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Amt der Wiener Landesregierung
Dienststelle: Magistratsdirektion
Geschäftsbereich Recht
Verfassungsdienst und
EU-Angelegenheiten
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MD-VD - 1125-1/08 Wien, 3. September 2008
Entwurf eines Bundesgesetzes, mit
dem die Jurisdiktionsnorm, das Ein-
führungsgesetz zur Zivilprozessord-
nung, die Zivilprozessordnung, das
Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das
Außerstreitgesetz, das Gerichtsorgani-
sationsgesetz, das Rechtspflegerge-
setz und das Gerichtsgebührengesetz
geändert werden (Zivilverfahrens-
Novelle 2008 - ZVN 2008);
Begutachtung;
Stellungnahme
zu BMJ-B11.106/0002-I 8/2008
An das
Bundesministerium für Justiz
Zu dem mit Schreiben vom 26. Juni 2008 übermittelten Entwurf eines Bundesgesetzes wird nach Anhörung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien wie folgt Stellung genommen:
Zu Art. III Z 8 (§ 106 der Zivilprozessordnung - ZPO):
Der Entfall der Eigenhandzustellung von Klagen ist offenbar größtenteils nur aus budgetären Gründen vorgesehen. Die Umstellung von RSa auf RSb erscheint jedoch rechtsstaatlich bedenklich, weil dadurch z. B. das Recht auf Gehör, auf die Privatsphäre, auf Wahrung des Briefgeheimnisses beeinträchtigt werden können.
Dem Argument der Erläuterungen, der Wechsel von RSa auf RSb sei kein maßgeblicher Verlust an Empfängerschutz bzw. Rechtssicherheit, ist folgendes zu entgegnen:
§ 17 Abs. 2 des Zustellgesetzes - ZustG sieht bei Hinterlegung entgegen den Ausführungen in den Erläuterungen nicht vor, dass die Hinterlegungsanzeige einem Ersatzempfänger „ausgehändigt“ wird.
Die Entfernung der Benachrichtigung über die Hinterlegung des Poststückes durch einen Dritten kann im Falle einer RSa-Zustellung zwar die Folge haben, dass dieser Dritte die Hinterlegungsanzeige nicht dem Empfänger übergibt oder ihren Verlust dem Empfänger zu melden vergisst, was dem Empfänger jedoch immer noch die Chance lässt, am Postamt auf die hinterlegte Sendung aufmerksam gemacht zu werden. Selbständige bzw. Bevollmächtigte von Unternehmen kommen regelmäßig aufs Postamt. Diese Möglichkeit besteht jedoch nicht mehr, wenn der Ersatzempfänger einer RSb-Sendung das Poststück nicht übergibt.
Stummvoll bezeichnet in Fasching/Konecny, 2. Auflage, II. Band, 2. Teilband, S. 456, die Eigenhandzustellung als „rechtspolitisch jedenfalls zu fordern“ - Zitat:
„... Alle diese Zustellungen verfahrenseinleitender Schriftsätze sind in der Regel mit Säumnis- und Präklusionsfristen verbunden oder haben unmittelbare Rechtswirkungen für Parteien und Beteiligte im Gefolge. Nur die Eigenhandzustellung eröffnet die hier nötige qualifizierte Möglichkeit rechtlichen Gehörs. Das Gesetz trägt diesen Überlegungen (u. a.) im Falle der Klagen (§ 106 ZPO) Rechnung.“
Dem Argument der Erläuterungen, dass „auch vergleichbare Staaten wie die Schweiz oder Deutschland im Bereich der zivilrechtlichen Klagen keine zwingende Eigenhandzustellung kennen“ ist zu entgegnen, dass es nicht Zielsetzung sein sollte, ein in Österreich bestehendes höheres Schutzniveau an ein Niedrigeres anzupassen.
Dem Hinweis der Erläuterungen auf kritische Einwände eines Kommentators (Gischtaler in Rechberger) über „Probleme bei Zustellungen im Rechtshilfeweg“, ist mit Stummvoll (in Fasching, a.a.O., Rz 4 zu § 106 ZPO) zu entgegnen: das „Problem“ sei dadurch zu lösen, dass das Gericht auf den Rückschein „einfach einen deutlichen Beisatz“ notiert, in dem „um eigenhändige Zustellung ersucht wird“.
Die Gerichtsbarkeit stellt eine derart sensible Kernkompetenz des Rechtsstaates dar, dass in diesem Bereich selbst die Gefahr einer geringen Einbuße an Rechtssicherheit bei verfahrenseinleitenden Schriftsätzen nicht in Kauf genommen werden sollte.
Außerdem ist zu bedenken, dass bezüglich der errechneten Einsparung von rund 2,4 Millionen Euro für das Jahr 2007 nicht berücksichtigt wurde, dass ab 2011 infolge des Wegfalls des Briefmonopols die Portokosten voraussichtlich sinken werden. Zumindest dieser Zeitpunkt sollte abgewartet werden, um anschließend den reduzierten Empfängerschutz gegen die tatsächlich damit verbundene Ersparnis abzuwägen.
Weiters ist zu bedenken, dass die Gerichte bei Entfall der Eigenhandzustellung von Klagen infolge schädigenden Verhaltens Dritter mit einer Zunahme von Schadenersatzklagen rechnen müssen.
Zu Art. III Z 16 und 17 (§§ 521 Abs. 1 und 521a ZPO):
Diese Neuregelungen sind zu begrüßen, wobei an erster Stelle die übersichtliche Neuregelung des Rekursrechtes als durchwegs zweiseitiges Verfahren zu nennen ist. Unreformiert blieb jedoch die grundsätzlich 14-tägige Frist, von der bloß in allerwichtigsten Fällen Ausnahmen bestehen. Die Ausnahmefrist von vier Wochen sollte jedoch die Regelfrist sein, zumal in den Erläuterungen selbst zugestanden wird, dass es „durchaus problematisch erscheint, unterschiedlich lange Fristen für die Bekämpfung von Beschlüssen vorzusehen“.
Ohne im Mindesten zu übersehen, dass der Gesetzgeber seit der Zivilverfahrensnovelle 2002 die „Prozessbeschleunigung“ forciert, muss gefordert werden, dieses Verfahrensziel wie bisher nicht bei Rechtsmittelfristen, sondern weiterhin durch Rationalisierung der Verhandlungsabläufe zu verfolgen und auch noch nach anderen Einsparungspotenzialen (wie etwa kurze „Maximalintervalle“ zwischen einzelnen Tagsatzungen ein und desselben Verfahrens, kürzere Wartezeiten auf Sachverständigengutachten durch Erweiterung der Sachverständigenliste etc.) zu suchen.
Überdies wurden durch die Zivilverfahrensnovelle 2002 den Parteien und Parteienvertretern derart viele Beschleunigungsmaßnahmen bzw. Verhaltensmaßregeln aufgebürdet, dass kaum mehr die Gefahr einer Verfahrensverschleppung besteht und sohin eine generelle Verlängerung der Rekursfrist möglich sein sollte.
Längere Fristen sind bei anspruchsvolleren und daher zeitraubenderen Schriftsatzentwürfen gerechtfertigt. Hiezu kommt noch, dass der Gesetzgeber im Zuge der Zivilprozessnovelle 2002 neben dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung auch jenes der Vereinheitlichung der Rechtsmittelfristen verfolgte. Damals wurde sogar die Frist für den Einspruch gegen bezirksgerichtliche Zahlungsbefehle („Ich erhebe Einspruch“) auf vier Wochen verlängert und zwar nur, um die Vereinheitlichung mit der Einspruchsfrist im Verfahren gegen die Zahlungsbefehle im Gerichtshofsverfahren zu erreichen. Konsequenterweise sollte der Gesetzgeber nun auch bei den Rekursfristen das Ziel der Vereinheitlichung der Fristen weiter verfolgen, dies auch im Hinblick darauf, dass uneinheitliche Fristen geeignet sind, den Zugang zum Recht zu erschweren.
Für den Landesamtsdirektor:
Mag. Heinz Liebert Mag. Michael Raffler
Senatsrat
Ergeht an:
1. Präsidium des Nationalrates
2. alle Ämter der Landes-
regierungen
3. Verbindungsstelle der
Bundesländer
4. MDZ
(zu MDZ - 1749/2008 Hej)
(zu MA 1 - 432/2008)
6. MA 2
(zu MA 2/338/2008)
7. MA 6
(zu MA 6 - R+0413)
8. MA 11
(zu MA 11 - 1095/2008)
9. MA 40
(zu MA 40-FBSR 10837/08)
(zu MA 50 - Mi 7806/08)
(zu MA 60 - 002039/2008/0002)
(zu WW - DR 45767/2008/DR/Dj)
(zu LEG 552/2008)
14. KAV - Stabsstelle Recht
15. Wiener Stadtwerke Holding AG, Rechtsabteilung