Präsidium des Nationalrats

Parlament

1017 Wien

 

 

 

GZ: BMJ-B 12.101/0002-I 5/2008

 

 

 

 

Einschreiter:                                 Berufsverband Österreichischer Psychologinnen

                                                         und Psychologen

                                                         Möllwaldplatz 4/4/39

                                                         1040 Wien

 

 

 

vertreten durch:                               Rechtsanwalt

                                                         Mag. Nikolaus Bauer

Gonzagagasse 11/DG

A-1010 Wien

VM erteilt                                         RA-Code R 141 733

 

 

 

wegen:                                             Entwurf für ein zweites Gewaltschutzgesetz

 

 

 

 

 

S T E L L U N G N A H M E

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In obiger Angelegenheit beehrt sich der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen durch seinen ausgewiesenen Vertreter, nachstehende

 

STELLUNGNAHME

 

abzugeben:

 

Der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen begrüßt die Initiative zur Verbesserung der Rechtsstellung der Opfer von Gewalt im Strafprozess.

 

Insbesondere die Konkretisierung der juristischen und psychosozialen Prozeßbegleitung findet in der Berufsgruppe der Psychologinnen und Psychologen Zustimmung.

 

Zur Normierung der Anzeigepflichten (§§ 78 und 78a StPO):

 

Der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen weist –  wie auch schon in einschlägigen Arbeitskreisen des Bundesministeriums deponiert – darauf hin, dass die geplanten Änderungen dem Opferschutz nicht dienlich sind.

 

Die Intention des Gesetzgebers, insbesondere Kinder so gut wie möglich vor Gewalt jeder Art zu schützen und den Anspruch des Opfers auf angemessene Strafverfolgung von Gewalttaten zu betonen, ist verständlich und begrüßenswert. Eine verpflichtende unverzügliche Anzeige an Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft durch Personen, denen die Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integrität des Minderjährigen obliegt, ist aus psychologischer Sicht jedoch nicht als Mittel der Wahl zu sehen. Ganz im Gegenteil besteht aufgrund der Erfahrung einschlägiger klinisch-psychologischer Arbeit im Bereich des Opferschutzes die Gefahr, dass diese Anzeigeverpflichtung Opfer eher dazu veranlasst, keine Aussagen zu machen, bzw. sich ihrer unmittelbaren Umgebung nicht anzuvertrauen, wenn sie wissen, dass ihre Aussagen umgehend zu Anzeigen führen.

 

Weiters könnten „Personen, denen die Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integrität des Minderjährigen obliegt“, also Menschen und Berufsgruppen, die mit Kindern arbeiten, durch diese Verpflichtung zur Anzeige eher verunsichert und dazu veranlasst werden, bei vagen Anzeichen von Gewalterleben (insbesondere dem Verdacht von sexuellem Missbrauch) nicht genauer hinzusehen.

 

Das jahrelange Bemühen, diese Berufsgruppen für das Wahrnehmen sichtbarer und unsichtbarer Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, schon im Verdachtsfalle die Unterstützung professioneller Beratungseinrichtungen in Anspruch zu nehmen und Meldungen beim zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zu machen, wäre mit einem Schlag zunichte gemacht. Auf die bestehenden Meldepflichten gemäß Jugendwohlfahrtsgesetz wird hingewiesen.

 

Auch der komplizierten Psychodynamik von Opfern wird mit den geplanten Bestimmungen nicht Rechnung getragen. Viele Opfer, insbesondere Kinder, sind in einem frühen Stadium des Sich-Anvertrauens an eine nahestehende Person (Oma, Lehrerin, Kindergärtnerin, etc.), oder professionelle Beraterin einer Opferschutzeinrichtung oder der Jugendwohlfahrt noch nicht zu einer Anzeige oder notwendigen Aussage bereit. Aus der täglichen Arbeit mit Opfern ist bekannt, dass viele dazu neigen ihre ersten Aussagen zurückzuziehen oder – aufgrund von Schuldgefühlen der Familie und dem potentiellen Täter gegenüber, oder aber auch auf Druck des familiären Umfeldes oder des Beschuldigten – gar zu revidieren, weil die ersten Folgen ihrer Aussagen sie überfordern und es nicht möglich war, sie ausreichend auf die Situation vorzubereiten und für ihren körperlichen, aber auch psychischen „Schutz“ zu sorgen. Weiters erschwert eine verpflichtende Anzeige auch die Arbeit der Opferschutzeinrichtungen (Beratungsstellen, Kinderschutzzentren, etc.), weil sie eine (vorläufige) Zusicherung von Vertraulichkeit und Verschwiegenheit unmöglich macht. Gerade das ist aber meist die Voraussetzung für (potenzielle) Opfer und Angehörige, sich überhaupt an solche Einrichtungen zu wenden.

 

 

Anregung:

 

Gemäß § 51 Abs 3 StGB besteht für das Gericht die Möglichkeit, die Weisung zu erteilen, sich medizinischer oder psychotherapeutischer Behandlung zu unterziehen. Im Hinblick darauf, dass gerade im psychosozialen Feld und an der Schnittstelle zur Medizin eine Vielzahl von Behandlungs- und Interventionsmöglichkeiten besteht, die terminologisch voneinander zu unterscheiden sind und in den gewählten Begriffen „medizinische oder psychotherapeutische Behandlung“ keine Deckung finden, wird angeregt, diese Gesetzesstelle dahingehend abzuändern, dass dort von den im Einzelfall erforderlichen Behandlungen und Therapien gesprochen wird. Sollte dieser Begriff als zu weit erachtet werden, wird angeregt, auch die klinisch-psychologische Behandlung als Interventionsform aufzunehmen. Die klinisch-psychologische Behandlung ist eine Kernkompetenz der in die Liste der klinischen Psychologen beim Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend eingetragenen Personen. Gemäß § 3 Abs. 2 Z. 2 Psychologengesetz 1990 ist die klinisch- psychologische Behandlung Teil des Berufsbildes. Sie ist von klinisch-psychologischer Diagnostik als Erfolgs- und Verlaufskontrolle begleitet und erfolgt auf wissenschaftlich- psychologischer Basis.

 

Die klinisch-psychologische Behandlung ist eine hocheffiziente, einem Behandlungsplan folgende und im Hinblick auf Ihre Ergebnisse überprüfbare Behandlungsform, die den Straftätern jedenfalls offen stehen sollte. Es wird deshalb um entsprechende Umsetzung in der Bestimmung des § 51 Abs 3 StGB ersucht.

 

 

 

Wien, am  16. Juni 2008                 Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen