23/A(E) XXIV. GP
Eingebracht am 28.10.2008
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG
des Abgeordneten Pirklhuber, Lunacek, Freundinnen und Freunde
betreffend eine neue Agrarpolitik für Nord und Süd
Die Zahl der weltweit Hungernden ist nach Angaben der FAO allein im Jahr 2007 um 73 Millionen Menschen auf 923 Millionen Menschen angestiegen. Aufgrund der hohen Lebensmittelpreise ist in den nächsten Jahren ein weiterer Anstieg zu befürchten. In den Entwicklungsländern geben arme Haushalte 50-90 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie aus. Die höheren Preise führen daher zu mehr Armut, Unterernährung und erhöhter Anfälligkeit für weitere externe Schocks. Nach vorläufigen Schätzungen der Weltbank könnte der Anstieg der Lebensmittelpreise rund 100 Millionen Menschen tiefer in die Armut treiben. Von Gewalt begleitete Proteste in Lateinamerika, Afrika und Asien legen bereits Zeugnis ab von den unmittelbaren und dramatischen Auswirkungen auf die ärmsten Bevölkerungsschichten.
Der Klimawandel und darauf zurückzuführende Naturkatastrophen führen zu Missernten, welche die Nahrungsmittelkrise verstärken. Besonders dramatisch ist laut UN die Situation weiterhin in Afrika, speziell in den Ländern südlich der Sahara. Gerade diese Länder, die nur sehr wenig zu Klimawandel und Erderwärmung beigetragen haben, leiden am meisten unter ihren Folgen.
Die Politik in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern ist nicht auf die Entwicklung und Ernährung der breiten Bevölkerung ausgerichtet. Länder, die ihre Landwirtschaft vernachlässigt, den Schutz ihrer Märkte abgebaut und auch keine Sozialsicherungssysteme haben, sind von den Folgen der Krise besonders stark betroffen. Ungerechte Landverteilung und Kriege sind weitere Faktoren, die zu Hunger und Unterernährung beitragen.
Zu den strukturellen Ursachen der Nahrungsmittelkrise zählt auch der hohe Fleischkonsum in den Industrie- und Schwellenländern. Die starke Nachfrage nach Fleisch und Milchprodukten bewirkt, dass derzeit weltweit mehr als ein Drittel der Ackerfläche für die Futtermittelerzeugung zur Verfügung gestellt wird. Fast die Hälfte der globalen Getreideernte und bis zu 90 Prozent der jährlichen Erträge von Sojabohnen landen in den Trögen der weltweit 20 Milliarden Nutztiere. Die Folgen für Entwicklungsländer sind schwerwiegend: Je mehr Futtermittel für den Export angebaut werden, desto weniger Produktionsflächen bleiben ihnen für die Nahrungsmittelerzeugung der eigenen Bevölkerung.
Bisher hat die Agrarpolitik der Europäischen Union und Nordamerikas durch ihre Zolllinien und handelsverzerrenden Exportsubventionen dazu geführt, dass die auf den eigenen Markt ausgerichtete Landwirtschaft in vielen Entwicklungsländern geschwächt oder sogar zerstört wurde. Gleichzeitig hat es die internationale Entwicklungspolitik verabsäumt, eine ländliche Entwicklung und bäuerliche Strukturen, die geeignet wären, die Hungerproblematik zu entschärfen, zu stärken.
Die durch Beimischungszwänge forcierte Produktion von Agrartreibstoffen verschärft den Druck auf die steigenden Lebensmittelpreise noch. Weder die EU noch Österreich verfügt über die notwendigen Flächen zur Produktion der Agrarrohstoffe, um die Beimischungsziele (EU: 10% bis 2020 und Österreich 10% sogar schon im Jahr 2010) zu erreichen, sondern man wäre weitgehend auf Importe angewiesen. Für die Substitution von zehn Prozent Agrartreibstoffen in europäischen Tanks würden daher in anderen Ländern noch mehr Wälder vernichtet, ginge noch mehr Ackerfläche für die Nahrungsmittelerzeugung verloren, würden noch mehr Menschen in Hunger und Elend gedrängt. Die sozialen Folgen sind untragbar, wenn man bedenkt, dass eine einzige Tankfüllung für einen Geländewagen einen Menschen ein Jahr lang ernähren könnte. Dringende Korrekturen in der Pflanzentreibstoff-Politik sind daher unabdingbar notwendig.
Hohe Gewinnprognosen im Nahrungsmittel- und Agrartreibstoffsektor führen vermehrt zu Spekulationsgeschäften mit Getreide und Böden. Hedgefonds haben auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten auf den Agrar- Rohstoffbörsen ihre Termingeschäfte aufgebaut. Dadurch ist der Reis-Preis innerhalb von sechs Monaten um bis zu 83 Prozent, der Mais-Preis um bis zu 67 Prozent und der Getreide-Preis um bis zu 111 Prozent angestiegen. Letztes Jahr war zeitweise 84 Prozent der US-Weizenernte in der Hand von spekulativen Fonds.
Die weltweiten Gewinner der Welternährungskrise sind die Nettoexporteure von Nahrungsmitteln (u.a. USA, Brasilien, Kanada), die ohnehin schon von den günstigen Handelsbedingungen (Liberalisierung der Agrarmärkte entsprechend den WTO-Bestimmungen) profitieren. Die Multinationalen Konzerne machen sich aus Profitgründen die Nahrungsmittelkrise zunutze, um die Anwendung der Gentechnik oder weitere Industrialisierungsmaßnahmen in der landwirtschaftlichen Produktion anzupreisen.
Der Weltagrarrat IAASTD bestätigte jedoch in seinem am 17. April 2008 veröffentlichten Weltagrarbericht, dass die industrielle Landwirtschaft und Agro-Gentechnik ungeeignet sind, das Hungerproblem zu lösen. Die Ausrichtung der Agrarpolitik auf die Steigerung der Produktion um jeden Preis habe zu gravierenden Fehlentwicklungen geführt. Die industrielle Landwirtschaft mit einem hohen Einsatz an Chemikalien und energieaufwändigen Düngemitteln trage stark zum Verlust fruchtbarer Böden und zur Verschärfung des Klimawandels bei. Darum sei der industrielle Landbau für viele arme Länder und deren großteils kleinbäuerliche Bevölkerung nicht geeignet. Forschung sowie Handels- und Entwicklungspolitik müssten grundsätzlich neu ausgerichtet werden, fordern die AgrarexpertInnen. Höchste Priorität müsse die Förderung von Anbaumethoden haben, die den ökologischen und sozialen Bedingungen der jeweiligen Region angepasst seien.
Die Welternährungskrise ist das Ergebnis einer verfehlten Agrarpolitik, von Versäumnissen in der Entwicklungspolitik und einer systematischen Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung. Während für die Finanzkrise Milliardenbeträge bereit gestellt werden, hat die internationale Gemeinschaft bisher bei der Bekämpfung des weltweiten Hungers völlig versagt. Vom Millenniums-Entwicklungsziel, den Anteil der Hungernden weltweit bis zum Jahr 2015 um die Hälfte zu reduzieren, sind wir weiter denn je entfernt.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:
Der Nationalrat wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, nationale Spielräume zu nutzen und sich auf EU-Ebene sowie im Rahmen internationaler Mitbestimmungsmöglichkeiten für folgende Ziele einzusetzen:
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft vorgeschlagen.