Sabine Rupp

Bundeskoordinatorin Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche

Theobaldgasse 20/9

1070 Wien

 

 

 

Bundesministerium für Justiz

z.Hd. Herrn Dr. Georg Kathrein

Museumstrasse 7

1070 Wien                                                                    Wien, 12. Juni 2008

 

per E-Mail:

kzl.b@bmj.gv.at

 

 

 

STELLUNGNAHME

Zum vom Bundesministerium für Justiz übermittelten Entwurf für ein 2. Gewaltschutzgesetz samt Erläuterungen

 

 

 

Die Opferschutzeinrichtungen im Kinderbereich in Wien (als Zusammenschluss im „Kooperationsforum Prozessbegleitung Wien“) begrüßen weitgehend die in der genannten Unterlage seitens des Bundesministeriums für Justiz vorgeschlagenen Erweiterungen des Opferschutzes und sehen darin einen positiven Ansatz, die Stellung der Verbrechensopfer, auch über die Grenzen des Strafverfahrens hinaus, zu stärken. Die Implementierung der Prozessbegleitung im Zivilverfahren und die Möglichkeit der schonenden Vernehmung tragen den besonderen Bedürfnissen von Opfern sexueller Gewalt Rechnung.

 

Aus gegebenem Anlass ist das Bestreben, notwendige Schutzmaßnahmen für Kinder zu verstärken, ein Anliegen aller Opferschutzeinrichtungen und die geplanten Regelungen zur Rückfallsprävention sind ein wichtiger Schritt. Die Ausweitung der Anzeigepflicht bei Kindesmisshandlung und sexuellem Missbrauch ist jedoch aus opferrechtlicher Sicht ein schwerer Rückschritt und kein taugliches Instrument zum Schutz von Kindern.

 

Die genannten Vorschläge bedürfen jedenfalls einiger Ergänzungen und Veränderungen, um dem Vorhaben des effektiven Schutzes von Kindern vor Kindesmisshandlungen und sexuellem Missbrauch gerecht zu werden.

 

 

Zu Artikel II Änderungen in der Zivilprozessordnung

 

 Zur Prozessbegleitung:

 

Zu § 73a ZPO

 

§ 73 Abs 1 sieht die Weitergeltung der psychosozialen PB für einen zwischen Opfer und Beschuldigten geführten Zivilprozess bei sachlichem Zusammenhang mit dem Strafverfahren ebenso wie für Opfer, die im Zivilverfahren als ZeugInnen vernommen werden sollen.

 

Die Gewährung von Prozessbegleitung im Zivilverfahren darf nicht an die Gewährung der Prozessbegleitung im Strafverfahren gebunden werden, sondern an den Anspruch auf Prozessbegleitung im Strafverfahren. Es gibt Verbrechensopfer, denen im Rahmen des Strafverfahrens keine Prozessbegleitung gewährt wurde, weil sie über ihren Anspruch nicht informiert waren, oder die Prozessbegleitung im Strafverfahren nicht in Anspruch genommen haben. Auch bei Verjährung der strafrechtlichen Tatbestände und bei Einstellung des Strafverfahrens muss die Gewährleistung der Opferrechte in einem etwaigen Zivilprozess gewährleistet sein. Die Gewährung der Prozessbegleitung muss nicht nur Opfern im Strafverfahren vorbehalten sein, sondern allen kindlichen ZeugInnen, die im Rahmen des Strafverfahrens Anspruch auf Prozessbegleitung hatten.

 

§ 73a Abs. 2 ZPO regelt die juristische Prozessbegleitung über die Verfahrenshilfe. Die Trennung von psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung widerspricht dem Konzept und den Standards der Prozessbegleitung. siehe www.prozessbegleitung.co.at, Qualitätsstandards und Qualifikation, Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche: „Die Prozessbegleitung besteht aus der psychosozialen und der juristischen Prozessbegleitung. (…) Prozessbegleitung ist in Beratungseinrichtungen angesiedelt und von dort wird die Kooperation mit den RechtsanwältInnen entwickelt.“ Weiters: siehe Prozessbegleitungs-Förderungsvertrag des BMJ: Der Förderungsnehmer ist für die Qualitätssicherung der zu erbringenden Leistungen verantwortlich, wobei sich diese Qualitätsmerkmale an den von der IMAG Prozessbegleitung ausgearbeiteten Standards für Prozessbegleitung orientieren. Er hat die Auswahl geeigneter Personen (Qualifikation) sicher zu stellen …“

Die Beratungsstelle, welche die psychosoziale PB übernimmt, entscheidet darüber, wer PB bekommt und ob juristische PB hinzugezogen wird. Sie beauftragt die juristische PB. Für OpferschutzanwältInnen bestehen strenge Qualitätsstandards und Auswahlkriterien, die durch eine Zuordnung, wie sie von der Rechtanwaltskammer im Rahmen der Verfahrenshilfe organisiert wird, nicht mehr gewährleistet sind.

Dem Bestreben, die Rechte des Opfers im Zivilverfahren analog zu jenen im Strafverfahren auszubauen, kann nur Rechnung getragen werden, indem auch die Organisation und Finanzierung der Prozessbegleitung analog zum Strafverfahren gestaltet wird. Das bedeutet, dass die Beratungseinrichtungen ihr Recht auf freie Anwaltswahl als AuftraggeberInnen ausüben und die Abrechnung der Kosten der juristischen PB über Honorarnoten an die Beratungsstelle funktioniert, die dem Justizministerium weiterverrechnet werden.

 

Wir begrüßen, dass auch in Verfahren, in denen kein Anwaltszwang besteht, und daher oftmals keine Verfahrenshilfe gewährt wird, die PB gewährleistet werden soll (entsprechend den Materialien, die auf Scheidungsverfahren und Obsorgestreit Bezug nehmen).

 

 

Zu § 75a ZPO Absehen von der Angabe des Wohnorts

 

Die Bestimmung, dass von der Angabe des Wohnortes abgesehen werden kann, wird begrüßt und auch im Strafverfahren wäre es wünschenswert, schon bei Anzeige, nach diesbezüglicher Information, den Wohnort gesondert bekannt zu geben.

 

 

Zu § 289a ZPO Abgesonderte Vernehmung (KDV)

 

Die Bestimmung, wonach eine Person, die im Strafverfahren Opfer im Sinne des § 65 Z 1 Lit a StPO ist, auf Antrag abgesondert zu vernehmen ist, und die Möglichkeit, auch anderen Personen, denen eine Anwesenheit der Parteien nicht zumutbar ist, die Möglichkeit einer solchen Vernehmung zu eröffnen, wird begrüßt. Die Zuziehung eines Sachverständigen für die Vernehmung minderjähriger Opfer sollte auf Antrag verpflichtend sein, jedoch auch von Amtswegen möglich.

 

 

Zu § 289b ZPO Vernehmung minderjähriger Personen

 

Sehr begrüßt wird die Möglichkeit, von der Vernehmung Minderjähriger zur Gänze oder in einzelnen Themenbereichen abzusehen, wenn ihr Wohl durch ihre Vernehmung unter Berücksichtigung ihrer geistigen Reife, des Gegenstands der Vernehmung und ihres Naheverhältnisses zu den Prozessparteien gefährdet wird.

 

Auch die Möglichkeit einer schonenden Vernehmung wie in § 289a geregelt, für den Fall dass das Wohl der minderjährigen Person durch die Vernehmung in Anwesenheit der Parteien gefährdet wird, sollte wie im Abs 1 der Antrag das Gericht verpflichten, eine schonende Vernehmung wie in § 289 Abs 1 durchzuführen.

 

Die Beiziehung einer Vertrauensperson liegt bei Vernehmung Minderjähriger jedenfalls in deren Interesse und sollte daher Abs. 3 der Bestimmung lauten:

Der Vernehmung einer minderjährigen Person ist eine Person ihres Vertrauens beizuziehen.

 

 

Zu Art. 5 Änderungen des Strafgesetzbuches

 

Zu § 48 StGB Probezeiten

 

Die Bestimmung, die Probezeit bei bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung auf 5 Jahre zu verlängern, wird begrüßt. Die Verlängerung der Probezeit ist ein probates Mittel zur Kontrolle und Prävention. Eine gleichartige Regelung wäre auch bei Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe notwendig. Die Bestimmung über die verlängerte Probezeit sollte nicht auf die bedingt Entlassung beschränkt sein, sondern auch bei jeder Art der bedingten Strafnachsicht eingeführt werden.

 

 

Zu den §§ 50, 52 und 52a StGB Bewährungshilfe

 

Die verpflichtende Anordnung der Bewährungshilfe bei bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe wegen einer strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung sowie die gerichtliche Aufsicht für die Dauer der Probezeit und die Berichtspflicht während der gerichtlichen Aufsicht werden begrüßt.

Die Regelungen über die Bewährungshilfe wären auch in Hinblick auf die Notwendigkeit der Kontrolle und Prävention analog bei bedingten Freiheitsstrafen geboten. Die gleichzeitige Anordnung von Bewährungshilfe und Ausdehnung der Probezeit ist wichtig und dient der effektiven Rückfallsprävention.

 

 

Zu § 107b StGB Beharrliche Gewaltausübung

 

Die Einführung dieses neuen Straftatbestandes wird begrüßt.

 

 

Zu § 205 StGB Sexueller Missbrauch einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person

 

Sehr begrüßt wird der Umstand, dass in dieser Vorschrift ebenso wie in § 11 StGB der schimpfwörtlich gebrauchte Begriff „Schwachsinn“ durch den Begriff „geistige Behinderung“ ersetzt wurde.

Befremdend ist der § 205 StGB jedoch insofern, als gerade bei dieser besonders schutzbedürftigen Personengruppe der Strafrahmen keine Untergrenze kennt. Eine Angleichung an die Strafdrohungen in den Bestimmungen gegen den sexuellen Missbrauch Unmündiger wäre dringend notwendig.

 

 

Artikel VI   Änderung der Strafprozessordnung

 

 

Zu §§ 78 und 78a StPO Anzeigepflicht

 

Die Kinderschutzeinrichtungen teilen und bekräftigen die Ansicht, dass jene Personen in die Pflicht genommen werden müssen, die von Rechts wegen eine Schutzpflicht zugunsten der körperlichen und seelischen Integrität von Minderjährigen trifft. Dass Personen, die für das körperliche und seelische Wohl der Kinder Verantwortung tragen, bei Anzeichen von Gewalt nicht wegsehen dürfen, sondern verantwortlich im Sinne des Kinderschutzes handeln müssen und jenen Unterstützung geben, die hilflos sind und keine Möglichkeiten haben, sich aus Eigenem gegen weitere Übergriffe zu wehren, steht außer Frage.

 

Die Ausweitung der Anzeigepflicht der Behörden und insbesondere die unverzügliche Pflicht zur Anzeige seitens aller Personen, denen die Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integrität der Minderjährigen obliegt, wird zur Gänze abgelehnt.

 

Die Anzeigepflicht wie vorgesehen ist nicht das geeignete Instrument zum Schutz von Kindern vor Gewalt. Sie stellt keine Verbesserung des Kinderschutzes dar, sondern genau das Gegenteil. Die Aufdeckung und Beendigung von sexueller Gewalt wird noch schwieriger, da die Vorstellung von Anzeige und Gerichtsverfahren große Angst macht und abschreckt. Erst wenn Minderjährige über genügend Information und Vertrauen in ihre Begleitung verfügen, sind sie in der Lage, sich mit einer Strafanzeige auseinander zu setzen. Die Ansicht, dass die geplante Regelung in der Strafprozessordnung der Vereinheitlichung in sämtlichen berufsrechtlichen Regelungen vorzuziehen ist, kann nicht geteilt werden.

 

Eine Anzeige bedeutet nicht automatisch Opferschutz, aber sie ist ein wichtiges Instrument, Gewalt öffentlich zu machen, sodass eine angemessene Strafverfolgung eingeleitet werden kann. Im günstigsten Fall mit dem Ergebnis einer Verurteilung und damit einer gesamtgesellschaftlichen Ächtung von Gewalt an Kindern.

 

Eine Anzeige macht nur unter bestimmten Bedingungen Sinn. Das Wichtigste dabei ist, dass Kinder und Jugendliche bereit sind, eine Aussage zu machen. Denn ohne eine Aussage von Opfern werden so gut wie keine Verfahren weitergeführt. Minderjährige sind nur dann bereit eine Aussage zu machen, wenn sie sich wertschätzend behandelt fühlen, wenn sie innerhalb eines Vertrauensverhältnisses Zeit haben sich mit Gefühlen und Loyalitätskonflikten auseinanderzusetzen, über nächste Schritte informiert werden, möglichst in nichts hineingezwungen werden und ein Stück das Geschehen mitbestimmen können.

 

Die bestehenden berufsrechtlichen Regelungen und die Mitteilungspflichten an den Jugendwohlfahrtsträger sind sinnhaft und ausreichend, wenn sie konsequent eingehalten werden. Die Verschwiegenheitsverpflichtung für PsychotherapeutInnen und Klinische sowie GesundheitspsychologInnen ist auch jetzt schon keine Absolute, sondern immer in Abwägung mit dem notwendigen Schutz des Kindes vor Gefahr („Gefahr in Verzug“, „Güterabwägung“) zu sehen. Kann der Schutz eines Kindes durch Maßnahmen der Beratungseinrichtung und Jugendwohlfahrt nicht gewährleistet werden, ist ohnehin nach der bestehenden Rechtslage Anzeige zu erstatten (vgl. § 78 Abs.3 STPO). Mit § 37 Abs. 1 Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 besteht bereits jetzt eine Mitteilungsverpflichtung bei Gefährdung des Kindeswohls an den Jugendwohlfahrtsträger, welche die berufsrechtlich und dienstvertraglich festgelegten Verschwiegenheitspflichten überlagert, wenn die Meldung zur Abwendung weiterer Gefährdung notwendig erscheint. Diese Mitteilungspflicht verlangt von allen beteiligten Berufsgruppen einen sehr informativen, transparenten und kooperativen Arbeitsstil und Maßnahmenplan. Dieses System der Zentrierung von Hilfsmaßnahmen bei der Jugendwohlfahrt würde mit der geplanten Verschärfung der Anzeigeverpflichtung ad absurdum geführt.

 

Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht an den Jugendwohlfahrtsträger muss konsequenterweise nicht nur disziplinarrechtliche sondern auch strafrechtliche Folgen haben. Der § 286 StGB sollte in Hinblick auf eine solche strafrechtliche Konsequenz klargestellt werden. Bei Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger muss dieser stärker in die Verantwortung genommen werden. Er muss in Absprache mit Kinderschutzeinrichtungen über die weitere Vorgangsweise entscheiden. Dieser Interventionsplan ist zu dokumentieren.

 

Der Anspruch auf staatliche Schutzgewährung ist in erster Linie durch den Jugendwohlfahrtsträger zu gewährleisten und nicht durch die Kriminalpolizei und die Staatsanwaltschaft, die per se Strafverfolgungsbehörden sind. Dem Interesse des Schutzes gefährdeter Kinder ist jedenfalls gegenüber der Strafverfolgung Vorrang zu geben.

 

Die verschärfte Anzeigepflicht verschiebt den Kinderschutz auf die Ebene der Polizei und der Staatsanwaltschaft, die weder die Qualifikation noch die Ressourcen zu einer effektiven Umsetzung haben. TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen, LehrerInnen usw. würden durch die unverzügliche Anzeigepflicht zu Organen der Strafrechtspflege gemacht werden, was nicht ihrem Aufgabenbereich und dem Sinn ihrer Tätigkeit entspricht. Wir fürchten, dass hier eine Hoffnung geweckt wird, die real nicht haltbar ist. Auch der Polizei werden – bei gleich bleibender Ausstattung – die Ressourcen fehlen, eingehende Meldungen effektiv zu bearbeiten.

 

Wenn die Anzeigenzahlen der letzten 7 Jahre jedoch den Verurteilungen gegenübergestellt werden, dann ist erkennbar, dass es im Durchschnitt zu einem 1/3 Verurteilungen gekommen ist. Das bedeutet gleichzeitig, dass es in 2/3 zu Freisprüchen und Einstellungen kam. Freisprüche und Einstellungen haben weitreichende Folgen: bei den betroffenen Kindern, den Bezugspersonen und auf der professionellen Ebene z.B. bei Pflegschaftsgerichten. In der Praxis wird ein Freispruch im Zweifel oder eine Einstellung zu einem „da war nichts“. Das wird z.T. von PflegschaftsrichterInnen so gesehen und von den freigesprochenen Vätern ebenfalls. Viele Anträge auf Wiederaufnahme von Besuchsrechtsregelungen können das bezeugen. Ein Urteil, aber auch eine Einstellung des Verfahrens ist ein Ausschnitt der Wirklichkeit, aber es ist nicht die Wahrheit.

 

Der de facto Wegfall des Vertrauensverhältnisses führt in der Praxis zu einer klassischen Wiederholung der Missbrauchssituation: diejenigen, die mit der Macht des Gesetzes ausgestattet sind, bestimmen, was gut und richtig für Kinder/Jugendliche ist und zwingen sie unter Umständen gegen ihren Willen in eine Anzeige mit allen Konsequenzen hinein. Gefühle von Ausgeliefert-sein, Hilflosigkeit, Überforderung, Missachtung der eigenen Bedürfnisse und des eigenen Willens können eine Retraumatisierung bedeuten und die Aussagefähigkeit beeinträchtigen.

 

Der de facto Wegfall des Vertrauensverhältnisses wird auch nicht durch die Abbrechung im Opferinteresse (§197a) abgemildert, da es einerseits eine zeitliche Beschränkung auf 6 Monate gibt und es andererseits für das Opfer zu einer Fremdunterbringung kommen kann/muss, da die U- Haft aufgehoben wird.

 

Auch gilt zusätzlich zu bedenken, dass der zu Recht geschaffene § 58 Abs 3 Zif 3 StGB, die Verlängerung der Verjährung bis zum Erreichen der Volljährigkeit ad absurdum geführt werden würde. Dieser § wurde eben aus den Gründen geschaffen, dass Kinder und Jugendliche als Opfer von Sexualstraftaten nicht immer sofort so darüber berichten können, dass die Strafbehörde effektiv einschreiten kann. Um Kindern und Jugendlichen die nötige Zeit zu verschaffen, um ausreichend psychisch stabil und gereift Anzeige zu erstatten und für das Gericht die nötige Aussagefähigkeit zu besitzen, wurden die Verjährungszeiten an die Volljährigkeit gebunden.

 

Welche Konsequenzen hätte eine Verschärfung der Anzeigepflicht?

 

Die Anzeigenpflicht, wenn sie, wie jetzt vorgeschlagen durchgesetzt wird, ist ein Rückschritt von 15 Jahren und wäre im Ergebnis eher Täterschutz und nicht Opferschutz.

 

 

Zu § 197a Abbrechung des Verfahrens im Opferinteresse

 

Die Möglichkeit, das Strafverfahren im Interesse und zum Schutz minderjähriger Opfer einstweilig abzubrechen, ist sicher ein adäquates Mittel des Kinderschutzes. Diese Möglichkeit kann jedoch nicht die Anzeigepflicht des § 78a StGB rechtfertigen.

 

In Fällen, in denen übereilt angezeigt wurde und ein minderjähriges Opfer durch das Strafverfahren unzumutbar belastet würde, ist eine Abbrechung des Verfahrens zu begrüßen.

Davon auszugehen, dass in jedem Fall nach längstens 6 Monaten das Kind ausreichend stabilisiert sein könnte, um ein Strafverfahren durchzustehen, ist sachlich nicht gerechtfertigt.

 

Um kindliche Opfer adäquat für die Belastungen eines Strafverfahrens vorzubereiten, braucht es Zeit. Aus diesem Grund wird idealerweise erst dann Anzeige erstattet, wenn die minderjährigen Opfer ausreichend stabilisiert sind und sich in einem geschützten Umfeld befinden. Parallel zur Vorbereitung auf ein Strafverfahren werden seitens der Kinderschutzeinrichtungen und des Jugendwohlfahrtsträgers die notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Opfers ergriffen.

 

 

Zu Artikel VII      Änderungen des Tilgungsgesetzes

 

Zu §4a Tilgung von Verurteilungen

 

Die Verlängerung der Tilgungsfristen wird im Sinne einer erweiterten Kontrollmöglichkeit begrüßt. Gefordert wird, dass bei Verurteilungen wegen Delikten wegen strafbarer Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung an Unmündigen keine Tilgung stattfindet.

 

Sinnvoll erscheinen uns Weisungen bestimmte Tätigkeiten nicht ausüben zu dürfen, v.a. in Bezug auf einschlägige pädagogische, therapeutische und soziale Berufe. Dies könnte zum besseren Schutz minderjähriger Opfer als Nebenfolge ausgesprochen werden.

 

 

Zu § 6 Beschränkung der Auskunft

 

Es wird begrüßt, dass nunmehr auch den mit Aufgaben der Jugendwohlfahrt betrauten Behörden oder öffentlichen Dienststellen über Verurteilungen wegen Straftaten nach dem 10. Abschnitt des StGB Auskunft erteilt werden soll.

 

Angeregt wird, dass im Hinblick auf die Durchsetzung der Weisung, bestimmte Tätigkeiten nicht ausüben zu dürfen, pädagogischen Einrichtungen und Freizeiteinrichtungen, die mit Kindern zu tun haben, bei Einstellungen neuer MitarbeiterInnen ein Leumundszeugnis vorzulegen ist, da diesen Einrichtungen die Strafregisterauskunft nicht zugänglich gemacht werden kann.

 


Mit der Bitte um Kenntnisnahme verbleiben wir

mit freundlichen Grüßen

 

Sabine Rupp

Bundeskoordinatorin Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche

 

 

 

und alle Einrichtungen aus dem „Kooperationsforum Prozessbegleitung Wien“:

 

Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen und junge Frauen

Theobaldgasse 20/9, 1060 Wien

 

Beratungsstelle Tamar

Wexstraße 22/3/1, 1200 Wien

 

Kinderschutzzentrum

Kandlgasse 37, 1070 Wien

 

Kinderschutzzentrum die Möwe

Börsegasse 9/1, 1010 Wien

 

Kinder- und Jugendanwaltschaft-Wien

Alserbachstraße 18, 1090 Wien

 

Informationsstelle für Männer

Erlachgasse 95/5, 1100 Wien

 

Irene Oberschlick

Rechtsanwaltsanwärterin

Auerspergstraße 7/41, 1070 Wien

 

 

Ergeht an:

BMJ:

·         Ministerin Dr. Maria Berger

·         Dr. Georg Kathrein

·         Dr. Ulrike Tessarek

·         Dr. Dr. Bogensberger

BMGFJ:

·         Ministerin Dr. Andrea Kdolsky

·         Mag. Ruttinger

Klubvorsitzende:

·         Dr. Josef Cap

·         Dr. Wolfgang Schüssel

·         Dr. Alexander von der Bellen

Justizsprecher:

·         Dr. Johannes Jarolim

·         Mag. Heribert Donnerbauer

·         Hr. Abgeordnete Steinhauser