1931/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 15.05.2012
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Entschließungsantrag

der Abgeordneten Gerhard Huber, Dr. Spadiut

Kolleginnen und Kollegen

betreffend sofortiger Zulassungsstopp und neuerliche Risikobewertung für Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Chlorpyrifos

 

Experten warnen eindringlich vor Chlorpyrifos, einem Pestizid, das auch in Österreich verkauft wird. Chlorpyriphos ist laut Pflanzenschutzmittelregister seit dem Jahr 1974 in Österreich zugelassen und wird unter der Handelsbezeichnung Agritox verkauft. Es wirkt laut einer neuen Studie* schon in verblüffend geringen Mengen auf Ungeborene und verursacht bleibende Schäden am Gehirn von Kindern im Mutterleib. Selbst bisher als ungiftig geltende Mengen des Insektizids Chlorpyrifos greifen in die Entwicklung der Ungeborenen ein. Sie lassen wichtige Bereiche der Großhirnrinde schrumpfen und führen später zu spürbaren Einbußen in den geistigen Leistungen der Kinder, wie US-Forscher im Wissenschaftsmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" berichten.

 

Bereits zuvor hatten Studien Hinweise darauf gefunden, dass eine Belastung mit Pestiziden aus der Gruppe der Organophosphate die geistige Entwicklung von Kindern hemmen könnte. Welche spezifischen Veränderungen der Hirnstrukturen diese Mittel verursachen, habe man aber erst jetzt nachgewiesen, erklären die Forscher. Unsere Ergebnisse sind besorgniserregend", schreiben Virginia Rauh von der Columbia University in New York und ihre Kollegen. Denn das Insektizid Chlorpyrifos werde in der Landwirtschaft weltweit noch immer häufig eingesetzt.

In Europa wird Chlorpyrifos vor allem im Obst- und Weinbau verwendet, ist aber auch in frei erhältlichen Mitteln zur Bekämpfung von Schädlingen in Haus und Garten enthalten. "So einen Befund muss man daher schon ernst nehmen", kommentierte Hans Drexler, Direktor des Instituts für Arbeits-, Sozial-, und Umweltmedizin der Universität Erlangen. Die Ergebnisse seien biologisch plausibel. Viele schwangere Frauen und kleine Kinder in ländlichen Gebieten seien hohen Dosen dieses Mittels ausgesetzt, warnen Rauh und ihre Kollegen. Wahrscheinlich sei die Belastung bei ihnen sogar noch weit höher als bei den in dieser Studie untersuchten Stadtkindern. Über Pestizidreste auf landwirtschaftlichen Produkten gelange das schädliche Mittel aber auch in die Nahrung der breiten Bevölkerung. Die Ergebnisse hätten daher große Bedeutung für die öffentliche Gesundheit. Die bisher geltenden Grenzwerte, die nur auf der direkten Giftwirkung des Chlorpyrifos basieren, sind nach Ansicht der Wissenschaftler nicht ausreichend, um Kinder vor diesen Langzeitfolgen des Insektizids zu schützen.

 

"Wir haben bei den stärker belasteten Kindern signifikante Anomalien in der Hirnoberfläche gefunden", berichten die Wissenschaftler. Besonders betroffen seien Gehirnregionen, die für Aufmerksamkeit, Emotionen, Impulskontrolle und soziale Beziehungen zuständig seien. Die Hirnrinde dieser Gebiete sei geschrumpft, die darunter liegende weiße Substanz dagegen erweitert. Zusätzlich veränderte das Insektizid auch geschlechtstypische Merkmale des Gehirns bei den Kindern, wie Rauh und ihre Kollegen berichten. Normalerweise sind bestimmte Bereiche im männlichen Gehirn stärker ausgeprägt, andere dagegen kleiner als beim weiblichen. "Diese Geschlechtsunterschiede waren bei den stärker belasteten Kindern genau umgekehrt ausgebildet", so die Forscher. Das stimme mit Tierstudien überein, in denen das Chlorpyrifos bei Nagern die normalen Geschlechtsdifferenzen im Verhalten, Lernen und Gedächtnis aufhob. Für ihre Studie hatten die Forscher die Entwicklung von 40 Kindern von vor der Geburt bis zum sechsten, teilweise bis zum elften Lebensjahr verfolgt. 20 von ihnen waren im Mutterleib mit mehr als 4,39 Pikogramm Chlorpyrifos pro Gramm Blutserum belastet, die anderen 20 Kinder mit deutlich geringeren Mengen. Die Blutwerte bei den untersuchten Kindern seien damit eher noch unterdurchschnittlich, betonen die Wissenschaftler. Proben aus einer Blutbank in Cincinnati aus der gleichen Zeit hätten durchschnittliche Belastungen von 9,9 Pikogramm pro Gramm Serum ergeben. Das sei rund doppelt so viel wie bei den meisten Kindern aus der Studie. Alle Kinder wurden im Laufe der Studie regelmäßig Standardtests ihrer geistigen Leistungen unterzogen. Außerdem analysierten die Forscher ihre Gehirnstruktur mit Hilfe der Magnetresonanztomografie.

 

Im Hinblick auf diese alarmierenden Studienergebnisse ist aus der Sicht der unterzeichnenden Abgeordneten ein sofortiger Zulassungsstopp für alle Chlorpyriphos-hältigen Pflanzenschutzmittel in Österreich umzusetzen. Weiters ist auf europäischer Ebene ein sofortiger Zulassungsstopp für alle Chlorpyriphos-hältigen Pflanzenschutzmittel durchzuführen und eine neue Risikobewertung für Chlorpyriphos im Lichte der neuesten Erkenntnisse und Forschungsergebnisse durchzuführen.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher nachstehenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Der Bundesminister für Land und Forstwirtschaft wird aufgefordert, einen sofortigen Zulassungsstopp für alle Chlorpyriphos-hältigen Pflanzenschutzmittel in Österreich umzusetzen und gleichzeitig auf europäischer Ebene eine sofortige Aufhebung der Zulassung für Chlorpyrifos sowie die Durchführung einer umfassenden neuerlichen Evaluierung und Risikobewertung im Lichte der neuesten Forschungsergebnisse, zu verlangen.“

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft vorgeschlagen.

 

Wien, am 15. Mai 2012

 

 

* Brain anomalies in children exposed prenatally to a common organophosphate pesticide 1. Virginia A. Rauha, 2. Frederica P. Pererab,  3. Megan K. Hortonb, 4. Robin M. Whyatt,  5. Ravi Bansale, 6. Xuejun Haoe, 7. Jun Liue, 8. Dana Boyd Barrf,  9. Theodore A. Slotking and 10. Bradley S. Petersone. Edited by James L. McGaugh, University of California, Irvine, CA, approved March 30, 2012