BUNDESMINISTERIUM

FÜR

EUROPÄISCHE UND INTERNATIONALE

ANGELEGENHEITEN

 

VÖLKERRECHTSBÜRO

A-1014 Wien, Minoritenplatz 8

Tel.: 0501150-0, FAX: 0501159-DW

e-mail: abti2@bmeia.gv.at

 

E-MAIL

 

GZ:

BMeiA-AT.8.15.02/230-I.2c/2008

Datum:

15. September 2008

Seiten:

3

An:

kzl.b@bmj.gv.at

Kopie

begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

Von:

Bot. Dr. H. Tichy

SB:

Ges. Dr. Loidl, Mag. Csörsz, Mag. Grosse, MMag. Dr. Wirtenberger, Ges. Wech, Mag. Köhler

DW:

3391

 

BETREFF:   Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Jurisdiktionsnorm,

                        das Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung, die

                        Zivilprozessordnung, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz,

das Außerstreitgesetz, das Gerichtsorganisationsgesetz, das

Rechtspflegergesetz und das Gerichtsgebührengesetz geändert

werden; (Zivilverfahrens-Novelle 2008 – ZVN 2008);

Stellungnahme des BMeiA

 

Zu da. GZ BMJ-B11.106/0002-I 8/2008

 

 

 

Das BMeiA nimmt zum oz. Entwurf wie folgt Stellung:

 

Die Ausweitung der Kostenübernahme von Gebärdendolmetschern für Gespräche von Personen mit Hörbehinderung mit ihrer anwaltlichen Vertretung, wie in dem Entwurf für § 73b ZPO vorgesehen, wird begrüßt.

 

Das VN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung, dessen Ratifikation mit Beschluss des Nationalrats vom 9. Juli 2008 (Beschluss des Bundesrates vom 25. Juli 2008, kein Einspruch) gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG genehmigt wurde, sieht eine weitgehende Unterstützung bei der Verwendung der Gebärdensprache vor.

 

Art. 21 des Übereinkommens (Recht der freien Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen) lautet: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Meinungsfreiheit, einschließlich der Freiheit, Informationen und Gedankengut sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben, gleichberechtigt mit anderen und durch alle von ihnen gewählten Formen der Kommunikation im Sinne des Artikels 2 ausüben können, unter anderem indem sie […] b) im Umgang mit Behörden die Verwendung von Gebärdensprachen, Brailleschrift, ergänzenden und alternativen Kommunikationsformen und allen sonstigen selbst gewählten zugänglichen Mitteln, Formen und Formaten der Kommunikation durch Menschen mit Behinderungen akzeptieren und erleichtern; […] e) die Verwendung von Gebärdensprachen anerkennen und fördern.“

 

Ebenso wird die prinzipielle Einführung eines zweiseitigen Rekurses durch Änderung von § 521 Abs. 1 und § 521a ZPO begrüßt. Wie in den Materialien erläutert, fand die Interpretation des Prinzips der Waffengleichheit in Art. 6 Abs. 1 EMRK, wie vom EGMR in der Entscheidung Beer gg. Österreich vom 6. Februar 2001 ausgeführt, bereits in der Rechtsprechung Berücksichtigung. Die Klärung der Anwendung dieses Prinzips durch eine Ausweitung des dzt. Systems wird als umsichtige Maßnahme zur Umsetzung dieser EGMR-Judikatur gesehen. Die ggst. Klärung, die nach ha. Sicht auch zur Vermeidung allf. künftiger einschlägiger Menschenrechtsbeschwerden beiträgt, wird auch im Lichte der akuten Arbeitsüberlastung des EGMR für sehr sinnvoll befunden.

 

Aus europarechtlicher Sicht ist in Verfolg der telephonischen Stellungnahme des BMeiA  am 2. September 2008 Folgendes festzuhalten:

 

Zur geplanten Bestimmung des § 98 ZPO wird auf das gegen Österreich anhängige Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/4028) hingewiesen, in welchem die Europäische Kommission der Republik Österreich vorwirft, dass die Bestimmung des § 104 Abs. 3 dritter Satz der Konkursordnung, wonach Konkursgläubiger, die im Ausland ihren Wohnsitz oder ihre Niederlassung haben, einen im Inland wohnenden Zustellungsbevollmächtigten namhaft machen müssen, widrigenfalls ihnen ein solcher auf ihre Gefahr und Kosten vom Konkursgericht zu bestellen ist, gegen Gemeinschaftsrecht (Art. 12, 28 und 49 EGV) verstoße.

 

Ob eine Bestimmung wie die hier geplante im Lichte der im zit. Vertragsverletzungsverfahren vertretenen Auffassung der Europäischen Kommission sowie im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 160 vom 30.06.2000 S. 37, bzw. der ab dem 13. November 2008 geltenden Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 324 vom 10.12.2007 S. 79, vertretbar ist, erscheint nach ho. Ansicht fraglich. Insbesondere wäre zu prüfen, ob nicht im Hinblick auf die gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeit als Alternative eine Zustellung per Post oder auf anderem technischen Wege und, soweit erforderlich, mit Empfangsbestätigung oder durch Fiktion der Zustellung bei Abgabe des eingeschriebenen Briefes bei der Post, geprüft werden könnte.

 

Das BMeiA schlägt darüber hinaus folgende Änderung des § 311 ZPO vor:

 

§ 311:

  (1) Ob eine Urkunde, welche sich als von einer ausländischen
Behörde oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person des
Auslandes errichtet darstellt, ohne näheren Nachweis als echt
anzusehen sei, hat das Gericht nach den Umständen des Falles zu
ermessen.
  (2) Zum Beweise der Echtheit einer solchen Urkunde genügt, sofern
nicht durch besondere Bestimmungen etwas anderes festgesetzt ist, die
Beglaubigung durch das Ministerium des Äußern oder durch einen
österreichisch-ungarischen Gesandten oder Consul.
 die örtlich zuständige österreichische Vertretungsbehörde.

 

Begründung: Der sogenannte „erste Beglaubigungsweg“ ausländischer Urkunden erfolgt über die zuständigen österreichischen Vertretungsbehörden, vgl. die Verordnung des Bundesministers für auswärtige Angelegenheiten vom 16. März 1984 betreffend Beglaubigungen durch österreichische Vertretungsbehörden im Ausland, BGBl. Nr. 140/1984. Ergänzend besteht derzeit ein „zweiter Beglaubigungsweg“ über fremde Vertretungsbehörden und das BMeiA. Es ist beabsichtigt, diesen „zweiten Beglaubigungsweg“ abzuschaffen, da es sich erwiesen hat, dass insbesondere bei der - durchaus häufigen - Vorlage gefälschter Dokumente die zuständigen österreichischen Vertretungsbehörden, aufgrund ihrer örtlichen Erfahrung und Behördenkenntnis bzw. durch Einschaltung von Vertrauenspersonen, bessere Überprüfungsmöglichkeiten haben als das BMeiA selbst. Daher soll die Erwähnung des „Ministerium des Äußeren“ (BMeiA) aus § 311 ZPO gestrichen werden.

 

Für die Bundesministerin:

H. TICHY m.p.