstählen etc. befasst, die durch die Tat schweren seelischen Belastungen ausgesetzt wurden, manchmal sogar posttraumatische Belastungsstörungen erlitten haben. Derzeit ist auch über Auftrag des Weissen Rings eine Untersuchung an der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien über Opfer von Einbruchsdiebstählen mit posttraumatischer Belastungsstörung in Arbeit.

 

In konsequenter Verfolgung der Einsicht, die letztlich § 66 Abs. 3 StPO zugrunde liegt, wäre daher wiederum dringend zu fordern, dass auch diesen Opfergruppen Anspruch auf abgesonderte kontradiktorische Vernehmung im Ermittlungs- und Hauptverfahren durch entsprechende Änderung der §§ 165 Abs. 4, 215 Abs. 3 StPO eingeräumt wird.

 

Zu Z 3 – 7 (insbes. § 78a):

Es ist grundsätzlich nachzuvollziehen, dass insbesondere aufgrund schwerer Straftaten in der letzten Zeit ein verstärktes Bedürfnis besteht, an Täter heranzukommen, die Minderjährige misshandelt und missbraucht haben. Gerade eine Opferschutzorganisation hat keinerlei Interesse an übertriebenem Schutz der Täter zum Nachteil der Opfer.

 

Andererseits liegt es, wie die Erfahrungen langjähriger Arbeit zeigen, sehr wohl im Interesse gerade der schutzwürdigsten Opfer, manchmal zumindest anfänglich keine Anzeige zu erstatten, sondern nur Hilfe zu bekommen. Gerade die Aufhellung des Dunkelfeldes war ja ein wesentliches Anliegen der Beschränkung der Anzeigepflicht durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 und das Strafprozessänderungsgesetz 1993, was aus den Materialien leicht herauslesbar ist. Auch der Weisse Ring ist immer wieder mit Missbrauchs- oder Misshandlungsopfern konfrontiert, die sich an Mitarbeiter um Hilfe verbunden mit der ausdrücklichen Bitte wenden, keine Anzeige zu erstatten, weil sie verständliche Angst vor der Publizität und den Belastungen des Verfahrens haben. Dass ein noch so behutsam geführtes Verfahren in solchen Fällen zur erheblichen sekundären Viktimisierungsschäden führen kann ist unbestritten und kann auch durch eine halbjährliche Abbrechung des Verfahrens im Opferinteresse (§ 197a) nicht abgewendet werden. In vielen Fällen ist es in den letzten Jahren aber auch gelungen, im Zuge der Therapie Opfer später dazu zu bewegen, doch Anzeige zu erstatten. Im Hinblick auf die langen Verjährungsfrist gibt es hier auch keine prozessualen Probleme.

 

Es wird daher vorgeschlagen, die vorgeschlagene Regelung noch eingehend unter weiterer Beiziehung sachverständiger Personen zu prüfen. Eine Regelung dahingehend, dass der in § 78 Abs. 3 und § 78a genannte Personenkreis weiterhin von der Anzeige absehen kann, wenn dies im nachweisbaren Interesse des Opfers liegt verbunden mit der Verpflichtung, gleichzeitig aber den Jugendwohlfahrtsträger oder eine spezielle Opferhilfseinrichtung (Kinderschutzzentren, Gewalt­schutz­zentren) zu verständigen, müsste ausreichen.

 

Eine konkrete Anzeigeverpflichtung könnte allenfalls dort vorgesehen werden, wo aufgrund bestimmter Tatsachen konkrete Gefahr besteht, dass der Täter weitere Opfer misshandeln oder missbrauchen werde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn in der Familie noch andere insbesondere jüngere Geschwister gefährdet sind. § 78 Abs. 3 wäre allenfalls entsprechend anzupassen.

 

Zu Art. VII (Änderung des Tilgungsgesetzes):

 

Gegen die Verlängerung der Tilgungsfrist für Sexualstraftäter nach Maßgabe der Gefährlichkeit und die Zugänglichmachung von nicht getilgten Straftaten, die zur beschänkten Auskunft liegen durch Jugendwohlfahrtträger oder öffentlichen Dienststellen, besteht kein Einwand.