358 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über den Antrag 374/A der Abgeordneten Mag. Albert Steinhauser, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem NS-Unrechtsurteile aufgehoben werden (NS-Aufhebungsgesetz)

Die Abgeordneten Mag. Albert Steinhauser, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 21. Jänner 2009 im Nationalrat eingebracht und u.a. wie folgt begründet:

„1) Derzeitiger Rechtsbestand nach dem AnerkG 2005

Das Anerkennungsgesetz v. 7.7.2005, BGBl I 86/2005 (AnerkG 2005), nimmt in
Art I § 1 für sich in Anspruch, durch den Bezug auf das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz 1945 (AufhG 1945) und die Befreiungsamnestie 1946 (BefrAmn), die unverändert in Geltung stehen, „alle Verurteilungen gegen Österreicher“ in die Urteilsaufhebung einzubeziehen, die „Gerichte . . . unter der nationalsozialistischen Herrschaft gegen Österreicher ausgesprochen haben und als Ausdruck typisch nationalsozialistischen Unrechts zu betrachten sind“.

In Art I § 2 spricht das AnerkG 2005 sowohl den Opfern derartiger Unrechtsurteile, insbesondere der Militärjustiz, als auch den Opfern anderer nationalsozialistischer Unrechtsakte, den Heimatvertriebenen, politisch Verfolgten, Kriegsopfern und Widerstandskämpfern „Achtung und Mitgefühl“ aus.

2) Kritik am AnerkG 2005

a)Unzureichende Ehrenerklärung, Art I § 2 AnerkG 2005

Durch die Ehrenerklärung in Art I § 2 AnerkG 2005 werden die von den Urteilsaufhebungen Betroffenen allen Kriegsopfern gleichgestellt, was ihrem Verhalten nicht wirklich gerecht wird. Das passive Erleiden der Kriegsfolgen der Bevölkerung kann nicht in einem Atemzug mit aktiven Handlungen von Einzelpersonen, die sich dem nationalsozialistischen Unrechtsregime entzogen oder es bekämpften, genannt werden. Die Kriegsopfer bedürfen nicht der Rehabilitierung, wohl aber die Verurteilten. Insoweit steht eine klare Aussage des Gesetzgebers noch aus. Sie ist in § 5 des vorgeschlagenen Gesetzes vorgesehen.

b) Unzureichender Geltungsumfang, Art I § 1 AnerkG 2005

Das AnerkG 2005 beansprucht, hinsichtlich der Urteilsaufhebungen eine vollkommene Regelung geschaffen zu haben. Sein Art I § 1 kann jedoch nicht zufrieden stellen, denn er erfasst durch den Bezug auf die beiden genannten Nachkriegsgesetze in Wirklichkeit gerade nicht alle nationalsozialistischen Unrechtsurteile. Das AufhG 1945 (§§ 1 und 8) mit seiner Ergänzungsverordnung betrifft nur einen engeren, taxativ beschriebenen Bereich von NS-Gesetzen, und die BefrAmn (§ 7 Abs 2) ist auf Urteile der Militär- und SS-Gerichte beschränkt, die das Spektrum der nationalsozialistischen Unrechtsurteile nur teilweise abdecken. Die fundamentale Unstimmigkeit des Art I § 1 AnerkG 2005 ergibt sich daraus, dass das Gesetz feststellt, „mit“ den genannten Gesetzen von 1945 und 1946 seien „alle“ nationalsozialistischen Unrechtsurteile aufgehoben worden.

Das Gesetz erreicht damit gerade nicht sein erklärtes Ziel, alle Betroffenen zu rehabilitieren und Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zu schaffen.

Das AnerkG 2005 kann nicht so verstanden werden, als ob es über diese beiden Gesetze hinaus eine eigene, neue Rechtsgrundlage für die Nichtigkeit „aller“ Verurteilungen der genannten Art enthält, denn es bezieht sich ausdrücklich nur auf diese Gesetze und gibt ihnen somit einen anderen Inhalt, als sie wirklich haben.

Eine Inhaltsausdehnung ist nicht durch eine nachträgliche sog. „authentische Interpretation“ beider Gesetze möglich, auf die sich der Gesetzgeber stützt (Initiativantrag Molterer v. 12.5.2005, 614/A XXII. GP, 6). Eine solche könnte allenfalls dazu geeignet sein, anstelle der Rechtsprechung Zweifelsfragen der Auslegung einer Norm autoritativ zu klären, sie kann aber keine über diese Norm hinausgehende Gesetzesgrundlage schaffen. Die Reichweite der beiden Gesetze unterliegt jedoch keinem Zweifel.

Eine Ausdehnung ist darum nur durch ein inhaltlich selbständiges, erweiterndes Gesetz möglich, das alle Unrechtsurteile erfasst. Überdies ist die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser noch der absoluten Monarchie zugehörenden Einmischung des Gesetzgebers in die Angelegenheiten der Rechtsprechung sehr zweifelhaft, weil sie in die Gewaltenteilung eingreift. Das Parlament erlässt Gesetzte, die Justiz interpretiert sie innerhalb ihres Wortlauts und Sinnes. Weder ist es Sache des Parlaments, Gesetze verbindlich zu interpretieren, noch Sache der Justiz, durch Interpretation neue Gesetze zu schaffen.

§ 1 AnerkG 2005 bestätigt somit in Wahrheit lediglich den vorhandenen Rechtsbestand, dass nationalsozialistische Unrechtsurteile „nach Maßgabe“ der beiden Nachkriegsgesetze rückwirkend aufgehoben wurden. Alles Weitere bleibt reines Wunschdenken oder Postulat mit dem Anschein der Gesetzeskraft. Die umfassende Regelung, die das AnerkG 2005 für sich in Anspruch nimmt, steht noch aus.

Auch eine Ausdehnung der beiden Gesetze durch Analogie mittels des AnerkG 2005 ist kein gangbarer Weg. Das Landesgericht für Strafsachen Graz, das 2008 über die Aufhebung einer Verurteilung aus dem Jahre 1939 von Zeugen Jehovas wegen falscher Zeugenaussage nach §§ 197 und 199 StG zu entscheiden hatte (Beschluss v. 26.2.2008, 1 Bl 17/08s-3), sah sich vor der Schwierigkeit, dass das AnerkG 2005 keine eigene Rechtsgrundlage enthält und das AufhG 1945 samt ihrer Ergänzungsverordnung die genannten Delikte des StG nicht anführt.

Von der Sachlage her war indes eine Rehabilitierung geboten, denn der Zusammenhang mit der politischen Verfolgung war evident. Die Betroffenen hatten geleugnet, mit verurteilten Glaubensgenossen zusammengekommen und bibelforscherische Gespräche geführt zu haben. Das Grazer Gericht behalf sich damit, § 8 AufhG 1945 analog heranzuziehen, durch welchen die Provisorische Staatsregierung ermächtigt worden war, den in § 1 enthaltenen Katalog der Rechtsvorschriften „typisch nationalsozialistischer Prägung“ zu erweitern, was durch die Ergänzungsverordnung 1945 auch geschehen war. Das Gericht sah sich durch die erkennbare „Absicht des Gesetzgebers“ des AufhG 2005, dass alle Urteile typischen nationalsozialistischen Unrechts als nicht erfolgt gelten sollen, zu dieser analogen Inanspruchnahme der Verordnungsermächtigung befugt. Dieser Ausweg war dogmatisch zwar insoweit konsequent, als das Gericht die Möglichkeit einer extensiven Interpretation das AufhG 2945 durch das AnerkG 2005 mit Recht verneinte und sich statt dessen zur Analogie genötigt sah, die über das Gesetz hinaus neues Recht schafft.

In diesem Gerechtigkeits-Notbehelf freier richterlicher Rechtsschöpfung anstelle der Staatsregierung kann aber keine allgemeinverbindliche Lösung für die Handhabung des unvollkommenen AnerkG 2005 gesehen werden.

Der von den Grünen 2005 in der Parlamentsdebatte über das AnerkG 2005 vorgelegte Alternativentwurf eines „NS-Rehabilitierungsgesetzes“ (Abänderungsantrag zum Antrag 21/A, XXII. GP) hatte vorgeschlagen, die beiden Gesetze von 1945 und 1946 durch eine umfassende Neuregelung abzulösen, die zwar inhaltlich ebenfalls auf dem alten Rechtsbestand mit der Rückwirkung der Urteilsaufhebungen aufbaut, aber Unstimmigkeiten, Lücken oder obsolete Details beseitigt.

Dieser Vorschlag wurde vom Parlament abgelehnt (vgl. Moos, Das Anerkennungsgesetz 2005 und die Vergangenheitsbewältigung der NS-Militärjustiz in Österreich, JRP 2006, S. 182 ff, 189; Metzler, Ehrlos für immer? Die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure in Deutschland und Österreich, 2007, S. 130 ff, 145 ff). Die vorliegende Gesetzesinitiative eines NS-Aufhebungsgesetzes muss auf Grund der Geltung des AnerkG 2005 vom formellen Fortbestand der alten Gesetze ausgehen. § 1 Abs 1 der Gesetzesvorlage bringt das zum Ausdruck. Zur Diskussion steht nur ein Änderungs- bzw Ergänzungsgesetz zum AnerkG 2005.

3) Inhalt der Gesetzesvorlage

a) Übersicht

In den weiteren vorgeschlagenen Bestimmungen treten an Stelle einer umfassenden Neuregelung partielle Änderungen oder Ergänzungen. Sie betreffen folgende Komplexe: Verzicht auf die besondere politischer Tendenz der Handlungen (§ 1 Abs 2), Erweiterung sowohl der einbezogenen Gerichte (§ 2 Abs 1) als auch der inhaltlichen Verurteilungsgrundlagen durch eine materiellrechtliche Generalklausel (§ 2 Abs 2), persönlicher Geltungsbereich (§ 3 Abs 1), Mischurteile (§ 3 Abs 2), Antragsbefugnis (§ 4) und Bekräftigung der Rehabilitierung der Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (§ 5).

b) Überschneidungen von AufhG 1945 und BefrAmn

Auf eine gesetzliche Klärung, welches der beiden Gesetze von 1945 und 1946 bei Überschneidungen der materiellrechtlichen und prozessualen Lösung den Vorrang genießen soll, wird verzichtet. Zu solchen Konkurrenzen kann es besonders bei Verurteilungen nach der Kriegssonderstrafrechtsverordnung (KSSVO) kommen, die sowohl vom AufhG 1945 als auch von der BefrAmn erfasst werden. Während der Durchführungserlass des Bundesministeriums für Justiz v. 4.6.1946 zur BefrAmn, JABl 4/1946, das AufhG 1945 als die speziellere Norm ansah, soll dieses Gesetz nach dem Erlass des Bundesministeriums für Justiz v. 30.12.2003, JABl 7/2004, nur subsidiär zur BefrAmn zur Anwendung kommen. Dem kann gefolgt werden, weil durch die Streichung der Handlungsklausel im vorliegenden Gesetzentwurf (§ 1 Abs 2) ein wesentliches Argument für die Spezialität des AufhG 1945 entfällt.

c) Zu weiter Umfang der Befreiungsamnestie

Eine gewisse scheinbare Unstimmigkeit des AnerkG 2005 ergibt sich daraus, dass es die Nichtigkeit aller Verurteilungen mit typisch nationalsozialistischem Unrechtsgehalt nicht nur aus dem AufhG 1945, sondern auch aus der BefrAmn ableitet, obwohl dieses Gesetz in großem Umfang auch Verteilungen erfasst, die inhaltlich keinen Bezug zu NS-Unrecht hatten.

Gelten doch nach § 7 Abs 2 BefrAmn schlechthin alle „Urteile der deutschen Militärgerichte und der SS-Gerichte ... als nicht erfolgt“. Das betrifft vornehmlich die Delikte des deutschen MilStGB.

Ausgenommen von der Rehabilitierung sind nach § 10 BefrAmn Handlungen von bestimmten Nationalsozialisten und Kriegsverbrechern. Der Grund für diesen umfassenden prozessdefinierten Personenkreis durch die BefrAmn liegt darin, dass es dieser weniger auf das nationalsozialistische Unrecht ankam als auf die Selbstachtung des nach der „Befreiung Österreichs“ (Gesetzestitel) wiedererstandenen eigenen Staates, dessen nach dem „Anschluss“ 1938 zur deutschen Wehrmacht eingezogene Staatsbürger einer „ausländischen“ Rechtsprechung unterworfen waren.

Dem entspricht die Gesetzesbezeichnung „Befreiungsamnestie“ für alle Soldaten, während es sich beim AufhG 1945 um keine Amnestie handelt, sondern um die inhaltliche Nichtigkeit von Verurteilungen wegen bestimmter Widerstandshandlungen gegen das NS-Regime. Es läge nahe, im jetzt vorgeschlagenen NS-Aufhebungsgesetz den Kreis der durch die BefrAmn Rehabilitierten auf die Anwendung von „typisch nationalsozialistischem Unrecht“ zu begrenzen. Das ist jedoch nicht möglich, weil die BefrAmn bereits mit ihrem Inkrafttreten auch die darüber hinausgehenden Verurteilungen der Militär- und SS-Gerichte ex tunc aufgehoben hat. Für diese ergänzende Gesetzesvorlage ist jedoch eine differenzierte Behandlung beider Gesetze nötig.“

 

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 7. Oktober 2009 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Mag. Albert Steinhauser die Abgeordneten Anna Franz, Dr. Johannes Jarolim, Herbert Scheibner, Mag. Harald Stefan, Dr. Harald Walser, Mag. Karin Hakl, Mag. Ewald Stadler, Mag. Peter Michael Ikrath, Mag. Johann Maier und Dr. Walter Rosenkranz sowie die Bundesministerin für Justiz Mag. Claudia Bandion-Ortner und der Ausschussobmann Abgeordneter Mag. Heribert Donnerbauer.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

 

Als Berichterstatter für das Plenum wurde Abgeordneter Franz Glaser gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2009 10 07

                                   Franz Glaser                                                         Mag. Heribert Donnerbauer

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann