Zu den oben genannten Entwürfen wird seitens des Landes Tirol wie folgt Stellung genommen:
Der Entwurf einer Novelle zum BPGG verfolgt – neben anderen Anpassungen – zwei wesentliche Zielsetzungen. Einerseits soll damit eine einmalige Erhöhung des Pflegegeldes erfolgen, andererseits wird damit der Forderung Rechnung getragen, die derzeit unbefriedigende Situation bei der Pflegegeldeinstufung von Kindern und Jugendlichen sowie bei dementen Personen zu verbessern bzw. eine den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechende Einstufung zu ermöglichen. Diesen Zielsetzungen, die sich im Wesentlichen auch mit diesbezüglichen Grundsatzbeschlüssen des Tiroler Landtages decken, wird grundsätzlich zugestimmt.
Zu einzelnen Bestimmungen der BPGG-Novelle wird Folgendes bemerkt:
Zu Z. 1 (§ 4 Abs. 3 bis 7 BPGG) in Verbindung mit der Einstufungsverordnung:
Hinsichtlich einzelner Aspekte der vorgeschlagenen Regelungen betreffend die Einstufung von Kindern und Jugendlichen sowie von Personen mit einer schweren geistigen oder psychischen Behinderung werden folgende Konkretisierungen bzw. Änderungen angeregt.
a) Zur unscharfen Definition von „schwerstbehinderten“ Kindern und Jugendlichen sowie von Personen mit einer „schweren geistigen oder schweren psychischen Behinderung“
Die neuen Abs. 3 und 4 sehen eine Berücksichtigung der besonderen Intensität der Pflege bei „schwerst behinderter Kindern und Jugendlichen“ vor. Was unter einer solchen „Schwerstbehinderung“ zu verstehen ist, wird im vorgeschlagenen Abs. 4 näher definiert. Diese Umschreibung lässt aber selbst zahlreiche Fragen offen, sodass damit zu rechnen ist, dass beim Vollzug dieser Regelungen erhebliche Abgrenzungsprobleme zwischen „einfacher“ Behinderung, „schwerer“ Behinderung und „Schwerstbehinderung“ auftreten werden, die – insbesondere aufgrund des sich daraus ergebenden Beurteilungsspielraumes für die medizinischen Sachverständigen – auch einer einheitlichen Anwendung dieser Bestimmungen äußerst abträglich sein werden.
Dieselben Probleme sind im Zusammenhang mit der Handhabung der Begriffe einer „schweren geistigen oder schweren psychischen Behinderung“ (Abs. 5) zu erwarten.
Es wird daher angeregt, die in den vorgeschlagenen Legaldefinitionen äußerst unscharf abgegrenzten Begriffe wie „Schwerstbehinderung“, „Mehrfachbehinderung“ oder „schwere geistige oder psychische Behinderung“ näher zu definieren bzw. zumindest für den Vollzug einheitliche Standards festzulegen, was etwa in einem Konsensuspapier der jeweiligen medizinischen Fachgesellschaften erfolgen könnte.
Darüber hinaus wird es im Hinblick auf die beim Vollzug des Tiroler Pflegegeldgesetzes gemachten Erfahrungen äußerst kritisch gesehen, dass für eine „Schwerstbehinderung“ im Sinn von § 4 Abs. 3 und 4 grundsätzlich „zumindest zwei voneinander unabhängige schwere Funktionseinschränkungen“ vorliegen müssen; dies aus folgenden Gründen:
- Erstens dürfte dieses Kriterium in der Praxis schwierige Abgrenzungsprobleme dahingehend aufwerfen, wann eine Funktionseinschränkung tatsächlich unabhängig von einer anderen besteht.
- Zweitens stellt sich die Frage, warum keine Schwerstbehinderung vorliegen soll, wenn zwei Funktionsstörungen zwar schwer, aber voneinander abhängig sind. Eine sachliche Rechtfertigung für diese Differenzierung scheint nicht ersichtlich. Darüber hinaus gibt es durchaus auch einfache „schwere Behinderungen“, die die Kriterien einer erschwerenden Pflege und Betreuung erfüllen, nach der vorliegenden Regelung aber nicht berücksichtigt werden können.
- Drittens sind auch Fälle denkbar, in denen zwar keine Mehrfachbehinderung im Sinn des Entwurfs, aber eine einzelne so schwere Funktionseinschränkung vorliegt, dass dennoch von einer Schwerstbehinderung auszugehen ist (z.B. im Fall von komplexen kinderpsychiatrischen Störungen wie Autismus).
Ausgehend davon ist die vorgesehene Differenzierung zwischen Behinderten und Schwerstbehinderten auch gleichheitsrechtlich äußerst problematisch, da ein Erschwerniszuschlag nur bei Letzteren vorgesehen ist. Bei einem im Sinn des Entwurfs nicht schwerstbehinderten Kind oder Jugendlichen ist dagegen die Berücksichtigung des Mehraufwandes für die pflegeerschwerenden Faktoren der gesamten Pflegesituation selbst dann nicht möglich, wenn solche pflegeerschwerenden Faktoren tatsächlich nachgewiesen werden sollten. Eine sachliche Rechtfertigung ist dafür vorderhand nicht ersichtlich.
Alternativ könnte daher auf die Differenzierung zwischen „schwerstbehinderten“ und „behinderten“ Kindern verzichtet und die Zuerkennung eines Erschwerniszuschlages davon abhängig gemacht werden, ob bestimmte pflegeerschwerende Faktoren, wie sie etwa bei der Regelung des Erschwerniszuschlages für Personen mit einer schweren geistigen oder schweren psychischen Behinderung (Abs. 5 und 6) ausdrücklich genannt werden, vorliegen oder nicht.
b) Zur unterschiedlichen Behandlung von Personen mit einer Behinderung bis zum und ab dem 15. Lebensjahr
Ein weiteres Problem wird darin gesehen, dass die vorgeschlagenen relativ großzügigen Maßstäbe für die Bemessung des Erschwerniszuschlages bei der Einstufung von schwerstbehinderten Kindern und Jugendlichen (die im Novellierungsvorschlag für die Einstufungsverordnung vorgesehenen fixen Zeitwerte von 50 bzw. 75 Stunden monatlich und die zusätzlich mögliche Berücksichtigung eines Zeitwerts für Mobilitätshilfe im weiteren Sinn von bis zu 50 Stunden monatlich dürften zu einer deutlichen Höherstufung von schwerstbehinderten Kindern und Jugendlichen führen) nach Erreichen dieser Altersgrenze nicht mehr anzuwenden sind. Trotz Wegfalls der generellen Einschränkung der Berücksichtigung nur des über die Pflege gleichaltriger nicht behinderter Personen hinausgehenden Pflegebedarfs wird dies in zahlreichen Fällen zu Abstufungen führen, obwohl sich an der Situation des Pflegebedürftigen nichts geändert hat. Eine sachliche Rechtfertigung dieser Konsequenz ist zumindest zweifelhaft.
Darüber hinaus ist es aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbar, warum der Erschwerniszuschlag bei Kindern und Jugendlichen mit einer Schwerstbehinderung bis zum 15. Lebensjahr um ein Vielfaches höher bemessen wird als bei über 15jährigen Personen mit einer schweren geistigen oder schweren psychischen Behinderung (Erschwerniszuschlag lediglich von 30 Stunden), obwohl in der Praxis regelmäßig von sehr ähnlichen Pflegeanforderungen und damit einer praktisch gleichen Belastungssituation für die Pflegepersonen auszugehen sein wird. Eine sachliche Rechtfertigung für diese mit der vorgeschlagenen Neuregelung verbundene Differenzierung ist nicht ersichtlich.
Zu Z. 3 (§ 13 Abs. 1 BPGG):
Gegen die vorgeschlagene Ergänzung der Bestimmung betreffend eine explizite Verpflichtung der genannten Kostenträger zur Verständigung des jeweiligen Entscheidungsträgers besteht grundsätzlich kein Einwand.
Durch die im § 13 Abs. 1 vorgesehene Begrenzung des Anspruchsübergangs auf 80 v.H. bei gleichzeitigem Ruhen des darüber hinausgehenden Pflegegeldanspruchs erhöht sich jedoch in der Praxis der Anteil an ungedeckten Heimkosten, was zu Einsparungen des Bundes bei der Auszahlung des Pflegegeldes zu Lasten der jeweiligen Kostenträger führt.
Eine sachliche Rechtfertigung für eine Begrenzung des Anspruchsübergangs auf 80 v.H. ist jedoch nicht ersichtlich, zumal dem Interesse der Vermeidung eines Übergenusses ohnehin durch dessen Begrenzung auf die Höhe der Verpflegskosten Rechnung getragen wird.
Aufgrund der damit verbundenen negativen finanziellen Auswirkungen
für die Länder und Gemeinden wird diese Bestimmung daher in ihrer
derzeitigen Form abgelehnt und angeregt, den Anspruchsübergang bis zu dem
sich nach Abzug des dem Pflegebedürftigen zu verbleibenden Taschengeldes jeweils
ergebenden Betrag zuzulassen.
Eine Ausfertigung dieser Stellungnahme wird unter einem auch dem Präsidium des Nationalrates übermittelt.
Für die Landesregierung:
Dr. Liener
Landesamtsdirektor