Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit

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GZ: BMSK-90170/0075-III/1/2008

Wien, 09.09.2008

 

 

 

 

Betreff:  Entwurf des Bundesgesetzes, mit das Bundesgesetz über die Einrichtung einer Bundeswettbewerbsbehörde (Wettbewerbsgesetz 2008) neu erlassen wird, und das Kartellgesetz 2005, das Bundesgesetz zu Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen, das Telekommunikationsgesetz 2003, das Verbrauchbehörden-Kooperationsgesetz u.a. geändert werden (Wettbewerbsbehördenreorganisationsgesetz 2008) - Begutachtung

 

 

Das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz nimmt im Folgenden zu dem im Betreff genannten Gesetzesentwurf aus konsumentenpolitischer Sicht Stellung und ersucht um entsprechende Berücksichtigung.

 

Wie im Regierungsprogramm für die XXIII.GP festgehalten, sollen die letzten Novellen des Wettbewerbs- und Kartellrechts einer Evaluierung unterzogen werden (s. S. 150 des Regierungsprogramms). Diese Evaluierung wurde im Frühjahr 2007 begonnen und ist noch nicht abgeschlossen. Der letzte Meinungsstand ging dahin, mehrheitlich kein Bedarf an der Abschaffung des Bundeskartellanwalts gesehen wurde. Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt ergänzen sich nämlich und sind nicht als parallel agierende und konkurrierende Einrichtungen zu sehen (s. dazu die Ausführungen im Manz Kommentar zum Kartellgesetz, Rz 18 ff zu j§ 75) Die Beseitigung der Kartellgerichtsbarkeit wurde bisher nur sehr ansatzweise diskutiert, jedoch einhellig deren grundsätzliches Funktionieren bzw der Wunsch nach Beibehaltung bekräftigt.

 

Umso mehr überrascht, dass seitens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit nun ohne jede Vorankündigung wie bereits 2007 (auch damals ohne vorherige Diskussion und Abstimmung mit dem zuständigen Justizministerium und den betroffenen Kreisen) ein Entwurf versendet wird, der hinsichtlich der Begründung unplausibel ist, eine verfassungsrechtlich äußerst problematische Weichenstellung vorsieht und schließlich in wesentlichen Punkten unvollständig ist.

 

Die Notwendigkeit einer Effizienzsteigerung der Wettbewerbskontrolle wird auch aus konsumentenpolitischer Sicht gesehen und von daher das Ziel des Entwurfs ausdrücklich begrüßt.

Die Beschreibung der Defizite und deren vermutete Ursachen, die in den EB erläutert sind, überzeugen allerdings ebenso wenig wie die vorgeschlagenen Änderungen.

 

Für die mangelnde Effizienz werden primär die Kartellgerichtsbarkeit und damit verbundene zeitliche Verzögerungen angeführt, „weil zwei aufeinanderfolgende Verfahren zu durchlaufen sind“ (vgl EB zum Allgemeinen Teil). Eine Entscheidungsbefugnis der Bundeswettbewerbsbehörde in erster Instanz würde die Effizienz nach Ansicht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit wesentlich erhöhen. Belege für diese Vermutung werden nicht erbracht. Das einzige Beispiel für die zeitliche Verzögerung im Rahmen der Wahrnehmung der Ermittlungsbefugnisse wird die Durchsetzung des Auskunftsverlangens in einem einzigen Fall (s. OGH als KOG 16 Ok 10/05) genannt.

 

Zur verfassungsrechtlichen Problematik:

Die Trennung zwischen Ermittlungs- und Entscheidungsfunktion ist rechtsstaatlich geboten, um die Unvoreingenommenheit der Entscheidung zu gewährleisten.

Weiters wird die Verhängung von Geldbußen in der Literatur als der strafrechtlichen Anklage iSd Art 6 EMRK vergleichbar angesehen, was wiederum zwingend zum Gebot der Entscheidung durch ein Gericht führt.

Dass der Instanzenzug von der Bundeswettbewerbsbehörde als Verwaltungsbehörde zum Gericht vorgesehen wird, bedeutet eine in Österreich erstmalige Durchbrechung des Gewaltentrennungsprinzips. Diese Novität wird aus Grundsatzüberlegungen abgelehnt, zumal keinerlei stichhaltige Argumente für das Abgehen von diesem verfassungsrechtlichen Grundsatz vorgebracht werden. Wesentliche Probleme, die damit verbunden sind, werden nicht einmal angesprochen. Allein die Tatsache, dass die Bundeswettbewerbsbehörde großteils AVG (wohlgemerkt ist nicht einmal das eindeutig, zumal die Ausnahmen der Anwendung des AVG durch die BWB in § 33 des Entwurfs unvollständig ausgeführt sind […]), das KG und KOG aber Außerstreitverfahrensrecht anwendet, führt dazu, dass das Gericht im Fall des Rekurses, der sich ja gegen einen verwaltungsrechtlichen Bescheid wenden würde, sowohl gerichtliches Verfahrensrecht als auch Verwaltungsverfahrensrecht nebeneinander anwenden müsste, was erhebliche prozessuale Fragen aufwirft.

 

Zur behaupteten Beschleunigung der Verfahren:

Das Argument der zeitlichen Verzögerung ist aus folgenden Gründen in keiner Weise plausibel.

Wenn die Bundeswettbewerbsbehörde Prüfanträge fundiert vorbereitet und damit dem Gericht umso bessere Entscheidungsgrundlagen liefert, kann das Gericht die Entscheidung auch rasch treffen. Die Raschheit der Entscheidung steht und fällt somit mit der guten Vorbereitung durch die Bundeswettbewerbsbehörde.

 

Die Interessensabwägung und die Gewährung des rechtlichen Gehörs, die im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zitierten Auskunftsverlangenverfahren als einzigem Beispiel für problematische Verfahrensverzögerung thematisiert werden, werden im Fall der Entscheidungsbefugnis der Bundeswettbewerbsbehörde dann eben von dieser vorgenommen werden müssen. Ein relevanter Zeitfaktor kann hier nicht erblickt werden.

 

Das in den EB genannte Argument, dass durch fehlende aufschiebende Wirkung des Rekurses gegen Entscheidung der Bundeswettbewerbsbehörde Effizienzdefizite beseitigt werden können, gilt nur für die einstweilige Verfügung und ist daher in dieser allgemeinen Formulierung in den EB nicht richtig. Dem Rekurs kommt nämlich nur bei einstweiligen Verfügungen keine aufschiebende Wirkung zu. In allen anderen Fällen könnte die Bundeswettbewerbsbehörde nach § 36 des Entwurfs lediglich unter bestimmten Umständen, die mit einer Reihe von unbestimmten Gesetzesbegriffen umschrieben sind, die aufschiebende Wirkung des Rekurses ausschließen. Dass die Bundeswettbewerbsbehörde zukünftig durch die Systemumstellung mehr einstweilige Verfügungen erlassen wird, ist unwahrscheinlich, zumal sie nach unseren Informationen seit ihrem Bestehen keinen einzigen derartigen Antrag bei Gericht eingebracht hat.

Wenn dem Rekurs aber grundsätzlich aufschiebende Wirkung zukommt und der Instanzenzug durch den vorgeschlagenen Entwurf sogar um eine Instanz verlängert würde (3 statt bisher 2 Instanzen), ist unerfindlich, warum Verfahren schneller abgeschlossen werden sollten als bisher.

 

Schließlich ist zu bedenken, dass die Aufgaben der Bundeswettbewerbsbehörde ein ständiges Eingebundensein in das wirtschaftliche Geschehen notwendig machen (vgl. Manz Kurzkommentar zum Kartellgesetz, § 75 KartG Rz 18). Diesem Umstand ist auch die stark wirtschaftlich orientierte Ausbildungsstruktur der MitarbeiterInnen angepasst. Von daher würde eine Systemumstellung wie die vorgeschlagene wohl auch eine wesentliche Umstellung der Personalstruktur und der Ausbildung der MitarbeiterInnen erfordern, um der neuen Aufgabe der Entscheidungsbefugnis gewachsen zu sein. In einer Umstellungsphase würde es daher voraussichtlich auch unter diesem Gesichtspunkt zu keiner Beschleunigung, sondern sehr wahrscheinlich zu einer Verzögerung der Verfahren kommen.

 

Schließlich spricht ein weiterer Punkt dafür, die Kartellgerichtsbarkeit auch aus systematischen Gründen beizubehalten. Das Ziel der Wettbewerbskontrolle besteht letztlich darin, Schäden von KonsumentInnen (und fair agierenden MitbewerberInnen) zu vermeiden. Neben der staatlichen Kontrolle ist es daher entscheidend, dass auch wirksame zivilrechtliche Instrumente bestehen, die eingetretene Schäden in Folge von Kartellrechtsverstößen zu kompensieren geeignet sind. Voraussetzung ist freilich, – und daran mangelt es derzeit – dass Geschädigte leichteren Zugang zu jenen Informationen erhalten, die es ihnen erlauben, Rechtswidrigkeit und Kausalität des Schadens zu beweisen.

Die Europäische Kommission ist hier vor Jahren einen Diskussionsprozess eingeleitet und verfahrensrechtliche Verbesserungen zur leichteren Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen iZm Kartellrechtsverstößen vorgeschlagen.

Bedauerlicherweise hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit diese Vorschläge zur Effizienzsteigerung der Wettbewerbskontrolle skeptisch bis ablehnend beurteilt, wie die jüngste Positionierung zum Weißbuch Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EG Wettbewerbsrecht (KOM(2008)165 endg.) zeigt.

 

Zur Abschaffung des Bundeskartellanwalts:

Die EB zum Entwurf enthalten lediglich eine Behauptung dahingehend, dass mit dem Wegfall des Kartellgerichts als erstinstanzliches Entscheidungsorgan auch die Funktion des Bundeskartellanwalts überflüssig wird. Eine weitere Begründung erfolgt nicht.

Zum einen ist die Vertretung des öffentlichen Interesses aber auch weiterhin vor dem KG und dem KOG als Rechtsmittelinstanzen nötig und sinnvoll. Zum zweiten wäre es sogar in dem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit vorgeschlagenen System denkbar und sinnvoll, dem Bundeskartellanwalt ein Antragsrecht bei der Bundeswettbewerbsbehörde einzuräumen. Angesichts der von allen Seiten beklagten Ressourcenknappheit ist es völlig unverständlich, auf eine derart effektive Organisationseinheit, wie sie der Bundeskartellanwalt darstellt, verzichten zu wollen. Er hat nicht nur eine wichtige Kontroll- und Korrekturfunktion, sondern trägt mit seinen – noch dazu gemessen an seiner bescheidenen personellen Ausstattung – zahlreichen Prüfantragen (seit 2002 108 Prüfanträge; im Verhältnis dazu hat die Bundeswettbewerbsbehörde im selben Zeitraum 163 Anträge gestellt (Auskunftsverlangen und Hausdurchsuchungen nicht berücksichtigt) ganz wesentlich zum Vollzug des Kartellrechts bei.

 

Zu den im Entwurf bedauerlicherweise nicht behandelten Defiziten :

Dass der Entwurf in vielen Bereichen unvollständig ist, wurde bereits erwähnt und ist auch im Begleitschreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit festgehalten.

Ein zentraler Punkt und eines der Hauptdefizite der Wettbewerbskontrolle betrifft die mangelnde Ressourcenausstattung der Bundeswettbehörde (dasselbe gilt freilich auch für den Bundeskartellanwalt). Für beide Einrichtungen müsste ein eigenes Budget und eine relevante Personalausstattung sichergestellt werden.

Über die Stärkung der Bundeswettbewerbsbehörde hinsichtlich ihrer Aufgaben und Befugnisse, aber auch notwendiger materiellrechtlicher Änderungen hat die Wettbewerbskommission im Juli 2008 wertvolle Empfehlungen abgegeben. Hier findet sich die Notwendigkeit der Verbesserung der Ressourcenausstattung der Bundeswettbewerbsbehörde, der Vorschlag einer Änderung der Definition der Marktbeherrschung sowie die Empfehlung des Aufbaues eines Wettbewerbsmonitorings durch die Bundeswettbewerbsbehörde, um nur einige aus konsumentenpolitischer Sicht wichtige Punkte herauszugreifen. All diese Vorschläge wurden im Entwurf in keiner Weise berücksichtigt.

 

Das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz spricht sich abschließend dafür aus, die Evaluierung des Kartellrechts und damit verbundene Verbesserungsvorschläge in der von BMJ und BMWA eingerichteten Arbeitsgruppe zur Evaluierung des Kartellrechts weiter zu diskutieren und lehnt die beiden zentralen Eckpunkte des vorliegenden Entwurfs – nämlich die Beseitigung der Kartellgerichtsbarkeit in erster Instanz sowie die Abschaffung des Bundeskartellanwalts in der vorgeschlagenen Form entschieden ab.

Diese Stellungnahme wird u.e. dem Präsidium des Nationalrates übermittelt.

 

Mit freundlichen Grüßen

Für den Bundesminister:

 

Dr. Arnulf Komposch

 

 

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