An die Parlamentsdirektion
Begutachtungsverfahren
1031 Wien
Wien, 17. November 2008
B-KJHG 2009;
Stellungnahme des Dachverbandes Österreichischer
Jugendwohlfahrtseinrichtungen
Sehr geehrte Damen und
Herren!
Wenn zur Zeit in unserer
Gesellschaft der Schutz der Erwachsenen z.B. im Bereich des Rauchens
höchsten Stellenwert genießt, dann ist es nur recht und gut, dass
durch eine Neuregelung des Österreichischen Jugendwohlfahrtsgesetzes auch
dem Schutz und der Hilfe für Kinder Aufmerksamkeit geschenkt wird (Wie ist
eigentlich ein Kind vor seinen rauchenden Eltern geschützt?)
Der neu gegründete
Dachverband Österreichischer Jugendwohlfahrtseinrichtungen (DÖJ)
wurde erfreulicherweise unmittelbar nach seiner Gründung schon zur
Mitwirkung in den Arbeitsgruppen bezüglich der Erstellung des neuen
Jugendhilfegesetzes eingeladen, wofür wir uns ausdrücklich bedanken.
Die Aufnahme von
Mitgliedseinrichtungen in unseren Dachverband ist in vollem Gange.
Bislang vertreten wir 40 Einrichtungen der Jugendwohlfahrt aus allen
Bundesländern mit etwa 1.500 MitarbeiterInnen, die ca. 8.000 Kinder
/Jugendliche im Maßnahmenbereich der Jugendwohlfahrt betreuen. Eine Reihe
weiterer Einrichtungen haben ihre Mitgliedschaft angekündigt.
Unsere Anregungen
entspringen der langjährigen praktischen Erfahrung im Feld der
erzieherischen Hilfen.
Um die Wichtigkeit unserer
speziellen Anregungen bzw. Forderungen deutlich zu machen, haben wir jene
fünf Paragraphen hervorgehoben (3, 5, 9,11, 29), welche die für uns
wichtigsten Punkte enthalten. Wir haben in unsere Stellungnahme auch jene
Punkte aufgenommen, die in der geplanten Änderung unseren Wünschen
sehr gut entsprechen.
Stellungnahme zum Entwurf eines Bundesgesetzes
über die Grundsätze für soziale Arbeit mit Familien und
Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche (Bundes- Kinder- und
Jugendhilfegesetz 2009- B-KJHG 2009)
Grundsätzlich
befürwortet und unterstützt der DÖJ die, mit dem neuen Kinder-
und Jugendhilfegesetz des Bundes intendierten, Ziele insbesondere
-
die Einführung des Rechtes auf
förderliche Erziehung und der UN-Kinderrechtskonventionen als
handlungsleitende Prinzipien neben dem Kindeswohl
-
genauere Definition von Aufgaben und
Standards bzw. die Impulse für einheitliche Standards und weitere
Professionalisierung der Fachkräfte
-
Einführung von
Gefährdungsabklärung und Hilfeplanung
-
die detaillierte Regelung von
Verschwiegenheit
-
Stärkung von Prävention von
Erziehungsproblemen und des Schutzes von Kindern.
Diese Zielsetzungen finden
sich im vorgelegten Entwurf zwar durchaus wieder, aber leider nicht in dem von
uns gewünschten Ausmaß. Daher möchten wir folgende
Änderungen bzw. Ergänzungen beantragen.
Name:
- Die Ersetzung des
altmodischen und in der Öffentlichkeit kaum transportierbaren
Begriffes „Jugendwohlfahrt“ durch „Jugendhilfe“
wird begrüßt.
§3
- Dass ein Bezug zur
UN-Konvention über die Rechte des Kindes, die Österreich unterzeichnet
hat, ausdrücklich hergestellt wird, ist erfreulich. Jedoch sollte im
Zuge der Gesetzwerdung die Aufnahme dieser Kinderrechte in das
Österreichische Grundgesetz bzw. in das AGBG ausdrücklich
gefordert werden.
- In den Erläuterungen
zu § 3 steht, dass die Gefährdungsabklärung den Prozess
umfasst, der notwendig ist, um sich darüber Kenntnis zu verschaffen,
ob
Kindeswohlgefährdung vorliegt. Das braucht die strukturierte
Zusammenarbeit verschiedener Einrichtungen. Das Case-Management soll die
Jungendhilfe übernehmen. Diese Aussage deckt sich mit unserer Ansicht.
Allerdings sollte an gegebener Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen
werden, dass für den Aufbau und die Pflege dieser Vernetzungsstrukturen in
der personellen und finanziellen Ausstattung der öffentlichen Jugendhilfe
Vorsorge getroffen werden muss.
- Der Begriff
„Prävention“ kommt im gesamten Gesetz nicht vor, obwohl
Zielsetzungen wie die „Förderung der bestmöglichen
Entfaltung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“ diese
durchaus beinhalten. „Prävention“ sollte im Gesetz
ausdrücklich verankert werden und insbesondere in Form von
Früherkennung zum Aufgabengebiet der Jugendhilfe gezählt werden.
- Auch die
„Förderung der schulischen Integration“ sollte als
Aufgabe der Jugendhilfe ausdrücklich genannt werden, da sie als im
Grenzbereich zwischen dem Aufgabenfeld der Schule und dem der Jugendhilfe
liegend, untergeht . Bei Schulverweigerung, Schulsuspendierung, massiven
Verhaltens- oder Leistungsproblemen in der Schule sollte es auch oder insbesondere
in der Verantwortung der Jugendhilfe liegen, sich um entsprechende
Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes zu sorgen.
§4
- Im Sinne des Kindeswohles
sollte der Wechsel des zuständigen Jugendhilfeträgers erst
erfolgen, wenn der Wohnortwechsel als dauerhaft gewertet werden kann. Ein
entsprechender Zeitraum ist anzugeben.
- Ist ein Kind oder ein(e)
Jugendliche(r) nach einer Maßnahme der Jugendhilfe fremd
untergebracht, sollte die Zuständigkeit für das Kind oder
die/den Jugendliche(n) nicht wechseln.
§ 5
- Die Möglichkeit
der Offenlegung von Informationen, sofern die Offenbarung im Interesse der
Minderjährigen liegt, wird ausdrücklich begrüßt und
ist eine wichtige Verbesserung für die Praxis zum bisherigen Gesetz.
§6
- Hinsichtlich der
neu formulierten Auskunftsrechte ist aus unserer Sicht
anzufügen, dass diese eine nach fachlichen Standards ausgerichtete
Dokumentation (soweit diesbezügliche Kriterien nicht ohnehin bereits
vorhanden sind) auch der im Auftrag der Jugendwohlfahrt tätigen
privaten Einrichtungen erfordert. Das Auskunftsrecht beinhaltet die
Möglichkeit, transparent in Vorgänge der Jugendwohlfahrt
Einsicht zu nehmen und ist daher aus unserer Sicht zu begrüßen.
Letzteres nicht zuletzt auch deshalb, weil aufgrund der mit § 8
normierten Verpflichtung zur Dokumentation die Möglichkeit
eröffnet wird, Vorgänge nachträglich zu analysieren und bei
Versäumnissen entsprechend handeln zu können (in Kombination mit
§ 1 Abs 1 iVm § 146 ABGB etwa in Form der Geltendmachung von
Schadenersatzansprüchen bei Verfehlungen). Unseres Erachtens
wäre es hier allerdings erforderlich, die Bestimmung hinsichtlich der
Rechtsdurchsetzung zu konkretisieren. Wohin kann sich der
Betroffene wenden, wenn ihm unter Verletzung der Bestimmung des § 6
B-KJHG Auskünfte rechtswidrigerweise nicht erteilt werden? Welche
Sanktionen werden für die Verletzung der Dokumentationspflicht
vorgesehen?
- Wie lange nach
Erreichen der Volljährigkeit ein Auskunftsrecht besteht, sollte
angegeben werden. Denn unter § 7 (3) wird von einem anderen
Gesichtspunkt her festgelegt, dass Daten nur so lange aufbewahrt werden
dürfen, wie sie zur Erbringung der Aufgabenstellung notwendig sind.
§ 7
- Es wird von uns
abgelehnt, dass bezüglich natürlicher
Personen, die unmittelbar Kinder und Jugendliche betreuen, Daten über
die ethnische Herkunft und das Religionsbekenntnis efasst und weitergeleitet werden müssen.
- Ebenfalls abgelehnt wird,
dass die Dienst- und besoldungsrechtliche Stellung der Mitarbeiter und
MitarbeiterInnen zur Verwendung durch den Kinder- und
Jugendhilfeträger bereitgestellt werden müssen. Dadurch besteht
die Gefahr, dass die unternehmerische Gestaltung der Dienste durch freie
Träger über indirekte „Besoldungsvorschriften“
unzumutbar eingeschränkt wird.
§9
- Dass Leistungen im
Sinne von 2. und 4. Abschnitts des 2. Hauptstückes auch von privaten
Kinder- und Jugendhilfeträgern erbracht werden können, diese
aber nicht wie im bisherigen Gesetz unter § 8(1) herangezogen
werden sollen, wenn sie unter Berücksichtigung ihrer Ausstattung und
sonstigen Leistungen das Wohl eines Minderjährigen besser und
wirtschaftlicher als der öffentliche Träger gewährleisten,
werten wir als tragischen Rückschritt. 8 von 9
Bundesländern haben den bisher bestehenden Vorrang privater
Einrichtungen in die Landesgesetzgebung vollzogen, das bestätigt die
Akzeptanz und den Erfolg dieser Regelung. Es erscheint uns als völlig
unangemessen und gegen die gesellschaftliche Entwicklung und Zielsetzung
gerichtet, diese Sollbestimmung wieder in eine Kann-Bestimmung
umzuwandeln.
Aus
diesem Grund sehen wir es als dringend geboten, den ursprünglichen Passus
dieser Regelung auch wieder in das neue Jugendhilfegesetz aufzunehmen!
§11
- Wir begrüßen
die offensichtliche Intention des Gesetzentwurfes, einheitliche,
österreichweite Standards zu erreichen. Allerdings lassen die sehr
allgemein gehaltenen Aussagen sehr unterschiedliche Interpretationen der
Länder zu. Daher sollte zumindest ein einheitlicher
Mindestpersonalschlüssel festgelegt werden.
- Außerdem sollte
der Bund die Forschung und Entwicklung von Standards fördern, welche
dann verbindlich in die Landesgesetzgebung einzufließen haben.
§ 16
- Hier wird
normiert, dass für ambulante Dienste, die freiwillig in Anspruch
genommen werden, Entgelte eingehoben werden können. Die Normierung
impliziert, dass es sich hier um keine Verpflichtung handelt. Es wird
offen gelassen, nach welchen Kriterien von dieser Kann-Bestimmung Gebrauch
gemacht werden soll. Um die bundesweite Einheitlichkeit zu
gewährleisten, wäre unseres Erachtens eine demonstrative
Aufzählung der Kriterien (Berücksichtigung des finanziellen Aufwandes,
soziale Situation der Familie etc.) im Gesetzestext sinnvoll, um den vom
Gesetzgeber gewünschten Effekt tatsächlich zu erzielen.
§17
- Im Gesetz sollte unbedingt
darauf hingewiesen werden, dass ausreichend Sozialpädagogische
Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden müssen.
- Zur Aufzählung
sozialpädagogische Einrichtungen sollten ausdrücklich auch andere
Formen wie heilpädagogische Tagesbetreuung, mittelfristige
und flexible Wochengruppen etc. hinzugefügt werden, die im
Sinne fachlicher und flexibler Gestaltung der Sozialpädagogik eine
immer größere Rolle spielen. Überhaupt erscheint uns eine
Aufzählung von Arbeitsfeldern, in denen die Jugendhilfe tätig zu
sein hat, sinnvoller als einer Aufzahlung von Diensten.
§22
- Wie im § 11 erscheint
es uns notwendig, die Vorgangsweisen und Standards zu
detaillieren und nicht nur in der formulierten Allgemeinheit vorzugeben.
§ 23
- Es bleibt offen,
ob mit dem in § 23 Abs 3 normierten Zusammenwirken mehrerer
Fachkräfte auch die Einbindung der mitteilungspflichtigen
Einrichtungen gemeint ist. Eine diesbezügliche Konkretisierung
wäre daher unseres Erachtens zu begrüßen. In der Regel
bilden Informationen über Maßnahmen der Jugendwohlfahrt
für den weiteren Beratungsverlauf eine nicht unbedeutende Rolle.
- Das
Vieraugenprinzip wird ausdrücklich in der Abklärung von
Kindeswohlgefährdungen etc. begrüßt.
- Die
Verantwortlichkeit für die Erstellung des Hilfeplanes sollte
definiert werden.
- Der Begriff
„regelmäßig“ sollte ebenfalls genauer und
bundesweit festgelegt werden.
§29
- Die Beschränkung
der Gewährung von Hilfen durch ambulante Dienste oder in
sozialpädagogischen Einrichtungen auf den Zeitraum von 18 bis 21
Jahren erscheint uns nicht fachlich begründbar. Eltern haben die
rechtliche Verpflichtung zum Unterhalt über das 21. Lebensjahr hinaus
(z.B. für ein Studium), während die Jugendhilfe genau diese
Verpflichtung nicht übernehmen will. Es kann es nicht sein, dass
Kinder und Jugendliche, die nicht das Glück hatten, in einem
funktionierenden Elternhaus erwachsen werden zu können, schlechter
behandelt werden. Wissenschaftler bestätigen, dass sich in unserer
Gesellschaft einerseits die Pubertät nach vorne verschiebt und
andererseits die Phase der Adoleszenz deutlich nach hinten verlagert wird.
Dieser Entwicklung sollte ein modernes Jugendhilfegesetz Rechnung tragen,
indem es Leistungen ebenfalls über das 21. Lebensjahr
gewährt.
Wir
schlagen daher vor, Hilfen der Erziehung bis zum vollendeten 26.
Lebensjahr zu gewähren. Der Wechsel in einen neuen Dienstleistungsbereich,
nämlich zu den für Hilfen für Erwachsene, ist eine rein
bürokratisch begründete Maßnahme, die für niemanden
hilfreich ist.
§ 30
- Der Entwurf besagt, dass Forderungen von Minderjährigen oder
jungen Erwachsenen auf wiederkehrende Leistungen, die der Deckung des
Unterhaltsbedarfes dienen, bis zur Höhe der Ersatzforderung
unmittelbar Kraft Gesetzes auf den, die volle Erziehung oder die
Unterbringung junger Erwachsener in einer sozialpädagogischen
Einrichtung gewährenden Kinder- und Jugendhilfeträger,
übergehen. Diese neue Regelung ermöglicht es allerdings nach wie
vor, Unterhaltsansprüche und Leistungen, die einen Ausgleich für
das Fehlen des Unterhaltsanspruches (= Waisenpension) darstellen, als
Kostenersatz heranzuziehen. Dies wirft - die nach der bereits bestehenden
Rechtslage vorhandene – Frage auf, in welcher Höhe
Beträge einbehalten werden dürfen (bezieht sich dies bspw.
auch auf die 13. und 14. Zahlung einer Waisenpension). Insofern würde
die Neuregelung die Möglichkeit einer Klärung dieser
Fragestellung bieten, welche jedenfalls angestrebt werden sollte. Aufgrund
der Formulierung des § 30 gehen wir davon aus, dass mit der
Begrenzung der „Höhe der Ersatzforderung“ jener Betrag
gemeint ist, der zivilrechtlich von einem Unterhaltspflichtigen für
den Jugendlichen zu leisten ist (vgl. auch Erläuterungen ad § 30
B-KJHG: „die Kosten der vollen Erziehung sowie von Hilfen
gemäß § 29 sind von den Unterhaltspflichtigen zu ersetzen,
wobei die Höhe ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht die Grenze
bildet“). Es bleibt allerdings, offen, ob der 13. und 14. Bezug der
Waisenpension ebenfalls für den Kostenersatz herangezogen werden
kann.