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Österreich, 25. Juni 2008

 

 

 

 

Stellungnahme

Überarbeiteter Entwurf des Ministeriums eines Entwurfes des
2. Gewaltschutzgesetzes – „Anzeigepflicht neu“
(§§ 78 Abs 3, 78a, 78b, 197 Abs 2a, 197a StPO) 

 

 

 

 

Sehr geehrte Frau Ministerin,
sehr geehrte Damen und Herren,

 

 

aus Sicht der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs möchten wir zum vorgelegten Entwurf einer Überarbeitung des Entwurfes zum zweiten Gewaltschutzgesetz wie folgt Stellung nehmen:

 

Vorweg darf bemerkt werden, dass die Aussendung einer überarbeiteten Version zum Entwurf des 2. Gewaltschutzgesetzes mit Montag, 23. Juni 2008, 18.31 Uhr und die dafür anberaumte Besprechung für Donnerstag, 26. Juni 2008, 14.30 Uhr mit großem Befremden insoferne zur Kenntnis zu nehmen ist, als zwischen der Aussendung des Entwurfes und der Besprechung darüber praktisch nur 2 Kalendertage Frist anberaumt wurde.

 

Im Rahmen der Anzeigepflicht und auch darüber hinaus hat sich durch den überarbeiteten Entwurf im Vergleich zum Entwurf eines 2. Gewaltschutzgesetzes Folgendes geändert:

 

 

 

 

 

1. Zu § 78 Abs 3

 

In § 78 Abs 3 wurde die semantische Umstellung dergestalt vorgenommen, dass hier ursprünglich die Wendung lauten sollte:

„… und Anzeige zu erstatten, insbesondere weil die konkrete Gefahr besteht …“.

 

Nun vorgeschlagen wird:

„… und insbesondere Anzeige zu erstatten, wenn die konkrete Gefahr besteht …“.

 

Dazu ist zu sagen:

 

An der „Qualität“ der Anzeigepflicht für Behörden und öffentliche Dienststellen hat sich durch diese Umformulierung nichts geändert. Auch in dieser Form ist § 78 Abs 3 abzulehnen!

 

 

 

2. Zu § 78a neu

 

In § 78a neu wurden ebenfalls einige Umstellungen getätigt:

 

1)     nunmehr soll für eine Anzeige ein begründeter Verdacht vorliegen,

2)     die Anzeigepflicht wird eingeschränkt auf Delikte gem. § 65 Z 1 lit a, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind,

3)     die Anzeige ist nunmehr „ohne unnötigen Aufschub“ anstatt „unverzüglich“ zu erstatten

4)     die in § 157 Abs 1 Z 3 genannten Berufgruppen (Fachärzte für Psychiatrie, Psychotherapeuten, Psychologen, Bewährungshelfer, eingetragene Mediatoren, Mitarbeiter anerkannter Einrichtungen zur psychosozialen Beratung und Betreuung) sollen von einer Anzeigepflicht ausgenommen sein.

 

Dazu ist zu sagen:

 

Auch die neu geplante Fassung von § 78a neu ist abzulehnen, denn er erhält die Konkurrenz zwischen Behörde bzw. öffentlichen Dienststellen (Jugendamt) und „Personen, denen die Pflege und Erziehung oder sonst die Sorge für die körperliche oder seelische Integrität des Minderjährigen obliegt“ in Bezug auf eine Anzeige aufrecht. Zwar wird im Rahmen dieses Änderungsvorschlages auf das Vertrauensverhältnis zwischen Klienten und Personen / Einrichtungen gem § 157 Abs 1 Z 3 Bedacht genommen.

 

Und: Der effektiv qualitative Unterschied zwischen einer Anzeige „ohne unnötigen Aufschub“ und einer „unverzüglichen Anzeige“ ist nicht wirklich  auszumachen.

 

Mangels beiliegender Erläuterungen zum „Entwurf – Anzeigepflicht neu“ stellt sich die Frage, auf welchen Personenkreis § 78a neu nun gemünzt sein soll. Für LehrerInnen, KindergärtnerInnen, ErzieherInnen besteht ohnehin eine Meldepflicht gem § 37 Jugendwohlfahrtsgesetz. Die weitere, zusätzliche (Straf-) Anzeige (-Pflicht) (§ 78 a) ist daher abzulehnen.

 

Vielmehr sollte gerade auch jener Personenkreis von einer Anzeigepflicht befreit werden, die der Meldepflicht gemäß § 37 Jugendwohlfahrtsgesetz (JWFG) unterliegen. Denn in diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, ob diese Personen zuerst (Straf-) Anzeige zu erstatten haben und dann melden sollen – bzw. welchen Sinn eine Meldung an den Jugendwohlfahrtsträger dann noch hätte.

 

Augenscheinlich bleiben (zusätzlich) noch (nahe) Angehörige des Opfers sowie sonstige Privatpersonen als Adressaten von § 78a (neu).

 

Diese rechtspolitische Intention wäre diesfalls aber durch die Änderung in Abs 1 wiederum „entschärft“, als nun wiederum Delikte gem. § 65 Z 1 lit a von der Anzeigpflicht ausgenommen sein sollen, die mit weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind.

 

Wieso insbesondere also fahrlässige Körperverletzungen (§ 88 Abs 1 und 3 bzw. Abs 4 1. Fall StGB), durchaus auch schwere Körperverletzungen (§ 88 Abs 4 1. Fall StGB) in diesem Zusammenhang von einer Anzeigepflicht befreit werden soll(t)en, entbehrt aus unserer Sicht jeder Grundlage.

 

Wie schon in unserer Stellungnahme zum Entwurf eines 2. Gewaltschutzgesetzes ausgeführt, wird eine Anzeige durchaus in vielen Fällen eine Maßnahmen der (ersten) Wahl sein, unter Umständen sogar eine unverzügliche bzw. eine ohne unnötigen Aufschub. Doch von vorne herein eine UNBEDINGTE Pflicht zu einer Anzeige zu normieren, wird in sehr vielen Fällen die Vertrauensbasis, die für einen bestmöglichen Schutz des Opfers die Grundlage darstellt, torpedieren. So wird es der Jugendwohlfahrt unmöglich gemacht, dass sie wichtige Kernaufgaben nicht mehr erbringen kann.

 

In Summe wirft also § 78a viel mehr Fragen auf und schafft, zusammen mit der neu vorgeschlagenen Fassung von § 78 Abs 3, im Ergebnis die Kernfunktion der Jugendwohlfahrt praktisch ab, nämlich Kinder und Jugendliche mit den für den jeweiligen Einzelfall bestmöglichen Maßnahmen zu unterstützen.

 


3. Zu § 78b (neu durch Entwurf – Anzeigepflicht neu):

„Fallkonferenzen“

 

Die Einrichtung einer „Fallkonferenz“ ist grundsätzlich zu befürworten. Allerdings versucht die Einführung eines solchen Instrumentes die unsäglichen Folgen einer Anzeigepflicht zu kaschieren.

 

Viel besser wäre es, dieses Instrument ohne die geplanten Änderungen im Rahmen der Anzeigepflicht (§ 78 Abs 3, § 78a) einzuführen – und es auch nicht bei der Staatsanwaltschaft anzusiedeln, also nicht im Rahmen der StPO vorzusehen, sondern eine solche Konferenz im Rahmen des Jugendwohlfahrtsgesetzes (JWG) zu verankern.

 

So bliebe nämlich die Jugendwohlfahrt die Drehscheibe für Entscheidungen von kinder- bzw. opferschutzrelevanten Maßnahmen.

 

 

 

4. Zum § 197 Abs 2a (neu)

 

Soweit ersichtlich sollen durch vorliegenden „Entwurf – Anzeigepflicht neu“ im Rahmen von § 197 Abs 2a (neu) keine Änderung vorgenommen werden.

 

Wie schon im Rahmen des 2. Gewaltschutzgesetzes angeführt, wird diese Bestimmung aber abgelehnt.

 

 

 

5. Zu § 197 a (neu)

 

In § 197a (neu) Abs 1 soll aber die Unterbrechungsmöglichkeit auf ein Jahr(!) ausgedehnt werden.

 

 

Dazu ist zu sagen:

 

Die schon im Rahmen zum 2. Gewaltschutzgesetz dazu angeführten Bedenken sollen also hier noch einmal wiedergegeben werden (siehe auch unser Schreiben vom 13. Juni 2008 (GZ: Kija-GewSchG/2008-1):

 

 

Völlig systemwidrig ist der geplante neue § 197a StPO, der die Möglichkeit bieten soll, das Verfahren für höchstens sechs Monate auszusetzen. Denn einerseits wird im Rahmen von § 78a neu StPO von einer „unverzüglichen“ Anzeige bzw. ohne begründeten Verzug gesprochen, um „… Hilfe für die Opfer auf hohem Niveau bieten zu können und verantwortungsvoll die Aufklärung solcher Fälle zu betreiben“.

Andererseits wird im Rahmen von § 197a neu StPO die „Interventionskette“ bemüht, weil „… Verbrechensopfer erst nach einiger Zeit psychisch in der Lage sind, über belastende und intime Fakten zu sprechen …“. Darüber hinaus wird herausgestrichen, dass die „… Abbrechung des Verfahrens … auch für den Beschuldigten nicht nachteilig sein [muss], bietet sie ihm doch die Möglichkeit, Verantwortung für die Tat zu übernehmen und zB Bereitschaft zu psychosozialen Therapien zu zeigen, wodurch im Anklage- bzw. Urteilszeitpunkt eine günstigere Prognose bewirkt werden kann.“

 

Vor allem letzteres Argument zielt wiederum eher auf den Schutz bzw. die Schonung des Beschuldigten bzw. Täters. Gerade bei sexuell motivierten Straftätern handelt es sich um eine potentiell resistente Tätergruppe. Unseres Wissens nach existieren weder empirische noch wissenschaftliche Indizien dahingehend, dass das Inaussichtstellen einer Strafmilderung (für den Beschuldigten) irgendwelche Konsequenzen in Bezug auf den Schutz des Opfers, insbesondere, was den Schutz von Kindern als Opfer betrifft, hätte.

 

 

Ergänzend dazu fügen wir mit vorliegendem Schreiben an:

 

Eine Ausweitung der Unterbrechungsmöglichkeit auf ein Jahr würde, wie schon im Vorentwurf (Unterbrechung bis zum einem halben Jahr), diametral Art 6 EMRK zuwiderlaufen und ist daher abzulehnen.

 

Es wird in diesem Zusammenhang auch auf die vielen Stellungnahmen von Strafrechtsexperten etc. im Rahmen der Begutachtung zum 2. Gewaltschutzgesetz verwiesen.

 

§ 197a (neu) wird ebenfalls in seiner Gänze abgelehnt.

 

 

 

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs können vorliegendem „Entwurf - Anzeigepflicht neu“ nicht zustimmen. Er entspricht wieder nicht dem Kindeswohl (Art 3 UN-Kinderrechtekonvention) bzw.
der Vermeidung jeder sekundären Viktimisierung
(Art 39 UN-Kinderrechtekonvention).

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Mag. Christian Theiss                                                                  MMag. Martin Knopper

 

für die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs