Rechtswissenschaftliche Fakultät

 

 

Institut für Strafrecht und Kriminologie

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Stellungnahme zum Entwurf für ein 2. Gewaltschutzgesetz

 

 

Wien, am 18. Juni

 

Punktuelle Stellungnahme zum Entwurf für ein

2. Gewaltschutzgesetz

BMJ-B12.101/0002-I 5/2008

 

 

Aufgrund mangelnder Zeit kann nur zu ein paar ausgewählten Punkten des Entwurfes Stellung genommen werden.

 

Zu Art V Z 5:

 

Was den Vorschlag, einen Tatbestand der beharrlichen Gewaltausübung (§ 107b Entwurf) einzuführen, betrifft, so sollte jedenfalls noch einmal die Notwendigkeit einer solchen Bestimmung hinterfragt werden. Selbst die Erläuterungen nennen keinen überzeugenden Fall, der nicht unter andere – bereits bestehende – Straftatbestände fallen würde. Gerade die beiden genannten Beispiele (Pfleger misshandelt die von ihm zu betreuende Person, Mitschüler setzen wiederholte Gewaltakte gegen einen bestimmten Mitschüler) beweisen eindrücklich, dass die vorgeschlagene Strafbestimmung überflüssig ist, denn die Einführung strengerer Strafgesetze ist gewiss nicht das richtige Mittel, um Gewalttätigkeiten zwischen Schülern zu vermeiden. Hier bedarf es viel sensiblerer Mittel als Strafbestimmungen mit hohen Strafdrohungen.

 

Die denkbaren Fallkonstellationen sind meines Erachtens durch die existierenden Delikte gegen Leib und Leben sowie gegen die Freiheit durchwegs erfasst. Liegt eine Gewaltausübung vor – insbesondere wenn diese Gewalt regelmäßig eingesetzt wird –, wird im Regelfall auch eine Verletzung vorliegen, deren Schwelle aufgrund der Judikatur ohnedies sehr niedrig ist, oder zumindest eine Nötigung. Es ist also nicht so, dass ein gewaltsames Verhalten oder die Anwendung gefährlicher Drohungen heute straflos wäre. Der einzige denkbare Fall wäre eine Misshandlung, die nicht zu einer Körperverletzung führt (§ 83 Abs 2) und auch nicht in der Öffentlichkeit geschieht (§ 115). Angesichts der sehr niedrigen Schwelle für die Annahme einer Körperverletzung sind kaum Beispiele vorstellbar, die tatsächlich strafwürdig sind und eine Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe in der Grundstrafdrohung rechtfertigen würden. Insbesondere ist zu bezweifeln, ob mit Einführung eines solchen Tatbestandes tatsächlich die Gewalt in der Familie bzw. in Partnerschaften in irgendeiner Weise effektiver bekämpft werden kann. Es ist nicht das Problem, dass gewalttätige Handlungen in der Familie nicht unter Strafe stehen würden, sondern das Problem ist doch vielmehr, dass zahlreiche Fälle häuslicher Gewalt – aus welchem Grund auch immer – gar nicht zur Anzeige gebracht werden. Straftatbestände können in den wenigsten Fällen gewalttätiges Verhalten in der Familie verhindern. Es bedarf vielmehr außerstrafrechtlicher Mittel, um Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen. Die strafrechtlichen Instrumentarien sind jedenfalls ausreichend. Der vorliegende Tatbestandsvorschlag ist jedenfalls sicher nicht geeignet, dem Schutz der Opfer tatsächlich zu dienen. Im Gegenteil könnte die hohe Strafdrohung letztendlich sogar ein Grund sein, keine Anzeige zu erstatten, weil die Betroffenen nicht wollen, dass der gewalttätige Partner oder Vater eine lange Zeit im Gefängnis verbringen muss.

 

Zum vorgeschlagenen Tatbestand selbst: Der Tatbestand ist in erster Linie zu unbestimmt. Diese Kritik wurde bereits gegen § 107a vorgebracht, an den sich die nun geplante Bestimmung offenbar anlehnt. Die Begriffe „beharrlich“, „längere Zeit“, „fortgesetzt“ lassen zu viel Interpretationsspielraum. Sie lassen vor allem den Rechtsunterworfenen nicht mit ausreichender Sicherheit erkennen, welches Verhalten tatsächlich strafbar sein soll. Dies ist aber sowohl nach der Jud des EGMR als auch jener des VfGH jedenfalls erforderlich für eine Strafnorm.

Gerade solch unbestimmte Strafbestimmungen sind in keinem Fall geeignet, eine präventive Wirkung nach sich zu ziehen, weil sie den Rechtsunterworfenen nicht erkennen lassen, welches Verhalten strafbar ist. Vielmehr eröffnen sie einer willkürlichen Auslegung Tor und Tür.

 

Abs 2 enthält eine Definition von beharrlicher Gewaltausübung. Auch diese Definition ist äußerst unbestimmt. Eigenartig mutet vor allem an, dass unter den Gewaltbegriff des § 107b offenbar nicht nur die physische Einwirkung auf den Körper eines anderen Menschen fallen soll, sondern alle strafbaren Handlungen gegen die Freiheit, somit auch psychische Gewalt. Gefährliche Drohungen sind aber, wie ausdrücklich im Gesetz definiert, keine Gewalt. Diese Ausweitung des Gewaltbegriffs ist ein völlig unbegründeter Bruch mit dem existierenden System und daher in dieser Form jedenfalls aus systematischen Gründen abzulehnen.

 

Unbestimmt ist nicht nur der Grundtatbestand des Abs 1, sondern sind auch die Qualifikationen. Die Begriffe „umfassende Kontrolle“, „erhebliche Einschränkung“, „autonome Lebensführung“ entsprechen in keiner Weise der von Strafnormen geforderten Bestimmtheit. Interessanterweise geben auch die Erläuterungen keinen Hinweis darauf, wie sie zu verstehen sind. Hinzu kommt noch, dass die Qualifikationen aufeinander aufbauen, was den Tatbestand noch einmal schwieriger fassbar macht.

 

Insgesamt muss der vorliegende Entwurf des Tatbestandes als verunglückt bezeichnet werden, weder ist er geeignet, den beabsichtigten Zweck zu erreichen, noch ist die Gesetzestechnik gelungen. Er sollte daher zur Gänze entfallen. Der wiederkehrende Einsatz von Gewalt (in der Familie), der zu einer Verletzung führt, könnte, wenn dies als notwendig erachtet wird, – systematisch passender – als Qualifikation bei den Körperverletzungsdelikten berücksichtigt werden. Da die Schwelle für das Vorliegen einer Verletzung von der Judikatur äußerst niedrig angesetzt wird, wird in den meisten Fällen der Gewaltausübung auch eine Verletzung vorliegen, sodass das Erfordernis eines Verletzungserfolges (oder für eine Versuchsstrafbarkeit zumindest eines Verletzungsvorsatzes) nicht dazu führen würde, dass Strafbarkeitslücken auftreten.

 

Es ist zu begrüßen, dass die Anwendung der Diversion für Straftaten, die den § 107b erfüllen, nicht generell ausgeschlossen werden soll. Ob die Anwendung des Tatausgleichs bei Partnerschaftskonflikten Sinn macht, kann jeweils nur im Einzelfall beurteilt werden. Wie die Erfahrung zeigt, ist der Tatausgleich in vielen Fällen von Gewalt in Partnerschaften ein geeigneteres Mittel, darauf zu reagieren, als es Gerichtsverhandlungen sind. Es zeigt sich auch, dass von Seiten der Konfliktregler sehr vorsichtig und einfühlsam damit umgegangen wird. Diese Vorgangsweise muss auch in Zukunft möglich sein.

 

Zu Art VI Z 3 und 4:

 

Eine in den §§ 78 und 78a StPO vorgesehene Ausweitung der Anzeigepflicht erscheint nicht notwendig, vielmehr könnte sie sogar kontraproduktiv sein. Alle genannten Organe und Personen haben schon jetzt das Recht zur Anzeige und sind zur Anzeige verpflichtet, wenn dies zum Schutz des Opfers vor weiteren Angriffen notwendig ist. Aber oft ist es für das Wohl des Kindes besser, wenn andere Maßnahmen als eine strafrechtliche Verfolgung des Täters ergriffen werden. 

Eine Anzeigepflicht der Jugendwohlfahrtsbehörde wäre verhängnisvoll und würde deren Arbeit wesentlich erschweren, weil damit die Vertraulichkeit von Mitteilungen an die Jugendwohlfahrtsbehörde nicht mehr gegeben wäre. Vielmehr könnte es dazu führen, dass Kinder oder auch zB Mütter nicht mehr zum Jugendamt gehen und sich ihm anvertrauen, weil dieses Anzeige zu erstatten hat. Damit würde aber eine Betreuung des Opfers in diesen Fällen verunmöglicht. Es sollte bedacht werden, dass sich Sozialarbeiter in der Regel besser um das Wohl des Kindes kümmern können als Strafverfolgungsbehörden und dass ihnen dazu auch die Möglichkeit gegeben werden sollte.

 


Zu Art VII:

 

In Art VII des Entwurfs sind Spezialregelungen für die Tilgung von Sexualstraftaten vorgesehen.

Auch hierbei stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit.

 

Die Registrierung im Strafregister hat einerseits für spätere Strafverfahren Bedeutung, aber darüber hinaus auch eine große Bedeutung außerhalb des Strafrechts. Sie kann für den Täter daher eine weitreichende Belastung darstellen, nicht nur im Falle einer neuerlichen Verurteilung, sondern noch gravierender, es erschwert eine Resozialisierung des Täters, da damit seine Chancen am Arbeits- und Bildungsmarkt, bei der Erlangung von Genehmigungen etc. erschwert werden. Die Tilgung soll es dem Verurteilten daher ermöglichen, nach einer gewissen Zeit des Wohlverhaltens wieder ohne den Makel der Verurteilung zu leben. Sie soll die Gefahr beseitigen, dass frühere Verurteilungen noch lange Zeit später bekannt werden und die Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft und die Arbeitswelt be- oder verhindern.

 

Vergleicht man die geltenden Tilgungsfristen in Österreich mit jenen in anderen europäischen Staaten, so befindet sich Österreich mit einer 15-jährigen Tilgungsfrist bereits unter jenen Staaten mit den längsten Tilgungsfristen, nur in einigen wenigen gibt es Tilgungsfristen von 20 Jahren. Zieht man noch die in § 4 TilgG vorgesehene Verlängerung der Tilgungsfristen durch erneute Verurteilungen in Betracht, gibt es überhaupt nur wenige Länder, die längere Fristen kennen (vgl Stefanou/Xanthaki, Financial Crime in the EU, S. 19 ff). Tilgungsfristen von bis zu 30 Jahren sind daher jedenfalls überzogen.

 

Es ist auch nicht klar, was längere Tilgungsfristen bringen sollen. Eine längere Registrierung wirkt keinesfalls präventiv. Der Straftäter, und im Speziellen der Sexualstraftäter, denkt nicht daran und lässt sich daher auch nicht dadurch abschrecken, dass er in einem Strafregister oder einer Sexualstraftäter-Datei über längere Zeit gespeichert wird.

Was eine Registrierung bringen kann, ist, dass bestimmte Personen oder Behörden Informationen über den einmal verurteilten Täter haben. Aber auch das allein kann noch keine Straftaten verhindern. Die registrierte Verurteilung wird nur dann bekannt, wenn die betreffende Person mit bestimmten Behörden Kontakt hat oder er einen Arbeitsplatz sucht und eine Strafregisterbescheinigung vorlegen muss. Somit ist eine (längere) Registrierung auch nur sehr beschränkt zum Schutz der Gesellschaft geeignet.

 

Allerdings wird eine Resozialisierung des Täters durch eine längere Registrierung jedenfalls erschwert, es verunmöglicht es praktisch, einen Arbeitsplatz zu finden. Über die Gefährlichkeit der Person sagt die Registrierung aber noch recht wenig aus. Durch die Registrierung im Strafregister wird aber die Stigmatisierung des Verurteilten verstärkt: je länger die Registrierung aufrecht bleibt, desto eher wird auch diese Stigmatisierung verlängert. Ein als vorbestraft registrierter Täter wird es noch Jahrzehnte nach der Begehung der Tat schwerer haben, sich zu reintegrieren. Es kann vielmehr zu einer weiteren Entsozialisierung führen, was die Gefahr der Begehung weiterer strafbarer Handlungen erhöht, also durchaus kontraproduktiv sein kann.

 

Das Strafregister ermöglicht allen Behörden einen direkten Zugang und an sich jedem Arbeitgeber einen indirekten Zugang über die Strafregisterbescheinigungen zu den Informationen. Sie sind daher einem sehr großen (und unüberschaubaren) Personenkreis zugänglich. Die Informationen länger im Strafregister zu speichern als bisher, führt dazu, dass über längere Zeit ein großer Personenkreis auf diese Daten Zugriff hat. Sollte es – und ich bin von der Notwendigkeit keineswegs überzeugt – für notwendig erachtet werden, Informationen über bestimmte – nicht alle – Sexualstraftäter zu halten, muss dies in einem Register geschehen, auf das nur ein sehr kleiner Kreis an Personen Zugang hat. Ich sehe keinen Grund dafür, dass jede Behörde oder auch jede Polizeidienststelle Jahrzehnte nach der Tat noch Zugang zu diesen Daten haben sollte.

 

Neben der fehlenden Notwendigkeit einer solchen Verlängerung der Tilgungsfristen ist auch die vorgeschlagene Regelung zu kritisieren. Eine Tilgungsfrist von 30 Jahren ist jedenfalls – wie oben bereits ausgeführt – unverhältnismäßig lange.

 

Daneben ist es aber das Vollzugsgericht, das entscheiden soll, welche Tilgungsfrist zur Anwendung kommt. Dies bedeutet ein Abweichen vom bisherigen System, in dem für die Länge der Tilgungsfrist ausschließlich das Ausmaß der ausgesprochenen Strafe entscheidend ist. Für die Entscheidung darüber werden im Entwurf einmal mehr Begriffe gewählt, die in erster Linie durch ihre Unbestimmtheit gekennzeichnet sind. Es ist nicht klar, wann ein Verurteilter gefährlich oder besonders gefährlich sein soll und wie das Vollzugsgericht diese Frage beurteilen soll. Zudem wird im Regelfall bei gefährlichen Sexualstraftätern ohnedies auch die Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (§ 21 Abs 2 StGB) angeordnet, die unbefristet ist. Wenn der Täter in diesem Fall zum Zeitpunkt der möglichen Entlassung gefährlich oder gar besonders gefährlich ist, dann wird er ohnehin nicht aus der Maßnahme entlassen oder sollte zumindest nicht entlassen werden.

 

Maßnahmen wie die Verlängerung der Tilgungsfrist gehen daher in erster Linie zu Lasten der großen Mehrheit von Straftätern, wo ich sogar die Gefahr sehe, dass sie resozialisierungshemmend wirken und die Gefahr einer Straffälligkeit eher begünstigen würden.

 

Dr. Robert Kert

Universität Wien