643 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Verkehrsausschusses

über den Antrag 851/A(E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen betreffend weitergehende Fahrgastrechte im Bahn-Fernverkehr nach dem Vorbild anderer europäischer Staaten

Die Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 05. November 2009 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Nach den von der Regierung vorgelegten Plänen zur Umsetzung der EU-Fahrgastrechte-VO ("Verordnung (EG) Nr.1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr") soll im Fernverkehr - anders als im Nah- und Regionalverkehr - nur eine Minimal-Umsetzung, sozusagen das "Pflicht-Programm" erfolgen.

Demnach würden Fahrgäste im Fernverkehr erst ab 60 Minuten Verspätung Anspruch auf Erstattung von mindestens 25 Prozent des Fahrpreises und ab 120 Minuten Verspätung Anspruch auf Erstattung von mindestens 50 Prozent des Fahrpreises haben.

Zusätzlich ist eine Bagatellgrenze von 4 € vorgesehen, das bedeutet, dass eine Erstattung erst ab einem bezahlten Fahrpreis von 16 beziehungsweise 8 € möglich ist.

Eine vom VCÖ durchgeführte Analyse der Situation in anderen europäischen Staaten belegt, dass in vielen dieser Staaten (und zwar auch EU-Staaten, nicht etwa nur im Bahnland Nr. 1 Schweiz!) bessere Fahrgastrechte gelten. So werden beispielsweise in Frankreich, Spanien, Schweden, Großbritannien, den Niederlanden oder Finnland Fahrpreise bereits ab Verspätungen von 30 Minuten und darunter erstattet.

Im einzelnen gelten - u.a. gemäß Informationen der "European Passenger Federation", dem Dachverband der Fahrgastverbände - folgende Regelungen betreffend Fahrgastrechte:

Frankreich

-       Auf Fern- und TGV-Zügen bietet die Französische Bahn eine Entschädigung, wenn eine Verbindung annulliert wird oder eine Verspätung von mehr als einer halben Stunde auftritt und SNCF selbst dafür verantwortlich ist. Die Entschädigung wird in Form eines Gutscheins für Bahn-Tickets für eine Ersatzkarte in Höhe von einem Drittel der Kosten rückerstattet. Diese Entschädigung ist in Ausnahmefällen auch bei Verzögerungen der S-Bahn-Verbindungen möglich.

Großbritannien

-       Es gibt zwei verschiedene Programme zur Rückerstattung: Das 'delay repay' oder das 'derived from British Rail' Programm.

-       Das 'delay repay' Programm bietet den Kunden Rückerstattungen für Verspätungen über 30 Minuten an, wobei der Grund der Verspätung und die Art des Tickets irrelevant sind.

-       Das Programm 'derived from British Rail' bietet zwei verschiedene Ansätze an. Personen mit Dauerkarten bekommen einen Rabatt beim Kauf einer neuen Dauerkarte, wenn die Leistung der Bahn im Vorjahr schwach war (in diesem Fall gibt es keine Rückerstattung für individuelle Zugverspätungen). Für Personen, die keine Dauerkarte besitzen, gibt es eine Rückerstattung in Prozenten. Diese variieren zwischen verschiedenen Bahnbetreibern.

Italien

-       Im Bereich der regionalen Züge ist die Entschädigung durch Verträge zwischen den Regionen und den Betreibern geregelt. In manchen Regionen werden die Betreiber verpflichtet Monatskarten gratis zu ersetzen, wenn es zu langen Verspätungen kommt.

-       Bei Fernverkehrszügen, bietet Trenitalia verschiedene Rückerstattungsmöglichkeiten für verschiedene Strecken an.

-       Eurostar Italia, Eurostar AV, T-Biz Italia: 50 Prozent Rückerstattung wenn die Klimaanlage oder Heizung nicht funktioniert oder für Verspätungen von über 25 Minuten, für die Trenitalia verantwortlich ist.

-       Eurostar City, Intercity and Intercity Plus: 30 Prozent Rückerstattung wenn die Klimaanlage oder Heizung nicht funktioniert oder für Verspätungen von über 30 Minuten, für die die Trenitalia verantwortlich ist.

-       PSO Verbindung: 30 Prozent Erstattung für Sitzplätze und 20 Prozent für Schlafwagen, wenn der Zug um 60 Minuten verspätet ist und Trenitalia dafür verantwortlich ist.

-       Die Rückerstattungen werden in Trenitalia Zentren und im Internet in Form von Gutscheinen für Ersatztickets durchgeführt.

Niederlande

-       Wenn eine Verspätung über 30 Minuten auftritt kann eine Erstattung geltend gemacht werden. Bei Verspätungen zwischen 31 und 59 Minuten werden 50 Prozent des einheitlichen Tarifs erstattet. Bei Verspätungen über 60 Minuten sogar 100 Prozent. Ein Fragebogen muss für die Entschädigungen ausgefüllt werden und die Rückerstattung wird auf das Konto des Fahrgastes überwiesen. Die Entschädigung für die Dauerkarten-Inhaber wird mittels Durchschnittsverzögerung (für den Zeitraum in dem die Dauerkarte gültig ist) berechnet.

Schweden

-       Im Falle von Verspätungen oder Annullierungen haben die Fahrgäste Anspruch auf Entschädigung. Volle Rückerstattung erhalten sie, wenn die Verzögerung 20 Minuten oder mehr beträgt und die Fahrt mehr als eine Stunde lang ist. Wird durch die Verspätung oder Annullierung die Anschlussfahrt verpasst, können die Passagiere eine zusätzliche Entschädigung oder Rückerstattung in Anspruch nehmen.

-       Arlanda Express, die Verbindung zwischen dem Zentrum der Hauptstadt Stockholm und dem Flughafen Arlanda, bietet ein Ersatz-Ticket für jede Fahrt, wenn die Verbindung um mehr als 2 Minuten verzögert wird, unabhängig von der Ursache der Verspätung.

Schweiz

-       Generell ist der Bedarf an Entschädigung in der Schweiz begrenzt. Der Bahnverkehr verfügt über eine hervorragende Pünktlichkeit, die Fahrpläne sind mit einer hohen Taktfrequenz versehen. Sollten Passagiere den Anschluss an den letzten Zug des Tages verpassen, so können sie entweder eine Erstattung für diesen Teil der Reise oder für die Rückreise zum Ausgangsort, wobei der volle Betrag zurückerstattet wird, beantragen. Es ist auch möglich, die mit der Verzögerung verbundenen Kosten erstattet zu bekommen (zum Beispiel eine Hotelunterkunft).

-       Darüber hinaus bieten die SBB weitere Entschädigungen von bis zu 40 SFR (ca. 26 €), die Taxikosten abdecken sollen, falls ein Zug sich verspätet. Wenn ein Fahrgast zum Flughafen fährt, wird diese Summe auf 70 SFR (ca. 46 €) angehoben.

Spanien

-       Für Hochgeschwindigkeitsverbindungen wurden hohe Entschädigungen festgelegt. Für die Verbindung von Madrid nach Sevilla erhalten die Fahrgäste bei einer Verzögerung von 5 Minuten 100 Prozent Erstattung. Für andere High-Speed-Fernverkehrsstrecken ist eine 50prozentige Erstattung für eine 15-minütige Verspätung und für eine 30-minütige Verspätung sogar 100 Prozent gegeben.

-       Andere Fernverkehrstrecken bieten eine niedrigere Höhe der Entschädigung. Ist die Verspätung über 20 Minuten erfolgt eine Erstattung von 25 Prozent. Bei Verspätungen über 40 Minuten ergibt sich eine Erstattung von 50 Prozent. Bei Verspätungen über 60 Minuten ist eine Erstattung von 100 Prozent möglich.

-       Für das Regionalverkehrsnetz ist eine Entschädigung erhältlich, wenn Verspätungen über 40 Minuten (50% Erstattung) oder über 90 Minuten (100% Erstattung) erfolgen.

-       Wenn ein Zug storniert wird, wird ein Ausgleich in Form einer vollständigen Erstattung oder eines Ticket für einen ähnlichen Dienst angeboten. Wenn ein Zug innerhalb von vier Stunden vor der Abreise storniert wird, erhält man das Doppelte des Ticketpreises zurück.

Finnland

Auch in Finnland werden Entschädigungen bereits ab 30 Minuten Verspätung fällig.

 

Die in Österreich derzeit vorgesehene Regelung würde somit teilweise deutlich hinter in anderen Ländern bereits üblichen Standards zurückbleiben. Dies würde nicht wirklich mit dem angeblich hohen Stellenwert und der europäischen Spitzenstellung des Bahnverkehrs in Österreich zusammenpassen, den die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Bahnverkehr öffentlich gern betont. Zudem müssten im kleinen Österreich in sachlicher Hinsicht eigentlich sogar niedrigere Schwellenwerte als in großen Staaten mit längeren Zuglaufdistanzen umgesetzt werden, um ein sachlich und nicht nur numerisch vergleichbares Niveau an Fahrgastrechten sicherzustellen.

Ein Nachbessern der im Regierungsentwurf vorgesehenen Fahrgastrechte im Fernverkehr ist vor diesem Hintergrund nötig.

Auch im Hinblick auf die jüngsten Forderungen von Bundesministerin Bures in Richtung ÖBB-Management, der Kundenorientierung größeren bzw. zentralen Stellenwert zuzumessen, ist ein ambitionierterer Umgang mit der Frage der Fahrgastrechte Gebot der Stunde: Nichts drückt die Kundenorientierung der Bahnen besser aus als Ausmaß und Qualität der Fahrgastrechte; so müssen beispielsweise Bahnunternehmen, die hohe Pünktlichkeit bieten und diesem Ziel unternehmensintern Vorrang einräumen, auch nicht mit finanziellen Einbußen infolge überhand nehmender Entschädigungszahlungen rechnen. Wie wichtig es ist, hier anzusetzen, belegen die derzeit auf vielen Strecken absolut unbefriedigenden Pünktlichkeitswerte bei den ÖBB.

Nötig ist darüber hinaus eine klare, unmissverständliche Festlegung von erfasster Zugkategorie, Entfernung und/oder Fahrzeit, damit eindeutig klar wird, welche Verbindungen umfasst sind. Was nicht passieren darf, ist, dass auf Strecken, wo zB IC-Züge durch Regionalexpress-Züge ersetzt wurden oder werden sollen, beispielsweise derzeit auf der Pyhrn-Strecke, bestimmte Fahrgastrechte (die nur für IC, EC, Railjet und ICE-Züge gelten sollen) überhaupt nicht mehr in Anspruch genommen werden können.

Hier bestünde zudem das konkrete Risiko, dass Bahnunternehmen das Verschlechtern des Angebots durch die damit mögliche Umgehung von Fahrgastrechten sogar noch schmackhafter gemacht wird, was im Widerspruch zu den politischen Ankündigungen in Richtung mehr Kundenorientierung stünde.

Es ist weiters auch klar zu lösen, was bei den abseits des reinen Geschäftsreisenden-Verkehrs auf den Rennstrecken zwischen den Ballungsräumen, also bei den "normalen" Fahrgästen, häufigen "kombinierten" Verspätungsursachen - teilweise Fernverkehr, teilweise Nahverkehr - zu geschehen hat. Dabei ist insbesondere darauf zu achten, dass nicht für statistisch höhere Pünktlichkeitsgrade auf Einzelstrecken das Abwarten von Anschlusszügen geopfert wird, was unter dem Strich sogar Nachteile für viele Fahrgäste bringen würde. Zudem entstünde durch schwer verständliche Ungleichbehandlungen "reiner Fernverkehrskunden" und "gemischter Fern- und Regionalverkehrskunden" absehbare Streitereien und Frustrationen, die es von vornherein zu vermeiden gilt.

Sicher nötig wird auch unternehmensübergreifende Information durch unabhängige Stellen wie die Schlichtungsstelle oder das BMVIT selbst sein. Nur damit kann die nötige transparente und niederschwellige Kundeninformation gewährleistet werden.“

 

Der Verkehrsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seinen Sitzungen am 1. Dezember 2009 sowie am 17. März 2010 in Verhandlung genommen. An den Debatten beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Dr. Gabriela Moser die Abgeordneten Sigisbert Dolinschek, Christian Lausch, Mario Kunasek, Gabriele Binder-Maier, Dipl.-Ing. Gerhard Deimek, Erich Tadler, Bernhard Vock, Dietmar Keck, Wilhelm Haberzettl, Dr. Ferdinand Maier, Mag. Karin Hakl, Mag. Rosa Lohfeyer und Christoph Hagen sowie die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.

Als Berichterstatter für das Plenum wurde Abgeordneter Wilhelm Haberzettl gewählt.


Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verkehrsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2010 03 17

                             Wilhelm Haberzettl                                                               Anton Heinzl

                                    Berichterstatter                                                                            Obmann