An das

Bundesministerium für Soziales

und Konsumentenschutz

 

1014 Wien                                                                                        Graz, 7. Juli 2008

 

 

 

GZ: BMSK-40101/0011-IV/4/2008

 

 

Sehr geehrter Herr Bundesminister Buchinger,

sehr geehrte Damen und Herren!

 

 

Zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Bundespflegegeldgesetz (BPGG) geändert wird, sowie einer Verordnung des Bundesministers für Soziales und Konsumentenschutz, mit der die Verordnung über die Beurteilung des Pflegebedarfes nach dem Bundespflegegeldgesetz (Einstufungsverordnung zum Bundespflege­geldgesetz - EinstV) geändert wird

nehmen die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs wie folgt Stellung:

 

 

 

Novelle Bundespflegegeldgesetz (BPGG):

 

Allgemeines:

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften begrüßen grundsätzlich die Intention des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz mit dem vorliegenden Entwurf Verbesserung der Pflegegeldeinstufung für Kinder und Jugendliche, Erwachsene mit intellektueller Behinderung sowie für demenziell erkrankte Personen berücksichtigen zu wollen.

 

Aus Sicht der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs erscheint dies aber nur zum Teil geglückt. Der vorgelegte Entwurf bedarf in einigen Punkten einer Nachbesserung, worauf wir im Folgenden näher eingehen möchten.

 

Ad § 4 Abs. 3 BPGG:

§ 4 Abs. 3 sieht eine pauschale Abgeltung für den erweiterten Pflegebedarf von schwerst behinderten Kindern und Jugendlichen vor. Die „schwerste Behinderung“ wird im Abs. 4 derart definiert, dass „zumindest zwei voneinander unabhängige schwere Funktionseinschränkungen vorliegen müssen“. Die Erläuterungen verlangen zusätzlich noch, dass diese Funktions­einschränkungen „in ihrem Zusammenwirken die Pflegesituation gesamtheitlich betrachtet erheblich erschweren“.


 

 

Kinder und Jugendliche – ungleich schwer behindert?

Dieser Versuch einer Definition von „schwerstbehindert“ schafft neue Abgrenzungsprobleme, führt eine neue Kategorie von behinderten Menschen ein und lässt Raum für unterschiedlichste Interpretationen zu. Dadurch kommt es zu einer Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung, die nicht nachvollziehbar ist. Es kann in Einzelfällen durchaus sein, dass eine einzige Funktionseinschränkung bereits einen derartigen Schweregrad erreicht, dass ein Erschwerniszuschlag nach § 4 Abs. 3 gerechtfertigt erscheint.

 

Auch die Formulierung „voneinander unabhängige schwere Funktionseinschränkungen“ erscheint aufklärungsbedürftig und könnte bei restriktiver Beurteilung zu unnötigen Härten
bei der Einstufung führen und letztlich den an sich positiven Grundgedanken des § 4 konterkarieren.

 

 

Nicht-schwer behindert und doch rund-um-pflegebedürftig

Es ist nicht nachvollziehbar, dass nur die Mängel bei der Beurteilung von schwer mehrfachbehinderten Kindern und Jugendlichen beseitigt werden sollen. Es muss also unbedingt auch eine Lösung gefunden werden, damit Kinder, die nicht als schwerbehindert eingestuft werden, aber dennoch, etwa aufgrund ihrer intellektuellen oder anderer Behinderungen wie z. B. ADHS, einen hohen Betreuungsaufwand zur Vermeidung von gesundheitlichen Schäden und Verletzungen benötigen, einen ihren Bedürfnissen entsprechenden Pflegegeldanspruch erhalten.

 

Die einseitige Forderung nach Verbesserungen für schwerst behinderte Kinder und Jugendliche darf nicht dazu führen, die bestehende Unzulänglichkeit pflegegeldrechtlicher Bestimmungen zu prolongieren.

 

 

Individuelle Begutachtung, standardisierte Begutachtungsverfahren

Daher fordern die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs die umfassende Beurteilung des Pflegeaufwandes für behinderte Kinder und Jugendliche

 

Es muss eine standardisierte Begutachtungspraxis geschaffen werden. Wir fordern ein objektivierendes Begutachtungsverfahren, das standardisiert und auf Zuverlässigkeit und Validität hin geprüft ist. Dazu gehört die Einrichtung einer eigenen Sachverständigenliste im Verwaltungsverfahren (analog den gerichtlich beeideten Sachverständigen) einschließlich eines verpflichtenden Aus- und Fortbildungscurriculums für die eingetragenen Sachverständigen, sowie eine Begutachtungsleitlinie zur Qualitätssicherung.

 

Auch bei Kindern, die nicht schwer mehrfachbehindert sind, ist in jedem Fall zu prüfen, ob zusätzliche Stunden für einen erhöhten Pflegeaufwand anfallen und sind diese bei Vorliegen der Voraussetzungen auch zu berücksichtigen.

 


 

 

Ad § 4 Abs. 5 BPGG:

Mit dieser Bestimmung geht eine jahrelange Forderung der Lebenshilfe auf Berücksichtigung der erforderlichen intensiveren Betreuung von Jugendlichen oder Erwachsenen mit intellektueller Behinderung bei der Pflegegeldeinstufung in Erfüllung.

Leider wird diese an sich positive Regelung durch Abs. 6 wieder relativiert.

 

 

Ad § 4 Abs. 6 BPGG:

§ 4 Abs. 6 führt aus, dass pflegeerschwerende Faktoren nur dann vorliegen, wenn sich Defizite der Orientierung, des Antriebes, des Denkens, der planerischen und praktischen Umsetzung von Handlungen, der sozialen Funktion und der emotionalen Kontrolle in Summe als schwere Verhaltensstörungen äußern.

Insbesondere die Formulierung „in Summe“ lässt den Verdacht aufkommen, dass ein Erschwerniszuschlag nach § 4 Abs. 5 nur dann in Frage kommt, wenn sämtliche in Abs. 6 genannten Defizite kumulativ vorhanden sind.

Eine derartige Interpretation würde dazu führen, dass nur sehr wenige Personen „in den Genuss“ des Erschwerniszuschlages kommen würden. Insbesondere Menschen mit einer leichten intellektuellen Behinderung aber mit schweren Verhaltensauffälligkeiten sind von dieser Bestimmung nicht erfasst. Es sollte daher eine Formulierung getroffen werden, die weiter gefasst ist.

 

In Zukunft werden auch bei Menschen mit intellektueller Behinderung die demenziellen Erkrankungen zunehmen. Demenz muss auch bei Menschen mit intellektueller Behinderung
als eigenständige Krankheit diagnostiziert werden. Damit dies in der Praxis bei der Pflegegeldeinstufung entsprechend berücksichtigt wird, ist eine hohe Kompetenz der Sachverständigen in der Begutachtung Vorraussetzung.

 

 

Ad § 5 BPGG:

In Zusammenhang mit der beabsichtigten generellen Anhebung der Pflegegeldbeträge
um 5% weisen wir darauf hin, dass das Pflegegeld seit seiner Einführung 1993 nur zweimal valorisiert wurde und daher ein weitaus höherer Kaufkraftverlust entstanden ist, als die vorgesehenen 5 %. Angesichts dieser Situation wäre es nur recht und billig, das Pflegegeld zumindest in jenem Maße zu erhöhen, dass der bisher erlittene Kaufkraftverlust ausgeglichen wird. Wünschenswert wäre, dass zumindest der Anteil am BIP des Jahres 1994 auch im Jahr 2008 gehalten werden soll. Dies könnte mittelfristig auch dadurch erreicht werden, dass das Pflegegeld endlich mit der seit vielen Jahren auch immer wieder zugesagten dauerhaften Valorisierung ausgestattet werden würde. Ausgehend von einer jährlichen Inflation von derzeit über 3 % käme es sonst am Ende der Legislaturperiode zu einem weiteren Wertverlust. Im Gesetzesvorschlag sollte somit eine an die Inflationsrate gebundene automatische jährliche Erhöhung festgelegt werden.

 

 

Ad § 13 BPGG:

Diese Regelung ist insofern zu begrüßen als dadurch eine schnellere Abwicklung der Kostenteilung zwischen einem Bundesland als Kostenträger und einem Einrichtungsträger gesichert wird.


 

 

 

Ad § 21a BPGG:

Wir sehen positiv, dass es diese Möglichkeiten nun auch für Angehörige, die einen pflegebedürftigen Minderjährigen pflegen, geben soll.

Das Problem dabei ist allerdings, dass es in einigen Bundesländern keine geeigneten Einrichtungen gibt bzw. generell zu wenige Kurzzeitplätze für Minderjährige vorhanden sind.
Ein weiteres Problem stellt sich für volljährige Menschen mit intellektueller Behinderung, die auf Grund der bisherigen Pflegegeldeinstufungen nicht über die Stufe 2 hinauskamen und deren Angehörige (Eltern) schon älter sind. Auch diese Angehörigen benötigen dringend eine (auch finanzielle) Entlastung. Diese ist aber durch die Einschränkung ab der Pflegegeldstufe 3 nicht möglich. Für diese Angehörigen bringt daher die vorgeschlagene Änderung keine Verbesserung. Auch scheint diese Ungleichbehandlung der unter lit. a angeführten Personen gegenüber jenen zu lit. b und c nicht sachlich gerechtfertigt.

Daher fordern die Kinder- und Jugendanwaltschaften, dass es diese Zuwendungen aus dem Unterstützungsfonds generell ab der Pflegestufe 1 geben soll.

 

Es sollte darauf geachtet werden, dass zeitgleich mit der Änderung im Bundespflegegeldgesetz

auch die Landespflegegeldgesetze analog novelliert werden.

 

 

 

Ad § 22 BPGG:

Die Reduzierung der Zahl der Entscheidungsträger ist zu begrüßen, diese Maßnahme dient unter anderem auch der Übersichtlichkeit.

 

 

 

Ad § 48a BPGG:

Diese Regelung bedeutet, dass alle Betroffenen bis zum 30. April 2009 einen Antrag auf Erhöhung des Pflegegeldes stellen müssen, damit sie das eventuell höhere Pflegegeld rückwirkend mit Jahresbeginn erhalten. Wir fordern daher, dass sämtliche PflegegeldbezieherInnen rechtzeitig von den auszahlenden Stellen informiert werden.

 

 

 

Sonstiges:

Ad § 7 BPGG:

Derzeit wird auf Grund der Bestimmungen der Anrechnung von anderen pflegebezogenen Leistungen beim Bezug der erhöhten Familienbeihilfe das Pflegegeld um 60 Euro reduziert.

Die Empfänger der erhöhten Familienbeihilfe bzw. des Pflegegeldes sind aber nicht identisch. Während die erhöhte Familienbeihilfe in der Regel den Eltern zusteht, gebührt das Pflegegeld dem Menschen mit Behinderung. Bei Minderjährigkeit der pflegebedürftigen Person wird das Pflegegeld von dessen gesetzlichem Vertreter verwaltet. Es handelt sich daher um keine kongruenten Leistungen.

 

Da die erhöhte Familienbeihilfe auch für viele andere Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Behinderung (Therapien, Selbstbehalte, Fahrtkosten usw.) verwendet werden muss, fordern die Kinder- und Jugendanwaltschaften, diese Anrechnung fallen zu lassen.

 


 

 

 

Ad § 12 BPGG

Gemäß Abs. 1 tritt bei stationärer Krankenbehandlung, Rehabilitation und Kur das Ruhen des Pflegegeldes zur Gänze ein. Den Betroffenen verbleibt damit aber auch kein (Teil des) Pflegegeld(es) in Form von Taschengeld. Dies stellt insbesondere für Menschen mit intellektueller Behinderung eine soziale Härte dar, da viele über keine nennenswerten sonstigen Einkünfte verfügen und daher auch bei stationärem Aufenthalt in einer Krankenanstalt, etc. zur Deckung des durch die Einrichtung nicht abgedeckten Pflegemehraufwandes auf das Pflegegeld zumindest in Höhe eines Taschengeldes angewiesen sind. Daher fordern wir das Taschengeld vom Pflegegeld von den Ruhensbestimmungen auszunehmen.

 

 

Ad § 13 BPGG:

Die 1996 im Zuge einer Novellierung des Bundespflegegeldgesetzes erfolgte Halbierung des Taschengeldes sollte wieder rückgängig gemacht werden und während des Anspruchs­überganges auf einen öffentlichen Kostenträger der pflegebedürftigen Person wieder 20 % des Pflegegeldes der Stufe 3 als Taschengeld verbleiben.

Das Pflegegeld ist ein pauschalierter Eratz für die pflegebedingten Mehraufwendungen. Mit 42 Euro pro Monat ist es aber gänzlich unmöglich, den durch die Einrichtungen nicht abgedeckten Pflegemehraufwand auch nur annähernd abzudecken.

 

 

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften regen außerdem an die Auswirkungen dieser Pflegegeldnovelle nach einem überschaubaren Zeitraum zu evaluieren, um feststellen zu können, ob die beabsichtigten Zielsetzungen damit tatsächlich erreicht wurden.

 

Des weiteren sollte darauf geachtet werden, dass zeitgleich mit der Novellierung des Bundespflegegeldgesetzes auch die Landespflegegeldgesetze analog abgeändert werden.

 

 

 

Novelle Einstufungsverordnung (EinstV):

 

 

Ad § 1 Abs. 5 EinstV:

Die Pflegegeldeinstufung bzw. die Begutachtung muss für alle Kinder und Jugendliche mit Behinderung verbessert werden, nicht nur für schwerst mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche!

 

Für Kinder und Jugendliche aus der Steiermark sieht die am 30.10.2007 in Kraft getretene Einstufungsverordnung LGBl Nr. 90 v. 30.10.2007 in §1 Abs.4 zur Abdeckung des Mehraufwandes der Pflege für mehrfach behinderte Kinder bis zum vollendeten 5. Lebensjahr einen zusätzlichen Rahmen von bis zu 75 Stunden monatlich vor. Der vorliegende Entwurf sieht daher eine Ungleichbehandlung von steirischen Kindern bis zum vollendeten 5. Lebensjahr, die Pflegegeldansprüche nach den bundesgesetzlichen Normen beanspruchen vor, indem diese eine sachlich nicht gerechtfertigte Einschränkung von bis 25 Stunden monatlich hinzunehmen haben.

Wir fordern daher die Einführung von einheitlichen Begutachtungskriterien und die Begutachtung durch entsprechende Fachleute.


 

 

Ad § 1 Abs. 6 EinstV:

Die vorgesehenen gesetzlichen Veränderungen machen es notwendig, dass Jugendliche mit Behinderung vor Vollendung des 15. Lebensjahrs bzw. deren gesetzlicher Vertreter umfassend über die erforderliche Antragstellung von den Pflegegeld auszahlenden Stellen informiert werden. Dass diese Informationen auch frühzeitig und umfassend an die zuständigen Personen herangetragen werden, dafür ist Sorge zu tragen.

 

 

Ad § 2 EinstV:

Die Hintergründe für diesen neuen Zeitwert werden in den Erläuterungen genau angeführt. Mobilitätshilfe im weiteren Sinn ist aber für Menschen mit intellektueller Behinderung in jedem Alter erforderlich etwa für Behördenwege, Bankenwege, Arzt- und Therapeutenbesuche, kulturelle Veranstaltungen, etc.

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreich fordern daher, dass die Altersbegrenzung für die Berücksichtigung der Mobilitätshilfe im weiteren Sinn im Ausmaß bis zu 50 Stunden monatlich entfällt.

 

 

 

Die Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreich ersuchen dringend,

diese Forderungen zu berücksichtigen und

freuen sich auf ein neues Pflegegeldgesetz,

dass die Prinzipien der UN-Kinderrechtekonvention

auf bestmöglichen Schutz, umfassende Versorgung und größtmögliche Teilhabe

ausreichend erfüllt.

 

 

 

christian theiss

im Namen der Kinder- und Jugendanwaltschaften Österreichs