1555/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 18.05.2011
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

des Abgeordneten Grünewald, Freundinnen und Freunde

 

betreffend „Aus Fehlern der Vergangenheit lernen“

 

In der Karwoche wurden die neuen ÖVP MinisterInnen angelobt. Der neue Bundesminister für Wissenschaft und Forschung ist, als ehemaliger Rektor der Universität Innsbruck, Experte und Kenner der österreichischen Universitätslandschaft, und hat kürzlich in einem Ö1-Interview erklärt, er werde sich bemühen, bei den Budgetverhandlungen im Herbst „möglichst viel Geld“ für die Universitäten heraus zu holen. Seine Forderung nach Studiengebühren verteidigt er im Wissen, sich gegen den Koalitionspartner SPÖ „nicht durchsetzen zu können“, ebenfalls.

 

Bei der Antrittsrede im Parlament appellierte der Wissenschaftsminister dafür, "viribus unitis" (mit vereinten Kräften) die Verbesserung der Wissenschafts-, Forschungs- und Universitätspolitik anzugehen. Es gibt mit dem Antritt eines neuen Bundesministers eine einmalige Chance, einige der „Fehler“ der AmtsvorgängerInnen im Wissenschaftsressort zu korrigieren. Es besteht die Hoffnung, dass diese Möglichkeit genutzt wird.

 

Die  österreichische  Bundesregierung  hat  sich im aktuellen Regierungsprogramm zur zentralen Bedeutung von Forschung, Technologie und Innovation für die Zukunft Österreichs bekannt[1]. Ziel sei, Österreich zu einem der innovativsten Länder der EU, einem „Innovation Leader“, zu machen. Davon entfernen wir uns mehr und mehr.  Nach Aussagen des Präsidenten der Uniko, Prof. Sünkel, fehlen den Universitäten ab 2013 mindestens 300 Mio. Euro jährlich[2]. Durch diese Summe kann jedoch maximal der unbefriedigende Status Quo aufrecht erhalten werden. Dringend notwendige Neuberufungen von ProfessorInnen müssen jetzt schon vielfach ausgesetzt werden, einige Universitäten verordnen sich selbst den Stopp von Investitionen und überlegen das Schließen ganzer Studienrichtungen. Schlechte Betreuungsverhältnisse sowie steigende Studierendenzahlen können mit den laufenden Budgets nicht mehr bewältigt werden.

 

Auch die Situation vieler Studierender macht betroffen: Nur 18 Prozent der Studierenden in Österreich beziehen Studienbeihilfe, sieben Prozent ein Selbsterhalterstipendium, drei Prozent ein Leistungsstipendium. 41 Prozent der Studierenden bekommen keinerlei Förderung, also weder Familienbeihilfe, noch irgendeine andere öffentliche Unterstützung. Als Konsequenz dessen ist der Anteil der erwerbstätigen Studierenden zwischen 2006 und 2009 von 58 auf 62 Prozent gestiegen, 45 Prozent arbeiten mittlerweile während des ganzen Semesters. Die Hälfte der arbeitenden Studierenden klagt über die schwierige Vereinbarkeit von Studium und Beruf - 37 Prozent würden ihr Arbeitspensum gern reduzieren. Studienverzögerungen sind also vorprogrammiert. Vielfach ist die triste finanzielle Lage der Studierenden auch mit verantwortlich für die vielfach beklagten Drop Out Raten. Dies beweist das unzureichende Stipendien- und Fördersystem in Österreich. Weitere Details: Die Studienbeihilfe wird im Jahr 2011 (wie auch in den Jahren davor) nicht an die Inflation angepasst. Die Durchschnittsstipendien betragen 280 Euro im Monat, die Höchststudienbeihilfe  liegt  unter  dem  Existenzminimum  bzw.  unter dem Betrag der Mindestsicherung und damit deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle bzw. dem Ausgleichszulagenrichtsatz. Das ist beschämend.

 

Nichtsdestotrotz wird 130.000 Studierenden, die derzeit Familienbeihilfe beziehen, die 13. Familienbeihilfe gestrichen, das Einsparungsvolumen beträgt knapp 20 Mio. Euro. Von den rund 36.000 Studierenden über 24 Jahre wird künftig 27.500 die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag gestrichen. Das Einsparungsvolumen durch diese Kürzungen beträgt hier 77 Mio. Euro[3]. Auch die kosmetischen Korrekturen, wie die Verlängerung der Bezugsdauer für ehemalige Präsenz- und Zivildiener sowie Mütter ändert wenig an der Situation. Laut aktueller Studierenden Sozialerhebung 2009 ist ein Viertel der Studierenden zum Befragungszeitpunkt in finanziellen Schwierigkeiten, d.h. sie kommen (sehr) schlecht mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln aus.

 

Die Wiedereinführung von Studiengebühren löst die finanziellen Probleme der Universitäten nicht. Es ist naiv zu glauben, Studierende könnten mit ihren Beiträgen die Unterdotierung von Lehre und Forschung wettmachen. Um auf ein quantitatives und qualitatives europäisches Niveau von Studienbeihilfen zu kommen, müsste vom Bund ein Mehrfaches der eingenommenen Studiengebühren investiert werden. So würde allein die Anhebung der BezieherInnenquote auf 50 % dem Staat geschätzte Kosten von 470 Millionen Euro jährlich verursachen. Die flächendeckende Einführung der Studiengebühren würde den Universitäten, nach Angaben von Wissenschaftsministerin Karl zum ersten Jahrestag Ihres Amtsantritts, bei dem Sie auch Ihr  Drei-Säulen-Modell vorstellt, nur 240 Millionen zusätzlich bringen.

 

Hier eine kurze Zusammenfassung einiger Zahlen, Daten und Fakten, die aufrütteln sollten:

 

·      Das Hochschulbudget gemessen am BIP ist laut Bildungsökonomen der wichtigste Indikator für die Messung der Hochschulausgaben eines Landes. In Vorbildnationen wie Schweden und Finnland liegt dies bei 1,6 bzw. 1,7 Prozent, in Kanada sogar bei 2,7 Prozent (Bildung auf einen Blick, OECD-Indikatoren 2009). In Österreich hingegen stagniert es seit 2000, also noch lange VOR der Krise, bei rund 1 Prozent (2008: 1,08 Prozent). Das derzeitige Bundesfinanzrahmengesetz konfrontiert die Universitäten nun sogar mit nominell rückläufigen Budgets.


·      Mit durchschnittlich 116 Studierenden pro ProfessorIn (WS 2009) sind die Betreuungsverhältnisse katastrophal. Es mangelt an ProfessorInnen, um DiplomandInnen und DissertantInnen ausreichend gut zu betreuen (an der Uni Wien steht eine ProfessorIn 215, an der WU sogar 393 Studierenden gegenüber). In den sogenannten „Massenfächern“, wie etwa Publizistik und Kommunikationswissenschaften, kann keine qualitativ hochwertige Ausbildung mehr garantiert werden. Unverschuldete Studienverzögerungen und hohe Drop Out Raten sind die Folge.

·      Lange unverschuldete Stehzeiten aufgrund von Engpässen bei Seminaren und Praktika sind keine Seltenheit und wirken massiv studienverzögernd. Extrembeispiel Medizin Universität Wien: Über 230 Studierende warten darauf, ihr Studium fortsetzen zu können. Laborplätze fehlen. Hörsäle sind überfüllt. Es gibt viel zu wenig Lehrveranstaltungen: 100 Anmeldungen für 40 Plätze sind keine Seltenheit. Knappe Personalressourcen ermöglichen nur vereinzelt Parallelveranstaltungen.

·      Durch das massive Anwachsen der Zahl der nur befristet zu besetzenden Stellen für ForscherInnen im Bereich Doktorat und frühe Postdocs eine „neue akademische ArbeiterInnenschicht“ gebildet: So genannte „working poor“ Lektorinnen und Mittelbau, vielfach werden hier Stellen geteilt, trotzdem bleibt die Erwartung, dass „voll“ gearbeitet wird. Beschämend sind hier auch die semesterweisen Arbeitsverträge für LektorInnen.

·      An den Universitäten arbeiten 49.267 Personen als wissenschaftliches und künstlerisches Personal (Kopfzahl), das sind 33.715 Vollzeitäquivalente (Stichtag 31.12.2009). Es gibt Studien, die klar belegen, dass sich die Beschäftigtenstruktur an Österreichs Universitäten in Richtung „Teilzeitarbeit“ verschiebt. Dies wird auch in einer aktuellen Publikation des FWF sehr ernsthaft kritisiert[4].

·      Österreichische Universitäten können, seit der Autonomie der Unis, nicht  mehr selbst über ihre Gebäude verfügen,  sondern müssen diese gegen zum Teil sehr hohe Kosten mieten. Insgesamt sind das jährlich ca. 200-250 Mio. Euro, die an die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) gehen. Vielfach wird geklagt, dass die BIG ihre Monopolstellung dazu nutzt, überhöhte Mieten nach Sanierungsmaßnahmen zu vorzuschreiben. Universitäten scheuen sich deshalb nicht selten, notwendige Baumaßnahmen zu setzen.

·      Zahlreiche Universitätsstandorte klagen seit Jahren über Raumnot, Sanierungsbedarf und die Nichterfüllung von ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen. Von Seiten der Universitätenkonferenz (UNIKO) wurden unter dem Titel „Großsanierungen“ die offenen Bau- und Sanierungsprojekte (Stand August 2009) mit einem Finanzierungsbedarf von 1,6 Milliarden Euro für die Errichtungskosten und zusätzlich 300 Millionen für Einrichtungskosten erhoben.

·      Es gibt für JungwissenschafterInnen kaum Perspektiven. Schlechte Bezahlung, befristete prekäre Arbeitsverhältnisse, Angst um den Arbeitsplatz, Druck zur Anpassung und Unterordnung an überholte Hierarchien, keine Zeit für Forschung, keine Leistungsorientierung, Verletzungen des Arbeitszeitgesetzes, speziell an Kliniken. Als Land mit einem der höchsten BIP/Pro-Kopf-Einkommen (32.800 €/ Jahr) sollte Österreich zum „Innovation Leader“ und Anbieter im Bereich hochwertiger F&E Arbeitsplätze werden.

·      Der „Glasdeckenindex“ von 0,55% besagt, dass es Frauen immer noch fast doppelt so schwer haben, an Unis aufzusteigen: Nach wie vor sind nur 17,7 % aller Professuren weiblich, obwohl bereits 27,1 % aller Habilitationen (Lehrbefugnisse) von Frauen erreicht werden (Stand 2009).

·      Der Anteil an Studierenden aus bildungsfernen und einkommensschwachen Haushalten an Unis und Fachhochschulen sank zwischen 1998 und 2009 von 26 auf 19 Prozent. 

·      41 Prozent der Studierenden erhalten keinerlei Förderung oder Beihilfe und  lediglich knapp ein Viertel der Studierenden bekommt eine Studienbeihilfe, davon sind 18 % BezieherInnen der staatlichen Studienbeihilfe, 7 % eines sgn. Selbsterhalterstipendiums. 

·      Nur knappe 25 % der österreichischen Studierenden erhalten ein Stipendium. In Finnland erhalten 71 % der Studierenden staatliche Unterstützung, in Großbritannien 85 %, in Frankreich 53 %, und in den Niederlande: 62 %.

·      Nur etwa 10 Prozent der Studierenden wohnen in Studentenheimen.

·      Der Anteil der erwerbstätigen Studierenden liegt inzwischen (2009) bei  62 Prozent, 45 Prozent müssen während des ganzen Semesters arbeiten. 

·      Die Höchststudienbeihilfe liegt unter dem Existenzminimum bzw. unter dem Betrag der Mindestsicherung und damit deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle. 

·      Laut Aussagen des designierten neuen Rektors der Uni Wien benötigt diese allein akute 150 Mio. Euro, um den Normalbetrieb aufrecht erhalten zu können.

·      Wird die Zahl der StudienbeihilfebezieherInnen zumindest auf europäisches Niveau angehoben, wird das im Endeffekt ein Mehrfaches der Einnahmen aus möglichen Studiengebühren kosten.

·      Fast eine halbe Million Euro - exakt 463.081,55 - hat das Wissenschaftsministerium bis Ende Dezember 2010 für eine Kampagne ausgegeben, mit der MaturantInnen zum Studium eines der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) animiert werden sollen. Auswirkungen auf die Studienwahl haben die Inserate allerdings bisher noch nicht gezeigt.

·      Druckkostenzuschüsse für wissenschaftliche Fachverlage und Fachzeitschriften, vor allem aus dem geisteswissenschaftlichen Bereich, werden eingestellt. Es handelt sich um 1,4 Mio. Euro, das sind die Kosten von weniger als 20m Koralmtunnel. Gerade für Geistes- und Kulturwissenschaften bedeutet dies massive Schwierigkeiten, ihre wissenschaftlichen Arbeiten und Habilitationen zu publizieren, vielen einschlägigen Verlagen entstehen Verluste bis zu 30 %.

·      Die verpflichtende Studienberatung für alle soll unter der Maßgabe, dass dies „keine finanziellen Auswirkungen“ haben dürfe, eingeführt werden. Derzeit nehmen ca. 30 Prozent der Studierenden Studienberatung in Anspruch. Wie diese Zahl „kostenneutral“ auf 100 Prozent angehoben werden kann, wird interessant werden. Eine profunde und qualitätsgesicherte Beratung aller Studierenden wird dadurch jedenfalls ad absurdum geführt. Ein Angebot der ÖH, diese Beratung für 250.000 Euro flächendeckend anzubieten, wurde vom BMWF bislang ignoriert.

·      Die Novellierung der Studieneingangsphase (STEP neu) garantiert keineswegs eine umfassende Orientierung und Vorstellung über den weiteren Verlauf oder die Anforderungen der begonnenen Studienrichtung. Mit den derzeitigen finanziellen Rahmenbedingungen ist eine seriöse und qualitätsgesicherte Studieneingangsphase mehr als in Frage gestellt.

·      Qualität sollte ein Merkmal aller Universitäten sein. Der Entwurf des Qualitätssicherungsrahmengesetzes 2011 (244/ME) wurde vom Verfassungsdienst des BKA geradezu vernichtend kritisiert. Schwere Kritik äußern auch die Universitäten und Fachhochschulen. Kenner der Materie halten das Gesetz in der derzeitigen Fassung außerdem für nicht umsetzbar. Eine seriöse Neupositionierung sollte ehestmöglich gesetzt werden.


Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG:

 

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

 

Der Bundesminister für Wissenschaft und Forschung wird aufgefordert, sich der oben genannten Probleme anzunehmen und jene Rahmenbedingungen auch finanzieller Natur, die eine qualitätsgesicherte Forschung und Lehre benötigen, ehestmöglich herzustellen und Sorge zu tragen, dass breiteren Bevölkerungsschichten als bisher der Zugang zum tertiären Bildungssektor ermöglicht wird. Eine direkte Kooperation mit dem Wissenschaftsausschuss und seinem Unterausschuss sollte gewährleistet sein.

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Wissenschaftsausschuss vorgeschlagen.

 



[1] http://www.oesterreich.gv.at/site/cob__37304/currentpage__0/6856/default.aspx

[2] APA0459 5II0276 XI Do, 05.Mai 2011. Uni-Budget: Erste Misstöne zwischen Töchterle und Rektoren

[3] www.oeh.ac.at

[4] Vgl. auch unsere aktuelle Parlamentarische Anfrage an Sie: Wissenschaft an Unis als "Halbtagsjob" (8312/J)