1720/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 15.11.2011
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Entschließungsantrag

 

 

der Abgeordneten Gerhard Huber, Mag. Ewald Stadler

Kolleginnen und Kollegen

betreffend Klärung der Eigentumsverhältnisse an agrargemeinschaftlichen Liegenschaften durch den Bund

 

Die Nutzung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke durch eine organisierte Gemeinschaft von Nutzungsberechtigten ist im ganzen Alpenraum seit Jahrhunderten weit verbreitet. Agrargemeinschaften mit anteilsberechtigten Bauern bewirtschaften seit Jahrhunderten Grund und Boden. Die Grundentlastungsmaßnahmen und der Wegfall des adeligen Obereigentums im 19. Jahrhundert haben die Jahrhunderte alten Nutzungsgemeinschaften der Bauern zu Eigentümern der ungeteilten Gemeinschaftsliegenschaften werden lassen. Im Erkenntnis VfSlg 18.446/2008 („Mieders-Erk“), wurde der Rechtsposition der Mitglieder von Agrargemeinschaften offensichtlich nicht in ausreichendem Maß Beachtung geschenkt.

 

I. Das Erk VfSlg 18.446/2008 geht davon aus, dass den Mitgliedern der Agrargemeinschaft - ungeachtet seit Jahrzehnten rechtskräftiger Entscheidungen über deren Anteilsrechte - keine verfassungsrechtlich geschützte Stellung zukäme.

 

VfSlg 18.446/2008, Pkt II B Z 4 (Seite 22 des Originalerkenntnisses unten): „Anders als die allgemein als öffentlich-rechtlich angesehenen, wenngleich auf Grund alter Übung nur bestimmten Gemeindemitgliedern zustehenden Nutzungsrechte, ist der Anteil der Gemeinde an dem als agrargemeinschaftliches Grundstück regulierten Gemeindegut als Surrogat ihres ursprünglichen (durch die Regulierung beseitigten) Alleineigentums und somit auch in Gestalt des bloßen Anteils an der Agrargemeinschaft jedenfalls Eigentum im Sinne des Art5 StGG bzw. Art1 1. ZPEMRK.“

 

Das Verfassungsgerichtshoferkenntnis unterstellt bei dieser Aussage, dass die Ortsgemeinde Eigentümerin geworden sei, ohne dass sich das Erk damit auseinander setzte, aufgrund welchen Rechtstitels die heutige politische Ortsgemeinde gegen die Jahrhunderte alte Gemeinschaft der Nutzungsberechtigten Eigentum erworben haben könnte. Offensichtlich wird unterstellt, dass die Grundentlastungsmaßnahmen und der Wegfall des adeligen Obereigentums im 19. Jahrhundert zu Eigentum der heutigen Ortsgemeinden an den Gemeinschaftsliegenschaften geführt hätte – eine Annahme, der nur eine Verwechslung der Nutzungsgenossenschaft und der politischen Ortsgemeinde wegen Namensgleichheit zu Grunde liegen kann!


 

Losgelöst von der historischen Eigentumsfrage erscheint das den aktuellen Agrarstreit auslösende Erk VfSlg 18.446/2008 vom 11.6.2008 in seiner zentralen Grundlage ohnehin überholt, weil offensichtlich nicht der heutigen politischen Ortsgemeinde, sondern vielmehr den anteilsberechtigten Mitgliedern an Agrargemeinschaften Eigentumsschutz zuzugestehen ist! Vor rund einem Jahr, nämlich mit Erk vom 21.9.2010 B 1470/09, hat der Verfassungsgerichtshof nämlich folgendes klargestellt:

„Der Eigentumsbegriff des Art1 1. ZPEMRK umfasst alle erworbenen Rechte mit Vermögenswert, ohne dass es darauf ankommt, ob die geschützte Rechtsposition privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Art ist (VfGH 4.3.2010, B982/09). Um eine solche Rechtsposition handelt es sich auch bei einem Anteilsrecht an einer Agrargemeinschaft (vgl. zum Grundrechtsschutz der Anteilsrechte an Agrargemeinschaften auch VfSlg. 18.446/2008, ferner VfGH 5.3.2010, B984/09 ua.; 8.6.2010, B974/09).“

Der Verfassungsgerichtshof selbst hat damit seine Aussage im Erk VfSlg 18.446/2008 vom 11.6.2008, wonach den Anteilsrechten der Mitglieder kein Eigentumsschutz zuzugestehen sei, willkürlich geändert. Offensichtlich fehlt deshalb den derzeit gegen tausende Tirolerinnen und Tiroler laufenden Enteignungsmaßnahmen jede verfassungsrechtliche Legitimation. Es ist absehbar, das die Republik Österreich alle heute in Tirol enteigneten Agrargemeinschaftsmitglieder in den zu erwartenden Massenverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu entschädigen haben wird, was zu Lasten eines ohnehin angespannten Bundesbudgets laufen wird.

 

II. Das Erkenntnis VfSlg 18.446/2008 geht des Weiteren davon aus, dass der Substanzwert der agrargemeinschaftlichen Liegenschaften durch eine Anpassung des Regulierungsplanes alleine dem Staat (als Ortsgemeinde) zuzuordnen sei. Dabei wird offensichtlich vorausgesetzt, dass den Agrargemeinschaftsmitgliedern – ungeachtet Jahrzehnte alter Bescheide betreffend die Anteilsrechte – kein Anteil an der Substanz der agrargemeinschaftlichen Liegenschaft zustehen soll. Mit dieser These steht das VfGH-Erk Slg 18.446/2008 jedoch auch in diametralem Widerspruch mit dem Fundament dieses Erk selbst, nämlich dem Erk VfSlg 9336/1982.

Unter Bedachtnahme auf den Substanzwert darf nämlich nicht übersehen werden, dass den Mitgliedern der Agrargemeinschaft als Ergebnis des rechtskräftigen Regulierungsverfahrens ein Anspruch auf Teilhabe an der Substanz entsprechend dem rechtskräftigen Bescheid über die Anteilsrechte zusteht. Dieser Anspruch auf Substanzbeteiligung entsprechend den rechtskräftigen Regulierungsergebnissen kann aus dem folgenden Satz des Erk VfSlg 9336/1982 abgeleitet werden: „Bedenken hat der Gerichtshof aber gegen die schematische Verwandlung bloßer Nutzungsrechte an öffentlichen Sachen in Anteilsrechte an der Gemeinschaft und damit in eine Teilhabe an der Substanz.“

 

Selbst dann, wenn die politische Ortsgemeinde (ausnahmsweise) über einen Eigentumstitel verfügt haben sollte, wurden als Ergebnis eines rechtskräftigen Regulierungsverfahrens Nutzungsrechte in Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft „verwandelt“. Die Teilhabe an der Substanz ist eine Folge des rechtskräftigen Regulierungsverfahrens; es handelt sich um „bereits geschehene Verwandlungen, die freilich nicht mehr rückgängig gemacht werden können“ (VfGH Erk vom 11.06.2008).


 

Wenn die Agrargemeinschaftsmitglieder infolge rechtskräftiger Regulierung substanzbeteiligt waren und sind (VfSlg 9336/1982) und wenn dieses Anteilsrecht Nutzung und Substanz umfasst und der Eigentumsgarantie gem Art 1 1. ZPEMRK unterliegen (VfGH 21.09.2010 B 1470/09), wie kann dann der Regulierungsplan geändert und 100% des Substanzwertes der heutigen Ortsgemeinde zugewiesen werden? Wie lässt sich vor diesem Hintergrund der im Erk VfSlg 18.446/2008 den Agrarbehörden erteilte „Auftrag“ rechtfertigen, die Regulierungspläne zu ändern und die Agrargemeinschaftsmitglieder von der Teilhabe an der Substanz auszuschließen? Welches Rechtsprinzip kann einen derartigen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Sphäre tausender Agrargemeinschaftsmitglieder rechtfertigen?

 

III. Unter Berufung auf das VfGH-Erkenntnis Slg 18.446/2008 wendet die Tiroler Landesregierung ein rücksichtsloses Enteignungsprogramm gegen tausende Tiroler Agrargemeinschaftsmitglieder an. In der Tiroler Agrarbehörde wurde hierfür eine eigene Abteilung geschaffen; ihr Aufgabenbereich ist es ausschließlich, ein seitens der Tiroler Landesregierung vorgegebenes Enteignungsprogramm gegen tausende Agrargemeinschaftsmitglieder „durchzuziehen“ – „auf Punkt und Beistrich“, wie sich der Tiroler Landeshauptmann immer wieder zu versichern beeilt. Obleute von Agrargemeinschaften, die sich schützend vor die Mitglieder stellen, werden mit Beugestrafen bedroht und durch Sachwalter ersetzt. Im Handstreich wollte die Tiroler Landesregierung 2008 alle Tiroler Agrargemeinschaften unter die neue Grundherrschaft der Ortsgemeinden zwingen. Bauernlegen in Tirol; Bauernlegen im 21. Jahrhundert! Offensichtlich hat man sich freilich übernommen. Mittlerweile wurde jede zweite Tiroler Ortsgemeinde in einen juristischen Kampfplatz verwandeln.

Diese Haltung offenbart zudem ein fundamentales Missverständnis der Bedeutung des Gesetzes im Rechtsstaat: Das Gesetz hat den Bürger vor der Willkür des Staates zu schützen, und nicht dessen mutwillige Eingriffe in die Rechte seiner Bürger zu legitimieren!

 

Die um sich greifende Rechtsunsicherheit wird zunehmend auch zum wirtschaftspolitischen Problem in Tirol. Dutzende Bauwerber finden keinen Bauplatz, weil die Agrargemeinschaften, konfrontiert mit dem neu erfundenen Substanzwertanspruch der Ortsgemeinde, keine Bauplätze verkaufen; Ausweitungen von Abbaurechten auf Agrargemeinschaftsliegenschaften unterbleiben, aktuelle Seilbahnprojekte im Zillertal sind gestoppt. Der mit Erk VfSlg 18.446/2008 hervorgebrachte und mit Erk VwGH Zl 2010/07/0091 Österreich weit zementierte Substanzwertanspruch der Ortsgemeinde zeigt im Tiroler „Probebetrieb“ seine verheerenden Auswirkungen: Rechtsunsicherheit, ja Chaos, im Bodenrecht!

 

Die Tiroler Landesregierung – in völliger Fehleinschätzung des ideellen und materiellen Wertes des Eigentums in der Tiroler Bevölkerung – klammert sich, getrieben von Demagogen, an die Idee der Enteignung. „Auf Punkt und Beistrich“ sei der Substanzwertanspruch durchzusetzen. Die innere Widersprüchlichkeit des Erk VfSlg 18.446/2008 will man nicht erkennen; ebenso wenig, dass die Sachverhaltsgrundlage (historisches Eigentum der Ortsgemeinde) auf Sand gebaut ist. Das im Bodenrecht Tirols seit dem Erk VfSlg 18.446/2008 und durch dasselbe ausgebrochene Chaos, bedarf der Klärung durch den Bundesgesetzgeber von Grund auf, anderenfalls ein „juristischer Flächenbrand“ das Bodenreformrecht Österreich weit erfassen wird.

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden


 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, österreichweit die Eigentumsverhältnisse an den Liegenschaften in agrargemeinschaftlicher Nutzung durch eine gesetzliche Klärung zugunsten der Rechte der bäuerlichen Anteilseigner zu schützen“.

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft vorgeschlagen.

 

Wien, am 15. November 2011