Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs. 5 GOG

der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Mag. Birgit Schatz und Mag. Christiane Brunner

zum Bericht des Verkehrsausschusses über die Regierungsvorlage (319 d.B.) über das Bundesgesetz, mit dem ein Postmarktgesetz erlassen und das KommAustria-Gesetz geändert wird (459 d.B.)

Die vorliegende Regierungsvorlage soll die 3. EU-Post-Richtlinie umsetzen und den Rahmen für die Voll-Liberalisierung des Postmarktes in Österreich festlegen, die mit 1.1.2011 zu erfolgen hat, nachdem der damals zuständige Verkehrsminister Werner Faymann 2007 anders als die Ratsvertreter anderer Staaten wie etwa Luxemburgs in Brüssel die Gelegenheit verstreichen ließ, das Datum auf 1.1.2013 aufzuschieben. Das neue „Postmarktgesetz“ (PMG) soll das bisherige Postgesetz ersetzen und auch einige bisher in der Post-Universaldienstverordnung im einzelnen geregelte Inhalte integrieren.

Das Gesetz ist der vorläufige Abschluss eines langwierigen, nach einigen Aussagen im Verkehrsausschuss des Nationalrats noch immer nicht ausgestandenen Gezerres zwischen den Regierungsparteien, das für viel Unsicherheit gesorgt und (insbes. 2007/2008) vielen Postamtsschließungen und anderen Qualitätsverschlechterungen für KundInnen und Beschäftigte der Post erst den Weg bereitet hat.

Der nunmehrigen Regierungsvorlage ist der Wunsch eindeutig anzusehen, es allen einflussreichen Playern und Lobbies im Post-Geschehen gleichzeitig recht zu machen, was ihr im Hinblick auf Schlüssigkeit und Zielgerechtigkeit nicht gut getan hat: Die Regierung ist an der Herausforderung gescheitert und hat einen faulen Kompromiss und „großkoalitionären Murks“ gezimmert. Denn das Gesetz versucht, gleichzeitig die Monopol-Wünsche der Post AG zu erfüllen, die Wettbewerber nicht zu vergraulen und dem Finanzminister und den übrigen Post-AktionärInnen weiter schöne Dividenden zu sichern. Daneben sollten zumindest kosmetische Mitwirkungs-Schauplätze für die Gemeinden und Städte sowie für die Sozialpartner gezimmert werden. Ergebnis ist ein Text mit zahllosen Gummi-Paragraphen, mit EU- und Verfassungs-Widrigkeiten und mit vier aus Grüner Sicht besonders kritischen, grundlegenden Schwächen:

1. Regierung und Regierungsparteien ignorieren Interessen der Kundinnen und Kunden!

Die aus Sicht der Grünen zentralen Interessen der KundInnen werden gegenüber den Interessen von Lobbies und Playern hinten angereiht. Dass zu einem Post-„Markt“ nicht nur Unternehmen und Shareholder, sondern zuvorderst die Kunden/Nachfrager gehören, wird ignoriert – keine „Politik für die Menschen“ also unter sozialdemokratischer Federführung.

-       So wird zwar (§54) eine neue „Beschwerdestelle zum Universaldienst“ geschaffen, die Konsequenzen begründeter Beschwerden bleiben aber höchst nebulos.

-       Im neuen „Postgeschäftsstellen-Beirat“ (§43) werden keine Vertreter der PostkundInnen berücksichtigt (und die Arbeit soll geheim und ohne Öffentlichkeit ablaufen).

-       Die an anderer Stelle eingeführte begrenzte Beschwerdemöglichkeit für u.a. die AK kann dies ebenfalls nicht kompensieren und hat somit eher Alibi-Funktion.

-       Auch dass den Gemeinden gegen die Nichtuntersagung einer Post-Geschäftsstellen-Schließung der Weg zu einer VWGH-Überprüfung nicht eröffnet wird, hingegen bei Untätigbleiben der Regulierungsbehörde automatisch die Fiktion der Nichtuntersagung (ohne Bescheid!) eintritt, erleichtert einseitig das Zusperren bzw. „Downgrading“ von Postgeschäftsstellen und ist somit gegen die Interessen der PostkundInnen.

2. Universaldienst: Immer weniger „universal“ für immer weniger Menschen!

Der Universaldienst – das Mindestangebot an Postdienstleistungen, das flächendeckend anzubieten ist, auch wenn dies nicht kostendeckend ist – wird einerseits massiv eingeschränkt, zusätzlich wird auch dieses reduzierte Angebot durch Regelungen im PMG noch weiter unterlaufen.

-       Konkret sollen zB bei Verteilzentren eingelieferte Sendungen (Massensendungen u.dgl.) und unfreie Retourpakete (zB im Versandhandel üblich) und damit gegenüber derzeit mehr als 50% der Sendungen künftig nicht mehr unter den Universaldienst fallen. Für diese Sendungen gelten so auch die Vorgaben für Laufzeiten und Tarifeinheit nicht mehr.

-       Bei bis zu 165 der 1.650 mindestens vorzusehenden Postgeschäftsstellen – absehbar solche in ländlichen und peripheren Räumen ‑ soll nicht einmal dieser reduzierte Universaldienst komplett angeboten werden müssen.

-       Weiters ist der Entfall der bisherigen Vorgabe der Wochenendleerung von Postbriefkästen „bei Bedarf“ vorgesehen. Überfüllte Briefkästen an Montagen werden also in Frequenzlagen die für die PostkundInnen unerfreuliche Regel werden.

-       Höchst erklärungsbedürftig ist auch, wieso in Österreich erst Marktteilnehmer ab 1 Mio Umsatz zur Universaldienst-Finanzierung beitragen sollen, im viel größeren Deutschland hingegen schon ab 0,5 Mio Umsatz. Die finanzielle Relation müsste eigentlich genau umgekehrt und der Schwellenwert in Österreich viel niedriger als in Deutschland sein.

3. Völliges Versagen beim Sichern menschenwürdiger Beschäftigungsbedingungen und beim Verhindern von Lohn- und Sozialdumping!

Wissenschaftliche Studien belegen, dass 90% der im bereits liberalisierten Teil des Postmarktes (zB Paket-, Werbesendungs-Zustellung) bei Wettbewerbern tätigen Personen selbständig bzw. scheinselbständig arbeiten, also üblicherweise ohne Sozialversicherung, Lohn bei Krankheit und Urlaubsanspruch, bei einem mittleren Monatseinkommen von nur etwa 900 Euro. Diese somit heute schon weithin prekären Beschäftigungsbedingungen in der Branche werden mit dem neuen Postmarktgesetz durch zahlreiche Gummi-Formulierungen zementiert. Die diesbezügliche Kreativität der Regierung im PMG reicht von nicht näher definierten „angemessenen“ Arbeitsbedingungen bis zum „jeweils anzuwendenden“ Kollektivvertrag, vom „Abfedern sozial ungünstiger Auswirkungen“ (die man also offensichtlich kommen sieht) bis zur Entlohnung, die schon „merklich unter dem üblichen Niveau“ sein muss, damit die in ohnehin nur begrenzten Teilen des Postmarktes nötige Konzession verweigert werden kann. Diese unzähligen Schlupflöcher aus anständigen Beschäftigungsbedingungen öffnen weiterem Sozialdumping Tür und Tor.

All dies ist sowohl im Interesse der Wettbewerber als auch der Post AG selbst, die bei dieser Lohn- und Sozialdumping-Spirale munter mitmacht: Zum einen sieht der unter hohem Druck ausverhandelte neue Post-KV seit heuer zB für ZustellerInnen Höchstgehälter vor, die nur mehr den Einstiegsgehältern von keineswegs überzogenen unter 1.500 Euro brutto im alten KV entsprechen. Zum anderen verfügt die Post über ein im Wettbewerb tätiges Sub-Unternehmen, dessen Dumping-Beschäftigungsbedingungen diejenigen in der Post AG selbst zusätzlich konkurrenzieren.

Die Post-Richtlinie der EU fordert vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen der letzten Jahre neben zB einer „Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität“ wörtlich „ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz“. Leider wird das PMG dieser EU-Vorgabe nicht gerecht, denn es wird etwa in §27 Abs 2 die Chance vergeben, „angemessene Arbeitsbedingungen einschließlich Entlohnung“ und „jeweils anzuwendenden Kollektivvertrag“ näher zu konkretisieren. Damit wird die Anwendung von Kollektivverträgen (Expedit, Güterbeförderung, HandelsarbeiterInnen etc.) mit sehr niedriger Entlohnung legitimiert, das Ziel eines einheitlichen Post(dienstleistungs)-Kollektivvertrags ohne äußeren Zwang von EU o.ä. aufgegeben und die Frage der Selbständigen bzw. Scheinselbständigen ignoriert.

Gegenüber dem ursprünglichen Begutachtungsentwurf, der wenigstens noch eine „Orientierung an den Arbeitsverhältnissen der Post AG“ vorsah, verzichtet die nunmehrige Gesetzesvorlage völlig auf alle wirksamen Instrumente gegen Lohn- und Sozialdumping.

Schließlich bringt das PMG auch keinerlei Verbesserung der prekären und weithin wirklich unzumutbaren Arbeitsbedingungen bei der Zeitungszustellung. Die Begründung dessen mit dem Vermeiden von Konzessionspflicht-Umgehungsversuchen ist nicht nachvollziehbar, denn dieses Problem hätte mit einer umfassenderen Konzessionspflicht als im PMG vorgesehen ebenso gelöst werden können - allerdings wären in diesem Fall dann eben auch Mindeststandards für die Beschäftigten zum Tragen gekommen, die offenbar von derzeitigen mächtigen Akteuren im Zeitungszustellgeschäft nicht gewünscht werden.

Es bleibt schließlich unverständlich, wieso angesichts des schon heute offenkundigen Dumping in dieser Branche das zB in Deutschland umgesetzte Mindestlohn-Konzept nicht verfolgt wird. Der dortige Mindestlohn von 9,80 Euro pro Stunde (alte Bundesländer) führt zu einem höheren Monatseinkommen, als nach einzelnen der erwähnten „jeweils anzuwendenden Kollektivverträge“ in Österreich, und zu deutlich mehr Einkommen als derzeit für in den Bereichen Paket-, Werbesendungs-Zustellung tätige Selbständige bzw. Scheinselbständige im Schnitt herausschaut.

Dass die zuständige Ministerin im Ausschuss tatsachenwidrig behauptete, das neue Gesetz würde weit bessere Bedingungen als zB in Deutschland sicherstellen, obwohl das Gegenteil zutrifft, setzt dem Versagen der Regierung in dieser Frage noch die Krone auf.

So wie das Gesetz jetzt vorliegt, werden noch mehr Menschen zu sehr schlechten Bedingungen arbeiten müssen. Das ist eine Kapitulation vor den Wünschen der Unternehmen - und das unter sozialdemokratischer Federführung!

4. Nachteilige Wirkungen aus Umwelt- und Gender-Perspektive!

Das PMG soll keine Mindestzahl an Geschäftsstellen festlegen, sondern operiert – nach vorherigem Ausschluss der verstreutest lebenden 10 Prozent der Bevölkerung bei diesen für die künftige Geschäftsstellendichte entscheidenden Berechnungen – mit einem Höchst-Entfernungs-/Zeitkriterium. Dieses ist jedoch insbesondere für den ländlichen Raum (10 km in 10 min, d.h. 60 km/h Durchschnitts(!)geschwindigkeit) weithin völlig praxisfremd und jedenfalls autofixiert, wie die Stellungnahme des Landes Vorarlberg zur Regierungsvorlage unterstreicht. Im Resultat legitimiert dieses „Rechenkunststück“ unzumutbar weite und lange Wege zur nächsten Postgeschäftsstelle für die Menschen in weiten Teilen Österreichs.

Zugleich werden damit die Behauptungen der Regierungsvorlage Lügen gestraft, wonach dieses Gesetz keine umweltpolitischen oder geschlechtsspezifischen Auswirkungen hätte:

-       Die Orientierung an Kfz-gemäßen Kriterien bei der Geschäftsstellendichte wird zusätzlich zum laufenden Konzentrationsprozess zu längeren Distanzen und damit längeren, im Öffentlichen Verkehr in Relation zur Fahrzeit selten zumutbaren Fahrstrecken und damit zu mehr Schadstoff-, Lärm- und CO2-Emissionen, also mehr Umweltbelastung, führen.

-       Zugleich können Frauen bekanntlich in viel geringerem Ausmaß als Männer frei über ein Auto verfügen, sodass das im PMG vorgesehene Vorgehen auch geschlechtsspezifisch insbesondere im ländlichen Raum nachteilige Wirkung haben dürfte.

Die Argumentation der zuständigen Bundesministerin im Ausschuss, wonach das Gesetz für ein dichteres Geschäftsstellennetz sorgen werde und damit entsprechende Wege zunehmend mit dem Fahrrad und damit umweltschonender abgewickelt werden könnten, kann angesichts der Fakten und der gesetzlich fixierten Distanz von 10 km und unterstellten Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 km/h wohl nicht ernst gemeint gewesen sein.

Wie sehr die Regierung mit ihrer Vorlage für ein Postmarktgesetz an zentralen Fragen gescheitert ist, wird schließlich auch anhand der Behauptung deutlich, das PMG würde die Forderungen des Post-Volksbegehrens „Stopp dem Postraub“ von Sommer 2009 erfüllen, das gleichzeitig und unter einem mit dieser Regierungsvorlage im Nationalrat beraten wird.

Dies entspricht mitnichten den Tatsachen: Das PMG setzt das Volksbegehren nicht um!

So ist mehr als zweifelhaft, dass das PMG in ausreichender Weise „die flächendeckende Grundversorgung beinhaltet“ und die „Sicherung von Postdienstleistungen zu gleichen Bedingungen für die gesamte Bevölkerung“ bringt, wie vom Volksbegehren gefordert und von der Regierung behauptet. Die deutliche Einschränkung des Universaldienstes (siehe oben) durch das PMG spricht eine andere Sprache, selbst in den PMG-Erläuterungen wird festgehalten „Die Aufrechterhaltung des flächendeckenden Universaldienstes wird die Post AG vor enorme Herausforderungen stellen“. Zu behaupten, dass „die (Anm.: welche?) Versorgung insbesondere auch in ländlichen Gebieten gesichert“ sei, ist jedenfalls mutig bis phantasievoll. Es wird vielmehr eine „flächendeckende Versorgungsgarantie durch die Mindestanzahl von 1.650 Post-Geschäftsstellen“ (von denen überdies 10% nur Teile des Universaldienstes anbieten müssen) eben nicht sichergestellt, wie u.a. die kritische Stellungnahme des Landes Vorarlberg zur PMG-Regierungsvorlage unterstreicht.

Dass das PMG „auch nach der Voll-Liberalisierung (1.1.2011) einen fairen Wettbewerb sicher stellt“, wird sowohl von der Post AG („neues PMG bevorzugt ausländische Postkonzerne“) als auch von den Wettbewerbern („Ein PMG, das den noch gar nicht am Markt befindlichen Anbietern Pflichten auferlegt und diese dem ehemaligen Monopolisten gleichzeitig erlässt, wäre jedenfalls einzigartig in der EU“) nicht so gesehen, was die Regierungs-Behauptungen doch stark relativieren.

Auch die in mehreren Punkten völlig schwammigen, nahezu frei interpretierbaren Formulierungen im PMG lassen jeden Spielraum für unternehmensfreundliche, aber kundinnen- und beschäftigtenfeindliche Verschiebungen offen: Was ist ein „adäquates“ Verhältnis von (eigenbetriebenen) Postfilialen und Post-Partnern? Was bedeutet es konkret, wenn Dienstleistungen „marktgerecht“ erhalten bleiben (sollen)? Wie soll mit Postpartnern oder gar den zulässigen 10% an Schmalspur-Servicestellen, die beide eben NICHT das volle Angebot eines Postamts bieten, die Servicequalität „ungeschmälert“ aufrechterhalten oder gar ausgebaut werden, wie es die EU-Postrichtlinie verlangt und die Regierung behauptet?

Neben den vier grundlegenden Schwächen des PMG werden schließlich auch noch weitere wichtige inhaltliche Einzelfragen im PMG seltsam oder gar nicht gelöst:

-       Die Lösung bei den Hausbrieffachanlagen (HBFA; §34) bringt erneut Ungleichbehandlung zulasten derer, die seinerzeit die später vom Höchstgericht gekippte Regelung befolgten. Dies kann wohl kaum verfassungskonform sein. Weiters lässt das PMG für die Zeit bis Ende 2010 offen, wer für Austausch zahlt. Schließlich ist sachlich nicht einsehbar, wieso nicht vorrangig die neuen Marktteilnehmer die Umrüstung finanzieren.

-       Die in §2 Abs 3 PMG normierte Ausnahme bestimmter Zeitungs-/Zeitschriftenzusteller ist verfassungsrechtlich fragwürdig. Sie sollte dringend durch eine verfassungskonforme Lösung, die auch bessere Arbeitsbedingungen beinhaltet, ersetzt werden.

-       Die angeblich gesicherte Tarifeinheit kann problemlos umgangen werden – zB über §21 Abs 3 „Recht der Post AG, individuelle Preisabsprachen/Preisnachlässe zu treffen und Sondertarife vorzusehen“. Post in die Peripherie könnte also bald teurer werden.

-       Ersatz der Genehmigungspflicht durch Anzeigepflicht (§22) erleichtert Tariferhöhungen.

-       Strafbestimmungen fehlen, zB zur wichtigen Bestimmung in §35, die Datenweitergaben unterbinden soll.

Aufgrund dieser vielfältigen inhaltlichen Schwächen, der verfassungs- und EU-rechtlichen Fragwürdigkeiten und der Ignoranz gegenüber den Interessen der PostkundInnen und der im Sektor derzeit und künftig Beschäftigten lehnen die Grünen das Postmarktgesetz daher mit Nachdruck ab.