Bundesministerium für Gesundheit,

Familie und Jugend

Radetzkystraße 2

1031 Wien

 

 

 

GZ: BMGFJ-421600/0037-II/2/2008

 

 

 

 

Einschreiter:                                 Berufsverband Österreichischer

                                                         Psychologinnen und Psychologen

                                                         Möllwaldplatz 4/4/39

                                                         1040 Wien

 

 

 

vertreten durch:                               Rechtsanwalt

                                                         Mag. Nikolaus Bauer

Gonzagagasse 11/DG

A-1010 Wien

VM erteilt                                         RA-Code R 141 733

 

 

 

wegen:                                             Entwurf eines Bundesgesetzes über die Grundsätze für soziale Arbeit mit Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche

                                                         (Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2009

                                                         B – KJHG 2009)

 

 

 

 

 

S T E L L U N G N A H M E

 

 

 

 

 

 

 

In obiger Angelegenheit beehrt sich der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen durch seinen ausgewiesenen Vertreter, nachstehende

 

STELLUNGNAHME

 

abzugeben:

 

Der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen begrüßt grundsätzlich die Initiative zur Verbesserung der Rechtsstellung von Kindern und Jugendlichen.

 

Mitteilungspflichten (§  37 des Entwurfs):

 

Der Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen weist darauf hin, dass die geplanten Änderungen dem Wohl von Kindern und Jugendlichen nicht dienlich sind.

 

Die Intention des Gesetzgebers, insbesondere Kinder so gut wie möglich vor Gewalt jeder Art zu schützen und möglichst weite Teile der Bevölkerung zur Mitteilung von einschlägigen Beobachtungen zu verpflichten, ist verständlich und begrüßenswert.

 

Es ist aber darauf hinzuweisen, dass bei Versäumnissen in der Vergangenheit die Probleme nicht im Bereich der niedergelassenen Gesundheitsberufe, sondern bei den ohnedies bereits in der Vergangenheit meldepflichtigen Stellen zu finden waren. Eine verpflichtende unverzügliche Mitteilung an die Jugendhilfeträger durch Personen, die  medizinische Gesundheitsberufe selbständig ausüben, ist aus psychologischer Sicht nicht als Mittel der Wahl zu sehen. Ganz im Gegenteil besteht aufgrund der Erfahrung einschlägiger klinisch-psychologischer Arbeit die Gefahr, dass Opfer oder Angehörige dazu veranlasst werden, keine Aussagen zu machen, bzw. sich ihrer unmittelbaren Umgebung nicht anzuvertrauen, wenn sie wissen, dass ihre Aussagen umgehend weitergeleitet werden.

 

Weiters könnten Menschen und Berufsgruppen, die mit Kindern arbeiten, durch diese Verpflichtung zur Anzeige eher verunsichert und dazu veranlasst werden, bei vagen Anzeichen von Gewalterleben (insbesondere dem Verdacht von sexuellem Missbrauch) nicht genauer hinzusehen.

 

Das jahrelange Bemühen, diese Berufsgruppen für das Wahrnehmen sichtbarer und unsichtbarer Gewalt an Kindern und Jugendlichen zu sensibilisieren und sie zu ermutigen, schon im Verdachtsfalle die Unterstützung professioneller Beratungseinrichtungen in Anspruch zu nehmen und Meldungen beim zuständigen Jugendhilfeträger zu machen, wäre mit einem Schlag zunichte gemacht. Die bisher im Jugendwohlfahrtsgesetz normierten Meldepflichten sind völlig ausreichend und bedeutend treffsicherer, als eine unspezifische Mitteilungspflicht für alle medizinischen Gesundheitsberufe im niedergelassenen Bereich.

 

Auch der komplizierten Psychodynamik von Opfern wird mit den geplanten Bestimmungen nicht Rechnung getragen. Viele Opfer, insbesondere Kinder, sind in einem frühen Stadium des Sich-Anvertrauens an eine nahestehende Person (Oma, Lehrerin, Kindergärtnerin, etc.), oder professionelle Beraterin, einer Opferschutzeinrichtung oder der Jugendhilfe noch nicht zu einer Anzeige oder notwendigen Aussage bereit und fürchten die Weiterleitung der anvertrauten Inhalte.

 

Aus der täglichen Arbeit mit Opfern ist bekannt, dass viele dazu neigen ihre ersten Aussagen zurückzuziehen oder – aufgrund von Schuldgefühlen der Familie und dem potentiellen Täter gegenüber, oder aber auch auf Druck des familiären Umfeldes oder des Beschuldigten – gar zu revidieren, weil die ersten Folgen ihrer Aussagen sie überfordern und es nicht möglich ist, sie ausreichend auf die Situation vorzubereiten und für ihren körperlichen, aber auch psychischen „Schutz“ zu sorgen.

 

Eine verpflichtende Mitteilung erschwert die Behandlung und Beratung von Kindern und Jugendlichen, weil sie eine (vorläufige) Zusicherung von Vertraulichkeit und Verschwiegenheit unmöglich macht. Gerade die absolute Verschwiegenheitspflicht ist aber meist die Voraussetzung für (potenzielle) Opfer und Angehörige, sich überhaupt an klinische PsychologInnen und GesundheitspsychologInnen zu wenden.

 

Darüberhinaus bestehen bei Gefahr im Verzug aufgrund der allgemeinen Regeln des Strafrechts (§ 2 iVm den Vorsatzdelikten des StGB sowie §§ 94 und 95 StGB) und des Schadenersatzrechts (§§ 1295 ff ABGB) ohnedies ausreichende Verpflichtungen zum Handeln.

 

Zur Regelungstechnik:

 

Es bestehen erhebliche Bedenken hinsichtlich der Rechtssetzungstechnik, weil maßgebliche normative Inhalte ausschließlich in den Erläuterungen zum Gesetz zu finden sind. So werden nahezu sämtliche Legaldefinitionen vermieden und lediglich in den Erläuterungen Definitionsversuche unternommen.

 

Insbesondere verwehrt sich der Berufsverband österreichischer Psychologinnen und Psychologen dagegen, dass klinische PsychologInnen und GesundheitspsychologInnen als „Angehörige medizinischer Gesundheitsberufe“ tituliert werden. Aufgrund des Ärztegesetzes ist die Ausübung der Medizin den Ärzten vorbehalten. Die Angehörigen des Berufsstandes der klinischen Psychologen und der Gesundheitspsychologen üben hingegen aufgrund des Psychologengesetzes 1990 einen eigenständigen freien Beruf in fachlicher Eigenverantwortlichkeit aus.

 

 

Anregungen für Ergänzungen des Entwurfs:

 

§ 10 (2) letzter Satz: Die Eignungsfeststellung soll im Zusammenwirken eines multiprofessionellen Teams, dem SozialarbeiterInnen, klinische PsychologInnen, ÄrztInnen und andere zur Erreichung des Zwecks erforderliche Berufsgruppen angehören, unter besonderer Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Diagnostik getroffen werden.

 

§ 11 (1):  Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sind nach allgemein anerkannten Standards, Standards der Entwicklungspsychologie sowie dem aktuellen Stand der Sozialwissenschaften zu erbringen.

 

§ 15 (2) Ergänzung Z 8:

 

8. Psychologische Behandlung für Kinder mit Entwicklungsschwierigkeiten.

 

Erklärung:  Aus mehreren Studien ergibt sich, dass Psychologische Behandlung erfolgreich die Entwicklung psychischer Störungen hintanhält und nachhaltig Folgekosten senkt.

 

Die klinisch-psychologische Behandlung ist eine Kernkompetenz der in die Liste der klinischen Psychologen beim Bundesministerium für Gesundheit, Jugend und Familie eingetragenen Personen. Gemäß § 3 Abs. 2 Z. 2 Psychologengesetz 1990 ist die klinisch-psychologische Behandlung Teil des Berufsbildes. Sie ist von klinisch-psychologischer Diagnostik als Erfolgs- und Verlaufskontrolle begleitet und erfolgt auf wissenschaftlich-psychologischer Basis.

 

Die klinisch-psychologische Behandlung ist eine hocheffiziente, einem Behandlungsplan folgende und im Hinblick auf Ihre Ergebnisse überprüfbare Behandlungsform.

 

 

 

Wien, am  20. November 2008                              Berufsverband Österreichischer Psychologinnen und Psychologen