Stellungnahme

 der Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen Österreichs

zum Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz 2009 - B-KJHG 2009[1]

18.11.2008

 

 

Wenngleich bedauerlicherweise die Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen Österreichs nicht in die Erarbeitung eingebunden waren, begrüßen sie grundsätzlich die Neuerungen des Bundesgrundsatzgesetzes, insbesondere die Einführung der Kinderrechte neben dem Kindeswohl als handlungsleitende Prinzipien und die Schaffung von Mindeststandards durch Einführung einer Gefährdungsabklärung und Hilfeplanung.

 

Zu einzelnen Bestimmungen ergehen aus fachlicher Sicht noch diverse Anregungen:

 

In § 4 wird der persönliche und örtliche Anwendungsbereich definiert. Hierzu ergeht der Vorschlag, dass auch in Fällen von Kindesentziehung ins Ausland die Zuständigkeit und Leistungsgewährung durch die österreichische Kinder- und Jugendhilfe aufrecht bleibt. In dieser Konstellation ist der Bedarf an Hilfe und Unterstützung mehr als evident.

 

§ 5 regelt die Verschwiegenheitspflicht. Dazu müsste u.E. ausgeführt werden, dass die Weitergabe notwendiger Informationen, die der Gefährdungsabklärung dienlich sind, im Rahmen von Fallkonferenzen und der Austausch mit den involvierten Institutionen darüber unter der Voraussetzung eines effizienten Case-Managements zweckmäßig und statthaft ist.

 

Bei den Erziehungshilfen gegen den Willen der Eltern u.a. in § 28 des Entwurfs soll eine analoge Regelung wie in § 4 des Entwurfes Platz greifen: Erziehungshilfebedarf gegen den Willen der Eltern bei Personen mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft wird nach inländischem Recht behandelt, sofern sich die Eltern bzw. ein Elternteil im Inland befinden/befindet.

 

 

Zu den Bestimmungen der §§ 22 und 37 im Entwurf besteht nach unserer Ansicht noch Präzisierungs- und Ergänzungsbedarf:

 

Für wichtig erachtet wird jedenfalls eine Präzisierung des Begriffs  „konkrete erhebliche Gefährdung“.

 

In § 37 Abs 1 wird normiert, dass bei begründetem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung durch Misshandeln, Quälen, Vernachlässigung, sexuellen Missbrauch oder andere erhebliche Weise u.a. Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen als Einrichtungen zur Beratung von Kindern, Jugendlichen und Familien (Z 3) in Ausübung ihrer Tätigkeit eine unverzügliche schriftliche Mitteilungspflicht an die Jugendwohlfahrt trifft, soweit diese zur Vermeidung oder Abwehr einer konkreten erheblichen Gefährdung erforderlich ist. Die Entscheidung über die Mitteilung soll im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden.

 

Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen erhalten generell Mitteilung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bzw. der Sicherheitsbehörden über erfolgte Wegweisungen und Betretungsverbote nach § 38a iVm § 56 Abs 1 Z 3 SPG in Form der Übermittlung der Dokumentation dieser Maßnahmen. Bei Zugehörigkeit von Kindern zum Haushalt einer gefährdeten Person wird der Verdacht auf Kindeswohlgefährdung gleichzeitig durch Übermittlung der Betretungsverbote seitens der Polizei gemäß § 38a iVm § 56 Abs 1 Z 2 SPG an die Jugendwohlfahrtsbehörden zur Kenntnis gebracht.

 

In der Regel erfolgt also eine Mitteilung der Polizei über ein verhängtes Betretungsverbot gegenüber einer in einer Familie gewalttätigen Person bei unter 18jährigen Kindern im Haushalt an die Jugendwohlfahrt, gleich, ob Kinder selber Gewalt erleiden oder die Gewalt - meist an der Mutter - beobachten oder irgendwie sonst mit bekommen. Es steht - durch Forschungen belegt[2] - fest, dass Kinder durch beobachtete Gewalt in gleicher Weise traumatisiert werden können wie durch selbst erlebte Gewalt. Die Übermittlung solcher Betretungsverbote durch die Polizei an die Jugendwohlfahrt und soll Grundlage für eine Gefährdungseinschätzung bzw. -abklärung sein.

Aufgrund der Erfahrungspraxis der Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen Österreichs wird bei Gewalthandeln unter Erwachsenen die Mitbetroffenheit von Kindern gemeinhin von der Jugendwohlfahrt nicht als Gefährdungstatbestand gesehen und anerkannt.[3] Es wäre insofern nicht zielführend, würden die Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen hier Meldung erstatten. Bei Mitbetroffenheit von Kindern bemühen sich die Gewaltschutzzentren selbst um Lösungen zugunsten belasteter Kinder.

 

Wichtig erscheint die Verzahnung und Kooperation in Fällen, in denen sowohl die Zuständigkeit der Gewaltschutzzentren / Interventionsstellen als auch der Kinder- und Jugendhilfe gegeben ist. Zum einen soll Doppelbetreuung vermieden werden oder ein Kooperationsbedarf in Fallkonferenzen abgeklärt werden. Dazu bedarf es einer gesetzlich festgelegten Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen, um die bestmögliche Lösung für die betroffenen Kinder und Jugendlichen zu finden.

 

Die Gefährdungsabklärung ist Sache der Kinder- und Jugendhilfe und braucht gemäß § 23 ein standardisiertes Vorgehen in deren Verantwortung.

 



[1] verfasst von DSA Maga. Maria Schwarz-Schlöglmann, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums OÖ.

Die Interventionsstelle Vorarlberg gibt ihre Stellungnahme im Rahmen des Instituts für Sozialdienste Vorarlberg (ifs) ab.

 

[2] U.a. Kindler, H. (2006): Partnergewalt und Beeinträchtigungen kindlicher Entwicklung: ein Forschungsüberblick, In: Kavemann, B./Kreyssig, U. (Hg): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden, 36 - 52; siehe auch Kindler, H./Werner., A (2005): Auswirkungen von Partnerschaftsgewalt auf Kinder: Forschungsstand und Folgerungen für die Praxis, In: Deegener, G./Körner, W. (Hg): Kindesmisshandlungen und Vernachlässigung. Ein Handbuch. Göttingen, 104 - 127; Strasser, P. (2001): Kinder legen Zeugnis ab. Gewalt gegen Frauen als Trauma für die Kinder. Innsbruck, Wien

[3] Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie OÖ (2006): Praxis der Handhabung des Gewaltschutzgesetzes durch die Jugendwohlfahrt bei Betroffenheit von Kindern und Jugendlichen - eine explorative Studie, Linz