1244 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 1481/A(E) der Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen betreffend der Schaffung eines vollen Versicherungsschutzes für alle unselbständigen Beschäftigungsverhältnisse

Die Abgeordneten Mag. Birgit Schatz, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 30. März 2011 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Österreich verfügt zwar über ein im internationalen Vergleich relativ gutes Arbeits- und Sozialrecht mit einem umfassenden Versicherungsschutz und einer vergleichsweise hohen kollektivvertraglichen Deckungsrate[1]. Zu beanspruchen ist der volle Versicherungsschutz allerdings nur für Personen in klassischen unselbstständigen Anstellungsverhältnissen. Die Gruppe jener, die dazu nicht mehr gehören, wächst seit ca. 20 Jahren rasant an.

Seit den 1990er Jahren wurde durch die Einführung atypischer Beschäftigungstitel mit geringerem arbeits- und sozialrechtlichen Schutz ein Weg gewählt, der Wettbewerbspolitik vor allem auf Kosten der Beschäftigten und des Wohlfahrtsstaates macht, Beschäftige in voll- und weniger gut abgesicherte teilt und sie gegeneinander ausspielt.

Für geringfügig beschäftigte Personen (monatliches Entgelt unter € 374,02; Stand 2011) besteht derzeit keine Sozialversicherungspflicht, ausgenommen eine Teilversicherung in der Unfallversicherung. Wollen bzw. brauchen (meist einen sehr niedrigen Stundenlohn verdienende) geringfügig Beschäftigte aber dennoch eine Kranken- und Pensionsversicherung, können sie sich um € 52,78 (Stand 2011) im Monat selbst versichern. Bezüglich Arbeitslosenversicherung besteht für geringfügig Beschäftigte nicht einmal die Möglichkeit einer Selbstversicherung. Im Februar 2011 waren 305.328 Personen geringfügig beschäftigt; ihre Anzahl ist gegenüber Februar 2010 um 3,9% angestiegen[2].

Freie DienstnehmerInnen kranken-, unfall- und pensionsversichert und seit dem 1. Jänner 2008 auch in die Arbeitslosenversicherung einbezogen, Krankengeld erhalten sie jedoch erst ab dem 4. Krankenstandstag und dann nur 50% der Bemessungsgrundlage. Diese Bemessungsgrundlage ist der durchschnittliche Verdienst des vorangegangenen Monats; sollte im Vormonat ‚Urlaub‘ (für Freie DienstnehmerInnen unbezahlt) konsumiert worden sein, dann fällt auch das Krankengeld entsprechend niedrig aus.

Die Ausbreitung von atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen wurde und wird seitens der Unternehmen einerseits auf legalem Wege durch eine unfaire neoliberale Flexibilisierungspolitik vorangetrieben. Andererseits häufen sich die Fälle, in denen sich Unternehmen illegalem Wege, durch die Umgehung und den Missbrauch des herrschenden Arbeits- und Sozialrechtes, Wettbewerbsvorteile verschaffen. Für die Betroffenen sind unsichere, befristete Beschäftigungsverhältnisse mit geringerem Einkommen und lückenhaftem Versicherungsschutz die Folge und gleichzeitig oft die einzige Möglichkeit der Erwerbstätigkeit.

Einzelne Betroffene erfahren erst im Nachhinein, dass sie falsch beschäftigt wurden bzw. welche Nachteile ihnen aus einem (legalen oder illegalen) atypischen Arbeitsverhältnis erwachsen. Das Spektrum reicht von fehlender Arbeitlosen-, Pensions- oder Krankenversicherung, zu geringem Einkommen bis zur nicht vorhandenen Interessenvertretung, die ausstehende Ansprüche geltend machen könnte.

Für die Gesellschaft insgesamt sind die Folgen eine Unterwanderung und Gefährdung unseres wohlfahrtsstaatlichen Solidarsystems. Durch die beschriebenen legale wie illegale Praktiken kommt es zu einer Verschlechterung der Arbeits- und Einkommensbedingungen gesamter Branchen, einem massiven Verlust von Sozialversicherungsbeiträgen sowie an Steuer- und Abgabenzahlungen bei Kommunalsteuer, Einkommenssteuer und Abgaben im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes. Das hat massive budgetpolitische Relevanz und Konsequenzen, gerade in Zeiten drastischer Sparbudgets. Schätzungen zufolge werden alleine im Bereich der Marktkommunikation Steuerbeträge im Ausmaß von 100 Millionen Euro pro Jahr hinterzogen.

Erklärend ist darauf hinzuweisen, dass Zuverdienstgrenzen wie sie etwa im Zusammenhang mit dem Studienbeihilfengesetz oder dem Arbeitslosenversicherungsgesetz bestehen, nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Einkommensgrenze für geringfügige Beschäftigung stehen müssen. Dafür heranzuziehende Freibeträge können auch ohne der Existenz dieses Wertes eigenständig definiert werden.

In Zusammenhang mit diesem Thema wurden von uns GRÜNEN bereits weitere Entschließungsanträge zu notwendigen Maßnahmen eingebracht, es handelt sich dabei um 1169/A(E) ‚Paket gegen prekäre Beschäftigung, Lohn- und Sozialdumping sowie Steuerhinterziehung‘, 1030/A(E) ‚Abschaffung geringfügiger Beschäftigung‘, 916/A(E) ‚Reform und Neudefinition des ArbeitnehmerInnenbegriffes‘ und 34/A ‚Mindestlohngesetz‘.“

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 8. Juni 2011 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Birgit Schatz die Abgeordneten Werner Neubauer, Sigisbert Dolinschek, Ridi Maria Steibl und Ulrike Königsberger-Ludwig sowie der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer.

 

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag unter Berücksichtigung des von der Abgeordneten Mag. Birgit Schatz eingebrachten Abänderungsantrages keine Mehrheit (für den Antrag: G, dagegen: S,V,F,B ).

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig gewählt.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2011 06 08

                    Ulrike Königsberger-Ludwig                                                    Renate Csörgits

                                  Berichterstatterin                                                                           Obfrau



[1]             Kollektivvertragliche Deckungsrate (inkl. geringfügig Beschäftigte; ohne öffentlichen Dienst): 86,6%; Quelle: Bauer, Stefan (2010): Die kollektivvertragliche Deckungsrate in Österreich: Analyse, Darstellung  und Diskussion der kollektivvertraglichen Deckungsrate sowie der verbunden Problembereiche.

[2]             Quelle: BMASK (03/2011): Wichtige Arbeitsmarktdaten – Februar 2011.