Entwurf eines Bundesgesetzes über die Grundsätze für soziale Arbeit mit Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche (Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2009 - B-KJHG 2009)

BMGFJ-421600/0037-II/2/2008

Stellungnahme von SOS-Kinderdorf

 

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, sehr geehrte Damen und Herren!

 

Im Namen von SOS-Kinderdorf erlauben wir uns zum Entwurf des erwähnten neuen Bundesgesetzes, das als eine der wesentlichen rechtlichen Grundlage von SOS-Kinderdorf bezeichnet werden kann, Stellung zu beziehen.

 

Aus der fast sechzigjährigen Geschichte von SOS-Kinderdorf beurteilen wir den vorliegenden Gesetzesentwurf in Hinblick auf seine Entstehung durch die breite Einbindung von Experten und Expertinnen aus dem öffentlichen und privaten Bereich sowie aus Praxis und Wissenschaft als außerordentlich positive Entwicklung auf dem Weg zu optimalen gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Leben von Kindern, Jugendlichen und Jungen Erwachsenen und ihren Familien.

 

Zur weiteren nachhaltigen Verbesserung im Lichte der Optimierung des Wohlergehens von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unserer Gesellschaft und Fortsetzung dieses nun einmal begonnen Prozesses regen wir einen Folgeprozess unter Anknüpfung an die vorliegenden Ergebnisse unter besonderen Berücksichtigung der Stellungnahmen der Mitglieder der Arbeitskreises und der gesetzlichen Errichtung einer entsprechende Inklusionsrunde (Beirat) mit ähnlicher interdisziplinären Besetzung zur ständigen ministeriellen Beratung in diesen Angelegenheiten an. Daraus würden wir uns eine über die Legislaturperioden hinausgehende fachliche Kontinuität und entsprechende Entwicklung der Materie erwarten, die auch im Bezug auf die nationalen Anstrengungen im Hinblick auf internationale Verpflichtungen (concluding observations, Staatenberichte etc) eine qualitative Verbesserung brächten und fernab von Anlassgesetzgebung gesellschaftlichen Veränderungen zeitgemäß Rechnung tragen könnten. Letztlich wäre aus der genannten Runde auch in den Bereichen der Forschung, der Vereinheitlichung der Verwaltungspraxis und der Planung wertvolle Impulse zu gewinnen.

 

Für in Zukunft zunehmend wichtiger werdende Inhalte (unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge, Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder als Opfer von Kinderhandel, Partizipation von Kindern, delinquente Kinder/Jugendliche, staatliche Gewährleistung der Grund- und Menschenrechte gegenüber Kindern und Jugendlichen, die im Rahmen der Jugendwohlfahrt aufwachsen usw.) sowie Fragen der Rechtsstaatlichkeit (Rechtssicherheit, Transparenz der Systematik der Bestimmungen, Vorhersehbarkeit), die im Diskussionsprozess größten Teils ausgespart blieben, herrscht unserer Meinung nach jedenfalls weiterhin Handlungsbedarf, damit allgemein von einer umfassenden Erneuerung der Jugendwohlfahrt gesprochen werden kann.

 

Zu den Bestimmungen im Einzelnen:

 

1.Teil, 1.Hauptstück, Ziele und Grundsätze, §§ 1, 2, 3

Als gesetzlichen Paradigmenwechsel und damit großen Fortschritt anerkennen wir, dass mit § 1 (1) das Recht des Kindes (Jugendlichen/er) an erster Stelle - wenngleich bloß mit programmatischem Charakter - Eingang in den Gesetzesentwurf gefunden hat. Das Recht, wie es in § 1 (1) beschrieben wird, sehen wir als Materie des Zivilrechts im Rahmen der Obsorge, dessen zivilrechtliche Durchsetzung durch die Verwaltungsbestimmung und den korrespondierenden Materialien jedenfalls nicht ausgeschlossen wird.

Unklar bleibt für die Praxis das Verhältnis zwischen Zielen, Grundsätzen und Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach dem ersten Hauptstück und den Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe nach dem zweiten Hauptstück, insbesondere zwischen dem zweiten und dem dritten Abschnitt. Die Formulierungen nach §1 (3) [sind durch Information und Beratung zu unterstützen] und den §§ 15 und 16 (1) (Ambulante Dienste [..haben zur Unterstützung zur Verfügung zu stellen]; Soziale Dienste [..können in Anspruch genommen werden, wenn keine konkrete Gefährdung des Kindeswohls…) sowie §25 (Unterstützende Erziehungshilfe [..ist Unterstützung der Erziehung zu gewähren] stehen unseres Erachtens auch unter zu Hilfenahme der Materialien für den Rechtsanwender noch in keinem erkennbar logischen Zusammenhang, der die Sicht auf eine verbesserte Situation für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Vergleich zu aktuellen Rechtslage zulässt. Unser Vorschlag geht daher in folgende Richtung:

1.    Den schließlich doch aus den Regelungen ableitbaren subjektiven Rechtsanspruch auf Erziehungshilfen bei Gefährdung des Kindeswohls ausdrücklich als solchen zu bezeichnen.

2.   Erziehungshilfen bzw. alle anderen sozialen und ambulanten Dienste den betroffenen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie deren Familien als öffentliche Serviceleistung quasi wie der „Besuch beim Zahnarzt“ generell und kostenlos zur Verfügung zu stellen.

3.   Im Sinne der in den Arbeitsgruppen vorherrschenden Meinung und grundsätzlich von allen Fachleuten einhellig vertretenen Auffassung, dass der Prävention ausdrücklich weitaus mehr Raum eingeräumt werden muss als bisher, sollte der Prävention konsequenter Weise ein eigener Paragraf bzw. Punkt sowohl im Abschnitt Ziele und Aufgaben als auch im 2.Hauptstück, das Leistungen beispielhaft beschreibt, gewidmet werden.

Als im europäischen Kontext besonders mutig und wegweisend sehen wir generell die Aufnahme der UN Konvention über die Rechte des Kindes in den Gesetzestext als handlungsleitendes Prinzip, wenngleich wir naturgemäß auf die Umsetzung gespannt sind.

 

Ad §4 (3) iVm § 8 (5) Im Rahmen des Zuständigkeitswechsels in Hinblick auf den damit verbundenen bürokratischen Aufwand, der eine notwendige Leistung an das Kind zu seinen Lasten unnötig verzögert, fordern wir ein persönliches sofortiges Übergabegespräch, das auch die unverzügliche Aktenübergabe beinhaltet. In diesem Zusammenhang ergibt sich auch die Frage nach einem Jugendhilfe Journaldienst.

 

Ad §7 Datenverwendung Die gesetzliche Ermächtigung des öffentlichen Jugendwohlfahrtsträgers ist im Lichte der Praxis durchaus nachvollziehbar, jedoch überschreitet sie in ein paar Punkten das legitime Maß. Das ist dann der Fall, wenn der öffentliche Jugendwohlfahrtsträger gleichsam wie der private Träger im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung auftritt (RASCHAUER, S 31). Nach unserer Rechtsauffassung müsste er die Datenverwendung, die er zu Zwecken der Planung, Forschung sowie Leistungserbringung und Leistungsabrechung verwendet, mit den betroffenen natürlichen und juristischen Personen vereinbaren.

Zum Schutz des Privat- und Familienlebens von Kindern, Jugendlichen sowie Junger Erwachsener sollten generell sensiblen Daten - die naturgemäß zur optimalen Betreuung eines Kindes gebraucht werden – nicht unbedingt gehortet werden. Sie können personenbezogen auch in Einzelgesprächen oder im Rahmen von Hilfeplantreffen zweckdienlich weitergegeben und notiert und/oder gespeichert werden ohne sie, für jedermann/-frau leicht auffindbar, nach einem Kriterium geordnet aufzubewahren bzw. zu speichern. Für die Steuerung, Planung und Forschung (inkl. Statistik) ist die Personenbezogenheit irrelevant.

 

 

1.Teil, 2.Hauptstück, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe

1.Abschnitt

Allgemeine Bestimmungen

 

Ad §9 (3) Trägerschaft, §10 Private Kinder- und Jugendhilfeträger Es mutet seltsam an, dass nun privaten, kleinen und großen Trägern, denen seit 1989 besonders durch diese Bestimmung eine öffentliche Wertschätzung und Aufwertung widerfuhr, nun durch die Abschaffung ein klares Signal gegen ihre emanzipatorische Entwicklung durch Vernetzung und fachlichen Kooperationen gesetzt wird. Die Abschaffung kann weder im Sinne einer hohen Qualität der Jugendwohlfahrt noch im Sinne einer besonders sparsamen Mittelverwendung interpretiert werden.

Interessant ist hier zu erwähnen, dass die Erfüllung privatwirtschaftlicher Leistungen hoheitlich im Rahmen einer neuen Aufsichtsform kontrolliert werden soll. Für eine rechtsstaatlich saubere Regelung bedürfte es diesbezüglich einer tiefer gehenden Diskussion.

Zu bedauern ist, dass die Berücksichtigung der UN Konvention über die Rechte des Kindes weder für private Träger noch für deren Einrichtungen gesetzlich verankert wird. SOS-Kinderdorf würde einer noch diesbezüglichen Veränderung positiv entgegensehen.

 

Ad §§ 11, 12, 13 14 Fachliche Ausrichtung, Planung, Forschung, Statistik

Aus der Sicht eines bundesweiten sowie international tätigen Trägers würden wir uns eine bundesweite Regelung über die Ausbildungen und Eignung für die Fachkräfte in der Jugendwohlfahrt wünschen. Das entspräche einerseits dem UN-Kinderrecht auf gleiche fachliche Qualität des Betreuungspersonals und würde auch auf eine wesentliche Verbesserung der fachlichen Ausgangsposition von Absolventen/innen von derzeit vielen verschiedenen Ausbildungscurricula mit eindeutig unterschiedlichem Niveau abzielen. In Bezug auf den Vorschlag der Berufsgruppe der Sozialarbeiter erlauben wir uns darauf hinzuweisen, dass neben der Sozialpädagogik auch die Familienpädagogik besonders im Rahmen der Betreuung von Kindern und Jugendlichen in familiennahen Betreuungsformen, wie sie mittlerweile von einigen Trägern erfolgreich angeboten wird und - nicht institutionell - in Pflegefamilien umgesetzt wird, eine Ausbildung ist, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und fachlichen Standards basiert. Konsequent wäre daher ihre gemeinsame Aufnahme in den Gesetzestext.

In den gesetzlichen Regelungen des Zusammenwirkens der Kinder- und Jugendhilfeträger bei Forschungsfragen und dem Gebot der Zusammenarbeit aller Träger auf Initiative des Bundes kann ein neuer Ansatz mit großem Entwicklungspotential gesehen werden.

 

2.Abschnitt

Dienste für werdende Eltern, Familien, Kinder und Jugendliche

§17 Sozialpädagogische Einrichtungen 

Im Namen von SOS-Kinderdorf bringen wir zum Ausdruck, dass es nicht einsehbar ist, wieso das familiennahe Betreuungskonzept von SOS-Kinderdorf, das seit Jahrzehnten den Entwicklungen in der österreichischen Jugendwohlfahrt Rechnung trägt (Arbeit mit dem Herkunftssystem, Paare, „Väter“ als Pflegepersonen, integrierte Kinderdörfer, Aufnahme der UN Konvention über die Rechte des Kindes in seine Statuten) und auf der ganzen Welt im Rahmen professioneller Hilfe eingesetzt wird, die Not von Kindern, Jugendlichen, Jungen Erwachsenen und ihren Familien zu lindern und damit das Ansehen Österreichs in der Welt stärkt, im jetzigen Entwurf ohne Kommentar gestrichen wird. Wir fordern daher eine Revidierung und die Verankerung von familienpädagogischen Einrichtungen neben sozialpädagogischen Einrichtungen.

 

§29 Hilfen für junge Erwachsene

Wie in letzter Zeit viele Male wollen wir abschließend nochmals für die Ausdehnung der Zuständigkeit der öffentlichen Jugendwohlfahrt für junge Menschen bis zum 27. Lebensjahr eintreten. Betroffene junge Menschen haben Teile ihrer Kindheit verloren. Der zeitliche Aspekt ist von niemandem ersetzbar. Die Ausdehnung der Bezugsdauer der Anspruchsberechtigung von Leistungen der Jugendhilfe würde diesen jungen Menschen von Rechtswegen auch einen Zeitersatz bzw. ein Mehr zum Erwachsenwerden bringen.

Ein gesellschaftspolitischer Zeitausgleich für junge Menschen wäre damit geschaffen. Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.

 

In diesem Sinn und mit freundlicher Unterstützung der Stellungnahmen unserer Systempartner aus der National Coalition, der IG Chance sowie der Kinder- und Jugendanwaltschaften

 

verbleiben wir mit vorzüglicher Hochachtung

 

                        

Christian Moser                         Alexandra Murg-Klenner

(Geschäftsführer SOS-Kinderdorf),      (Abteilungsleiterin im Fachbereich Pädagogik)