1398/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 20.01.2011
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

der Abgeordneten Musiol, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Reform der Briefwahl

 

Neben der verspäteten, also nach Schließung des Wahllokals vorgenommenen, Briefwahl ist vor allem die organisierte Briefwahl ein Problem. Unter die organisierte Briefwahl sind etwa folgende Fälle einzureihen:

 

In all diesen Fällen ist eine paternale Vorgangsweise gegeben, die die Grundsätze der freien, persönlichen und geheimen Wahl verletzen bzw in einem hohen Spannungsverhältnis zu diesen stehen. Grundsätzlich ist festzuhalten: Je hilfloser Wähler/innen in sprachlicher, körperlicher oder geistiger Hinsicht sind, desto mehr besteht die Gefahr der Wahlbeeinflussung durch Amtsorgane oder Dritte. Eindeutig strafrechtswidrig sind jene Fälle, wo Gemeindeorgane die Wahlkartenanträge und/oder die Stimmzettel offenbar gleich selbst ausgefüllt, also gefälscht, haben.

 

Immer wieder werden auch weitere Unzulänglichkeiten wie


 

genannt.

 

Der Wahlrechtsgesetzgeber muss auf diese Probleme und Missbräuche reagieren. Die Briefwahl wurde von den Wählern und Wählerinnen gut angenommen. Gerade deshalb sind die zwischenzeitig erkannten Unzulänglichkeiten nicht vernachlässigbar.

 

Die Grünen haben am 4. November 2010 zu einem Expertenhearing im Palais Epstein geladen. Die wesentlichen Aussagen der Expert/inn/en und der Diskussionsbeiträge sind im online-Magazin Österreich Journal Nr 91 wiedergegeben (www.oesterreichjournal.at) und zum Teil in diesen Entschließungsantrag eingeflossen. Die Kunst einer Reform besteht darin, die Garantien für die Einhaltung der Wahlgrundsätze zu erhöhen ohne dass der Wählerkomfort zu sehr darunter leidet. Daher sind auch interne Kontrollen (Aufsicht) der Briefwahlvorgänge vorzusehen, damit Verbesserungen nicht allein zu Lasten des Komforts der Wähler/innen gehen.  Gleichwohl wird die Briefwahl nie mit dem Wählen vor der Wahlbehörde vergleichbar sein. Aus diesem Grunde sollte sie auch die Ausnahme bleiben. Um den Wählern und Wählerinnen weiter entgegenzukommen, sollte eine „vorgezogene Stimmabgabe“ vor der Wahlbehörde ermöglicht werden. Wie etwa in § 70 Stmk Gemeindewahlordnung und in § 68 Stmk. Landtagswahlordnung festgelegt, sollte die Wahlbehörde verpflichtet werden, am neunten Tag vor dem Wahltag die vorgezogene Stimmabgabe  vor der Wahlbehörde zu ermöglichen. In der Steiermark werden diese Wahllokale am Freitag vor der Wahl und zwar in den Abendstunden geöffnet.

 

Die Einladung zum taktischen Wählen, die Nachfrist von 8 Tagen, sollte gänzlich gestrichen werden. Alle Wahlfristen (Einlangen der Wahlvorschläge etc) müssten dementsprechend jedenfalls um 8 Tage vorverlegt werden, um das rechtzeitige Einlangen der Wahlkarten insbesondere auch aus dem Ausland sicherzustellen. So ist eine gemeinsame Auszählung mit den vor der Wahlbehörde abgegebenen Stimmen möglich.

 

Die Briefwahl sollte wirklich eine Briefwahl sein, gemeint ist damit der von einem Dritten beförderte Brief eines Absenders an den Empfänger. Drei Briefe werden in diesem Sinne im Regelfall gewechselt: 1. Die Beantragung der Wahlkarte durch den/die Wähler/in bei der Wahlbehörde. 2. Die Zusendung der Wahlkarte durch die Wahlbehörde an den/die Wähler/in. 3. Die Zusendung der ausgefüllten Wahlkarte durch den/die Wähler/in an die Wahlbehörde. Derzeit gibt es hier eine Reihe von Abkürzungen und Alternativen, die es gerade sind, die zu Missbräuchen einladen. Wünschenswert wäre, dass nicht alle drei Schritte – Beantragung der Wahlkarte, Übergabe der Wahlkarte und Rückgabe der ausgefüllten Wahlkarte auf direktem Wege erfolgt, da in dieser Konstellation die Gefahr der Wahlbeeinflussung am größten ist. Trotzdem wird nicht vorgeschlagen, dass zumindest ein Schritt postalisch zu erfolgen hat, weil dies gerade in den kleineren Gemeinden kaum auf Verständnis stoßen würde. Jedenfalls soll aber die Beantragung, Ausfolgung und Rückübermittlung der Wahlkarte nur in den Amtsräumen möglich sein.  Weiters wäre klar zu stellen, dass schriftliche Anträge auf Zustellung der Wahlkarte persönlich zu unterzeichnen sind (bei der eidesstattlichen Erklärung auf der Wahlkarte ist dies ja schon der Fall). Bei Beantragung im Amt ist ein Lichtbildausweis vorzulegen. Betreffend pflegebedürftiger Personen in Anstalten ist insbesondere auf die Möglichkeit der „fliegenden Wahlkommissionen“ zu verweisen. Eine Abgabe der Wahlkarte an Stellvertreter/innen darf nur im Fall des Vorliegens einer schriftlichen Vollmacht erfolgen dürfen. Die postalische Übermittlung wird aber im folgenden Vorschlag nicht weiter formalisiert. Die verpflichtende Übermittlung der beantragten Wahlkarte per RSa[1] oder RSb[2]-Brief würde die Briefwahl äußerst erschweren. In der Zustellzeit ist kaum jemand zu Hause und an den Postämtern (wo man hinterlegte Schriftstücke abzuholen hat) stehen vor den Schaltern die langen Warteschlangen.

 

Zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Briefwahl sollte eine verpflichtende Abrechnung der Wahlkarten, Auskunftsrechte für die Briefkartenwähler/innen und klare Angaben für die Verwahrung der bei der Behörde eingelangten Wahlkarten bis zum Zeitpunkt der Auszählung vorgesehen werden.

 

Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung wäre als Straftatbestand zu qualifizieren. Wenn auch eine Überführung eines/einer Wähler/in dieser Tat nur in seltenen Fällen möglich ist, so unterstreicht eine solche legistische Maßnahme doch den Ernst der Briefwahl.

 

Im 18. Abschnitt des Strafgesetzbuches wäre außerdem die organisierte Wahlbeeinflussung, das ist die Verletzung der geheimen, freien und persönlichen Wahl,  als Straftatbestand zu verankern.

 

Menschen mit Behinderungen und an Demenz erkrankte Menschen brauchen natürlich besondere Unterstützung. Gleichwohl darf diese Unterstützung nicht zur Wahlbeeinflussung ausarten. Hier gibt es besondere Probleme in Zusammenhang mit der Briefwahl aber auch beim Wählen vor der Wahlbehörde bzw der „fliegenden Kommission.“ Art 29 der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen verpflichtet die Vertragsstaaten, „das Recht von Menschen mit Behinderungen, bei Wahlen und Volksabstimmungen in geheimer Abstimmung ohne Einschüchterung ihre Stimme abzugeben“ zu schützen und „die freie Willensäußerung“ zu garantieren. Zu den bisher in der Praxis aufgetauchten Fragen und Problemen sollte ein interdisziplinärer Meinungsbildungsprozess unter Einbeziehung der Betroffenen-Vertreter/innen in Gang gesetzt werden.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

 

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und die Bundesministerin für Inneres, wird ersucht, zur Reform des Briefwahlrechts eine Regierungsvorlage zur Änderung des Bundesverfassungsgesetzes und der Wahlrechte (inkl Volksabstimmungs-, Volksbegehrens- und Volksbefragungsgesetz) folgenden Inhalts vorzulegen:

 

1)   Art 26 Abs 6 B-VG sollte in etwa lauten:

 

„(6) Wahlberechtigte, die voraussichtlich am Wahltag verhindert sein werden, ihre Stimme vor der Wahlbehörde abzugeben, etwa wegen Ortsabwesenheit, aus gesundheitlichen Gründen oder wegen Aufenthalts im Ausland, können ihr Wahlrecht ausnahmsweise auf Antrag unter Angabe des Grundes durch Briefwahl ausüben. Die Identität des Antragstellers ist nachzuweisen. Der Wahlberechtigte hat durch Unterschrift an Eides statt zu erklären, dass die Stimmabgabe persönlich, geheim und rechtzeitig erfolgt ist.“

 

2)   In den Wahlrechten sollten folgende Neuerungen vorgesehen werden:

 

-      Streichung der Nachfrist, Vorverlegung aller Wahlfristen um 8 Tage.

-      Einführung der zusätzlichen Möglichkeit der „vorzeitigen Stimmabgabe“ vor der Wahlbehörde

-      Schriftliche Beantragung der Wahlkarte mit Identitätsnachweis (Kopie des Lichtbildausweises) und persönlicher Unterschrift oder persönliche Beantragung im Amt mit Lichtbildausweis.

-      Übermittlung der Wahlkarte im Postwege oder Ausfolgung im Amt, Abgabe an Stellvertreter/in im Amt nur, wenn diese/r eine schriftliche Vollmacht vorweisen kann. Keine Ausfolgung der Wahlkarte außerhalb des Amtes.

-      Abgabe der ausgefüllten Wahlkarte im Amt oder Verwendung des Postwegs, keine Übergabe an Amtspersonen außerhalb des Amtes.

-      Verpflichtende Abrechnung der Anzahl der beantragten, gedruckten, ausgestellten und rückgesandten Wahlkarten.

-      Recht auf Auskunft der Wahlkartenwähler/innen, ob ihre Wahlkarte eingelangt ist.

-      Rückgesandte Wahlkarten  oder vorgezogen abgegebene Stimmkuverts sind in eigener „Wahlurne“ zu sammeln und vor Auszählung sind die Stimmzettel mit Stimmzettel von Wahlbehörden-Wähler/inne/n zu mischen.

-      Die Abgabe einer falschen eidesstattlichen Erklärung und die Wahlbeeinflussung sind unter Strafe zu stellen.


 

Weiters wird die Bundesregierung, insbesondere der Bundeskanzler und die Bundesministerin für Inneres, ersucht, zum Schutz von Menschen mit Behinderung und Menschen, die an Demenz erkrankt sind,  vor Vereinnahmung beim Wahlvorgang und Prüfung legistischer Maßnahmen bzw von Vollzugsanweisungen eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe (Mediziner/innen, Jurist/inn/en, Vertreter/inn/en von Verbänden behinderter Menschen) einzusetzen und das Ergebnis dieser Beratungen in einem Bericht an den Nationalrat zu übermitteln.

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Verfassungsausschuss vorgeschlagen.

 



[1] Ein RSa-Brief (Rückscheinbrief blau) ist ein behördliches Schriftstück, das nur der Empfängerin/dem Empfänger selbst zu eigenen Handen zugestellt werden darf ("eigenhändige Zustellung").

[2] Ein RSb-Brief (Rückscheinbrief weiß) ist ein behördliches Schriftstück, das auch an eine Ersatzempfängerin/einen Ersatzempfänger zugestellt werden kann ("Zustellung auch an Ersatzempfängerin/Ersatzempfänger"). Ersatzempfängerin/Ersatzempfänger ist jede erwachsene Person, die in der gleichen Wohnung wie die Empfängerin/der Empfänger wohnt.