979 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 1101/A(E) der Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Verlängerung der Übergangsfristen zur Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes für neue EU-Mitgliedstaaten

Die Abgeordneten Ing. Norbert Hofer, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 22. April 2010 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist ein Grundrecht, das Staatsangehörigen eines EU-Mitgliedstaates erlaubt, in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu denselben Bedingungen wie die Bürger des jeweiligen Mitgliedstaates zu arbeiten.

Während einer Übergangsfrist von bis zu sieben Jahren nach dem Beitritt von 10 Mitgliedstaaten zur EU am 1. Mai 2004 (Tschechische Republik, Estland, Zypern, Lettland, Litauen, Ungarn, Malta, Polen, Slowenien, Slowakei) und von 2 Mitgliedstaaten am 1. Januar 2007 (Bulgarien, Rumänien) können bestimmte Bedingungen angewendet werden, die die Freizügigkeit von Arbeitnehmern von, nach und zwischen diesen Mitgliedstaaten einschränken. Diese Einschränkungen betreffen nur die Freizügigkeit für die Zwecke der Arbeitsaufnahme und können je nach Mitgliedstaat variieren.

Zum Zeitpunkt des Beitritts lag das Lohnniveau dieser Staaten, darunter unsere direkten Nachbarn Ungarn, die Tschechische Republik, Slowakei und Polen, bei 15-20 Prozent bzw. bei 30-36 Prozent des österreichischen Lohnniveaus, wenn man das unterschiedliche Preisniveau in diesen Ländern und in Österreich mit berücksichtigt. Aus diesem Grunde wurde in den Beitrittsverträgen auch eine Übergangs­frist von 7 Jahren für die Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes für die Bürger dieser Staaten vereinbart – in der Hoffnung, dass in dieser Zeit eine weitgehende Annäherung der Lohnniveaus eintreten würde.

Die Übergangsregelungen in den Beitrittsverträgen sehen vor, dass in den ersten beiden Jahren nach dem Beitritt der Zugang zu den Arbeitsmärkten der EU-Mitgliedstaaten, die vor dem jeweiligen Beitritt bereits EU-Mitgliedstaaten waren, durch die nationalen Rechtsvorschriften und die jeweilige Politik dieser Mitgliedstaaten geregelt wird. Die nationalen Maßnahmen können für einen weiteren Zeitraum von drei Jahren beibehalten werden. Danach kann einem Mitgliedstaat, der nationale Maßnahmen anwendet, die Genehmigung erteilt werden, weiterhin diese nationalen Maßnahmen anzuwenden, jedoch nur dann, wenn sich sein nationaler Arbeitsmarkt mit schwerwiegenden Problemen konfrontiert sieht.

Konkret heißt das: Im Beitrittsvertrag wurde festgelegt, dass jeder EU-Mitgliedstaat die Freizügigkeit für Arbeitnehmer zunächst für eine Frist von zwei Jahren aussetzen kann. Daher konnten die jeweiligen nationalen Zugangsbeschränkungen für die sogenannten EU-10 bis zum 30. April 2006 bzw. für die EU-2 (Bulgarien und Rumänien) bis zum 1.1.2009 uneingeschränkt aufrecht bleiben. Der Vertrag legte weiters fest, dass diese Frist dann von jedem Mitgliedsland um drei weitere Jahre verlängert werden könne - eine Option, die von Österreich ebenfalls in beiden Fällen genutzt wurde. Dazu war lediglich eine formelle Mitteilung an die Europäische Kommission notwendig.

Nach Ablauf dieser Periode kann laut Vertrag in allen Ländern, in denen ein entsprechendes Übergangs­regime weiterhin besteht, die Übergangsfrist ‚im Falle schwerwiegender Störungen des Arbeitsmarktes oder der Gefahr derartiger Störungen nach entsprechender Mitteilung an die EU-Kommission‘ um weitere zwei Jahre verlängert werden, sodass sich insgesamt eine Frist von bis zu sieben Jahren ergibt. Österreich hat die EU-Kommission im Mai 2009 offiziell unterrichtet, dass es seinen Arbeitsmarkt für weitere zwei Jahre schützen möchte (das bedeutet, dass die Fristen, außer gegenüber Rumänien und Bulgarien, die erst 2007 beigetreten sind, 2011 auslaufen).

Die geplante Liberalisierung des österreichischen Arbeitsmarktes ab Mai 2011 hätte nicht nur laut Information des AMS-Vorstandes schwerwiegende negative Folgen für den heimischen Arbeitsmarkt.

Das bis 2014 zu erwartende Wachstum – laut WIFO ‚mittelfristig‘ (also für die nächsten fünf Jahre) nicht mehr als 1,3 Prozent pro Jahr – wird nicht ausreichend sein, um die Arbeitslosigkeit nach 2011 nachhaltig zu senken.

Darüber hinaus ist es dringend notwendig, zu überprüfen, ob überhaupt eine ausreichende Annäherung des Lohnniveaus dieser Staaten an das österreichische Niveau erwartet werden kann. Eine Betrachtung der Entwicklung für den Zeitraum 2004 - 2008, für den die erforderlichen Daten vorliegen, zeigt (siehe Tabelle), dass der Anstieg des Lohnniveaus in den genannten Staaten sehr viel langsamer erfolgt, als beim Beitritt angenommen. Bis 2008 ist das Lohnniveau lediglich auf 22-28 Prozent des österreichischen gestiegen bzw. unter Berücksichtigung der verschiedenen Preisniveaus auf 37-43 Prozent. Bei linearer Extrapolation dieser Entwicklung ist für Mitte 2011 mit einem Lohnniveau in Ungarn, der Tschechischen Republik, der Slowakei und in Polen von nur 27-34 Prozent des österreichischen Wertes zu rechnen bzw. 41-49 Prozent bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten (siehe Tabelle). So verdient z.B. ein Maurer in Österreich durchschnittlich 2.200 € brutto pro Monat (rund 1.500 € netto). In der Slowakei verdient er nur die Hälfte!

 

Tabelle:

Voraussichtliche Arbeitskosten (€/Stunde) in Ungarn, Tschechische Republik, Slowakei und Polen bei Ende der Übergangsfrist 1.5.2011

 

Arbeitskosten (€/Stunde)

                                                               2004                       2008

Ungarn                                                 5,52                        7,52

Tschech. Rep.                                     5,47                        8,80

Slowakei                                               4,19                        7,25

Polen                                                     4,00                        7,01

Österreich                                            27,46                      31,40

 

Arbeitskosten relativ zu Österreich (%)

                                                               2004                        2008                        2011 (extrapoliert)

Ungarn                                                 20,1                         23,9                         26,81

Tschech. Rep.                                     19,9                         28,0                         34,0

Slowakei                                               15,3                         23,1                         29,0

Polen                                                     14,6                         22,3                         28,1

 

Lebenshaltungskostenindex relativ zu Österreich (%)

                                                               2004                       2008

Ungarn                                                 55,2                        61,1

Tschech. Rep.                                     50,8                        64,6

Slowakei                                               49,7                        63,2

Polen                                                     46,0                        60,2


 

Arbeitskosten relativ zu Österreich korrigiert für unterschiedliche Lebenshaltungskosten (%)

                                                               2004                        2008                        2011 (extrapoliert)

Ungarn                                                 36,4                         39,1                         41,1

Tschech. Rep.                                     36,0                         43,3                         48,8

Slowakei                                               30,8                         36,6                         40,9

Polen                                                     31,2                         37,0                         42,1

 

Quellen: Arbeitskosten : Wirtschaftskammer Österreich

Lebenshaltungskostenindex: Statist. Jahrbuch 2006 und 2010, Tabelle 48.03

 

Unter diesen Umständen ist mit einer ernsten Störung des österreichischen Arbeitsmarktes und mit den Folgen eines Verdrängungswettbewerbs durch den starken Zustrom von Arbeitskräften, insbesondere durch Pendler aus den 3 direkten Nachbarstaaten (Ungarn, Tschechische Republik, Slowakei) und Polen zu rechnen. Die Gründe dafür sind offensichtlich. Zum einen wird die Arbeitslosigkeit in Österreich 2011 noch etwa auf dem heutigen hohen Stand sein. Zum andern wird die Arbeitslosigkeit in den Nachbar­staaten, wie heute wesentlich höher sein als bei uns. Zu guter Letzt spielen die höheren Lebenshaltungs­kosten in Österreich für Pendler, deren Lebensmittelpunkt in ihren Heimatländern liegt, nur eine geringe Rolle. Für sie ist also fast der volle Unterschied des Lohnniveaus wirksam und sie könnten in Österreich fast das Dreifache von dem verdienen, was in ihren Heimatstaaten gezahlt wird.

Auch das AMS betont, dass die Zahl der Tagespendler massiv steigen werde, ebenso wie die Zahl der nichtqualifizierten Arbeitskräfte. Davon betroffen werden also vor allem die Grenzregionen Österreichs sein. Gleichzeitig wird es neben höherer Kosten aufgrund steigender Arbeitslosigkeit insofern zu einer zusätzlichen Belastung des ohnehin angespannten öffentlichen Haushalts kommen, da mehr Tagespendler als bisher Anspruch auf Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld für ihre im Ausland lebenden Kinder in Österreich geltend machen werden.

Die Folgen der Wirtschaftskrise bleiben also auch weiterhin eine enorme Belastung für die Beschäftigungsquote und werden sich weiterhin negativ auf die Arbeitslosigkeit in Österreich auswirken. Wenn nun in einer Phase hoher Arbeitslosigkeit die geplante Öffnung für jene Oststaaten, die 2004 der EU beigetreten sind, erfolgt, wird das die Arbeitslosigkeit in Österreich und den anderen EU-Staaten in schwindelnde Höhen treiben.

Angesichts dieser Situation scheint es dringend notwendig, möglichst umgehend die EU auf die besondere Situation Österreichs infolge seiner Randlage hinzuweisen und alles zu tun, um eine Verlängerung der Übergangsfrist zu erreichen.“

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 9. November 2010 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Ing. Norbert Hofer die Abgeordneten Herbert Kickl, Dr. Martin Bartenstein, Mag. Birgit Schatz, Gerhard Huber, Ulrike Königsberger-Ludwig und Oswald Klikovits sowie der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit.

Als Berichterstatter für das Plenum wurde Abgeordneter Johannes Schmuckenschlager gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2010 11 09

                   Johannes Schmuckenschlager                                                    Renate Csörgits

                                   Berichterstatter                                                                            Obfrau