617/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 20.05.2009
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Kickl, Neubauer, Ing. Hofer
und weiterer Abgeordneter

betreffend Anhebung der Nettoersatzrate in der Arbeitslosenversicherung und gerechtere Anrechnung des Partnereinkommens bei der Notstandshilfe

 

Laut einer Studie der Arbeiterkammern werden Menschen mit niedrigen Einkommen von zwei Seiten in die Armutszange genommen: einerseits steigen die Preise für lebenswichtige Güter, wie Nahrungsmittel und Heizung besonders stark an, andererseits erleiden prekär Beschäftigte und Arbeitslose reale Einkommensverluste. Bei Jobverlust reicht die Armutsgefährdung mittlerweile bis weit in die Mittelschicht hinein.

Einen Einblick in die Armutsgefährdung verschiedener Bevölkerungsgruppen gibt die jährlich durchgeführte EUSILC-Erhebung der Statistik Austria. Aus der jüngsten Erhebung des Jahres 2006 geht hervor, dass 12,6% der Bevölkerung – das sind mehr als eine Million Menschen2 – armutsgefährdet sind. Die Schwelle für Einkommensarmut lag für einen Einpersonenhaushalt 2006 bei 893 € verfügbaren Gesamteinkommen monatlich.

Die hohe Inflation trifft Menschen mit geringem Einkommen am stärksten. Die Nahrungsmittelpreise stiegen zuletzt besonders stark. Nahrungsmittel verteuerten sich im Juni um 6,8% gegenüber dem Vorjahresmonat. Bei „armen“ Haushalten machen Nahrungsmittelausgaben sowie die Kosten für Wohnen und Energie fast die Hälfte der gesamten Haushaltsausgaben aus.

Es sind jedoch nicht nur „arme“ Haushalte besonders stark von der Inflation betroffen. Aus der Konsumerhebung geht hervor, dass die Bevölkerung bis weit in den Mittelstand überdurchschnittlich stark an der Teuerung bei Nahrungsmitteln, Wohnen und Energie leidet. Das liegt daran, dass der Einkommensanteil, der für Nahrungsmittel, Wohnen und Energie ausgegeben wird, bei der ärmeren Hälfte der Bevölkerung überdurchschnittlich hoch ist.

Besonders stark von Armut bedroht sind geringfügig Beschäftigte bzw. Beschäftigte, die weniger als 12 Stunden pro Woche arbeiten. Obwohl häufig andere Haushaltsmitglieder ebenfalls einen Anteil zum Haushaltseinkommen beitragen sind 24% dieser Gruppe von Einkommensarmut betroffen. Zwei Drittel der mehr als 280.000 geringfügig Beschäftigten sind Frauen. Zuletzt hat sich der seit Jahren anhaltende Anstieg der geringfügigen Beschäftigung sogar noch beschleunigt: so stieg im Juni 2008 die Zahl der geringfügig Beschäftigten um 32.259 gegenüber dem Vorjahresmonat. Die Mischung aus boomender geringfügiger Beschäftigung und hoher Inflation erzeugt einen gefährlichen Armutscocktail.

Der Entfall der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für Niedriglohnbezieher seit 1.7.2008 war ein weiterer wichtiger Schritt zur Armutsbekämpfung. Eine nachhaltige Vermeidung von Armut für Niedriglohnbezieher wird jedoch nur durch eine zumindest produktivitätsorientierte (Mindest)lohnpolitik möglich. Das bedeutet, die Löhne müssen jährlich um die Inflation plus die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung steigen. Im langjährigen Durchschnitt steigt die Stundenproduktivität um gut 1,5Prozent.

Eine produktivitätsorientierte (= verteilungsneutrale) Lohnpolitik ist dann gegeben, wenn die Löhne und Gehälter im Durchschnitt um ca. 1,5% stärker steigen als die Inflation. Eine geringere Lohnsteigerung bedeutet, die Unternehmensgewinne wachsen zulasten der Löhne, eine höhere Lohnsteigerung bedeutet, die Löhne wachsen zulasten der Gewinne.

Die höchste Armutsgefährdung weisen jedoch Arbeitslose auf: 33% aller Arbeitslosen sind armutsgefährdet. Dieser Wert ist nur deshalb nicht noch höher, weil viele Arbeitslose von ihren Partnern finanziell unterstützt werden. Die Höhe von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe allein lassen mehr als 177.000 oder 83% aller Arbeitslosen unter die Armutsgefährdungsschwelle von 893 € monatlich rutschen. Die Armutsgefährdung von Arbeitslosen nimmt zu, da die Höhe des Arbeitslosengeldes seit vielen Jahren nicht mit der Teuerung Schritt halten kann.

Das Arbeitslosengeld ist seit dem Jahr 2000 real, d.h. inflationsbereinigt, um 4,0% gesunken, die Notstandshilfe ist noch stärker, nämlich um 7,6 % gesunken. Das durchschnittliche Arbeitslosengeld in Österreich belief sich im März 2008 auf € 771,80, die Notstandshilfe auf € 594,70. In Niederösterreich sank das durchschnittliche Arbeitslosengeld real um 4,9%, das dürfte daran liegen, dass in Niederösterreich überdurchschnittlich viele Niedriglohnbezieher arbeitslos wurden.

Der Rückgang des Arbeitslosengeldes ist eine Folge der schwachen Einkommensentwicklung. Das unterste Einkommensdrittel musste in den vergangenen Jahren Reallohneinbußen in Kauf nehmen. Bezieher niedriger Löhne und Gehälter sind häufig wenig qualifiziert und haben ein besonders hohes Arbeitslosigkeitsrisiko.

Zuletzt beschleunigte die hohe Inflation den Rückgang des Arbeitslosengeldes. Das hängt auch mit der Berechnung des Arbeitslosengeldes vom Einkommen des Vorvorjahres (bei Beginn der Arbeitslosigkeit von Jänner bis Juni) bzw. des Vorjahres (bei Beginn der Arbeitslosigkeit ab Juli) zusammen.

Der Verlust des Arbeitsplatzes stürzt aufgrund des geringen Arbeitslosengeldes einen Großteil der Betroffenen in die Einkommensarmut. In Österreich erhalten Arbeitslose ein Arbeitslosengeld von nur 55% des vorhergehenden Nettolohns (= Nettoersatzrate). Wer monatlich weniger als 1.993 € brutto verdient und arbeitslos wird, erhält ein Arbeitslosengeld von weniger als 893 € monatlich und fällt unter die offizielle Armutsgrenze des Jahres 2006.

Mehr als 60% der Arbeitnehmer – fast die Hälfte der Männer und mehr als drei Viertel der Frauen – bekommt bei Arbeitsplatzverlust ein Arbeitslosengeld unter der Einkommensarmutsgrenze. Da seit 2006 die Entwicklung der Löhne und Gehälter nicht mit der Inflation Schritt hielt, bedeutet Arbeitsplatzverlust für immer mehr Arbeitnehmer Armut. Und das nicht nur für Niedriglohnbezieher, sondern auch für Arbeitnehmer mit mittleren Einkommen. Mitte 2008 mussten Arbeitnehmer zumindest 2.149 € brutto pro Monat verdienen, um bei Jobverlust über der inflationsbereinigten Einkommensarmutsgrenze zu bleiben.

Eine Arbeitslosenversicherung, die Armut nicht verhindern kann und Arbeitslose von Ersparnissen oder der Unterstützung durch Familienangehörige oder Freunde abhängig macht, ist unzureichend und sollte reformiert werden. Die zahlreichen Ankündigungen von Massenkündigungen der letzten Wochen und die prognostizierte steigende Arbeitslosigkeit verdeutlichen die Dringlichkeit einer Reform.

 

Tausende Menschen (vor allem Frauen) in Österreich, die jahre - und jahrzehntelang Arbeitslosenversicherungsbeiträge geleistet haben, erhalten nach der Ausschöpfung des Arbeitslosengeldanspruches vom Arbeitsmarktservice keine oder nur eine verminderte Notstandshilfe. Grund dafür ist die Anrechnung des Partnereinkommens, wobei es egal ist, ob es sich um eine Ehe oder eine Lebensgemeinschaft handelt.

Dies wird von allen Betroffenen nach Jahren der Beitragszahlung zu Recht als Ungerechtigkeit empfunden und führt immer zu finanziellen Belastungen in den Familien. Zudem wird das Vertrauen in die soziale Absicherung sowohl bei den Betroffenen als auch bei ihren Angehörigen, die dies miterleben müssen, geschädigt.

Für ältere Versicherte bis zum Jahrgang 1955 bewirkt der Ausschluss vom Notstandshilfebezug überdies auch, dass keine weiteren Ersatzzeiten in der Pensionsversicherung erworben werden, wodurch es in der Pension zu einem lebenslangen Verlust kommt.

Auch wenn alle sonstigen Leistungsvoraussetzungen vorliegen, muss nach der bestehenden Gesetzeslage vom Arbeitsmarktservice noch geprüft werden, ob "Notlage" vorliegt. Bei dieser Prüfung wird das Einkommen des Partners oder der Partnerin abzüglich eines Freibetrages - auf die grundsätzlich zustehende Notstandshilfe angerechnet. Der vom Einkommen des Partners/der Partnerin abzuziehende Freibetrag beträgt im Jahr 2008 € 473,- (wobei dieser Betrag mit dem 50. bzw. dem 55 Lebensjahr steigen kann). Für jedes unterhaltspflichtige Kind gibt es zusätzlich einen Freibetrag in halber Höhe (2008 also grundsätzlich in der Höhe von € 236,50,-).

Ist der sich so ergebende Anrechnungsbetrag höher als der Notstandshilfeanspruch, erhält der/die Betroffene keine Notstandshilfe. Je niedriger das vorangegangene Arbeitseinkommen war, umso niedriger war das Arbeitslosengeld und wäre die an sich gebührende Notstandshilfe. Das bewirkt logischerweise, dass die niedere Notstandshilfe durch ein Partnereinkommen über der Freigrenze rasch "aufgefressen" ist. Man sagt dann: "Notlage liegt nicht vor" und es gebührt demnach keine Notstandshilfe.

Paradox ist, dass nach dieser Definition – bei Vorliegen eines Partnereinkommens – Notlage umso eher nicht vorliegt, umso weniger der/die arbeitslose Versicherte vorher verdient hat. 2007 wurde die Notstandshilfe bundesweit in 14.889 Fällen abgelehnt oder eingestellt. Betroffen waren 12.717 Frauen und 2.172 Männer. Daneben gibt es noch eine Vielzahl von Versicherten, die nur eine durch das Partnereinkommen entsprechend reduzierte Notstandshilfe erhalten.

Bundesweit sind 90 Prozent der Betroffenen Frauen. Weil deren vorangegangenes Arbeitseinkommen und demnach ihre fiktiv gebührende Notstandshilfe im Vergleich zu Männern meist niedriger ist, kommt durch die Anrechnung des meist höheren männlichen Partnereinkommens bei der Notstandhilfe der Frauen oft NULL heraus.

In der Vergangenheit wurde wiederholt versucht diese ungerechte Regelung durch Anfechtung beim Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof zu Fall zu bringen. Leider blieben diese Anfechtungen erfolglos. Dieses Unrecht kann daher nur durch eine Gesetzesänderung beseitigt werden. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass durch die derzeitige Anrechnung des Partnereinkommens beim Arbeitsmarktservice ein hoher Verwaltungsaufwand besteht, der durch den Wegfall der Anrechnungsbestimmungen wegfallen würde.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Rahmen einer Novelle zum Arbeitslosenversicherungsgesetz die Nettoersatzrate zumindest auf EU-Durchschnitt anzuheben und weiters für eine gerechtere Anrechnung des Partnereinkommens zu sorgen oder diese Anrechnung im Sinne einer Verwaltungsvereinfachung überhaupt ersatzlos zu streichen."

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird um Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales ersucht.