Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zum Entwurf eines Wettbewerbsgesetzes 2008

 

 

Der Oberste Gerichtshof nimmt zum Entwurf  nur insoweit Stellung, als die vorgeschlagenen Änderungen die Zuständigkeit des Kartellgerichts betreffen. Nach dem Entwurf soll das Kartellgericht Rechtsmittelinstanz für Rekurse gegen Entscheidungen der Bundeswettbewerbsbehörde sein und nicht wie bisher als erste Instanz entscheiden.

 

Der – ein Novum in der österreichischen Rechtsordnung bildende und verfassungsrechtlich erst zu beurteilende – dem Grundsatz der Trennung von Justiz und Verwaltung (Art 94 B-VG) widersprechende § 35 Abs 1 des Entwurfs soll als Verfassungsbestimmung erlassen werden. Damit sind nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs nicht alle Probleme gelöst:

 

Nach dem Entwurf gilt für die Bundeswettbewerbsbehörde im Wesentlichen das AVG; das Kartellgericht wendet das AußStrG an. Der Entwurf regelt nicht, welcher Verfahrensordnung der Rekurs unterliegen soll, der bei der Bundeswettbewerbsbehörde einzubringen ist, sich gegen deren Entscheidung richtet und über den das Kartellgericht zu entscheiden hat. Anders als etwa das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) gibt es im österreichischen Recht keine einheitlichen Verfahrensvorschriften für Kartellverfahren. Nach dem Entwurf hätte daher das Kartellgericht zu prüfen, ob die Bundeswettbewerbsbehörde das AVG richtig angewendet hat. Abschließend kann aber dazu erst Stellung genommen werden, wenn die – derzeit noch fehlenden – korrespondierenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Kartellgesetzes vorliegen.

 

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass die angestrebte Beschleunigung der Kartellverfahren nur erreicht werden kann, wenn die Sachverhaltsermittlung und Entscheidung durch die Bundeswettbewerbsbehörde der Überprüfung durch das Kartellgericht standhält. Das wird eine entsprechende personelle Ausstattung und Organisation der Bundeswettbewerbsbehörde voraussetzen. Der Entwurf enthält dazu – wieder anders als das deutsche GWB – keine Bestimmungen. Nach § 51 Abs 2 GWB werden die Entscheidungen des Bundeskartellamts von den Beschlussabteilungen getroffen. Die Beschlussabteilungen entscheiden in der Besetzung mit einem oder einer Vorsitzenden und zwei  Beisitzenden (§ 51 Abs 3 leg cit); die Vorsitzenden und die Beisitzenden müssen die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben (§ 51 Abs 4 leg cit). Im Gegensatz dazu wird nach dem Entwurf nur der Generaldirektor der Bundeswettbewerbsbehörde weisungsfrei gestellt, nicht hingegen einzelne Organwalter der Behörde, die damit weiterhin den Weisungen des Generaldirektors (in dessen Abwesenheit den Weisungen des Leiters der Geschäftsstelle) unterworfen bleiben.

 

Abschließend sei auf eine Studie der OECD – Peer Review of Competition Law and Policy aus 2005 (abrufbar unter http://www.oecd.org/dataoecd/7/41/35908641.pdf) – verwiesen, die Schwächen und Reformbedarf in der Anwendung des Wettbewerbsrechts durch die Europäische Kommission ortet. Insbesondere die Organisationsform als Einheit von Untersuchungsbehörde und Entscheidungsorgan wird wegen unkontrollierter Ermessensausübung („unchecked discretion“) in Frage gestellt und eine Trennung von Untersuchungsfunktion und Entscheidungsfunktion als „inevitable“ bezeichnet. Dabei wird auf das Vorbild des eigenständigen Gerichts für die Beamten der Europäischen Kommission verwiesen. Bereits im Annual Survey aus 2003 sprach die OECD vom Defizit des Systems der Europäischen Kommission wegen „the absence of checks and balances where the powers of initiation and decision are combined”.