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                                                                                                                                                                            Wien, 23.6.2008

 

Familienrechts-Änderungsgesetz 2008: Beratungspflicht vor einer Scheidung

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Mit diesem Schreiben übermitteln wir Ihnen stellvertretend für unsere Mitgliedseinrichtungen eine Stellungnahme des Netzwerks österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen zum Thema Beratungspflicht vor Scheidungen. Das Netzwerk ist ein österreichweiter Dachverband von 50 Frauenberatungsstellen, die insgesamt an 30 Standorten auch Familienberatungsstellen gefördert lt. § 1 Familienberatungsförderungsgesetz betreiben.

 

Eingangs möchten wir anmerken, dass wir es sehr bedauern, dass keine Mitarbeiterinnen von Frauenberatungsstellen im Zuge der Abfassung des vorliegenden Gesetzesentwurfes zu den stattgefundenen Vorgesprächen eingeladen wurden. Gerade diese Beraterinnen sind auf Grund Ihrer jahrzehntelangen Expertise zum Thema rechtliche und psycho-soziale Beratung von Frauen in Scheidungssituationen die Expertinnen der organisierten Zivilgesellschaft.

 

Daher nutzen wir die Möglichkeit, mit der vorliegenden Stellungnahme unsere vielseitigen Bedenken gegen den vorliegenden Gesetzesentwurf bei allen zuständigen Stellen zu deponieren und stehen für weitere fachliche Diskussionen gerne zur Verfügung.

 

Wir danken für die Bearbeitung und Berücksichtigung und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

 

 

Rosemarie Ertl DSAin -

Koordinatorin Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen

 

Stellungnahme des

Netzwerks österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen

zum Entwurf des Familienrechts-Änderungsgesetz 2008

zum Thema: Beratungspflicht vor einer Scheidung

 

 

Ausgangslage

 

Wir bedauern es sehr, dass die Erfahrungen der Mitarbeiterinnen von Frauenberatungsstellen zum Thema „Beratungspflicht vor einer Scheidung“ nicht genutzt wurden. Gerade diese Beraterinnen sind auf Grund Ihrer jahrzehntelangen Expertise zum Thema rechtliche und psycho-soziale Beratung von Frauen in Scheidungssituationen die Expertinnen der organisierten Zivilgesellschaft.

 

Wir haben in unserer Stellungnahme unsere vielseitigen Bedenken zusammengefasst und sprechen uns gegen die gesetzliche Verankerung der verpflichtenden Rechtsberatung ein.

 

Sollte dieses Gesetz jedoch trotz massiver Einwände und Bedenken beschlossen werden, fordern wir die Aufnahme der Frauenberatungsstellen in die Liste der anerkannten AnbieterInnen für verpflichtende rechtskundige Beratungen.

 

 

 

Wir verwenden in der Stellungnahme den Begriff Frauenberatungsstelle, dieser inkludiert die Familienberatungsstellen, die von unseren Frauenberatungsstellen betrieben werden

 

 

Berücksichtigung der speziellen Lebenssituationen von Frauen im Scheidungsprozess

 

Ein wesentlicher Arbeitsschwerpunkt von Frauenberatungsstellen ist seit mehr als zwei Jahrzehnten die Beratung vor bzw. während Scheidungen und Trennungen, dazu zählen u.a. auch Obsorge- und Besuchsrechtsregelegungen sowie die Themen Alimente und Unterhaltszahlungen. Im Sinne einer ganzheitlichen Beratung, die zu unseren Qualitätskriterien zählt, müssen hier alle auftauchenden Fragestellungen und Probleme mit berücksichtigt werden.

 

Zwei aus unserer Sicht wichtige Punkte dazu:

 

·  Viele Frauen, die sich an uns wenden, leben in Gewaltbeziehungen. Um Frauen bestmöglich im Trennungs-/Scheidungsprozess begleiten zu können und auch Ihren Schutz zu gewährleisten, sind die psycho-sozialen und juristischen Beraterinnen in Frauenberatungsstellen zum Thema familiäre Gewalt geschult. Diese Schulung ist unserer Erfahrung nach auch für andere Personen und Berufsgruppen, die rechtliche Beratung vor Scheidungen anbieten, eine wichtige Voraussetzung, um die Benachteiligung von Frauen in Scheidungssituationen tatsächlich aufheben zu können.

 

·  Viele Frauen, die unsere Beratungen in Anspruch nehmen, haben sehr geringe finanzielle Ressourcen zur Verfügung und können sich Kosten für eine Rechtsberatung nicht leisten. Gerade Frauen, die in Gewaltbeziehungen leben, sind oft zusätzlich von ökonomischer Gewalt betroffen und haben kein eigenes Geld zur Verfügung. Wenn der Scheidungswunsch von der Frau ausgeht, wird der in vielen Fällen zumindest in ländlichen Gebieten noch für das Einkommen allein- oder hauptverantwortliche Ehepartner die Bestrebungen seiner „scheidungswilligen“ Frau finanziell nicht unterstützen.

 

 

Arbeitsgrundsätze in Frauenberatungsstellen sind Kriterien für Qualität und Erfolg

 

Weitere Arbeitsgrundsätze, die für Frauenberatungsstellen und Familienberatungsstellen gelten und wesentliche Kriterien für die Qualität und den Erfolg unserer (Beratungs)arbeit darstellen:

·  Anonymität der Klientinnen – dieser Grundsatz würde durch den verpflichtenden (und damit namentlich dokumentierten) Nachweis der Inanspruchnahme einer Rechtsberatung nicht mehr gelten. Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, brauchen unsere Einrichtungen als Schutzzonen. Durch die Bestätigung für eine Beratung, werden diese für den Gewalttäter sichtbar.

·  Freiwillige Inanspruchnahme der Beratungsangebote der Frauenberatungsstelle – dieser Grundsatz würde durch die Verpflichtung zur Rechtsberatung nicht mehr gelten.

Die Erfahrungen zeigen, dass aufgezwungene Informationen nicht immer zum Ziel führen. Den verpflichteten Parteien fehlt die Motivation, das Gehörte auch zu verstehen und umzusetzen.

·  Kostenlose Beratung – dieser Grundsatz würde durch die Einhebung eines vorgeschriebenen Kostenbeitrages für ein spezielles Beratungsangebot nicht mehr gelten.

 

In diesem Zusammenhang möchten wir darauf hinweisen, dass die Kriterien Anonymität und Kostenlosigkeit auch im Familienberatungsgesetz verankert sind und unserer Meinung auch weiterhin so enthalten bleiben müssen. Es ist für uns äußerst bedenklich, dass drei so wichtige Säulen der Beratungsarbeit (Kostenlosigkeit, Freiwilligkeit und Anonymität) mit einem Streich weggefegt werden sollen.

 

Darüber hinaus gelten in unseren juristischen und psycho-sozialen Beratungsgesprächen noch folgende Arbeitsprinzipien:

·  Frauenfreundliche Grundhaltung – dies bedeutet für uns, die Stärken und Kompetenzen einer Frau wahrzunehmen und zu bestätigen. Frauen sind die Expertinnen ihrer persönlichen Lebenssituation.

·  Parteilichkeit als Resultat von Erfahrung und Wissen – es ist uns ein Anliegen, zur Veränderung der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung beizutragen. Es geht um bessere Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen, innerhalb ihrer Persönlichkeit ebenso wie im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Stellung.

·  Gemeinsame Betroffenheit durch die gesellschaftliche Situation und die Rollenzuweisung, die Frauen in spezieller Art benachteiligt – dies kann zur gemeinsamen Erfahrungs- und Vertrauensbasis von Beraterin und Klientin werden und damit zur Verringerung des Macht- und Autoritätsgefälles führen.

 

 

Offene Fragen und Überlegungen

 

Der einzuhebende Kostenbeitrag wird vorgeschrieben. Dazu stellen sich aber folgende Fragen:

·  Beratungsstellen, die die verpflichtende Rechtsberatung anbieten, müssen ihr Kontingent von juristischen Beratungen aufstocken. Wenn der volle Betrag an die Juristin/den Juristen über Honorar ausbezahlt wird, wer trägt die zusätzlichen Personal-Overheadkosten der Beratungsstelle? Wer trägt die notwendigen Sachkosten (Miete und Betriebskosten, Reinigung, Telefongebühren, Haftpflichtversicherung,…)?

·  Wie viele JuristInnen, die auf Honorarbasis arbeiten, werden bereit sein um 50 Euro eine ein- oder mehrstündige Beratung anzubieten? Wir befürchten, dass die Beratungszeit von AnwältenInnen und NotarInnen zu diesem Preis stark eingeschränkt wird und in den juristischen Paarberatungen auf parteiliche Beratung, die auch zeitintensiver ist, keine Aufmerksamkeit gelegt wird. 

·  Welche Unterstützungsmöglichkeiten haben Frauen, die sich diesen Beitrag nicht leisten können? (Migrantinnen, armutsgefährdete Frauen…)

·  Eine Kampagne für rechtliche Beratung vor einer Eheschließung wäre für uns eine sinnvollere Maßnahme, damit die Paare wissen, welche Verpflichtungen und Rechte sie mit der Eheschließung haben.

 

 

Um Gleichstellung zu erreichen, braucht es Frauenfördermaßnahmen

 

Die verpflichtende Rechtsberatung soll getrennt oder gemeinsam möglich sein. Unserer Erfahrung nach ist es der Wunsch vieler Frauen, bei Schwierigkeiten in der Ehe oder im Scheidungsverfahren in Paarberatung zu gehen, dieser scheitert aber sehr oft an der Bereitschaft der Partner. Die Möglichkeit der juristischen Paarberatung könnte diesen Wunsch bestärken, zu diesem Zeitpunkt und mit dem Ziel „Scheidung“ ist eine gemeinsame Beratung aber meist nicht mehr zielführend. Gleichzeitig stellt sich auch noch die Finanzierungsfrage – ein gemeinsames Gespräch spart möglicherweise Kosten. Weiters erhalten Partnerin und Partner die gleichen Informationen und gerade am Land gibt es auch keine so große Auswahl an Beratungsmöglichkeiten.

 

Wir erleben in unserer täglichen Beratungsarbeit, dass Frauen sehr oft ihre Ansprüche zurückstellen und auf Rechte verzichten, um die Ehe möglichst schnell und konfliktfrei beenden zu können. Dieser Ansatz wird unserer Erfahrung nach durch eine gemeinsame Beratung bestärkt.

 

Wir sehen es als Auftrag in den Frauenberatungsstellen, Frauen bestmöglich darin zu unterstützen, ihre Rechte vor allem auch unter Berücksichtung des Wohles der gemeinsamen Kinder zu wahren. Diesem Auftrag kommen wir durch eine parteiliche Einzelberatung nach.

 

 

Beratungskompetenz in Frauenberatungsstellen

 

Wenn trotz unserer zahlreichen Bedenken die verpflichtende Rechtsberatung vor Scheidungen gesetzlich verankert werden sollte, fordern wir für Frauenberatungsstellen denselben Status wie für Familienberatungsstellen. Nicht alle Frauenberatungsstellen betreiben auch eine Familienberatungsstelle. Nichtsdestotrotz bieten alle Frauenberatungsstellen nach den gleichen Qualitätsstandards rechtliche Beratung in Scheidungssituationen an.

 

Kostenlose rechtliche Information und Beratung gehören zu den Kernangeboten der österreichischen Frauen- und Mädchenberatungsstellen. Die Beratungstermine sind über Wochen hinaus ausgebucht, jede einzelne Beratungsstelle würde mehr Ressourcen benötigen. Hätten wir ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung, könnten wir einerseits verstärkt Sensibilisierungsarbeit dahingehend leisten, Frauen darüber zu informieren, wie wichtig eine rechtliche Beratung in Scheidungssituationen ist. Andererseits gäbe es die Möglichkeit, die Beratungsstunden zu erhöhen und damit den seit Jahren steigenden Anfragen nachkommen zu können.

 

Unsere Erfahrung zeigt, dass sich viele Frauen gerade auch bei rechtlichen Fragen an Frauenberatungsstellen wenden, weil sie sich durch unseren niederschwelligen, ganzheitlichen und frauenspezifischen Zugang bestmöglich beraten fühlen.

 

 

Sensibilisierung als Ansatzpunkt für die Beseitigung von Diskriminierung

 

Ein weiterer Ansatzpunkt ist für uns eine breit angelegte Kampagne der zuständigen Ministerin/nen, in der auf die Wichtigkeit der juristischen Beratung sowie auf die Möglichkeit der kostenlosen Rechtsberatung u.a. in Frauen- und Familienberatungsstellen hingewiesen wird.

 

Weiters finden wir es nach wie vor als Auftrag des Gerichts, die rechtliche Aufklärung vorzunehmen und in mündlicher und schriftlicher Form über geeignete (vor allem auch kostenlose) Beratungsangebote hinzuweisen.

 

Damit einhergehend bedarf es natürlich, wie bereits oben beschrieben, einer Aufstockung der finanziellen Mittel für die genannten Beratungseinrichtungen.

 

Auch die Erstellung einer Broschüre mit ausreichenden juristischen Informationen zum Thema Rechte und Pflichten einer Ehe, getrennte Wohnsitznahme, Unterhaltspflichten während aufrechter Ehe, rechtliche Aspekte einer Scheidung, etc., die Paaren im Zuge der Eheschließung ausgehändigt wird, halten wir für eine sinnvolle Maßnahme, an der wir uns gerne beteiligen.

 

 

Psychische Belastungen vermindern die Aufnahmefähigkeit

 

Grundsätzlich unterstützen wir den Ansatz, dass Paare und hier vor allem Frauen, die in Scheidungsverfahren zum überwiegenden Teil die Benachteiligten sind, über rechtliche Grundlagen im Falle einer Scheidung informiert sind.

 

Unsere jahrzehntelangen Beratungserfahrungen zeigen aber auch, dass die Zeiten vor einer – auch einvernehmlichen – Scheidung, für alle Beteiligten sehr emotionsgeladen und psychisch belastend sind. Frauen (und auch Männer), die sich in dieser speziellen belasteten Lebenssituation befinden, sind mit einem alles umfassenden einmaligen juristischen Beratungsgespräch zumeist überfordert und verstehen oft gar nicht, was ihnen gesagt wird.

 

Daher bieten wir in den Frauenberatungsstellen vorausgehende und/oder begleitende psycho-soziale Beratung und in der Regel kurze (meist halbstündige) juristische Beratungs- und Informationsgespräche an, die bei Bedarf auch öfters in Anspruch genommen werden können. Frauen haben durch diese längerfristige Begleitung auf ihrem Weg die Möglichkeit, sich persönlich zu stärken und bei Unklarheiten auch immer wieder nachfragen zu können.

 

 

Vorhandene Ressourcen nutzen

 

Zum Abschluss möchten wir nochmals festhalten -  wir halten es aus all den oben beschriebenen Gründen für nicht sinnvoll, eine Beratungspflicht vor einvernehmlichen Scheidungen gesetzlich zu verankern.

Viele Frauen- und Familienberatungsstellen bieten kostenlose qualitativ hochwertige juristische Beratung an. Es macht keinen Sinn, Frauen, die sich aus eigenem Interesse rechtzeitig informieren, zu einer weiteren Beratung zu verpflichten.

 

Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage nach unseren unentgeltlichen begleitenden  Beratungsangeboten im Zuge der laufenden Diskussionen jedenfalls stark steigen wird, da unser Unterstützungssystem niederschwellig, professionell und erfolgreich ist. Dafür braucht es aber eine bessere finanzielle Ausstattung der Frauenberatungsstellen, denn wir sehen es auch als Verantwortung des Staates, dass es zu diesem Thema sowie auch zu anderen Gesetzen von der öffentlichen Hand finanzierte juristische Beratungsangebote gibt.

 

In diesem Sinne ist auch das Justizministerium gefordert, einen finanziellen Beitrag zu diesem immens wichtigen Arbeitsbereich in Frauenberatungsstellen zu leisten und wir ersuchen mit dieser Stellungnahme auch um einen diesbezüglichen Gesprächstermin gemeinsam mit den Bundesministerinnen Berger, Kdolsky und Silhavy.