6287/AB XXIV. GP

Eingelangt am 17.11.2010
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BM für Gesundheit

Anfragebeantwortung

 

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

Alois Stöger diplô

Bundesminister

 

 

 

GZ: BMG-11001/0299-II/A/9/2010

Wien, am 17. November 2010

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische

Anfrage Nr. 6385/J der Abgeordneten Dr. Spadiut, Mag. Stadler, Kolleginnen und Kollegen nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 

Allgemein ist anzumerken, dass es sich bei CFS um ein seltenes Krankheitsbild handelt, dessen Genese noch umstritten ist. Die Verursachung bzw. Übertragung von CFS durch das Gammaretrovirus XMRV ist wissenschaftlich nicht eindeutig abgeklärt, obwohl derzeit international, vor allem in den USA, Europa und China große Anstrengungen zur Klärung unternommen werden. Es ist derzeit noch zu früh, um eindeutige Konsequenzen aus den bisherigen Beobachtungen ziehen zu können, die Ergebnisse der laufenden Forschungsarbeiten sollten daher abgewartet werden. Jedenfalls stehen derzeit keine standardisierten Tests für den Nachweis von XMRV-Infektionen des Menschen zur Verfügung.


Festzuhalten ist weiters, dass hinter diesem Symptomenkomplex verschiedenste ursächliche Erkrankungen stecken können, angefangen von larvierter Depression bis hin zu diversen chronischen Infektionen.

Zur vorliegenden Anfrage wurde auch eine Stellungnahme des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger eingeholt, die der Beantwortung einzelner Fragen zugrunde liegt.

 

Fragen 1 und 2:

In der Fachwelt werden unterschiedliche Ursachen für die Erkrankung diskutiert, es werden - neben anderen Ursachen - Mikroorganismen (z.B. Epstein Barr Virus)

genannt, ein Beweis dafür ist jedoch noch nicht erbracht. Auch weitere Möglichkeiten (neurologisch, immunologisch, endokrin, genetisch oder psychiatrisch bedingt) sind derzeit noch offen. Inwieweit es sich um mehrere Krankheiten jeweils unterschiedlicher Ursache mit einer ähnlichen Symptomatik handelt, kann gleichfalls nicht ausgeschlossen werden. Es ist somit offen, ob das chronische Müdigkeits-Syndrom (auch als chronisches Erschöpfungssyndrom oder chronic fatigue syndrome ­ CFS bezeichnet, ICD-10: G93.3 Chronisches Müdigkeitssyndrom) eine immunologisch-infektiöse Genese hat. Es ist davon auszugehen, dass die Ursache für „Chronic Fatigue Syndrom“ (CFS) nach dem derzeitigen Stand des Wissens ungeklärt ist.

Grundsätzlich fallen Angelegenheiten der Forschung nicht in den Zuständigkeitsbereich meines Ressorts; es werden jedoch Forschungsaktivitäten zu CFS an der Medizinischen Universität Wien, Department für Virologie, Prof. Aberle, betrieben.

 

Fragen 3 und 4:

Um die Sicherheit von Blutprodukten zu gewährleisten, werden bei der Herstellung standardisierte Verfahren zur Virusinaktivierung eingesetzt. Für HIV wurde eine Inaktivierung unter diesen Standardverfahren nachgewiesen. Da es sich beim XMRV (xenotropic murine leukemia virus related virus) ebenfalls um ein Retrovirus handelt, wird eine Inaktivierung ebenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen.

 

Derzeit wird mangels eines standardisierten und in der Spenderscreening-Routine einsetzbaren Nachweisverfahrens das Spenderblut nicht auf das Vorhandensein von XMRV untersucht. Es ist jedoch geplant mit diesen Fragestellungen die Blutkommission, ein für Blut und Blutprodukte eingesetztes beratendes Gremium, zu befassen.

 

Weiters stellte das ECDC (European Centre for Disease Control) eine Bewertung des XMRV in Aussicht.

 

Frage 5:

Aufgrund der noch fehlenden wissenschaftlichen Grundlagen über CFS gibt es keine Basis auf die sich eine Aufklärungskampagne stützen könnte.


Frage 6:

Dem Bundesministerium für Gesundheit liegen anonymisierte Datenmeldungen von stationären Krankenhausaufenthalten vor. Daraus können jedoch keine Informationen über die tatsächliche Anzahl der Patientinnen und Patienten abgeleitet werden, da ein/e Patient/in in einem Kalenderjahr mehrere Krankenhausaufenthalte haben kann.

Für das Jahr 2000 können keine Daten genannt werden, da in den Krankenanstalten ab dem Erhebungsjahr 2001 nach ICD- 10 zu codieren ist.

 

Die verfügbaren Daten sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen:

 

Krankenhausaufenthalte mit Diagnose G93.3 (Chronisches Müdigkeitssyndrom):

 

Jahr

Diagnosen gesamt

Davon als Hauptdiagnose codiert

2009

162

33

2008

128

36

2007

149

49

2006

120

40

2005

162

52

2004

163

48

2003

87

31

2002

127

58

2001

73

37

 

Mangels Vorliegen codierter Diagnosedaten im niedergelassenen Ärztebereich können dazu grundsätzlich keine Auswertungen vorgenommen werden.

 

Fragen 7:

Eine Beantwortung dieser Fragen, ausschließlich auf Basis der stationären Aufnahmen wäre nicht seriös.

 

Fragen 8 und 12:

Im Rahmen ärztlicher Fort- und Weiterbildung kann CFS nur entsprechend dem derzeit noch vagen medizinischen Wissensstand vermittelt werden. Die Stellung von Diagnosen setzt selbstverständlich das notwendige Wissen voraus.

 

Frage 9:

Als Anlaufstellen für Diagnose und Behandlung stehen die neurologischen Abteilungen der Landeskrankenhäuser und anderer öffentlicher Krankenanstalten zur Verfügung.


Da für eine eigenständige Diagnosegruppe "CFS" die grundlagenwissenschaftlichen Erkenntnisse zu heterogen sind, ist eine Zuordnung zu bestimmten Abteilungen, Kliniken oder Behandlungsformen nicht ausreichend wissenschaftlich belegt. Zudem ist zu differenzieren, ob eine körperliche Grunderkrankung (z.B. Tumor, Entzündungen) vorliegt oder nicht, da sich daraus entsprechend andere Behandlungsregime ergeben. Aus der Heterogenität der Befundlage und dadurch, dass CFS kein einheitliches Erkrankungsbild ist, ergibt sich, dass die unterschiedlichsten Disziplinen Anlaufstellen für diese Patient/inn/engruppe darstellen.

 

Fragen 10:

In Österreich wie auch international werden die Kriterien aus der Arbeit von Fukuda K. et al. The chronic fatigue syndrome: a comprehensive approach to definition and study. Ann Intern Med 1994; 121: 953 zur Diagnose des CFS herangezogen. (http://www.cdc.gov/cfs/general/case_definition/complete.html)

 

Die Autoren der Publikation der Abteilung für Arbeitsmedizin (AKH): Barth A. et al. Diagnostisches Management von Patienten mit chronischer Müdigkeit. Arbeitsmed. Sozialmed. Umweltmed. 2004; 39:3. konnten zeigen, dass das CFS häufig mit psychiatrischen Diagnosen überlappt. Die psychiatrischen Diagnosen stellen jedoch kein Ausschlusskriterium dar.

 

Frage 11:

Es gibt für das chronische Müdigkeits-Syndrom bislang keine validen allgemein anerkannten diagnostischen Labortests oder objektivierende technische Untersuchungen.

 

Frage 13:

Die Kompetenzen der Fachärzte/-ärztinnen für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin ergeben sich aus der Definition des Aufgabengebietes in der Ärztinnen-/Ärzte-Ausbildungsordnung 2006 (ÄAO 2006), BGBl. II Nr. 286/2006, Anlage 37, wie folgt:

„Das Sonderfach Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin umfasst die Prävention, die Diagnostik, die nicht-operative Behandlung einschließlich Psychotherapeutischer Medizin, die Rehabilitation sowie die fachspezifische Begutachtung von psychischen und psychosomatischen Krankheiten oder Störungen sowie psychischen und sozialen Verhaltensauffälligkeiten.“

 

Die Kompetenzen der Fachärzte/-ärztinnen für Neurologie ergeben sich aus der Definition des Aufgabengebietes in der ÄAO 2006, Anlage 27, wie folgt:

„Das Sonderfach Neurologie umfasst die Prävention, die Diagnostik, die kausale, symptomatische und palliative Behandlung sowie die Rehabilitation von primären und sekundären Erkrankungen und Funktionsstörungen des zentralen, peripheren Nervensystems sowie der Muskulatur.“


Die Kompetenzen der Fachärzte/-ärztinnen für Innere Medizin ergeben sich aus der Definition des Aufgabengebietes in der ÄAO 2006, Anlage 15, wie folgt:

Das Sonderfach Innere Medizin umfasst die Prävention, Diagnostik, nicht-chirurgische Behandlung und Rehabilitation der Erkrankungen der Atmungsorgane, des Herzens, der Blutgefäße und des Kreislaufs, der Verdauungsorgane, der Nieren und ableitenden Harnwege, des Blutes und der blutbildenden Organe, des Stoffwechsels und der inneren Sekretion, der internen allergischen und onkologischen

Erkrankungen, der internen Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates, der Infektionskrankheiten sowie der Vergiftungen einschließlich der fachspezifischen Intensivmedizin.“

 

Die Kompetenzen der klinischen Psychologen/-innen sind im § 3 Abs. 2 Psychologengesetz, BGBl. Nr. 360/1990, geregelt und umfassen die klinisch-psychologische Diagnostik hinsichtlich Leistungsfähigkeit, Persönlichkeitsmerkmalen, Verhaltensstörungen, psychischen Veränderungen und Leidenszuständen sowie sich darauf gründende Beratungen, Prognosen, Zeugnisse und Gutachten als auch die Anwendung psychologischer Behandlungsmethoden zur Prävention, Behandlung und Rehabilitation von Einzelpersonen und Gruppen oder die Beratung von juristischen Personen sowie die Forschungs- und Lehrtätigkeit auf den genannten Gebieten sowie die Entwicklung gesundheitsfördernder Maßnahmen und Projekte.

Aufgabe der klinischen Psychologen ist es, die negativen Denk- und Handlungsmuster der Erkrankten mit kompetenter Unterstützung zu verändern. Mit therapeutischer Unterstützung lassen sich das Schlafverhalten und das Aktivitätsmanagement (Bewegung langsam steigern, Grenzen und Prioritäten setzen und das Tempo und das Ausmaß der Aktivitäten den Fähigkeiten anpassen, etc.) verbessern. Diese Unterstützung kann auch dabei helfen, realistische Ziele zu setzen oder mit der Krankheit oder Rückfällen besser zurecht zu kommen.

Weitere Behandlungsansätze sollen helfen, den Rückzug zu vermeiden. Patient/inn/en sollen ermutigt werden, ihre sozialen Netzwerke und die Unterstützung durch sie aufrechtzuerhalten.

 

Im Übrigen ist keine Behandlung bekannt, mit der CFS heilbar wäre. Die Behandlung ist auf eine Besserung des funktionellen Zustandes der Patient/inn/en und auf die Kontrolle ihrer Symptome ausgerichtet. Im Rahmen der Symptom-Kontrolle behandeln Fachärzte/-ärztinnen in pharmakologischer Abstimmung Symptome wie Schlafstörung, Muskelschmerz bzw. Muskelkrämpfe oder Gastrointestinale Symptome.

 

Zur Abgrenzung der genannten Sonderfächer ist auch noch auf § 31 Abs. 3 Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169, zu verweisen, wonach Fachärzte/‑ärztinnen ihre fachärztliche Berufstätigkeit auf ihr Sonderfach zu beschränken haben.

Dies schließt jedoch nicht aus, dass auch mehrere Sonderfächer überschneidende Tätigkeiten in einem bestimmten medizinischen Bereich, wie etwa CFS, enthalten.


Fragen 14 und 15:

Die Daten sind der nachstehenden Tabelle zu entnehmen:

 

Chronic Fatigue Syndrome: (Zuweisungen an die Arbeitsmedizinische Ambulanz der Med. Universität Wien 2003-2010)

 

 

Gesamt

CFS

Fragl. CFS*

Kein CFS

 

 

 

 

 

 

 

2003

4

3

0

1

1x Psychiatrische ASD

 

 

 

 

 

 

2004

3

0

0

3

3x Psychiatrische ASD

 

 

 

 

 

 

2005

2

0

2

0

 

 

 

 

 

 

 

2006

3

0

1

2

2x Psychiatrische ASD

 

 

 

 

 

 

2007

9

2

1

6

5x Psychiatrische ASD

1x Pulmologische ASD

 

 

 

 

 

2008

2

0

1

1

1x Pulmologische ASD

 

 

 

 

 

 

2009

4

0

0

4

3x Psychiatrische ASD

1x Endokrinologische ASD

 

 

 

 

 

2010

3

0

1

2

1x Psychiatrische ASD

 

 

 

 

 

 

Total

30

5 (3,3 %)

4 (13,3 %)

19 (63,3%)

18 psych. ASD (60 %)

 

ASD: Ausschlussdiagnose

 

* fragliche CFS (Diagnostik seitens des Pat. vor Einlangen aller notwendigen Befunde abgebrochen)

 

 

 

 

Frage 16:

Seitens der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) kann eine detaillierte Auswertung nur für die letzten fünf Jahre erfolgen. Es wurde 9 Personen (4 Frauen, 5 Männer) eine Pensionsleistung wegen CFS gewährt.


Frage 17 und 18:

Ich beziehe mich bei der Beantwortung der gestellten Anfragen nicht auf Schätzung. Um die volkswirtschaftlichen Auswirkungen feststellen zu können bedarf es umfangreicher wissenschaftlicher Studien, die nicht in die Zuständigkeit meines Ressorts fallen.

 

Frage 19:

Die Diagnose bzw. Therapie von CFS erfolgt entsprechend dem Stand der Wissenschaft (siehe auch Frage 10) und wird als solche auch von den Sozialversicherungen übernommen.

Die Ergebnisse der in der Einleitung zur parlamentarischen Anfrage erwähnten Studie, die bei CFS Patient/inn/en ein Retrovirus feststellten, konnten bisher nicht ausreichend bestätigt werden, sodass die Frage eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem CFS und Infektionen mit Retroviren nach wie vor äußerst kontroversiell diskutiert wird. Darüber hinaus sind die Analysenmethoden noch nicht standardisiert.

Als Bundesminister für Gesundheit bin ich selbstverständlich immer daran interessiert, dass Kenntnisse über spezifische Krankheitsbilder entsprechend dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens in die Curricula und in die postpromotionelle Ausbildung einfließen.

 

Frage 20 und 21:

Die in der Frage genannten Kriterien treffen auf eine Vielzahl von Erkrankungen zu. Es besteht daher kein sachlicher Anhaltspunkt, gerade für diese Erkrankung besondere Entschädigungslösungen zu etablieren.