Bundesministerium für Gesundheit,

Familie und Jugend

Radetzkystraße 2

1030 Wien

 

 

 

 

 


Unser Zeichen: Dr. WK/bw

 

 

Wien, 15.11.2008

 

 

 

 

 

 


Betrifft:      Begutachtungsentwurf Kinder- und Jugendhilfegesetz 2009 – B-KJHG 2009

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Österreichische Ärztekammer bezieht sich auf den og. Gesetzesentwurf, der die Interessen der in Österreich tätigen Ärztinnen und Ärzte wesentlich beeinträchtigt und weit in das ärztliche Berufsrecht eingreift, da davon die ärztliche Verschwiegenheitspflicht, Anzeigepflichten und Dokumentation ärztlicher Tätigkeit betroffen sind und bedauert, keine Möglichkeit erhalten zu haben, im Vorfeld ihre Bedenken zu äußern. 

 

Den erläuternden Bemerkungen ist zu entnehmen, dass sich Österreich durch die Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte des Kindes verpflichtet hat, Kinder und Jugendliche als Träger grundlegender Rechte anzuerkennen. Es wird weiter ausgeführt, dass der Staat die Aufgabe des notwendigen Schutzes und der Fürsorge übernommen habe.

 

 

Zu § 37Mitteilung über Verdacht der Kindeswohlgefährdung“ ist auszuführen:

 

  1. Meldepflichtige Umstände:

 

Ergibt sich in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit der begründete Verdacht, dass Kinder und Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden sind oder ihr Wohl in anderer Weise erheblich gefährdet ist, ist … unverzüglich schriftlich .. Mitteilung .. zu erstatten.“

 

Das ärztliche Berufsrecht normiert in § 54 Ärztegesetz 1998  die ärztliche Verschwiegenheitspflicht. Darauf baut das  Vertrauensverhältnis in der Arzt- – Patientenbeziehung auf. Diesem Umstand entsprechend sind nur einige wenige Tatbestände, die eine Weitergabe bzw. Anzeige von „dem Arzt/der Ärztin anvertrauten Geheimnissen“ rechtfertigen, normiert, weshalb auch § 54 ÄrzteG eine sehr differenzierte Abwägung vorsieht. Demnach hat der Arzt/die Ärztin in Fällen, in denen Kinder und Jugendliche misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden sind, entweder Anzeige an die Sicherheitsbehörde oder an den Jugendwohlfahrtsträger zu erstatten. An letztere, wenn sich der Verdacht gegen einen nahen Angehörigen richtet und dies das Wohl des Minderjährigen erfordert.

 

Die nunmehrige Bestimmung greift hingegen in undifferenzierter Weise in diese Systematik ein, sieht eine unbedingte (?) Meldepflicht an die Kinder- und Jugendhilfeträger vor und sanktioniert einen Verstoß mit strafrechtlicher Verantwortung.  Wie sich die beiden Gesetzesbestimmungen (§ 54 Ärztegesetz 1998 und § 37 des Entwurfes Kinder- und Jugendhilfegesetz 2009) zueinander verhalten, ist nicht klar.

 

Allein daraus  ergibt sich eine große Anzahl an Fragen und Rechtsunsicherheiten:

 

 

Zudem kommt, dass § 37  gegenüber § 54 Ärztegesetz weitere Tatbestandselemente enthält:

 

 

 Demnach hätte der Arzt/die Ärztin Anzeige an den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger zu erstatten, wenn sich der begründete Verdacht ergibt, dass das Wohl des Minderjährigen in anderer Weise erheblich gefährdet ist, dies dann, wenn dies zur Vermeidung oder zur Abwehr einer konkreten erheblichen Gefährdung eines bestimmten Kindes beziehungsweise Jugendlichen erforderlich ist. 

 

Somit wird die Tätigkeit des Arztes/der Ärztin über die ärztliche Behandlung hinaus auf die Bewertung des Kindeswohles und die Gefährdungseinschätzung ausgedehnt, dies verbunden mit einer Verpflichtung zur Anzeige, die unter (nicht näher geregelter, vgl. unten) strafrechtlicher Sanktion steht.

 

Dazu kommt, dass dieser Gesetzestext inhaltlich nicht ausreichend determiniert ist. So ergibt sich aus dem Gesetzestext nicht, was konkret unter „Gefährdung des Kindeswohles“ zu verstehen ist.

 

Zur Erläuterung wird ausgeführt, dass das Kindeswohl beeinträchtigt ist bei:  

-  Suchterkrankung der Minderjährigen

Es erhebt sich die Frage, ob bei jeder Suchterkrankung – Gefährdung ist wohl zu bejahen - eine verpflichtende Anzeige an den Kinder- und Jugendhilfeträger zu erstatten wäre. Dies ist jedoch mit der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht unvereinbar, weshalb zu befürchten ist, dass viele Kinder und Jugendliche ärztliche Hilfe nicht mehr in Anspruch nehmen würden. Darüber hinaus steht diese Bestimmung erneut in einem Spannungsverhältnis zu bestehenden Gesetzesbestimmungen, vgl. § 13 SMG oder das System „Hilfe statt Strafe“.

 

Für den Arzt/die Ärztin ergeben sich durch diese Gesetzesbestimmungen ua folgende Rechtsunsicherheiten:

 

§  Muss der Arzt/die Ärztin jede Suchterkrankung melden?

§  Ab wann liegt eine konkrete erhebliche Gefährdung des Kindes/Jugendlichen vor?

§  Mit welchen Sanktionen ist zu rechnen, wenn nicht gemeldet wird?

 

-  Suchterkrankung von Eltern

Stellt der Arzt/die Ärztin eine Suchterkrankung von PatientInnen, die Kinder haben, fest, so hat er/sie, will er sich nicht einer strafrechtlichen Sanktion aussetzen, anzuzeigen?

 

In Analogie zu diesen Beispielen muss die Frage gestellt werden, ob das Wohl des Minderjährigen beeinträchtigt wäre, wenn eine psychische Beeinträchtigung des Jugendlichen oder der Eltern vorliegt (in welchem Ausmaß?) oder wenn Anorexia nervosa, Fettleibigkeit oder andere Krankheiten festgestellt werden. Die Liste ließe sich wohl unendlich erweitern. In all diesen Fällen kann wohl gleichzeitig eine Gefährdungstendenz angenommen werden.

 

Insgesamt ist daher davon auszugehen, dass die im Gesetzesentwurf vorgesehene Anzeigeverpflichtung in hohem Grade in das Vertrauensverhältnis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen (sowohl der Erziehungsberechtigten als auch der Kinder- und Jugendlichen) eingreift bzw. die ärztliche Verschwiegenheitspflicht in einem nicht zu rechtfertigenden Ausmaß  aushöhlt. Die Verpflichtung wird verstärkt durch die – nicht näher determinierte – Strafsanktion. Darüber hinaus beinhaltet § 37 mehrere unbestimmte Gesetzesbegriffe, die ein eindeutiges Handeln des Arztes/der Ärztin nicht zulassen. Schlussendlich ist nicht geklärt, wie sich § 54 Ärztegesetz 1998 bzw. andere bereits bestehende gesetzliche Bestimmungen und der im Entwurf vorgesehene § 37  im rechtlichen Sinn zueinander verhalten.

 

 Die Österreichische Ärztekammer kann daher einer solchen Bestimmung, die weder einen klaren Tatbestand noch eine klare Rechtsfolge regelt, nicht zustimmen.

 

 

  1. Umfang der Meldung und Dokumentation

 

Die schriftliche Mitteilung hat jedenfalls Angaben über alle relevanten Wahrnehmungen und den daraus gezogenen fachlichen Schlussfolgerungen (!) sowie Namen und Adressen der betroffenen Minderjährigen und der mitteilungspflichtigen Person zu enthalten.

 

Dazu ist auszuführen, dass die ärztliche Tätigkeit im Rahmen der Krankenbehandlung darin besteht, gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Verletzungen nach medizinisch-wissenschaftlichen Maßstäben zu behandeln und die durchgeführte Behandlung entsprechend zu dokumentieren. Darunter ist aber nicht eine  Begutachtung iSd § 55 Ärztegesetz 1998 oder eine Erhebung weiterer für andere Behörden relevanter Daten zu verstehen. Ungeklärt bleibt auch, wer für die Mehrkosten, die dem Arzt/der Ärztin dadurch entstehen, aufkommt.

 

 Die Erweiterung der ärztlichen Pflichten in diese Richtung ist daher striktest abzulehnen.

 

  1. Meldepflichtige Personen

 

Die im Entwurf vorliegende Bestimmung  normiert, dass Kranken- und Kuranstalten einschließlich Ambulanzen (im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte nach Abs. 2)  unverzüglich schriftlich Mitteilung an den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger zu erstatten haben, soweit diese zur Vermeidung oder zur Abwehr einer konkreten erheblichen Gefährdung eines bestimmten Kindes beziehungsweise Jugendlichen erforderlich ist. Dies gilt gemäß Abs. 3 auch für Angehörige medizinischer Gesundheitsberufe. 

Zu dieser Bestimmung ist auszuführen:

 

 

Wer innerhalb der genannten Einrichtungen die Meldung erstattet, ist nicht klar definiert, so kann dies der/die Verwaltungsdirektor(in), ein(e) Verwaltungsangestellte(r), insbesondere der Aufnahme- und Entlassungsstelle, ein Arzt/eine Ärztin, ein(e) abteilungsver-antwortliche(r)Arzt/Ärztin, der/die ärztliche Direktor(in), der/die Pflegedirektor(in) sowie jeder Angehörige eines anderen Gesundheitsberufes, allenfalls im Zusammenwirken, sein.

 

Das Ärztegesetz 1998 normiert die ärztliche Anzeigepflicht. Diese gilt für SpitalsärztInnen und niedergelassene ÄrztInnen gleichermaßen. In Ordinationen ist es üblich, dass der Arzt/die Ärztin über die Anzeige entscheidet. Insofern sind die Ausführungen in den erläuternden Bemerkungen nicht nachzuvollziehen, dass sich der Kreis der Meldepflichtigen nicht ausgedehnt hat bzw. trägt der vorliegende Entwurf keineswegs zu mehr Klarheit bei. Die eigenständige Meldepflicht von z.B. Ordinationshilfen und anderen Angehörigen von Gesundheitsberufen in Ordinationen als Parallelverpflichtung ist absolut abzulehnen. 

 

 Insgesamt lässt sich daher feststellen, dass § 37 mit der bestehenden  Gesetzessystematik nicht in Einklang zu bringen ist. Im Sinne der Rechtssicherheit der ÄrztInnen fordern wir die Angehörigen für Gesundheitsberufe aus dieser Bestimmung heraus zu nehmen, da für diese eine bestens bewährte spezielle Anzeigepflicht besteht.


  1. Strafbestimmung

 

Die Verletzung der Mitteilungspflicht bei Verdacht der Kindeswohlgefährdung gemäß § 37 – welche, würde sie in dieser Form Gesetz werden, zahlreiche Rechtsunsicherheiten mit sich bringen würde, vgl. oben -  soll mit einer Strafbestimmung gemäß § 36 sanktioniert werden.  Zum Begutachtungszeitpunkt ist dieser Strafrahmen jedoch nicht abschätzbar, wird er doch in den einzelnen Landesgesetzen  geregelt werden (Ann.: in höchst unterschiedlichem Ausmaß, da kein Rahmen vorgegeben ist).

 

 Diese Strafbestimmung ist aufgrund der aufgezeigten Rechtsunsicherheiten striktest abzulehnen.

 

  1. Finanzielle Auswirkungen:

 

Es ist zu erwarten, dass die Anzeigen durch den Arzt/die Ärztin aufgrund der genannten Bestimmungen ein Vielfaches erreichen werden, die Dokumentation aufwändig und umfangreich gestaltet werden muss, der Zeitaufwand für Beweiserhebung und Beweissicherung, etc. ansteigen wird. Wer die Kosten für den erhöhten Aufwand tragen wird, ist im Gesetz nicht geregelt und in den finanziellen Auswirkungen nicht abgebildet. 

 

Insgesamt ist daher auszuführen, dass die Österreichische Ärztekammer die angeführten Gesetzesbestimmungen aus den oben erwähnten Gründen ablehnt.

 

Wir ersuchen um Berücksichtigung unserer Einwände und Bedenken bzw. um einen Gesprächstermin, um unsere Bedenken auch mündlich vorbringen zu können und verbleiben

 

mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

 

KAD Dr. Karlheinz Kux eh.

i.A. für den Präsidenten