819 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über die Regierungsvorlage (677 der Beilagen): Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bun­desweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung

Eine der wesentlichen Zielsetzungen der österreichischen Bundesregierung ist eine weitere Verstärkung der Armutsbekämpfung zur Senkung der Zahl der armutsgefährdeten Menschen in Österreich. Laut „European Union Statistics on Income and Living Conditions“ (EU-SILC) 2006, zu Deutsch: „Gemein­schaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen“, sind in Österreich fast 13% der Bevölkerung armutsgefährdet (rund 1 Mio. Personen). Ohne Sozialtransfers wären rund 43% der Bevölkerung armuts­gefährdet. Die Armutsgefährdung wird über das Einkommen definiert. Dabei gelten 60% des Median-Äquivalenzeinkommens als Armutsgefährdungsschwelle. Menschen, bei denen zur Einkommensarmut noch weitere Deprivationsfaktoren hinzutreten, gelten als armutsverfestigt (rund 6% der Bevölkerung). Diese Deprivationsfaktoren lassen sich in mehrere Gruppen gliedern: Zum einen geht es um mangelnde Teilhabe im Bereich der Gesundheit und des Wohnens. Daneben sind als primäre Benachteiligungen in zentralen Bereichen der Lebensführung Geldmangel für neue Kleidung oder unerwartete Zahlungen, Schwierigkeiten bei der Warmhaltung der Wohnung usw. anzusehen. Sekundäre Benachteilungen sind ein erzwungener Verzicht auf gesellschaftlich erstrebenswerte Güter wie PC, Mobiltelefon oder Internet.

Die Unterstützung von in wirtschaftliche Bedrängnis gekommenen Menschen durch gesetzliche Sozial­leistungen reicht bis zum Gesetz vom 3. Dezember 1863 (RGBl. Nr. 105/1863), betreffend die Regelung der Heimatverhältnisse und den dazu ergangenen Landesarmengesetzen zurück. Die Armenversorgung lag zu jener Zeit in erster Linie in der Verantwortung der Gemeinden und privaten Institutionen, die mit dieser Aufgabe allerdings schwer überlastet waren.

Das derzeitige Sozialhilferecht in Österreich knüpft insofern an diese Regelungen an, als der Kompetenztatbestand „Armenwesen“ nach Art. 12 Abs. 1 Z 1 B-VG von der „Armenversorgung“ nach § 22 des Heimatgesetzes und den Armengesetzen der Länder ausgeht. Dieser Kompetenztatbestand bildet auch heute noch (iVm Art. 15 Abs. 6 B-VG) die wesentlichste Grundlage für die Umsetzung des Vorhabens einer Bedarfsorientierten Mindestsicherung auf Landesebene. Soweit die Grenzen des Armenwesens überschritten sind, gründet sich die Zuständigkeit der Länder auf die subsidiäre Kompetenz nach Art. 15 Abs. 1 B-VG.

Nach dem Inkrafttreten der Kompetenzartikel hätte der Bund gemäß § 3 Abs. 2 Übergangsgesetz 1920 binnen drei Jahren ein Grundsatzgesetz erlassen sollen. Das ist jedoch nicht geschehen. Die Länder haben daher im Jahre 1928 den IV. Abschnitt des alten Heimatgesetzes als Landesgesetze übernommen. Im Jahre 1938 wurden in Österreich deutsche Fürsorgevorschriften eingeführt, die später aufgrund des § 2 Rechtsüberleitungsgesetz, StGBl. Nr. 6/1945, in vorläufige Geltung gesetzt wurden. Da der Bund von seiner Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung erneut keinen Gebrauch machte, konnten die Landes­gesetzgeber mit Ablauf des 20. Oktober 1948 die fürsorgerechtlichen Bestimmungen frei regeln.

Das in Angelegenheiten des Armenwesens auf Bundesebene damals zuständige Bundesministerium für Inneres hat wiederholt im Zusammenwirken mit dem Bundesministerium für soziale Verwaltung Entwürfe für ein Fürsorgegrundsatzgesetz erstellt. Dabei stellte sich heraus, dass der Kompetenz­tat­bestand „Armenwesen“ für eine der Entwicklung der öffentlichen Fürsorge gerecht werdende Regelung zu eng war.

Im Jahre 1967 legte das Bundesministerium für Inneres erneut den Entwurf eines Fürsorgegrundsatz­gesetzes vor, der von den Ländern als unzureichend abgelehnt wurde. Ein Jahr später teilte dieses Ressort mit Note vom 13. Dezember 1968, GZ 208.673-31/1968, mit, dass es auf die Erlassung eines solchen Bundesgrundsatzgesetzes verzichte. Es bleibe den Ländern überlassen, auf der Grundlage des § 3 Abs. 2 Übergangsgesetz 1920 moderne Landesgesetze auf dem Gebiet der Fürsorge zu schaffen. In der Folge ergriffen die Länder die Initiative. Von der LandessozialreferentInnenkonferenz wurde eine Arbeits­gruppe eingesetzt, die einen gemeinsamen Musterentwurf ausarbeitete. Auch das Land Vorarlberg legte einen Gesetzesentwurf vor.

Die einzelnen Bundesländer haben sodann in den 1970er-Jahren eigene Landessozialhilfegesetze verabschiedet, die sich im Lauf der Jahrzehnte trotz ursprünglicher Anlehnung an den Musterentwurf unterschiedlich entwickelt haben und heute in manchen oft wesentlichen Eckpunkten voneinander abweichen. So zeigen sich Unterschiede beispielsweise bei dem Inhalt und Ausmaß der Leistungen, den Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung, dem Kreis der anspruchsberechtigten Personen oder den Kostenersatzbestimmungen.

Bereits in den LandessozialreferentInnenkonferenzen der 1980er-Jahre war das Thema Neugestaltung des Sozialhilferechts erneut Gegenstand intensiver Debatten. Im Rahmen der länderinternen Arbeitsgruppe „Neue Wege in der Sozialpolitik“, deren Bericht allerdings nicht veröffentlicht wurde, war bereits angedacht, unter dem Druck des zunehmenden Risikos der Pflegebedürftigkeit und des damit einher­gehenden Anstiegs der Kosten für die Gebietskörperschaften, die so genannte offene Sozialhilfe“ und den Pflegebereich voneinander zu trennen. Während es im Bereich der Pflege mit der Einführung der Pflegevorsorge 1993 zu einer völligen Neugestaltung und auch weitgehenden Vereinheitlichung der Leistungen gekommen ist, gab es in der offenen Sozialhilfe in weiterer Folge wenige Ansätze für eine Harmonisierung. Seitens des Sozialministeriums wurde aber immer wieder vor allem auf die unter­schiedlichen Richtsatzhöhen und Kostenersatzbestimmungen hingewiesen.

In der Zwischenzeit sah sich die Sozialhilfe mit gestiegenen und völlig veränderten Anforderungen konfrontiert. Stand in den 1970er und 1980er-Jahren noch das Prinzip der Individualität, also die Über­brückung von individuellen außergewöhnlichen Notlagen der Hilfebedürftigen, im Vordergrund, so gilt es nunmehr verstärkt, auch regelmäßig wiederkehrenden Risikolagen zu begegnen, die insbesondere durch die Zunahme der Zahl arbeitsloser Menschen, das Ansteigen atypischer Beschäftigungsverhältnisse oder das Aufbrechen traditioneller Familienstrukturen ausgelöst sind.

Diese Entwicklungen finden sich nicht nur in Österreich, sondern in der gesamten Europäischen Union. Der Europäische Rat von Lissabon beschloss daher im März 2000 die so genannte offene Methode der Koordinierung, um bis 2010 die Beseitigung der Armut und sozialer Ausgrenzung nachhaltig voranzutreiben. Mit einem weiteren Beschluss vom Dezember 2000 in Nizza wurde als zusätzliches Instrument die Ausarbeitung von nationalen Aktionsplänen gegen Armut und soziale Ausgrenzung vereinbart.

Mit den neuen Entwicklungen intensivierte sich auch die innerstaatliche Debatte über eine einheitliche Mindestsicherung. So hat der Nationalrat auf Antrag des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 1. Oktober 1997 eine Entschließung verabschiedet, in der die damalige Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, aufgefordert wurde, mit den Ländern Gespräche über die Weiterentwicklung der Sozialhilfe aufzunehmen.

Bei der LandessozialreferentInnenkonferenz am 20. November 1997 wurde ausdrücklich das Interesse an der Weiterentwicklung der Sozialhilfegesetzgebung unter Maßgabe des Konsultationsmechanismus bekundet. Die Länder haben dabei ihre Bereitschaft zur Mitarbeit betont, für eine bundeseinheitliche Regelung allerdings keinen Bedarf gesehen. In der Folge wurde ein Querschnittsvergleich der entsprechenden Strukturen in Form einer Studie angeregt, welche 1998 an Univ.-Prof. Dr. Walter Pfeil von der Universität Salzburg vergeben wurde. Im Dezember 1999 fasste die LandessozialreferentInnen­konferenz den Beschluss, eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Sozialministeriums zur Vereinheit­lichung der Qualitätsstandards einzusetzen.

Auf die öffentliche Präsentation der aktualisierten Studie von Univ.-Prof. Dr. Pfeil im Herbst 2001 folgten schließlich bis zum Mai 2003 12 Sitzungen der Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung des Sozial­hilferechts“ mit VertreterInnen der Länder. Die Ergebnisse wurden im Juni 2003 in Form eines Berichtes der LandessozialreferentInnenkonferenz vorgelegt. Der Bericht wurde zustimmend zur Kenntnis genommen und als geeignetes Instrument angesehen, um eine Harmonisierung der verschiedenen Bundes- und Landesleistungen mit Mindestsicherungselementen herbeizuführen. Gleichzeitig signalisierte die LandessozialreferentInnenkonferenz ihre Bereitschaft zur raschen Umsetzung der Vorschläge im Rahmen einer Art. 15a B-VG Vereinbarung unter der Maßgabe, dass auch der Bund bereit wäre, in seinem Zuständigkeitsbereich entsprechende Mindeststandards zu definieren und diese in die Vereinbarung einzubringen.

In Folge wurde Univ.-Prof. Dr. Pfeil damit beauftragt, einen Entwurf einer Art. 15a B-VG Vereinbarung zwischen Bund und Ländern über gemeinsame Maßnahmen der sozialen Mindestsicherung auf der Grundlage des Berichtes und des Beschlusses der LandessozialreferentInnenkonferenz auszuarbeiten. Im März 2004 wurde dieser Entwurf anlässlich einer Enquete der Volksanwaltschaft präsentiert. Die Landes­sozialreferentInnenkonferenz forderte im Juni 2004 den Bund (namentlich BMSG, BMGF und BMWA) auf, ihre grundsätzliche Position vorzulegen, die sowohl Vorstellungen über die finanziellen Mindest­standards enthalten, als auch im Besonderen auf die Fragen der Weiterentwicklung der Notstandshilfe und der Krankenversicherung für SozialhilfeempfängerInnen eingehen solle.

Da die Länder weitere Schritte von entsprechenden Erklärungen des Bundes abhängig gemacht haben, jedoch weder vom damaligen BMSG noch vom BMWA ein Verbesserungsbedarf im Bereich der Ausgleichzulagenrichtsätze bzw. des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe gesehen wurde, entstand eine sozialpolitische Pattsituation. Nach einer neuerlichen Beschlussfassung im Jahre 2006 im Hinblick auf die Einbeziehung der SozialhilfeempfängerInnen in die gesetzliche Krankenversicherung kam es zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe im damaligen BMGF, die ihre Arbeit Ende 2006 abgeschlossen hat. Im Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode aus dem Jahr 2007 wurde ein neuer Anlauf unternommen, da die Sozialdemokratische Partei Österreichs und die Österreichische Volkspartei Maßnahmen zur Armutsbekämpfung zu einem der vorrangigen Ziele der neuen Bundesregierung erklärt haben. Die Idee einer Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat dadurch einen prominenten Platz auf der politischen Agenda gefunden.

In Folge dessen wurde im Februar 2007 die Arbeitsgruppe „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ im damaligen Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz eingerichtet, welche unter Beteiligung aller relevanten Ressorts auf Bundesebene, der Sozialpartner und der übrigen Gebiets­körper­schaften (Länder, Städte, Gemeinden) Grundlagen für ein neues bundesweites Mindestsicherungs­modell erarbeitet hat. Die Arbeitsgruppe wurde erneut von Univ.-Prof. Dr. Walter Pfeil wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe „Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ sind in den vorliegenden Entwurf für eine Vereinbarung nach Art. 15a B-VG eingeflossen.

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung besteht nicht nur aus einer Harmonisierung und inhaltlichen Weiterentwicklung der bestehenden Sozialhilferegelungen der Länder, sondern ist ein Gesamtpaket, das sich aus mehreren unterschiedlichen Maßnahmen zusammensetzt und auch nachhaltige Beiträge des Bundes beinhaltet. Deren Umsetzung wird vor allem auf dem Kompetenztatbestand „Sozial­versicherungswesen“ nach Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG beruhen, der – wie das schon lange bewährte Beispiel der Ausgleichszulage in der Pensionsversicherung belegt – auch bedarfsorientierte Leistungen ermöglicht, sofern diese nur an versicherungsmäßig geregelten Grundleistungen anknüpfen.

Als erster Schritt zur Einführung einer Bedarfsorientierten Mindestsicherung und gewissermaßen als Vorleistung des Bundes haben die Ausgleichszulagenrichtsätze sowohl für 2007 als auch für 2008 eine außerordentliche Erhöhung erfahren. Darüber hinaus sollen nun die im Rahmen der Ausgleichszulagen vorgesehenen Leistungen für Kinder erhöht werden. Auch die Länder haben im selbem Zeitraum ihre Sozialhilferichtsätze angehoben.

Der nächste Beitrag des Bundes betrifft eines der Herzstücke der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, die stärkere Verknüpfung des Bezuges von Geldleistungen zur Existenzsicherung mit Maßnahmen zur (Wieder-)Eingliederung der jeweiligen BezieherInnen in das Erwerbsleben. Zu diesem Zweck werden zum einen gleichzeitig mit der Anhebung und Harmonisierung der landesrechtlichen Leistungen die mindestsichernden Elemente in der Arbeitslosenversicherung insbesondere im Hinblick auf die Not­standshilfe verstärkt.

Die ursprünglich geplante Version des One-Stop-Shops beim Arbeitsmarktservice (AMS) in der Form, dass auch Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nach dem Vorbild der Ausgleichszulage zur Aufstockung allenfalls nicht bedarfsdeckender Leistungen nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) beansprucht werden können, konnte leider vorerst nicht realisiert werden. In der nunmehrigen Ausgestaltung des One-Stop-Shops sollen die AMS-Geschäftsstellen auch Anlaufstellen für die Geltend­machung von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung werden, bei denen die Anspruchs­berechtigten die erforderliche Information erhalten sowie die entsprechenden Anträge abgeben können. Diese sind an die für die Wohnadresse zuständigen Landesstellen weiterzuleiten, die dann die entsprechenden Maßnahmen nach Landesrecht zu treffen haben. Der Bund übernimmt weiters die Verpflichtung, in seinen arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen BezieherInnen von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung mit anderen Arbeitsuchenden gleichzustellen, auch wenn diesen keine Ansprüche nach AlVG zukommen.

All diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, einerseits den Zugang zum letzten Netz der sozialen Sicherheit zu erleichtern und andererseits Hemmschwellen für die Inanspruchnahme der Leistungen abzubauen, sowie gleichzeitig den zur Gewährleistung einer Bedarfsdeckung erforderlichen Verwaltungsaufwand zu minimieren. Vor allem sollen die BezieherInnen von Leistungen der Bedarfs­orientierten Mindestsicherung durch die angestrebte Verschränkung mit dem AMS rascher und nachhaltiger (wieder) in das Erwerbsleben eingegliedert werden können. Damit sollen nicht nur kurz­fristige Perspektiven für die LeistungsbezieherInnen eröffnet, sondern auch mittel- und langfristige sozialökonomische Effekte bewirkt werden. Mittelfristige Effekte können dadurch erzielt werden, dass die Verweildauer in der Bedarfsorientierten Mindestsicherung deutlich verkürzt werden kann; länger­fristige Effekte entstehen insbesondere durch den Erwerb von Pensionsversicherungszeiten aufgrund einer Erwerbstätigkeit, die eine eigene Absicherung im Alter ermöglichen.

Auch die Einbeziehung nicht krankenversicherter BezieherInnen von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in die gesetzliche Krankenversicherung, die gemäß § 9 ASVG im Verordnungsweg umzusetzen sein wird, soll maßgeblich zur Verbesserung der Lebenssituation dieser Personengruppe beitragen, da damit ein uneingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung gewährleistet wird.

Insgesamt trägt die Bedarfsorientierte Mindestsicherung der Erkenntnis Rechnung, dass das Sozialsystem auch eine beträchtliche Produktivkraft darstellt: Auch wenn die Einführung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung mit nicht unwesentlichen Mehraufwendungen für alle beteiligten Gebiets­körper­schaften verbunden ist, so darf diese Reform dennoch nicht auf ihre ausgabenseitige Dimension reduziert und dabei auf die Chancen und positiven Wechselwirkungen, die diese neue Maßnahme auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt haben wird, vergessen werden. Die geplanten staatlichen Mehrausgaben für die Bedarfsorientierte Mindestsicherung sind Mittel, die direkt dem unteren Einkommensdrittel zugute kommen. Damit wird die Kaufkraft dieser Menschen in Bezug auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse gestärkt, wodurch sich wiederum eine Beschleunigung des Privatkonsums ergibt, der in den letzten Jahren hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Diese volkswirtschaftlichen Effekte werden sich positiv auf die österreichische Wirtschaft und den heimischen Arbeitsmarkt niederschlagen.

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung wird in weiterer Folge zu einer Erhöhung der Steuereinnahmen im Wege der Konsumsteuern führen. Eine Steuerinzidenz im Bereich der Einkommensteuer ist nicht gegeben, da bei Menschen, die Bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen, von keiner Steuerpflicht auszugehen ist (siehe auch § 3 EStG 1988) und sich im Vergleich zur jetzigen Sozialhilfe keine Änderung ergibt.

Die Grundlage für die finanzielle Kostentragung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung wurde im Finanzausgleich 2008-2013 geschaffen. Die gemeinsamen Nettozusatzkosten für Länder und Gemeinden für die beiden Jahre der damals noch in Aussicht genommenen Geltungsdauer der Vereinbarung (2009 und 2010) wurden mit jeweils 50 Mio. Euro gedeckelt. Im Falle einer Überschreitung der im Finanz­ausgleich vereinbarten Deckelung im Evaluierungszeitraum sind zwischen Bund, Ländern und Gemeinden über die künftige Kostentragung erneut Verhandlungen zu führen.

Mit der gegenständlichen Vereinbarung werden neue Wege in der Sozialpolitik beschritten. Der Inhalt der Vereinbarung stellt nicht einen kleinsten gemeinsamen Nenner der derzeitigen Sozialhilfegesetze der Länder dar, sondern trägt in vielerlei Hinsicht einer modernen Sozialgesetzgebung Rechnung. Damit soll  ein weiterer Meilenstein in der Sozialpolitik gesetzt werden.

Finanzielle Erläuterungen

Der Bund und die Länder tragen grundsätzlich die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Finanzierungsanteile.

Finanzielle Auswirkungen auf Seiten des Bundes pro vollem Kalenderjahr:

Anhebung des Erhöhungsbetrages für Kinder

in der Pensionsversicherung                                                                                                           ca.   2 Mio. Euro

Ausbau der mindestsichernden Elemente im Bereich

des Arbeitslosenversicherungsgesetzes                                                                                     ca. 107 Mio. Euro

Aufwandsersatz des Bundes in der Krankenversicherung                                                       ca. 22 Mio. Euro

Anhebung des Erhöhungsbetrages für Kinder in der Pensionsversicherung:

Im Jahr 2008 wurde für rund 15.000 Kinder von AusgleichzulagenbezieherInnen ein Erhöhungsbetrag geleistet. Der Erhöhungsbetrag ist im Jahr 2009 mit 80,95 Euro bemessen. Um den jährlichen Mindest­standard für minderjährige Kinder in Höhe von 18 vH des Mindeststandards für Alleinstehende gemeinsam mit dem Kinderzuschuss zu erreichen, wird der für Kinder von Ausgleichszulagen­empfängerInnen geltende Erhöhungsbetrag außerordentlich anzuheben sein. Dies würde einen budgetären Mehraufwand von rund 2 Mio. Euro jährlich bedingen.

Ausbau der mindestsichernden Elemente im Arbeitslosenversicherungsgesetz:

Eine Berechnung des Bundesrechenzentrums anhand der Bezieherdaten des Jahres 2008 hat für den Ergänzungsbetrag Nettomehrkosten von 60,1 Mio. Euro ergeben. Diesem Betrag sind die Kranken­versicherungsbeiträge in Höhe von 7,65 Prozent und der Kostenersatz an die Gebietskrankenkassen für das Krankengeld hinzuzurechnen. Dadurch ergäbe sich für das Jahr 2008 ein Mehraufwand von 13,5 Prozent. Der Bruttomehraufwand läge somit bei 68,2 Mio. Euro.

Die Arbeitslosigkeit ist von 2008 auf 2009 um 26,1 Prozent angestiegen. Für das Jahr 2010 wird ein weiterer Anstieg um 13,1 Prozent erwartet. Diesen Anstieg berücksichtigend ergäbe sich für 2010 ein Gesamtjahresaufwand von brutto 97,3 Mio. Euro. Entsprechend dem Inkrafttreten würde davon ein Drittel im Jahr 2010 zum Tragen kommen.

Für die Anrechnung des Partnereinkommens erst ab Überschreitung des Haushaltseinkommens mit einem Betrag von 1.091,14 Euro wurde bei 10.000 in Frage kommenden Haushalten davon ausgegangen, dass sich die Einkommensanrechnung durchschnittlich um 5 Euro täglich vermindert. Unter Zugrundelegung einer durchschnittlichen Notstandshilfe-Bezugsdauer von 183 Tagen würden somit Nettomehrkosten von 9,15 Mio. Euro entstehen. Zuzüglich der Krankenversicherungsbeiträge von 7,1% in Höhe von rund 686.000 Euro belaufen sich die Belastungen der Arbeitslosenversicherung für diese Maßnahme auf etwa 9,826 Mio. Euro.

Einbeziehung der nicht krankenversicherten SozialhilfeempfängerInnen in die gesetzliche Krankenversicherung:

Im Paktum zum Finanzausgleich 2008 bis 2013 wurde den Ländern durch den Bund ein Kranken­versicherungsbeitragssatz in Aussicht gestellt, der sich an jenem Beitrag, wie er von und für Ausgleichs­zulagenempfängerInnen im ASVG entrichtet wird, orientiert. Der Beitragssatz für Ausgleichszulagen­empfängerInnen nach dem ASVG beträgt unter Berücksichtigung der Pensionssonderzahlungen im Jahr 2009 82,72 Euro für Alleinstehende bzw. 124,03 Euro für Ehepaare, da für die Ehegattin/ den Ehegatten gem. § 51d Abs. 4 ASVG iVm § 2 der Richtlinien für die Befreiung vom Zusatzbeitrag für Angehörige 2005 – RZB 2005 (Amtl. Verlautbarung Nr. 143/2005) des Hauptverbandes kein Zusatzbeitrag zu leisten ist. Unter Zugrundelegung der von den Ländern übermittelten Daten kommen für die Einbeziehung in die gesetzliche Krankenversicherung hochgerechnet rund 21.700 Personen in Frage, die im Jahr 2008 einen Anspruch auf eine Leistung aus dem Titel „Hilfe bei Krankheit“ im Wege des so genannten „Sozialhilfe­krankenscheins“ hatten. Darüber hinaus wurden im selben Jahr für rund 4.675 Personen (Höchst)Beiträge für die Selbstversicherung in der Krankenversicherung geleistet. Eigenen Angaben zufolge gaben die Länder für die extramurale Versorgung rund 29 Mio. Euro und für die Selbstversicherungsbeiträge rund 11,7 Mio. Euro aus, insgesamt also rund 40,7 Mio. Euro. Um den auf die Krankenversicherung zukommenden Mehraufwand und in weiterer Folge die Kosten des Aufwandsersatzes zu berechnen, kann der Aufwand der Länder im intramuralen Bereich unberücksichtigt bleiben, da mit dem Spitalskosten­beitrag, der an die Länder im Wege des Hauptverbandes aus den Beitragseinnahmen in der Kranken­versicherung zum Zwecke der Spitalskostenfinanzierung überwiesen wird, die Aufwendungen im intramuralen Bereich pauschal abgegolten werden.

Legt man den Durchschnitt der Detailangaben von vier Ländern (darunter auch Wien) zu den Haushalts­konstellationen auf obige 21.700 Personen („SozialhilfekrankenscheinempfängerInnen“) um, so ergeben sich daraus rund 12.680 Alleinunterstützte, rund 5.180 AlleinerzieherInnen und rund 2.343 Paare. Unter der Annahme, dass zu jedem Alleinerzieher- bzw. Paarhaushalt zumindest ein Kind gehört, würden die Länder an Beiträgen für diese Personengruppen 22,5 Mio. Euro jährlich entrichten. Dazu kämen weitere rund 4,6 Mio. Euro für die ehemaligen selbstversicherten SozialhilfeempfängerInnen (Vorrang der Pflichtversicherung).

Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass von diesen 27,1 Mio. Euro rund ein Drittel wieder an die Länder als Spitalskostenbeitrag zur Krankenanstaltenfinanzierung zurückfließt, würde der Kranken­versicherung nach Verbleib der Netto-Beiträge in Höhe von 18,2 Mio. Euro eine mögliche Finanzierungslücke in Höhe von 22 Mio. Euro erwachsen, für die der Bund bereit ist, Aufwandsersatz zu leisten.

Finanzielle Auswirkungen auf Seiten der Länder:

Die gemeinsamen Nettozusatzkosten für Länder und Gemeinden werden mit 50 Mio. Euro pro Jahr gedeckelt. Im Falle einer Überschreitung der im Finanzausgleich vereinbarten Deckelung von 50 Mio. Euro im Evaluierungszeitraum sind zwischen Bund, Ländern und Gemeinden über die künftige Kostentragung erneut Verhandlungen zu führen.

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die gegenständliche Vereinbarung in seiner Sitzung am 30. Juni 2010 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten August Wöginger die Abgeordneten Dietmar Keck, Franz Riepl, Karl Öllinger, Ursula Haubner, Herbert Kickl, Dr. Andreas Karlsböck, Werner Neubauer, Sigisbert Dolinschek, Mag. Birgit Schatz, Johann Hechtl, Walter Schopf, Erwin Spindelberger, Ulrike Königsberger­Ludwig, Ridi Maria Steibl, Oswald Klikovits sowie der Bundesminister für Gesundheit Alois Stöger, diplômé und der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Hohen Haus die Genehmigung des Abschlusses dieser Vereinbarung zu empfehlen.

Als Berichterstatter für das Plenum wurde Abgeordneter August Wöginger gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

Der Abschluss der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bun­desweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung (677 der Beilagen) wird genehmigt.

Wien, 2010 06 30

                               August Wöginger                                                               Renate Csörgits

                                    Berichterstatter                                                                             Obfrau