530 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über den Antrag 65/A(E) der Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill, Kolleginnen und Kollegen betreffend Kinderrechte in die Verfassung – 16 Jahre Warten sind genug!

Die Abgeordneten Tanja Windbüchler-Souschill, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 25. November 2008 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Es ist nun auch schon wieder 16 Jahre her, dass der Nationalrat der Republik Österreich die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat. Diese steht aber dadurch trotz ihres grundrechtlichen Charakters nur im Range eines einfachen Gesetzes. Dazu erklärte der Nationalrat einen Erfüllungsvorbehalt, der die unmittelbare Anwendung der Konvention ausschließt und es dem Gesetzgeber ermöglichen sollte, die Bestimmungen in Durchführungsgesetzen in die österreichische Rechtsordnung zu integrieren.

Dies führte zu dem Ergebnis, dass die Kinderrechtskonvention auch nach 16 Jahren weder verfassungsrechtlich verankert noch unmittelbar anwendbar ist und ihre Rechtswirkungen somit auf ihre Berücksichtigung in Zweifelsfällen mittels allgemeiner völkerrechtskonformer Interpretation beschränkt sind.

In der  Zwischenzeit wurde 2000 die Grundrechtscharta der EU beschlossen, in der es in Artikel II-84 Absatz 2 heißt: „Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein“, und auch der Österreich-Konvent hat sich mit den Kinderrechten befasst und über eine praktisch gleich lautende Formulierung Konsens erzielt (Bericht des Österreich-Konvents, Band 2, Teil 4 A, Kapitel II.2.4, Absatz 1).

Im Jahr 2004 veröffentlichten das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte und das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung ihren „Bericht über den Konsultationsprozess 2003“, der die Grundlagen für eine neue, zeitgemäße Gestaltung österreichischer Kinder- und Jugendpolitik liefert, dessen Vorschläge aber bis dato der Realisierung harren.

Die Erhebung der UN-Kinderrechtskonvention ist daher nur ein erster, wenngleich entscheidender Schritt zur Umsetzung einer neuen, partizipativen Kinder- und Jugendpolitik, die sich dem Schutz vor Diskriminierung, dem Kindeswohl, der Gendergerechtigkeit und der Chancengleichheit verpflichtet sieht. Dies ist umso wichtiger in Anbetracht der im Juni 2007 beschlossenen Wahlaltersenkung auf 16 Jahre.

Dabei sind insbesondere folgende Kerninhalte zu berücksichtigen:

1. Jedes/r Kind/Jugendliche hat das Recht auf Anerkennung als Rechtspersön­lichkeit, das Recht auf Schutz der persönlichen Identität sowie das Recht auf den Schutz der Privatsphäre. Jedes/r Kind/Jugendliche hat das Recht auf Schutz vor jedweder Form von Diskriminierung. Kinder/Jugendliche haben das Recht, die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte selbständig auszuüben und selbst oder im Wege angemessener Vertretung durch ihre Eltern, andere gesetzliche Vertreter und geeignete Einrichtungen durchzusetzen.

2. Das Wohl des Kindes/Jugendlichen muss bei allen sie betreffenden Maßnahmen seitens Gesetzgebungsorganen, Verwaltungsbehörden, Gerichten oder öffentlichen und privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge eine vorrangige Bedeutung haben.

3. Jedes/er Kind/Jugendliche hat das Recht auf Partizipation in allen sie betreffenden Angelegenheiten, einschließlich des Rechts sich zu informieren, die Meinung frei zu äußern und diese dem Alter und der Entwicklung angemessen berücksichtigt zu finden. Der Staat hat Partizipationsmöglichkeiten für Kinder/Jugendliche zu fördern und den Zugang zu entsprechenden Informations- und Beratungseinrichtungen zu gewährleisten.

4. Jedes/er Kind/Jugendliche hat Anspruch auf Schutz und Fürsorge sowie bestmögliche körperliche, geistige, seelische, soziale und sittliche Entwicklung und Entfaltung. Dazu gehören: Recht auf angemessenen Lebensstandard, Recht auf soziale Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Recht auf Freizeit und Spiel. Jedes/er Kind/Jugendliche mit Behinderung hat das Recht auf aktive und integrierte Teilnahme am Leben der Gemeinschaft, sowie Anspruch auf Bildung, Gesundheit und Rehabilitation, Vorbereitung auf das Berufsleben und auf Erholung.

5. Verantwortlich für Obsorge und Entwicklung der Kinder/Jugendlichen sind die Eltern in gemeinsamer Weise oder andere gesetzliche Vertreter, entsprechend den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern/Jugendlichen und der Achtung ihres Wohles. Der Staat hat die Eltern oder andere gesetzliche Vertreter bei der Wahrung dieser Verantwortung angemessen zu unterstützen. Jedes/er Kind/Jugendlicher hat das Recht auf familiäre und soziale Beziehungen und hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht dem Wohl des Kindes/Jugendlichen entgegen. Kinder/Jugendliche, die dauernd oder vorübergehend aus ihrer familiären Umgebung herausgelöst sind, haben Anspruch auf besonderen Schutz und Beistand des Staates.

6. Jedes/er Kind/Jugendliche hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafung, die Zufügung seelischen Leides, sexuelle Gewalt und jedwede andere Form von Misshandlungen sind verboten. Jedes/er Kind/Jugendliche hat das Recht auf Schutz vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung, einschließlich vor Kinderarbeit, Kinderprostitution, Kinderpornografie und Kinderhandel. Kinder/Jugend­liche als Opfer von Gewalt oder Ausbeutung haben ein Recht auf Rehabilitation. Alle begleiteten oder unbegleiteten Kinder/Jugendlichen als Flüchtlinge haben ein Recht auf Schutz und angemessene Hilfe. Alle sie betreffenden Verfahren sind fair und rasch unter der Berücksichtigung ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit und individuellen Bedürfnisse zu gestalten.

7. Gesetzgebung, Gericht und Vollziehung haben Sorge zu tragen, dass Verfahren gegen Kinder/Jugendliche, die einer Verletzung der Strafgesetze verdächtigt werden, in einer Weise geführt werden, die ihre Würde achten und ihr Alter und ihre Entwicklung besonders berücksichtigen. Jedes/er Kind/Jugendliche, die in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt sind, haben das Recht auf menschliche und besonders schonende Behandlung.

Insbesondere ist Wert darauf zu legen, dass Kinder- und Jugendrechte nicht im Ehe-und-Familie-Kapitel des Grundrechtekatalogs, sondern unter den Gleichheitsrechten verankert werden – da ansonsten der fatale Eindruck entstehen könnte, Kinderrechte hätten nur im Kontext von Ehe und Familie Bedeutung.“

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag erstmals in seiner Sitzung am 14. Jänner 2009 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill die Abgeordneten Mag. Dr. Beatrix Karl, Herbert Scheibner, Ing. Christian Höbart, Mag. Dr. Wolfgang Zinggl, Dr. Peter Fichtenbauer und Dr. Peter Wittmann. Danach wurden die Beratungen vertagt und am 4. November 2009 fortgesetzt. In der Debatte ergriffen die Abgeordneten Mag. Daniela Musiol, Mag. Silvia Fuhrmann, Stefan Markowitz, Mag. Harald Stefan, Tanja Windbüchler-Souschill und Christoph Hagen das Wort. Die Beratungen wurden neuerlich vertagt und am 1. Dezember 2009 wieder aufgenommen. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Angela Lueger, Tanja Windbüchler-Souschill, Mag. Wilhelm Molterer, Mag. Harald Stefan, Herbert Scheibner und Mag. Ewald Stadler.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit.

 

Als Berichterstatterin für das Plenum wurde Abgeordnete Angela Lueger gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2009 12 01

                                  Angela Lueger                                                               Dr. Peter Wittmann

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann