An die Parlamentsdirektion

Begutachtungsverfahren                                         Graz, 18. November 2008

1010 Wien

 

Betrifft:        B-KJHG 2009

                   Stellungnahme der Interessengemeinschaft Chancengesetz

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Die Interessengemeinschaft Chancengesetz wurde im Oktober 2007 gegründet. Derzeit gehören dieser Plattform über 30 Partnerorganisationen an. Gemeinsames Anliegen ist die nachhaltige Verbesserung der Rahmenbedingungen und gesetzlichen Grundlagen für Kinder, Jugendliche, ihre Eltern, ihre Erziehungsberechtigten und professionelle Helferinnen und Helfer.

Die vorliegende Stellungnahme wurde bei mehreren Arbeitstreffen in Österreich erarbeitet.

 

Für die Stellungnahme:

 

Roswitha Laminger- Purgstaller            SOS-Kinderdorf

Elisabeth Schober                               WG Roseldorf

Wolfgang Apfelthaler                           Rettet das Kind

Christina Lienhart                                SOS-Kinderdorf/Sozialpädagogisches Institut

Eva Horvath                                       Rettet das Kind

Herbert Siegrist                                  AKS Noah/ DÖJ

Philipp Streit                                      Institut für Kind, Jugend und Familie

Annemarie Feichtenberger                   AIS

Gerhard Heinritz                                 Vorarlberger Kinderdorf

Siegfried Kalb                                     Vorarlberger Kinderdorf

Stefan Schnegg                                   DOWAS/CHILLOUT

Viktoria Gruber                                   KIZ Tirol

Markus Fankhauser                             KIZ Tirol

Monika Franta                                     SOS-Kinderdorf

Alexander Krückl                                 SOS-Kinderdorf               

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stellungnahme zum Entwurf

eines Bundesgesetzes über die Grundsätze für soziale Arbeit mit Familien und Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche

(Bundes- Kinder- und Jugendhilfegesetz 2009- B-KJHG 2009)

 

§ 1:    Das verantwortungsbewusste Verhalten der Eltern wird unterstützt und gefördert. Für das Kind ist Respekt vor der eigenen Herkunft möglich, da die Gesetzgebung diesem Herkunftssystem Respekt zollt.

§ 1 in Verbindung mit §29: Wir schlagen vor, dass das Recht auf Erziehung (Erziehungshilfen) mit durchsetzbarem Rechtsanspruch versehen und auf junge Volljährige bis zum 21. Geburtstag ausgedehnt wird. Die jungen Volljährigen sollen auch nach dem 18. Geburtstag eine Hilfeleistung nach dem KJHG neu beantragen können.

 

§ 2:    Um eine bestmögliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen, ist die Kooperation aller Systeme (Schule, Gesundheitsbereich, berufliches Umfeld, Herkunftssystem etc. erforderlich. Denn nur wenn diese in ihrer Bedeutung erkannt und respektiert werden, kann von einer - für jede Erziehungshilfe zwingenden notwendigen - ganzheitlichen Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen gesprochen werden. Diese Schnittstellenthematik zu beachten halten wir für einen entscheidenden Punkt, der eine explizite Erwähnung im Gesetzestext notwendig macht.

Im Punkt 2.6. fällt auf, dass von Reintegration gesprochen wird. Wir nehmen an  hier ist Reintegration in die Herkunftsfamilie gemeint. Damit Rückführung gelingt, ist Arbeit mit den Eltern unbedingt notwendig. Damit es nicht nur eine Absichtserklärung bleibt, wäre es wichtig im Gesetz zu verankern, wer diese Leistung zu erbringen hat.

Ergänzung mit § 2.7: Unterstützung und Begleitung von Jugendlichen bei deren Verselbständigung, wenn die Herkunftsfamilie diesbezüglich ausfällt.

 

§ 3: Bei den Aufgaben scheinen die „Soziale Arbeit mit Familien“, die hier eine explizite Grundlage bekommt, ebenso neu zu sein wie die Krisenunterstützung. Der Begriff „Soziale Arbeit mit Familien“ wird in den Erläuterungen allerdings unterschiedlich weit („Hilfe zur Bewältigung des Lebens- und Erziehungsalltags“ resp. eng („Beratung konzentriert sich auf Erziehungsfragen und Problemfelder im familiären Kontext und grenzt sich von der Beratung zu Fragestellungen über andere Lebensbereiche, wie z.B. Bildungs- und Berufsberatung oder Schuldnerberatung, ab“) definiert.

 

§ 4.2 Hier ist die Zuständigkeit bezüglich „Jugendhilfe“ geregelt. Diese Zuständigkeit müsste ausgedehnt auf alle „begleitenden“ Maßnahmen erweitert werden. (Bsp: Schulbesuch: Die Kosten für die Schulumlage hat die „Herkunftsgemeinde“ zu tragen. Wenn dies nicht eindeutig feststellbar ist, übernimmt das „zuständige“ Bundesland diese Kosten. Damit soll verhindert werden, dass die Gemeinde zum Kostenträger wird, in der sich der Kinder- und Jugendhilfeträger befindet.

 

§ 7:    Sensible Daten der MitarbeiterInnen und auch die der Angehörigen müssen bestmöglich geschützt werden, daher soll der Träger die Verantwortung für den Datenschutz übernehmen.

 

§ 8.5: Bei Wechsel der Zuständigkeit erscheint es uns wichtig, dass die gesamte Dokumentation persönlich und unverzüglich an den örtlich zuständigen Kinder- und Jugendhilfeträger übergeben wird.

 

§ 9.3: Wir bedauern, dass im Gesetzesentwurf keine Bevorzugung der Freien Jugendwohlfahrtsträger mehr besteht, wenn diese bei zumindest gleicher Qualität wirtschaftlicher handeln. Daher fordern wir folgende Formulierung: Einrichtungen der freien Jugendwohlfahrt dürfen zur Erfüllung von nichthoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt herangezogen werden, wenn sie nach Ziel und Ausstattung dazu geeignet sind. Gewährleistet ein freier Jugendwohlfahrtsträger jedoch unter Berücksichtigung seiner Ausstattung und sonstigen Leistungen das Wohl eines Kindes qualitativer und wirtschaftlicher als der öffentliche Träger, so soll der freie Träger herangezogen werden.

 

§ 10.4: Hier sollte eine klare Frist zur Behebung bescheid mäßig bezeichneter Mängel definiert werden. Weiter stellen wir fest, dass die Aufsicht über „private“ Kinder- und Jugendhilfeträger geregelt ist, diese jedoch bei den „öffentlichen“ (z.B. Landesjugendheime) nicht erwähnt wird.

 

§ 11.1:  Was sind „allgemein anerkannte Standards“ und wer legt sie fest? Hier fehlt eine Konkretisierung.

 

§ 11.2: Die Ausbildung der Fachkräfte soll nicht nur für den Tätigkeitsbereich beschrieben werden, sondern auch den internationalen Standards entsprechen. Eine Möglichkeit dazu ist Anerkennungen beispielhaft anzuführen und ECTS zu benennen.

 

§ 11.4: Fachkräften der „öffentlichen“ und „privaten“ Kinder- und Jugendhilfe ist regelmäßig berufsbegleitend Aus- und Fortbildung sowie Supervision anzubieten. Diese ist auch in Anspruch zu nehmen.

 

§ 13: Es ist zu begrüßen, dass Forschung im B-KJHG explizierter formuliert ist und in diversen Paragraphen auf den aktuellen Stand der Sozialwissenschaften verwiesen wird. Offen bleibt allerdings die Umsetzung in den Landesgesetzen und in der Praxis (Struktur, Budget…). Dass Forschung sich allerdings primär mit der Frage der Effizienz von Maßnahmen beschäftigen soll - wie in den Erläuterungen formuliert -  schränkt das Ganze allerdings wieder ziemlich ein, denn dann geht es weniger um kontinuierliche Weiterentwicklung. Wenn Forschung zur Frage der Wirkungen und zur Weiterentwicklung beitragen soll, braucht es ein weiteres Forschungsverständnis, das unter anderem auch komplexere und grundlegendere Forschungsarbeiten inkludiert. Praxis- und Zielgruppenorientierung bedeutet u.a. auch die Angemessenheit von Forschungsvorhaben in einem Feld, in dem „nicht mit Bestimmtheit vorausgesehen werden kann, wie die Wirkung sein wird, ob es die angestrebten Ziele durch die getätigten Interventionen erreicht werden können. Das vereinfachte Ursache- Wirkungsprinzip trifft bei sozialen und psychischen Systemen nicht zu, da diese zu komplex und nicht vollkommen durchschaubar und berechenbar sind“ (Erläuterungen zu § 23).

 

§ 14: Die Verpflichtung des Bundesministeriums zur Führung einer adäquaten Statistik ist sehr positiv. Besonders positiv bei den statistischen Daten ist die Auswertung von Ausgaben und Einnahmen und die Erfassung der ethnischen Herkunft.

 

§ 14.3: Die Daten, die länderweise und bundesweit für ein Berichtsjahr zusammenzufassen sind, sollen in einem Kinder- und Jugendwohlfahrtsbericht, der vergleichbare Zahlen aufweist einmal jährlich in einer parlamentarischen Sitzung veröffentlicht und thematisiert werden.

 

§ 15: Prävention als Begriff wird grundsätzlich nur in den Erläuterungen, allerdings nicht im Gesetz verwendet - was bedeutet das? Zudem trotz allem eher höherschwellige Präventionsangebote (Beratung ist die niederschwelligste Form), eher im Bereich Sekundär- und Tertiärprävention; gänzlich fehlt die gesetzliche (und somit budgetäre) Verankerung von und Verantwortung für sozialraumorientierte soziale Arbeit mit Familien.

 

§ 16: Damit frühzeitig präventive und kurative Arbeit geleistet werden kann, halten wir es wichtig, dass niederschwellige Angebote wie Streetwork, betreute Notschlafstellen und Kriseneinrichtungen als soziale Dienste ohne volle Erziehung erhalten bleiben. Diese sollten auf jeden Fall aus § 17 gestrichen werden, da die volle Erziehung ein Widerspruch zur Niederschwelligkeit bzw. akuten Krisenintervention darstellt.

Bildung, sowie allgemeine und besondere Beratungsdienste für werdende Eltern, Eltern, Erziehungsberechtigte und Minderjährige müssen angeboten werden. Darüber hinaus müssen vorbeugende und therapeutische Hilfen für Minderjährige, junge Erwachsene und deren Familien ausgebaut und verankert werden.

Psychologische Behandlung und Psychotherapie muss eingefügt werden. Dies hat sich in der bisherigen Praxis als sehr effektiv erwiesen, PBH und PT präventiv einzusetzen, und die Entwicklung gravierender Störungen hintanzuhalten. Sinnvoller Einsatz dieser beiden Methoden entspricht in hervorragender Weise dem Präventionsgedanken des Gesetzes.

Der Jugendwohlfahrtsträger sorgt vor, dass die zur Erfüllung der Aufgaben notwendigen sozialen Dienste bereitgestellt werden. Er nimmt auf die regionalen Verhältnisse und die Bevölkerungsstruktur Bedacht.

 

 

§ 17.3: Die Aufzählung der Sozialpädagogischen Einrichtungen muss der Vollständigkeit wegen ergänzt werden mit Tageseinrichtungen.

Auf das wichtige Angebot der familienpädagogischen Einrichtungen hat man in diesem Gesetzesentwurf vergessen. Wir ersuchen dringend dieses Angebot anzuführen. Gerade Familienpädagogik wurde in den vergangenen Jahren als eigenständige pädagogische Profession entwickelt. Konstanz und Verbindlichkeit einer Bezugsperson, die mit dem Kind lebt ist besonders für junge Kinder und Kinder, die eine längerfristige Unterbringung brauchen, von großer Bedeutung.

 

§ 23: Wir freuen uns, dass im individuellen Fall von der aussichtsreichsten Hilfe gesprochen wird. Dies braucht klare Strukturen und regelmäßiges Clearing. Der Hilfeplan sollte kurz, mittel und langfristige Ziele beschreiben. Da es auch immer wieder zu wechselnden Helfersystemen kommt, muss die Prozessverantwortlichkeit im Vorfeld geklärt werden. In angemessenen Intervallen finden Helferkonferenzen statt, zu denen bei mittel- und längerfristigen Erziehungshilfen die JWF, bei kurzfristigen Erziehungshilfen der Träger einlädt. Die Wichtigkeit der größtmöglichen Stabilität auf HelferInnenseite erscheint ist zu betonen.

 

§ 24: Da Familien einen wesentlichen Teil bei der Hilfeplanerstellung einnehmen ist es wichtig, mit ihnen gemeinsam, d.h. auch unter Berücksichtigung des Willens der Mitglieder des Herkunftssystems, die vorhandenen Ressourcen zu nützen. Dieser emanzipatorische Zugang erleichtert gemeinsames Arbeiten.

 

§ 29: Die Ausweitung der Ansprüche auf junge Erwachsene bis zur Verselbständigung halten wir für dringend erforderlich. Der Staat verpflichtet Eltern bis zum 27. Lebensjahr ihre in Ausbildung stehenden Kinder zu unterstützen. Dies fordern wir analog dazu.

 

§ 37: Unklar ist uns, wer wann entscheidet, ob und wann es zu einer Anzeige kommt.