Sabine Rupp

Bundeskoordinatorin Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche

Theobaldgasse 20/9

1070 Wien

 

Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Mädchen und junge Frauen

Theobaldgasse 20/9

1060 Wien

 

Irene Oberschlick, Rechtsanwaltsanwärterin

Auerspergstraße 7/41

1070 Wien

 

 

 

An das

Bundesministerium für Gesundheit

Familie und Jugend

Franz-Josefs-Kai 51

1010 Wien                                                                                                    November, 2008

 

per E-Mail:

gundula.sayouni@bmgfj.gv.at

begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

 

 

 

Anmerkungen zum

Bundesgesetz über die Grundsätze für soziale Arbeit mit Familien und Erziehungshilfen

für Kinder und Jugendliche (Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2009 – B-KJHG

2009)

 

 

 

Sehr geehrte Frau Bundesministerin!

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Alle Opferschutzeinrichtungen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, haben sich bundesweit dafür eingesetzt, dass es im 2. Gewaltschutzgesetz zu keiner Verschärfung der Anzeigepflicht kommt. Wir haben das erfolgreich abgewendet und darüber sind wir sehr zufrieden. Schutz von Kindern und Jugendlichen kann nicht über eine Anzeige und die Justiz gesichert werden, sondern diesen zu gewährleisten zählt zu den ureigensten Aufgaben der Jugendwohlfahrt.

 

Wir begrüßen daher weitgehend die Novellierung des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2009 und befürworten eine Konkretisierung der Ziele, Grundsätze und Aufgaben im Bereich der Jugendwohlfahrt. Im gegenständlichen Gesetzesentwurf sind Grundsätze formuliert, die der Auslegung bedürfen, eine klare und daher eindeutige Definition ist dem vorliegenden Bundesgesetz nicht zu entnehmen.

 

Wir möchten insbesondere in Bezug auf die Gefährdungsabklärung unsere Anmerkungen festhalten:

 

Die Vorgehensweise der Gefährdungsabklärung ist als eine der wesentlichsten Aufgaben der Jugendwohlfahrt ausdrücklich im Gesetz zu verankern. Standards für die Gefährdungsabklärung sind derzeit festgelegt, werden aber offensichtlich als Interna gehandelt (z.B. Handbuch) und in jedem Bundesland unterschiedlich gehandhabt. Der Umgang mit Gefährdungsabklärungen ist für alle beteiligten Berufsgruppen ein heikler, aber Standards unter Verschluss zu halten, ist in der professionellen Zusammenarbeit nicht hilfreich. Es braucht mehr Transparenz der Arbeitsstruktur und Arbeitsabläufe, insbesondere wenn Kooperation notwendig ist und gefordert wird.

 

Der § 22 spricht von einer „strukturierten Vorgangsweise bei der Feststellung, ob eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt. Wobei die Vorgangsweise unter Beachtung fachlicher Standards von statten gehen soll. Die fachlichen Standards, nach welchen vorzugehen ist, werden im Gesetzesentwurf nicht konkretisiert.

Aus den Materialien ist zu entnehmen, dass diese bewusst nicht im gegenständlichen Gesetzesentwurf bestimmt wurden, weil sie laufenden Änderungen und Weiterentwicklungen unterliegen. Rechtlich verbindlich sollen die fachlichen Standards für die Leistungserbringung in „geeigneter Weise“ z.B. durch Dienstanweisungen und Qualitätshandbücher gemacht werden. Qualitätshandbücher haben keine rechtliche Verbindlichkeit. Dienstanweisungen sind interne Vorgaben. Nur wenn Standards gesetzlich vorgeschrieben werden, sind sie allgemein zugänglich und ermöglichen dadurch eine Überprüfung.

In der Prozessbegleitung wurden in der interministeriellen Arbeitsgruppe (IMAG) Standards (www.prozessbegleitung.co.at) entwickelt, die öffentlich zugänglich sind. Dadurch haben alle Menschen Einsicht und sie sind bundesweit gültig. Das dient der Kontrolle, wirkt gleichzeitig als Korrektiv von außen und ist ein wesentliches Instrument der Qualitätssicherung. Vergleichbares wären für die Standards der JWF notwendig.

 

 

 

Die JWF hat im Rahmen der Gefährdungsabklärung einen Aufgabenkonflikt. Als Einrichtung, die sich „soziale Arbeit mit Familien“ als Aufgabe stellt, steht das Interesse der gesamten Familie im Vordergrund. Bei einer Gefährdungsabklärung ist oftmals unmittelbar in Elternrechte einzugreifen und die Kontrollfunktion stärker wahrzunehmen. Hier steht der Kinderschutz im Vordergrund. Aus diesem Grund ist eine verpflichtende Kooperation der JWF mit einschlägigen Beratungseinrichtungen, die in diesem Zusammenhang parteilich für Kinder und Jugendliche arbeiten, notwendig.

 

Im neuen Bundesgesetz werden Aufgaben und Verpflichtungen spezifischer Berufsgruppen angeführt. Das begrüßen wir sehr, weil das ein wesentliches Kontrollinstrument der JWF ist. Es fehlt jedoch im Gegenzug die Möglichkeit, die Tätigkeiten und Verpflichtungen der JWF zu kontrollieren. Die Aufgaben der JWF werden sehr allgemein gehalten, jedoch ohne inhaltliche Aussage. Mehr noch, es scheint damit eine beinahe herrschaftliche Stellung des Jugendwohlfahrtsträgers in der professionellen Zusammenarbeit festgelegt zu werden.

 

Es gibt weder eine Einsicht in Handlungsabläufe noch eine Kontrollmöglichkeit oder Überprüfung der JWF. Der Mangel einer solchen führt zu Willkür und ist daher nicht vertretbar. Mit Bedauern stellen wir fest, dass auch im neuen Bundesgesetz keine festgeschrieben ist. Handlungsrichtlinien sind nur Orientierungshilfen aber keine gesetzlichen Grundlagen. Auch eine Sanktionierung für Fehlverhalten im Bereich der JWF ist in einer Grundsatzgesetzgebung vorzusehen. Die Kontrolle der JWF ist bundesweit einheitlich zu regeln. Selbst die Materialien sprechen wiederholt von bundesweiter Harmonisierung und der gegenständliche Gesetzesentwurf orientiert sich an den Grundsätzen der UN Konvention über die Rechte des Kindes.

 

Eine enge Kooperation und Vernetzung aller im Einzelfall involvierten Einrichtungen ist unerlässlich und es müssen genau diese Schnittstellen eingehend durchleuchtet und klare Strukturen zur Informationsweitergabe geschaffen werden. Die Informationsweitergabe kann nicht nur einseitig erfolgen (z.B. in Form von Meldepflichten gemäß § 37), sondern es muss auch seitens der JWF eine verpflichtende Informationsweitergabe geben, zumindest an betreuende Opferschutzeinrichtungen. Alternativ wäre eine Erweiterung der Auskunftsrechte § 6 denkbar.

 

Wir meinen, dass es notwendig ist alle Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, zu umfangreichen und wiederholten Schulungen zu verpflichten (und nicht nur wie im § 11 Abs 4 „berufsbegleitende Aus- und Fortbildung, sowie Supervision“ anzubieten). Ganz besonders gilt dies für alle VertreterInnen der JWF, wobei darauf zu achten ist, dass neben der Verpflichtung auch der Aktualität der Themen Rechnung zu tragen ist.

Beispielsweise wissen immer noch nicht alle VertreterInnen der JWF, dass es Prozessbegleitung gibt, dass diese im Gesetz verankert ist, was Prozessbegleitung ist und dass die JWF das Case-Management zu übernehmen hat. Aus diesem Grund ist die Kooperation der JWF mit jenen Einrichtungen, die Prozessbegleitung anbieten (oder auch Opferschutzeinrichtungen, die für Gefährdungsabklärungen eingeschalten werden müssen) jedenfalls als Verpflichtung festzuschreiben. In der Praxis findet eine Kooperation oftmals nicht statt, sondern es wird den prozessbegleitenden Einrichtungen das Case-Management zugeschoben oder sie werden gar als Störfaktor behandelt. Gerade im Bereich Prozessbegleitung sind dringendst Schulungen zu absolvieren.

Darüber hinaus ist eine Informationspflicht der JWF gegenüber den KlientInnen über das Recht von Prozessbegleitung im neuen Bundesgesetz zu verankern, analog der Informationspflicht der Exekutive und der Justiz.

 

Es braucht die gesetzliche Verankerung, die die Gewährleistung jener personellen und finanziellen Ressourcen festschreibt, die erforderlich sind, die ständig steigenden Anforderungen, mit denen die Jugendwohlfahrt konfrontiert ist, auch bewältigen zu können.

Des Weiteren muss die ausreichende Finanzierung von Psychotherapie gewährleistet und die finanziellen Nöte der psychosozialen Einrichtungen gelöst werden, damit ein umfassendes Unterstützungsangebot zur Verfügung stehen kann.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Sabine Rupp

Bundeskoordinatorin Prozessbegleitung für Kinder und Jugendliche