Amt der Wiener Landesregierung

 

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MD-VD - 812-1/08                                                            Wien, 27. Mai 2008

Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem

das Allgemeine Sozialversicherungsge-

setz, das Gewerbliche Sozialversicher-

ungsgesetz, das Bauern-Sozialversicher-

ungsgesetz, das Beamten-Kranken- und

Unfallversicherungsgesetz, das Apotheken-

gesetz, das Ärztegesetz, das Zahnärztegesetz,

das Rezeptpflichtgesetz, das Bundesgesetz über

Krankenanstalten und Kuranstalten sowie

das Gesundheits- und Sozialbereich-Bei-

hilfengesetz geändert werden und ein

Bundesgesetz, mit dem der Bundesminis-

ter für Finanzen ermächtigt wird, auf

Bundesforderungen gegenüber den Ge-

bietskrankenkassen zu verzichten, sowie

ein Bundesgesetz zur Dämpfung der Heil-

mittelkosten für die Jahre 2008 bis 2010

erlassen werden (Krankenversicherungs-

Änderungsgesetz - KV-ÄG);

Begutachtung;

Stellungnahme

 

An das

Bundesministerium für Gesundheit,

Familie und Jugend

 

 

Zu dem mit Schreiben vom 14. Mai 2008 übermittelten Entwurf eines Bundesgesetzes wird nach Anhörung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien wie folgt Stellung genommen:

 

1.) Allgemeines:

 

Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf soll das Sozialpartnerkonzept zur Gesundheitsreform umgesetzt werden. Ziel der Anpassungen ist die Sicherstellung der finanziellen Leistungsfähigkeit der sozialen Krankenversicherungen. Das Gesetzesvorhaben wird daher aus Sicht der Stadt Wien grundsätzlich begrüßt.

 

Es ist jedoch anzumerken, dass das vorliegende Gesetz das Ziel einer Kostensenkung für die Sozialversicherung, nicht aber vorrangig das einer Restrukturierung mit klarer qualitativer Aufwertung des extramuralen Bereiches verfolgt. Dies lässt eine Zunahme der intramuralen Versorgungspflichten befürchten und könnte den Vorgaben der Reduktion von Spitalsbetten und Ambulanzfrequenzen - bei gleichzeitig entsprechenden Kostensteigerungen in diesen Bereichen - widersprechen. Auf Grund der Neuregelungen im Kassenvertragsbereich für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ist eine Unterversorgung in den Fächern mit hohem finanziellen Aufwand zu befürchten, was zu Defiziten bei der PatientInnenversorgung in diesem Bereich führen könnte und damit wiederum die Leistungsverlagerung in den intramuralen Bereich begünstigen würde.

 

Darüber hinaus könnte es im Bereich der Krankenversicherungsträger zu einer weiteren Rücknahme freiwilliger Leistungen (Kur-, Rehabilitationsaufenthalte usw.) kommen sowie zu einer Reduzierung der Leistungen im Bereich der Physikalischen Medizin (bereits jetzt Reduktion bei Bewilligungen in der Anzahl und Dauer der Therapie).

 

Äußerst kritisch anzumerken ist, dass durch die geplanten Änderungen des Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetzes der Finanzausgleich 2008 in Frage gestellt wird (vgl. Anmerkungen zu Art. 10 im Besonderen Teil).

 

Zur neu geschaffenen so genannten „aut idem-Regelung“ ist anzumerken, dass die Patientin/der Patient, wenn sie/er selbst auf das bisherige (und vielleicht schon seit Jahren verschriebene) Medikament beharrt und sich nicht mit dem von der Apotheke vorgeschlagenen Generikum zufrieden gibt, die Differenz zwischen dem Referenzpreis der jeweiligen Krankenversicherung und dem Kassenverkaufspreis des Medikamentes zu tragen hat, was bedeutet, dass in diesem Fall weit mehr als die Rezeptgebühr zu bezahlen ist. Auf diese Weise wird ein zusätzlicher Selbstbehalt eingeführt. Es ist zu befürchten, dass davon vor allem sozial schwache PatientInnen betroffen sein werden.

 

2.) Besonderer Teil:

 

Zum Vorblatt:

 

Es ist anzumerken, dass aus den Ausführungen im Vorblatt ein Nutzen der neu einzuführenden PatientInnenquittung nicht abzuleiten ist. Angeführt wird lediglich ein Anstieg der Verwaltungskosten in der Höhe von ca. 20 Millionen EUR.

 

Zu Art. 1 Z 2 (§ 31d ASVG):

 

In der Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens wurde zwischen Bund und Ländern paktiert, dass weitere Entscheidungen über die Elektronische Gesundheitsakte unter Grundlage einer Kosten-Nutzenbewertung und einvernehmlich zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung gefassten Beschlüssen der Bundesgesundheitskommission erfolgen werden. Mit Verwunderung wird zur Kenntnis genommen, dass der gegenständliche Gesetzesentwurf im Widerspruch zu diesem Vereinbarungsteil steht, indem der Hauptverband verpflichtet werden soll, sich an der Planung zur Einführung und an der Umsetzung der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) zu beteiligen, obwohl die gegenständliche Kosten-Nutzen-Analyse noch nicht abgeschlossen ist und auch kein entsprechender Beschluss der Bundesgesundheitskommission vorliegt.

 

Zu Art. 1 Z 8 (§ 343 Abs. 2a bis 2c ASVG):

 

Ein In-Kraft-Treten der betreffenden Verordnung zu dem in § 635 Abs. 5 ASVG vorgesehenen Stichtag (1. August 2009) erscheint unter dem Aspekt der Rechtssicherheit für künftige Vertragspartnerinnen und Vertragspartner der Krankenversicherungen nicht angemessen. Ein In-Kraft-Treten der Verordnung nach § 343 Abs. 2b ASVG sollte daher jedenfalls mit ausreichendem zeitlichen Abstand vor dem Wirksamwerden der neu eingeführten Befristung für Verträge nach § 343 Abs. 2a ASVG sowie der Möglichkeit der Auflagenerteilung nach § 343 Abs. 2c ASVG vorgesehen werden.

 

Auf Grund der neu geschaffenen Möglichkeiten der Nichtverlängerung bzw. Kündigung von Kassenverträgen erscheint es angebracht als Ausgleich dafür einen Ersatz von Investitionskosten für Ärztinnen und Ärzte vorzusehen, deren Kassenvertrag auf Grundlage dieser neuen Bestimmungen gekündigt bzw. nicht verlängert wird. Andernfalls ist zu befürchten, dass auf Grund des hohen wirtschaftlichen Risikos einer Kassenpraxis vielen (insbesondere jungen) Ärztinnen und Ärzten die Neueröffnung einer Praxis nicht möglich sein wird.

 

Zu Art. 1 Z 13 (§ 349b ASVG):

 

Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob mit der vorgesehenen PatientInnenquittung tatsächlich ein verstärktes Kostenbewusstsein erreicht werden kann, das den erheblichen organisatorischen Mehraufwand rechtfertigt. Aus den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf ist nicht schlüssig ableitbar, in welcher Höhe ein Einsparungspotential zu erwarten ist.

 

 

Zu Art. 1 Z 14 ( § 350 Abs. 1a ASVG):

 

Zur grundsätzlich vorgesehenen „aut idem-Regelung“ bei der Arzneimittelverschreibung wird im Sinne der PatientInnenrechte gefordert, die Haftungsfrage gesetzlich zu regeln. Unklar ist nach dem vorliegenden Entwurf nämlich, wer haftet, wenn die Patientin bzw. der Patient durch ein verordnetes Arzneimittel zu Schaden kommt. Medikamente mit denselben Hauptwirkstoffen können nämlich insbesondere in Verbindung mit anderen von derselben Person eingenommen Haupt- bzw. Nebenwirkstoffen unterschiedliche gesundheitliche Auswirkungen haben. Dazu kommt noch, dass die Patientin/der Patient, wenn sie/er bei der nächsten Verschreibung desselben Hauptwirkstoffs eine andere Apotheke aufsucht, möglicherweise wieder ein anderes Präparat aus der Referenzliste erhält, so dass keine gleichmäßige Behandlung mit demselben Arzneimittel über einen längeren Zeitraum gewährleistet ist.

 

Weiters ist anzumerken, dass, wenn eine Referenzgruppe Arzneispezialitäten mit praktisch gleichen Packungsgrößen umfasst und eine Packungsgröße von 28 Stück einer mit 30 Stück gleichgesetzt wird, dies einen Nachteil für die Patientin/den Patienten mit sich bringt. Im Erstattungskodex sind zahlreiche Medikamente auf eine Packung pro Monat auf Kassenkosten beschränkt. Eine 28-Stück-Packung reicht jedoch nicht für einen Monat, abgesehen davon muss die Patientin/der Patient für mehr Packungen langfristig mehr Rezeptgebühr bezahlen. Will die Patientin bzw. der Patient nun das gleichwertige Generikon, das aber zu 30 Stück abgegeben wird und vielleicht etwas teurer ist, muss sie/er die Differenz zum Kassenverkaufspreis selbst bezahlen.

 

Im Fall des Ausschlusses der Ersetzbarkeit der Arzneispezialität in der Verordnung sind die Gründe für den Ausschluss zu dokumentieren. Sanktionsmöglichkeiten bei fehlender oder mangelhafter Dokumentation sind die Verwarnung, im Wiederholungsfall die Auferlegung des Kostenersatzes für die abgegebene Arzneimittelspezialität. Das wird in der Praxis dazu führen, dass Patientinnen und Patienten, die aus bestimmten Gründen ein Originalpräparat (bzw. ein teureres Generikon) benötigen, für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte arbeitsaufwändiger und damit wirtschaftlich unattraktiver werden und somit die betroffenen Patientinnen und Patienten unter Umständen Schwierigkeiten bei der Auffindung einer Behandlungsmöglichkeit im niedergelassenen Bereich haben werden, was wiederum zu einer Mehrbelastung des intramuralen Bereiches führen wird.

Zu Art. 9 Z 1 bis 3 (§§ 19a Abs. 4 Z 3, 24 Abs. 1a und 2 KAKuG):

 

Begrüßenswert ist der Ansatz, dass Spitäler künftig gemäß dem Erstattungskodex Medikamente verordnen sollen. Problematisch erscheint die Umsetzung, wonach die Spitäler zur Vorbereitung der Entlassung den chef- und kontrollärztlichen Dienst des leistungszuständigen Versicherungsträgers zu konsultieren haben, um die weitere Medikation zu akkordieren. Insbesondere bei Patientinnen und Patienten der Universitätskliniken, die auf Grund von seltenen und/oder schweren Erkrankungen ein Arzneimittel erhalten sollen, kann dies zu einem enormen Verwaltungsaufwand führen, der bislang durch die „Spitalsrezepte“ (Abgabe der kleinsten Packungsgröße eines namentlich genannten Arzneimittels ohne chefärztliche Bewilligung) praktisch entfiel.

 

Aus haftungsrechtlicher Sicht wäre jedenfalls zu normieren, dass den Rechtsträger der Krankenanstalt im Falle eines „chefärztlichen Eingriffes“ in die vom Krankenanstaltenträger als notwendig erachtete Medikation keine Haftung für etwaige gesundheitliche Folgeschädigungen trifft.

 

Keinesfalls kann eine verpflichtende Konsultation des chef- und kontrollärztlichen Dienstes im Rahmen des Entlassungsmanagements in Krankenanstalten über jene Fälle hinaus erfolgen, in denen Rezepte auf Kosten der sozialen Krankenversicherungsträger oder einer Krankenfürsorgeanstalt durch die entlassende Krankenanstalt abgegeben werden. In den Fällen, in denen Rezepte auf Kosten der sozialen Krankenversicherungsträger abgegeben werden sollen, wäre jedenfalls die Anwendbarkeit der §§ 350 Abs. 1a und 635 Abs. 2 Z 2 ASVG (Art. 1 Z 14 sowie Z 25) analog auch für den intramuralen Bereich vorzusehen.

 

Grundsätzlich werden in den Spitälern des Wiener Krankenanstaltenverbundes Arzneimittel eingesetzt, deren Wirksamkeit, Verträglichkeit und ökonomischer Vorteil durch die zuständige Arzneimittelkommission und/oder die zuständige Apothekenleitung festgestellt sind und im Rahmen des stationären Aufenthaltes eines/einer Patienten/Patientin auch evaluiert werden. Daher kann eine weiterführende Therapieempfehlung aus forensischen Gründen grundsätzlich nur auf Basis des in der Krankenanstalt eingesetzten Arzneimittels erfolgen.

Zur Verordnungsermächtigung des § 24 Abs. 1a KaKuG ist anzumerken, dass für eine erfolgreiche Umsetzung dieser Verordnungsregelungen jedenfalls im Rahmen der Kennzeichnungspflicht auf der Arzneimittelverpackung in gleicher Schriftgröße wie der Name der Arzneispezialität der Wirkstoff oder die Wirkstoffkombination bzw. sofern vorhanden, der internationale Freiname (INN) angeführt sein muss. Ausgenommen hiervon sind Arzneispezialitäten, deren Name bereits den internationalen Freinamen oder, falls dieser nicht existiert, den gebräuchlichen Namen enthalten.

 

Zu begründen ist dies damit, dass der oder die Wirkstoffe klar erkennbar gleichrangig mit dem Namen der Arzneispezialität auch für den Anwender erkennbar sein müssen.

 

Zu Art. 10 (Änderung des Gesundheits- und Sozialbereich-Beihilfengesetzes):

 

Derzeit erhalten die dem Hauptverband der SV-Träger zugeordneten Sozialversicherungsträger eine Beihilfe, die grundsätzlich mit 5,07 % der Krankenversicherungsaufwendungen gedeckelt ist. Künftig soll die mit den USt-befreiten Umsätzen im Zusammenhang stehende nicht abziehbare Vorsteuer nicht mehr pauschal sondern in voller Höhe als Beihilfe gewährt werden. In den finanziellen Erläuterungen wird davon ausgegangen, dass durch diese Maßnahme die Sozialversicherungsträger rund 125 Mio. EUR an zusätzlichen Beihilfen per annum erhalten werden. Die Ausgaben des Bundes für die Beihilfen gemäß GSBG werden gemäß § 8 Abs. 2 Z 1 FAG 2008 durch Vorwegabzug bei der Umsatzsteuer von den gemeinschaftlichen Bundesabgaben finanziert. Eine Erhöhung der Beihilfe führt somit zu einer Reduktion der Ertragsanteile der Länder und Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben. Die Mindereinnahmen der Länder betragen rund 28 Mio. EUR, die der Gemeinden rund 14 Mio. EUR p. a., der Anteil Wiens (als Land und Gemeinde) beträgt rund 10 Mio. EUR.

 

Diese Neuregelung stellt den Finanzausgleich 2008 in Frage, der vor nicht einmal fünf Monaten als Ergebnis von Verhandlungen der Finanzausgleichspartner in Kraft getreten ist. Eine Regelung, die in einem derartigen Ausmaß in das paktierte Finanzausgleichsgefüge eingreift, ohne dass entsprechende Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bzw. dem Städte- und Gemeindebund vorangegangen sind, wird daher entschieden abgelehnt.

 

Zu Art. 11 (Bundesgesetz, mit dem der Bundesminister für Finanzen ermächtigt wird, auf Bundesforderungen gegenüber den Gebietskrankenkassen zu verzichten):

 

Die gesetzliche Ermächtigung des Bundesministers für Finanzen zum Forderungsverzicht gegenüber den Gebietskrankenkassen wird ausdrücklich begrüßt.

 

Zu Art. 12 (§ 1 Abs. 1 Bundesgesetz zur Dämpfung der Heilmittelkosten für die Jahre 2008 bis 2010):

 

Ohne die Angabe eines bestimmten Prozentsatzes für die gesetzlich vorzusehenden verpflichtenden Preisnachlässe ist der Zweck der Gesetzesbegutachtung ad absurdum geführt, da ein wesentliches inhaltliches Element der Norm fehlt. Es ist daher jedenfalls ein bestimmter Zahlenwert an stelle des „x“ einzusetzen.

 

 

                                                                      Für den Landesamtsdirektor:

 

 

                                                                              Mag. Andrea Mader

SR Dr. Hans Serban, LL.M.                                Obermagistratsrätin

 

Ergeht an:

1.  Präsidium des Nationalrates

 

2.  alle Ämter der Landes-

regierungen

 

3.  Verbindungsstelle der

Bundesländer

4.  MA 40

     (zu Zl. MA 40 - BG - 2 - 4316/2008)

mit dem Ersuchen um Weiter-

leitung an die einbezogenen

Dienststellen