Wien, am 11. September 2008

 

 

 

 

Betreff: Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Jurisdiktionsnorm, das Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung, die Zivilprozessordnung, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Rechtspflegergesetz und das Gerichtsgebührengesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2008 – ZVN 2008)

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Der ÖGLB dankt für die Möglichkeit zur Teilnahme am Begutachtungsverfahren zum oben genannten Entwurf und möchte wie folgt Stellung nehmen:

Als Interessensvertretung gehörloser Menschen in Österreich begrüßen wir die geplante Novelle, da sie einen Schritt in Richtung de facto Anerkennung der Österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) darstellt.

Um dieser auch in der verwendeten Terminologie Ausdruck zu verleihen, empfehlen wir, im Titel „Gebärdensprachdolmetsch“ zu verwenden.

Weiters sollten in § 73b (1) auch sprechbehinderte Personen, sofern sie die ÖGS verstehen, berücksichtigt werden.

Die bestehende Regelung ermöglicht allerdings keine Wahlfreiheit der gehörlosen/hörbehinderten/sprechbehinderten Partei, welche Kommunikationsform sie bevorzugt (Artikel 21 UN-Konvention für behinderte Menschen). Die Wahl der Kommunikationsform ist vor jedem einzelnen Verfahren mit der betroffenen Partei abzuklären.

Daher ist eine zusätzliche Regelung für SchriftdolmetscherInnen notwendig.

Die bestehende Regelung für DolmetscherInnen in Gebärdensprache soll bestehen bleiben.

 

Darüber hinaus – und um die mit dieser Novelle intendierte tatsächliche Gleichstellung gehörloser und hörender Menschen vor Gericht sicherzustellen – muss aus unserer Sicht aber noch auf eine weitere Norm hingewiesen werden, die im vorliegenden Entwurf nicht berücksichtigt wurde: Das Bundesgesetz über die allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen und Dolmetscher (Sachverständigen- und Dolmetschergesetz – SDG).

Das SDG enthält Bestimmungen über gesprochene (Fremd-)Sprachen, allerdings nichts Explizites zur ÖGS. Die Regelungen betreffen aber auch die gerichtlich beeideten DolmetscherInnen für Gebärdensprache, die in der Liste des Österreichischen Verbandes der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher (ÖVGD) aufgeführt sind. Daher sollten diese Bestimmungen ergänzt werden.

 

à Grundsätzliche Informationen zu ÖGS-DolmetscherInnen

Beim ÖVGD sind DolmetscherInnen für Gebärdensprache registriert. RichterInnen (und auch AnwältInnen) verlassen sich vollkommen auf den ÖVGD und nominieren vor dem Verfahren – sofern eine gehörlose Partei dabei ist – eine/n DolmetscherIn für Gebärdensprache. Sie haben im Normalfall keine Zeit sich mit den Aufnahmekriterien für GebärdensprachdolmetscherInnen zu befassen.

Bei gerichtlich beeideten DolmetscherInnen für Gebärdensprache gibt es unserer Information nach KEINE schriftliche Aufnahmsprüfung (des ÖVGD) und der Status als „Native Speaker“ dient auch als positives Aufnahmekriterium. Dort gelten aber nicht unbedingt die Zeugnisse/Bestätigung des Österreichischen Gebärdensprach-DolmetscherInnen-Verbandes (ÖGSDV), um als gerichtlich beeidete/r DolmetscherIn für Gebärdensprache zugelassen zu werden.

Alle DolmetscherInnen, die von Gehörlosen verstanden werden wollen, müssen ÖGS beherrschen, sowohl aktiv als auch passiv. Da es bis vor wenigen Jahren keine Ausbildungen für ÖGS-DolmetscherInnen gab, fehlte das Bewusstsein für die nötige Qualifikation der dolmetschenden Personen. Daher haben aktive DolmetscherInnen aus ganz Österreich 1998 den ÖGSDV gegründet, eine einheitliche Berufs- und Ehrenordnung beschlossen und ein Prüfungssystem eingeführt. Bei diesen kommissionellen Berufseignungsprüfungen an der Universität Graz wurden seit 1998 insgesamt über 100 Personen geprüft, ob sie die grundsätzliche Qualifikation für den Beruf GebärdensprachdolmetscherIn besitzen. Die Absolvierung der Berufseignungsprüfung ist für viele Stellen der öffentlichen Hand Voraussetzung für die Honorarlegung, vom Sozialministerium gibt es beispielsweise eine solche Regelung bereits aus dem Jahr 1999. Alle AbsolventInnen dieser kommissionellen Berufseignungsprüfungen sind auf einer Liste des ÖGSDV geführt – darunter sind einige gerichtlich beeidete DolmetscherInnen für Gebärdensprache nicht dabei. Daher können wir zu der Qualifikation dieser gerichtlich beeideten DolmetscherInnen, die nicht in der ÖGSDV-Liste angeführt sind, keine Aussagen machen. In jedem Fall werden aber gerichtlich beeidete DolmetscherInnen für Gebärdensprache, die in der ÖVGD-Liste aufscheinen, zugelassen.

Es ist eine Tatsache, dass sich die Bildungssituation der Gehörlosen in Österreich in den letzten 15 Jahren sehr verändert hat und damit auch die von ihnen verwendete Sprache. Daher ist es für DolmetscherInnen im ÖGSDV absolute Notwendigkeit, sich laufend weiterzubilden, um den Anforderungen der gehörlosen Menschen gerecht werden zu können. Alle Mitglieder des ÖGSDV müssen nach der bestandenen Berufseignungsprüfung u.a. alle drei Jahre Weiterbildungsstunden nachweisen, damit sie die Mitgliedschaft verlängern können.

DolmetscherInnen müssen sich natürlich in ihrem Zieltext an die jeweilige Partei anpassen. Das heißt beim Dolmetschen für gehörlose Menschen, die nur einen eingeschränkten Wortschatz haben, muss sich der/die DolmetscherIn dem bestmöglich anpassen, um verständlich zu sein. Er/sie darf dabei aber NIE Informationen weglassen oder vereinfachen, kann jedoch mit seiner/ihrer Wortwahl die Verständlichkeit erhöhen. Natürlich gilt das andererseits auch für gehörlose Menschen, die ein hohes Bildungsniveau haben, wo der/die DolmetscherIn wiederum in der Lage sein muss, sich anzupassen, um vollwertige Information zur Verfügung zu stellen. Dafür ist es für DolmetscherInnen notwendig, neue ÖGS-Vokabel zu lernen. So wie auch im Deutschen neue Begriffe entstehen (z.B. Handy, Internet, ...), ist es in allen Sprachen und daher auch in der ÖGS.

Der ÖVGD gibt auf seiner Webseite[1] folgendes an:

„Weiters veranstaltet der Verband mehrmals im Jahr ein eintägiges Einführungsseminar für Eintragungswerber, in dem von einem Juristen die wichtigsten Grundlagen für die Ausübung der Tätigkeit als Gerichtsdolmetscher erläutert werden, sowie Grund- und Aufbauseminare in Dolmetsch-/Übersetzungstechniken.“

Der ÖVGD bietet Grund- und Aufbauseminare allerdings NICHT in ÖGS an, sondern bisher nur der ÖGSDV[2].

Daher empfiehlt der ÖGLB folgendes:

In der Kommission, die für die Nominierung bzw. Aufnahme in die Liste verantwortlich ist, sollte eine ÖGS-kompetente Person (beispielsweise ein Mitglied der Translationswissenschaften der Universität Graz, des ÖGSDV, des ÖGLB) vertreten sein, um DolmetscherInnen für ÖGS prüfen zu können.

Qualifiziert im Sinne dieser Regelung ist jede/r ÖGS-DolmetscherIn, die/der die positive Absolvierung der Berufseignungsprüfung nachweisen kann.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

Mag.a Helene Jarmer

Präsidentin



[1] http://www.gerichtsdolmetscher.at/deutsch/ausbildung.html

[2] Österreichischer Gebärdensprach-DolmetscherInnen-Verband