859/A XXIV. GP

Eingebracht am 18.11.2009
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Antrag

 

der Abgeordneten Dr. Wittmann, Mag. Molterer, Angela Lueger,

Mag. Silvia Fuhrmann,  Gabriele Binder-Maier, Ridi Maria Steibl

Kolleginnen und Kollegen

betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern

 

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern erlassen wird

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern erlassen wird

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern

 

Artikel 1

 

Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig ist sowie auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.

 

Artikel 2

 

(1) Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.

(2) Jedes Kind, das dauernd oder vorübergehend aus seinem familiären Umfeld herausgelöst ist, hat Anspruch auf besonderen Schutz und Beistand des Staates.


Artikel 3

 

Kinderarbeit ist verboten. Abgesehen von gesetzlich vorgesehenen begrenzten Ausnahmen darf das Mindestalter für den Eintritt in das Arbeitsleben das Alter, in dem die Schulpflicht endet, nicht unterschreiten.

 

Artikel 4

 

Jedes Kind hat das Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden Weise.

 

Artikel 5

 

(1) Jedes Kind hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, die Zufügung seelischen Leides, sexueller Missbrauch und andere Misshandlungen sind verboten. Jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung.

(2) Jedes Kind als Opfer von Gewalt oder Ausbeutung hat ein Recht auf angemessene Entschädigung und Rehabilitation. Das Nähere bestimmen die Gesetze.

 

Artikel 6

 

Jedes Kind mit Behinderung hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die seinen besonderen Bedürfnissen Rechnung tragen. Im Sinne des Artikel 7 Abs. 1 B-VG ist die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Kindern in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.

 

Artikel 7

 

Eine Beschränkung der in den Artikeln 1, 2, 4 und 6 dieses Bundesverfassungsgesetzes gewährleisteten Rechte und Ansprüche ist nur zulässig, insoweit sie gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Artikel 8

 

Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut.

 

 

 

 

Zuweisungsvorschlag: Verfassungsausschuss


Erläuterungen

Allgemeiner Teil

 

Vor nunmehr 20 Jahren wurde im Rahmen der Vereinten Nationen mit dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (im Folgenden: UN‑Kinderrechtskonvention) das grundlegende Vertragswerk über den Schutz und die Rechte des Kindes geschaffen, das international die weitest mögliche Anerkennung gefunden hat. In Österreich ist dieses Übereinkommen am 5. September 1992 in Kraft getreten und mit BGBl. Nr. 7/1993 kundgemacht worden; anlässlich der Genehmigung dieses Staatsvertrages hat der Nationalrat seine Erfüllung durch Erlassung von Gesetzen beschlossen. Seither wird über eine Verankerung – zumindest von Teilen – der UN‑Kinderrechtskonvention in der Bundesverfassung diskutiert.

Auch die Verfassungsentwicklung auf europäischer Ebene erfolgt unter Berücksichtigung der Rechte des Kindes. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Grundrechte-Charta), ABl. Nr. C 303 vom 14.12.2007, S. 1, enthält eine eigene Bestimmung über die Rechte des Kindes (Art. 24).

Der Entwurf zu einem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern folgt im Wesentlichen den Vorarbeiten des Österreich-Konvents, im Rahmen dessen eingehender Ausschussberatungen (Ausschuss 4) Konsens über die Aufnahme der Rechte von Kindern als Menschenrecht in einen neuen Grundrechtskatalog erzielt und ein Textvorschlag konsentiert worden ist (vgl. den Bericht des Österreich-Konvents, Bd. 1, Teil 3, 88 und Bd. 2, Teil 4A, 36 f).

Nachdem der im Österreich-Konvent grundsätzlich erzielte Konsens über die Aufnahme von Kinderrechten als Teil eines neuen Grundrechtskatalogs in weiterer Folge (XXII. Gesetzgebungsperiode, Besonderer Ausschuss zur Vorberatung des Berichtes des Österreich-Konvents sowie XXIII. Gesetzgebungsperiode, Expertengruppe Staats- und Verwaltungsreform im Bundeskanzleramt) nicht realisiert werden konnte, ist die verfassungsrechtliche Verankerung von Rechten von Kindern Gegenstand der nun ergriffenen Gesetzgebungsinitiative.

Mit der B-VG Novelle, BGBl. I Nr. 31/2005, wurde Art. 14 Abs. 5a in das Bundesverfassungsgesetz eingefügt. Demnach "ist Kindern und Jugendlichen die bestmögliche geistige, seelische und körperliche Entwicklung zu ermöglichen, damit sie zu gesunden, selbstbewussten, glücklichen, leistungsorientierten, pflichttreuen, musischen und kreativen Menschen werden, die befähigt sind, an den sozialen, religiösen und moralischen Werten orientiert Verantwortung für sich selbst, Mitmenschen, Umwelt und nachfolgende Generationen zu übernehmen" (Art. 14 Abs. 5a B-VG).

Der Entwurf zu einem Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern setzt die mit den vorerwähnten gesetzlichen Maßnahmen eingeschlagene Zielrichtung mit der Verankerung von eigenständigen Grundrechten auf bundesverfassungsrechtlicher Ebene konsequent fort.

Besonderer Teil

Zu Art. 1:

Art. 1 verwirklicht den besonderen Schutz- und Fürsorgeanspruch von Kindern in Verbindung mit dem zentralen, kinderrechtespezifischen Anspruch der vorrangigen Berücksichtigung des "Wohles des Kindes" (vgl. Art. 3 des VN‑Übereinkommens über die Rechte des Kindes und Art. 24 Grundrechte-Charta). Gleichzeitig wird – in Übereinstimmung mit der Grundrechte-Charta – klargestellt, dass das Kindeswohl auch mit anderen Rechtsgütern, etwa dem Recht der Eltern auf Wahrung ihres Privat- und Familienlebens abzuwägen ist.

Zu Art. 2:

Art. 2 Abs. 1 stellt ein Leitbild für die personenrechtlichen Beziehungen des Kindes zu seinen Eltern dar (vgl. Art. 9 Abs. 3 des VN‑Übereinkommens über die Rechte des Kindes; Art. 24 Abs. 3 Grundrechte-Charta); der Vorbehalt im Falle eines Widerspruchs zum Wohl des Kindes findet seine Legitimation und Begrenzung in Art. 8 EMRK (zB im Fall, dass sich ein Elternteil beharrlich weigert, das Kind zu sehen).

Art. 2 Abs. 2 verwirklicht Art. 20 Abs. 1 des VN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes. Unter einer Herauslösung der Kinder aus ihrem familiären Umfeld sind alle Umstände zu verstehen, bei denen der familiäre Obsorgezusammenhang unterbrochen ist, zB wenn Kinder und Jugendliche zum Schutz ihres Wohles bei einer Pflegefamilie oder in einer sozialpädagogischen Einrichtung untergebracht sind oder aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Verfügung in Haft sind.

Zu Art. 3:

Das Verbot von Kinderarbeit (Art. 3) entspricht Art. 32 Abs. 1 Grundrechte-Charta. Im Einklang mit dieser Regelung wird klargestellt, dass das Verbot nur bis zur Beendigung der Schulpflicht (vgl. Art. 14 Abs. 7a B-VG) gilt.

Jene geringfügigen Tätigkeiten, welche nach derzeitiger Rechtslage (Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz) auch Kindern gestattet sind, sind als „begrenzte Ausnahmen“ zulässig.

Zu Art. 4:

Mit Art. 4 wird das Recht des Kindes auf Berücksichtigung des Kindeswillens (vgl. Artikel 12 des VN‑Übereinkommens über die Rechte des Kindes: Berücksichtigung des Kindeswillens) realisiert; siehe auch Art. 24 Abs. 1 Satz 3 Grundrechte-Charta.

Zu Art. 5:

Art. 5 Abs. 1 betrifft den Schutz des Kindes vor jeglicher Form von Gewalt, Bestrafungen, Missbrauch, Misshandlungen und Ausbeutung (vgl. Art. 19 Abs. 1, Art. 32 und 34 des VN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes sowie Art. 32 Abs. 2 Grundrechte-Charta). Ziel dieser Bestimmung ist der Schutz von Kindern vor allen Formen von Gewalt zur Disziplinierung und Ausbeutung oder (sexuellen) Befriedigung von Erwachsenen. Maßnahmen zur Sicherung des Kinderwohls durch Einsatz körperlicher Kraft wie das Festhalten von Kleinkindern in gefährlichen Lebenssituationen (z.B. im Straßenverkehr) sind davon nicht umfasst. Ebenso nicht erfasst ist die Ausübung gesetzeskonformen staatlichen Zwangs.

Art. 5 Abs. 2 gewährleistet – nach Maßgabe der Gesetze – das Recht auf Rehabilitation im Sinne von Art. 39 iVm Art. 19 Abs. 2 VN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes.

Zu Art. 6:

Art. 6 betrifft die Rechte von Kindern mit Behinderung, Satz 1 orientiert sich insbesondere an Art. 23 Abs. 2 UN-Kinderrechtskonvention; siehe auch Art. 26 Grundrechte-Charta. Zu Satz 2 siehe Art. 2 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention und Art. 21 Abs. 1 Grundrechte-Charta sowie Art. 7 Abs. 1 letzter Satz B-VG.

Zu Art. 7:

Art. 7 enthält einen Gesetzesvorbehalt nach dem  Vorbild des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Er stellt klar, dass Beschränkungen der Rechte und Ansprüche aus Art. 1, 2, 4 und 6 dieses Bundesverfassungsgesetzes nur aus bestimmten, dem Art. 8 Abs. 2 EMRK entsprechenden Gründen gestattet sind. Beispielsweise können straf- oder fremdenrechtliche Maßnahmen einzelne Rechte eines Kindes beschränken. Zu denken ist aber auch an Fälle, in denen dem Anspruch des Kindes berücksichtigungswürdige Interessen der Eltern entgegenstehen.