GZ ● BKA-601.650/0001-V/5/2008

Abteilungsmail v@bka.gv.at

bearbeiter Herr MMag Dr Patrick SEGALLA

Pers. E-mail patrick.segalla@bka.gv.at

Telefon 01/53115/2353

Ihr Zeichen BMJ-B11.106/0002-I 8/2008

An das

Bundesministerium für

Justiz

 

Mit E-Mail: kzl.b@bmj.gv.at

 

 

Antwort bitte unter Anführung der GZ an die Abteilungsmail

 

 

Betrifft:  Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Jurisdiktionsnorm, das Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung, die Zivilprozessordnung, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Außerstreitgesetz, das Gerichtsorganisationsgesetz, das Rechtspflegergesetz und das Gerichtsgebührengesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2008 – ZVN 2008);

Begutachtung; Stellungnahme

 

 

Zum mit der do. oz. Note übermittelten Gesetzesentwurf samt Beilagen nimmt das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst wie folgt Stellung:

I. Allgemeines:

Zu legistischen Fragen darf allgemein auf die Internet-Adresse http://www.bundeskanzleramt.at/legistik hingewiesen werden, unter der insbesondere

·      die Legistischen Richtlinien 1990 (im Folgenden zitiert mit „LRL …“),

·      das EU-Addendum zu den Legistischen Richtlinien 1990 (im Folgenden zitiert mit „RZ .. des EU-Addendums“),

·      der ‑ für die Gestaltung von Erläuterungen weiterhin maßgebliche ‑ Teil IV der Legistischen Richtlinien 1979,

·      die Richtlinien für die Verarbeitung und die Gestaltung von Rechtstexten (Layout-Richtlinien) und

·      verschiedene, legistische Fragen betreffende Rundschreiben des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst

zugänglich sind.

Die Gemeinschaftsrechtskonformität des im Entwurf vorliegenden Bundesgesetzes ist vornehmlich vom do. Bundesministerium zu beurteilen.

II. Zum Gesetzesentwurf:

Zur Legistik:

Bezüglich der Überschriften der einzelnen Artikel wird in Fällen, in denen mehr als eine Bestimmung betroffen ist, nicht einheitlich nur von „Änderung“ (in der Einzahl, siehe etwa Art. I und III) oder von „Änderungen“ (in der Mehrzahl, siehe etwa Art. IV und V) gesprochen. Dies sollte vereinheitlicht werden; im Sinne der allgemeinen legistischen Praxis wäre der Begriff „Änderung“ (in der Einzahl) vorzuziehen.

Es würde der legistischen Praxis entsprechen, Novellierungsanordnungen durchgehend zu nummerieren und nicht mit Buchstabenbezeichnungen zu untergliedern, wie dies beispielsweise in Art. III und IV des Entwurfs geschieht. Dies hätte auch den Vorteil der leichteren Zitierbarkeit der Novellierungsanordnungen, während die in Teilen des Entwurfes gewählte Art der Bezeichnung trotz der zusammenhängenden Bezeichnung von Novellierungsanordnungen, die die gleiche Bestimmung im Stammgesetz betreffen, letztlich keine Vorteile mit sich bringt, weil die einzelnen, eine Bestimmung betreffenden Novellierungsanordnungen dennoch voneinander unabhängig bleiben.

Zu Artikel III (Änderung der Zivilprozessordnung):

Zu Z 8 (§ 98):

Der vorgeschlagene § 98 Abs. 2 ZPO ist gemeinschaftsrechtlich bedenklich: Die hier maßgebliche Frage, ob die Verpflichtung zur Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten (bzw. das Erfordernis einer Abgabestelle im Inland) dem Gemeinschaftsrecht entspricht, ist Gegenstand der vor dem Europäischen Gerichtshof anhängigen Rechtssache C-564/07 betreffend ua. § 21 Abs. 4 des Patentgesetzes, BGBl. Nr. 259/1970. Da mit einem Schlussantrag des Generalanwalts in diesem Vertragsverletzungsverfahrens innerhalb der nächsten sechs Monate und mit einer Entscheidung durch den Gerichtshof innerhalb eines weiteren halben Jahres gerechnet werden kann, erscheint es kaum zweckmäßig, eine zustellrechtliche Regelung zu treffen, die sich womöglich wenige Monate nach ihrem Inkrafttreten als gemeinschaftsrechtswidrig erweist. Stattdessen sollte zunächst der Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens abgewartet werden.

Zu Z 18 (§ 548):

Es wird auf die falsche Schreibweise der Abkürzung „ABl.“ (im Text: „Abl.“) in Abs. 1 sowie auf den fehlenden zweiten Gedankenstrich in Abs. 2 (nach der Wortfolge „außer im Fall des Art. 5 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 861/2007“) hingewiesen.

In Bezug auf das Europäische Bagatellverfahren gemäß der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 führen die Erläuterungen aus, dass die Verordnung als Grundregel ein schriftliches Verfahren vorsieht. Art. 6 EMRK mit der darin geregelten Verpflichtung zu einer öffentlichen Verhandlung sieht allerdings keine generelle Bagatellausnahme vor, wenn es auch zulässig ist, unter bestimmten Voraussetzungen auf eine solche Verhandlung zu verzichten bzw. sie in bestimmten Fällen nur auf Antrag durchzuführen (vgl. Grabenwarter, EMRK3, § 24 Rz 89 ff).

Da die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 in Art. 5 Abs. 1 dem Gericht entsprechenden Spielraum einräumt, wird dieses – vermutlich schon aus gemeinschaftsgrundrechtlicher Sicht, jedenfalls aber aus Konventionssicht und (wegen der doppelten Bedingtheit innerstaatlichen Rechts durch Gemeinschafts- und Verfassungsrecht) auch aus Sicht der innerstaatlichen Grundrechte – diesen Spielraum grundrechtskonform zu nutzen haben und eine öffentliche Verhandlung jedenfalls dann durchführen müssen, wenn Art. 6 EMRK dies verlangt. Darauf sollte in den Erläuterungen hingewiesen werden.

Zu Z 20 (§ 555):

Es wird darauf hingewiesen, dass in § 555 Abs. 2 vor dem Wort „Zahlungsauftrag“ ein Artikel fehlt.

Zu Artikel V (Änderungen des Außerstreitgesetzes):

Zu Z 4 (§ 207c):

Sowohl in der Paragraphenüberschrift als auch im Text wäre im BGBl-Zitat anzugeben, dass das BGBl I gemeint ist: „BGBl I Nr. XXX/2008“. Im Text könnte weiters der Beistrich nach diesem Zitat entfallen.

Zu Artikel VI (Änderung des Gerichtsorganisationsgesetzes):

Zu Z 2 (§ 89l):

Aus den Erläuterungen geht nicht hervor, was der Mehrwert der vorgeschlagenen Bestimmung im Vergleich zum geltenden Recht (§ 26 DSG 2000, vgl. auch § 83 GOG) sein soll. Dies sollte nachgeholt werden.

Wenn dennoch die Notwendigkeit von § 89l GOG bejaht wird, wäre es erforderlich, explizit klarzustellen, dass bestehende gesetzliche Auskunftsrechte unberührt bleiben, um eine Einschränkung dieser Rechte im Vergleich zur geltenden Rechtslage zu vermeiden (so bezieht sich etwa § 89l GOG nur auf zivilgerichtliche Verfahren).

Zu Artikel IX (Inkrafttreten, Übergangsbestimmungen und Vollziehung):

Artikel IX enthält selbstständige Inkrafttretens- und Übergangsbestimmungen sowie eine Vollziehungsklausel und steht damit im Widerspruch zu LRL 66. Der Grund für das dort vorgesehene Verbot selbständiger Bestimmungen liegt unter anderem in der leichteren Lesbarkeit der Stammvorschrift, wenn diese auch alle relevanten Schlussbestimmungen enthält, sowie in der wesentlich leichteren Verarbeitung für das Rechtsinformationssystem und der einfacheren Benützung des dortigen Datenbestandes.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass Art. IX den gesamten Entwurf betrifft, wiewohl bestimmte Artikel – zB Art. IV, V und VII – dennoch getrennte Inkrafttretensregelungen enthalten, womit in Bezug auf diese Artikel eine Doppelregelung erfolgen würde. Ebenso enthalten manche der novellierten Gesetze eigene Vollziehungsregelungen (zB § 104 ASGG, § 208 AußStrG). Auch in diesem Fall wäre eine Doppelregelung zu vermeiden.

Es wäre aus Sicht des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst außerdem zu begrüßen, wenn die Gelegenheit genutzt würde, entsprechende integrierte Schlussbestimmungen auch in jene Gesetze aufzunehmen, die noch über keine solchen verfügen. Sollte davon allerdings abgesehen werden, so wäre jedenfalls der Anwendungsbereich von Art. IX auf jene Artikel der Novelle zu beschränken, bei denen die zu Grunde liegenden Stammgesetze keine solchen integrierten Schlussbestimmungen aufweisen.

III. Zu Vorblatt, Erläuterungen und Textgegenüberstellung:

Das Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst weist auf sein Rundschreiben vom 6. November 2007, GZ 600.824/0005-V/2/2007 – betreffend Legistik und Begutachtungsverfahren; Vorblatt und Erläuterungen; Darstellung der Auswirkungen von Rechtssetzungsvorhaben ‑ hin, in denen insbesondere um eine detailliertere Strukturierung der Darstellung der Auswirkungen von Rechtssetzungsvorhaben im Vorblatt ersucht wurde.

Im Allgemeinen Teil der Erläuterungen wäre auch zusammengefasst und (für Zwecke der Gestaltung des Stirnbalkens im Bundesgesetzblatt) unter Angabe der CELEX-Nummer anzugeben, welche Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaften durch das im Entwurf vorliegende Bundesgesetz umgesetzt werden sollen (vgl. das Rundschreiben des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst vom 10. Juni 1992, GZ 671.804/10-V/8/92).

Gemäß § 14 Abs. 1 BHG ist jedem Entwurf für (ua.) ein Bundesgesetz von dem Bundesminister, in dessen Wirkungsbereich der Entwurf ausgearbeitet wurde, eine den Richtlinien gemäß § 14 Abs. 5 BHG entsprechende Darstellung der finanziellen Auswirkungen anzuschließen, aus der insbesondere hervorzugehen hat, wie hoch die durch die Durchführung der vorgeschlagenen Maßnahmen voraussichtlich verursachten Ausgaben oder Einnahmen sowie Kosten oder Erlöse für den Bund im laufenden Finanzjahr und mindestens in den nächsten drei Finanzjahren zu beziffern sein werden. Eine solche Darstellung kann dem vorliegenden Entwurf nicht entnommen werden.

Auf die finanziellen Folgen einer Missachtung von Verpflichtungen nach der Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über einen Konsultationsmechanismus und einen künftigen Stabilitätspakt der Gebiets­körperschaften, BGBl. I Nr. 35/1999, muss hingewiesen werden.


Diese Stellungnahme wird im Sinne der Entschließung des Nationalrates vom 6. Juli 1961 u.e. auch dem Präsidium des Nationalrats zur Kenntnis gebracht.

 

5. September 2008

Für den Bundeskanzler:

Georg LIENBACHER

 

 

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