Vorblatt

1. Problem:

Das Verschwindenlassen von Personen ist ein Mittel staatlicher Repression, das in den verschiedensten Erscheinungsformen auftritt und in der Regel eine Vielzahl von Menschenrechten verletzt. Die Praxis des Verschwindenlassens ist nach wie vor weit verbreitet und hat insbesondere im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus und im Umgang mit Terrorismusverdächtigen neue Aktualität gewonnen.

2. Ziel:

Mit dem Übereinkommen wurde erstmals ein verbindliches Instrument der Vereinten Nationen geschaffen, das die im Zusammenhang mit dem Verschwindenlassen eintretenden Menschenrechtsverletzungen als umfassenden Phänomen begreift und bekämpft. Das Übereinkommen dient dazu, die Praxis des Verschwindenlassens sowohl präventiv als auch repressiv zu bekämpfen.

3. Inhalt, Problemlösung:

Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen schließt eine Lücke in der Liste der international geächteten Taten, indem es die Vertragsstaaten insbes. verpflichtet, das Verschwindenlassen unter Strafe zu stellen und hinsichtlich der Opfer Wiedergutmachung und Entschädigung vorzusehen. Den Familien der Opfer wird ein eigenes Informationsrecht zugstanden. Hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit sind Regelungen zu Auslieferung, Rechtshilfe und der Begründung von Gerichtsbarkeit nach dem Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege enthalten. Außerdem wird, wie bei menschenrechtlichen Verträgen der Vereinten Nationen üblich, ein Kontrollmechanismus durch die Einrichtung eines Ausschusses über das Verschwindenlassen eingeführt.

4. Alternativen:

Keine.

5. Auswirkungen des Regelungsvorhabens:

5.1 Finanzielle Auswirkungen:

Keine.

5.2 Wirtschaftspolitische Auswirkungen:

5.2.1 Auswirkungen auf die Beschäftigung und den Wirtschaftsstandort Österreich:

Keine.

5.2.2 Auswirkungen auf die Verwaltungskosten für Bürger/innen und für Unternehmen:

Keine.

5.3 Auswirkungen in umweltpolitischer Hinsicht, insbesondere Klimaverträglichkeit:

Keine.

5.4 Auswirkungen in konsumentenschutzpolitischer sowie sozialer Hinsicht:

Keine.

5.5 Geschlechtsspezifische Auswirkungen:

Keine.

6. Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen Union:

Die vorgesehenen Regelungen fallen nicht in den Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Union.

7. Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:

Sonderkundmachung gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG.


Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen ist gesetzändernd bzw. gesetzesergänzend und bedarf daher der Genehmigung durch den Nationalrat gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG. Es hat nicht politischen Charakter. Es ist nicht erforderlich, eine allfällige unmittelbare Anwendung des Abkommens im innerstaatlichen Rechtsbereich durch einen Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 3 B-VG, dass dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, auszuschließen. Da durch das Abkommen keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, bedarf es keiner Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG.

Gemäß dem Beschluss der Bundesregierung vom 31. Jänner 2007 (vgl. Pkt. 23 des Beschl.Prot. Nr. 2) und der entsprechenden Ermächtigung durch den Herrn Bundespräsidenten hat Österreich das Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen am 6. Februar 2007 unterzeichnet. Insgesamt haben zur Zeit 88 Staaten das Übereinkommen unterzeichnet und 25 Staaten ratifiziert. Am 23. Dezember 2010 trat das Übereinkommen 30 Tage nach Hinterlegung der 20. Ratifikationsurkunde objektiv in Kraft.

Das Übereinkommen gliedert sich in eine Präambel und drei Teile, wobei sich Teil I mit den eigentlichen Verpflichtungen zum Schutz vor dem Verschwindenlassen befasst, Teil II Verfahrensbestimmungen zur internationalen Überwachung der Verpflichtungen enthält und Teil III die üblichen Schlussbestimmungen zum Inhalt hat.

Das Übereinkommen definiert das Verschwindenlassen und sieht Verpflichtungen für Staaten zum Verbot, der Bestrafung und der Prävention des Verschwindenlassens sowie Informations- und Wiedergutmachungsrechte für Opfer vor. Mit dem entschiedenen Verbot von Geheimgefängnissen und geheimen Überstellungen von Gefangenen untermauert es die Forderung nach bedingungsloser Achtung der Menschenrechte beim Kampf gegen Terrorismus. Auch das Verschwindenlassen von Kindern, unter anderem im Zusammenhang mit unrechtmäßigen Adoptionen, wird behandelt. Ein auf Grundlage des Übereinkommens eingerichteter internationaler Ausschuss unabhängiger Sachverständiger überwacht die Einhaltung der Verpflichtungen überwachen und  prüft insbes. Staatenberichte und Einzelbeschwerden betreffend verschwundene Personen.

Art. 31 des Übereinkommens sieht eine fakultative Individualbeschwerde und Art. 32 eine fakultative Staatenbeschwerde vor. Im Zuge der Universellen Regelmäßigen Staatenprüfung Österreichs durch den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (VN) 2011 hat Österreich die Empfehlung angenommen, die Zuständigkeit des Ausschusses über das Verschwindenlassen gemäß Art. 31 und 32 des Übereinkommens anzuerkennen. Es werden daher Erklärungen zur Annahme dieser Beschwerdeverfahren in Aussicht genommen.

Im Rahmen seiner Kandidatur für den VN-Menschenrechtsrat hat Österreich in dem in den Vereinten Nationen verteilten Leitdokument „Vorhaben und Verpflichtungen“ (vgl. Beschluss der Bundesregierung Pkt. 15 des Beschl.Prot. Nr. 50 vom 23. Februar 2010) u.a. die Ratifikation des gegenständlichen Übereinkommens in Aussicht genommen. Insbesondere nach der erfolgreichen Wahl Österreichs in den VN-Menschenrechtsrat am 20. Mai 2011 ist die Ratifikation des Übereinkommens ein konsequenter Schritt im Rahmen des österr. Engagements zur Stärkung des internationalen Menschenrechtsschutzes.

Mit dem Inkrafttreten des Übereinkommens entsteht in Österreich kein Anpassungsbedarf und werden daher keine finanziellen und keine personellen Wirkungen verbunden sein.  Sofern dennoch Anpassungsbedarf entstehen sollte, wird dieser aus den dem zuständigen Ressort zur Verfügung gestellten Mitteln bedeckt.

Besonderer Teil

TEIL I

Zu Art. 1

Art. 1 regelt den Zweck des Übereinkommens, wonach niemand dem Verschwindenlassen unterworfen werden darf (Abs. 1). Weder außergewöhnliche Umstände, wie etwa Krieg oder Kriegsgefahr noch innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand dürfen als Rechtfertigung für ein Verschwindenlassen herangezogen werden (Abs. 2).

Zu Art. 2

Art. 2 definiert den Begriff des Verschwindenlassens. Verschwindenlassen ist die Festnahme, der Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, eine solche Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder die Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch sie dem Schutz des Gesetzes entzogen wird.

Das Übereinkommen erfasst nach dieser Definition nicht nur die ausgedehnte und systematische Praxis des Verschwindenlassens, sondern auch Einzeltaten ohne systematischen Zusammenhang. Anders als im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH-Statut), BGBl. III Nr. 180/2002, das gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. i bei der Definition des Verschwindenlassens auch politische Organisationen einbezieht, werden nichtstaatliche Akteure nicht umfasst. Die Frage, ob auch nichtstaatliche Akteure miteinbezogen werden sollen, war in den Verhandlungen zum Übereinkommen umstritten. Man einigte sich schließlich darauf, dass Art. 3 des Übereinkommens die Vertragstaaten verpflichtet, geeignete Maßnahmen gegen nichtstaatliche Akteure zu ergreifen.

Die betreffende Person muss weder für längere Zeit noch in der Absicht, sie dem Rechtsschutz zu entziehen, der Freiheit beraubt werden. Dies wird mit dem letzten Halbsatz zum Ausdruck gebracht. Darin liegt eine Erweiterung der Definition im Vergleich zu Art. 7 Abs. 2 lit. i IStGH-Statut, der eine Absicht voraussetzt, die sich auf einen Rechtsschutzentzug für eine längere Zeit bezieht.

Zu Art. 3

Nach Art. 3 hat jeder Vertragsstaat geeignete Maßnahmen zu treffen, um Personen oder Personengruppen, die ohne Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates Handlungen im Sinne des Art. 2 begehen, zu ermitteln und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Diese Bestimmung soll Art. 2 ergänzen, weil nichtstaatliche Akteure von der Definition des Verschwindenlassens dort nicht erfasst sind. Art. 3 wird Österreich einerseits dadurch gerecht, dass der (vorsätzliche) Freiheitsentzug nach § 99 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 idF BGBl. I Nr. 111/2010, unter Strafe gestellt ist und andererseits jeder Verdacht dieser strafbaren Handlung nach § 2 Strafprozessordnung (StPO), BGBl. Nr. 631/1975 idF BGBl. I Nr. 1/2011, von Amts wegen von den zuständigen Behörden (Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft) aufzuklären ist.

Zu Art. 4 und 6

Nach Art. 4 hat jeder Vertragsstaat die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass das Verschwindenlassen eine Straftat darstellt. Nach Art. 6 wird dieses Erfordernis noch weiter konkretisiert. Das in Art. 4 und 6 Abs. 2 lit. a und b angeführte strafbare Verhalten wird innerstaatlich durch § 302 StGB (Missbrauch der Amtsgewalt) im Zusammenhang mit den Bestimmungen des Allgemeinen Teils, und zwar durch § 2 StGB (Unterlassung), § 12 StGB (Beteiligung), § 14 StGB (Beteiligung an einem Sonderdelikt) und § 15 (Versuch) erfasst. Wie in Art. 6 Abs. 2 vorgesehen ist der Täter nach österreichischem Recht nicht gerechtfertigt, wenn er sich auf eine strafrechtswidrige Anordnung oder Weisung eines Vorgesetzten beruft.

Zusätzlich wird zur Zeit ein Entwurf für die Einführung eines eigenen Tatbestands „Verschwindenlassen einer Person“ im StGB erwogen.

Zu Art. 5

Art.  5 verweist darauf, dass eine ausgedehnte oder systematische Praxis des Verschwindenlassens ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des anwendbaren Völkerrechts darstellt und die nach diesem Recht vorgesehenen Konsequenzen nach sich zieht. Die einschlägige Bestimmung ist Art. 7 Abs. 1 lit. i IStGH-Statut, allerdings mit einer etwas anderen Definition des Verschwindenlassens (vgl. die Erläuterungen zu Art. 2). Das Verschwindenlassen wurde auch bereits in der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen Nr. 47/133 vom 18. Dezember 1992 in der Erklärung über den Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen behandelt.

Zu Art. 7

Nach Art. 7 Abs. 1 sind für die Straftat des Verschwindenlassens angemessene Strafen, welche die außerordentliche Schwere der Straftat berücksichtigen, vorzusehen. Diese Voraussetzung erfüllt der Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs. 1 StGB, der eine Strafdrohung von sechs Monaten bis fünf Jahre Freiheitsstrafe vorsieht. Die gleiche Strafdrohung ist auch für die Beteiligung am Amtsmissbrauch vorgesehen.

Art. 7 Abs. 2 lit. a stellt dem Vertragsstaat frei, auch mildernde Umstände bei der Tatbegehung zu berücksichtigen, und zwar für Personen, die zwar an der Begehung eines Verschwindenlassens mitgewirkt haben, aber wirksam dazu beitragen haben, die verschwundene Person lebend aufzufinden, oder es ermöglicht haben, Fälle von Verschwindenlassen aufzuklären oder die Täter eines Verschwindenlassens zu identifizieren. Nach § 34 StGB ist als mildernd zu werten, wenn jemand sich ernstlich bemüht hat, den verursachten Schaden gutzumachen, oder weitere nachteilige Folgen verhindert (§ 34 Abs. 1 Z 15 StGB), oder etwa ein reumütiges Geständnis abgelegt hat oder durch seine Aussagen wesentlich zur Wahrheitsfindung (Ausforschung anderer Täter) beigetragen hat (§ 34 Abs. 1 Z 17 StGB).

Nach Art. 7 Abs. 2 lit. b können erschwerende Umstände für die Fälle vorgesehen werden, in denen das Verschwindenlassen den Tod der verschwundenen Person zur Folge hat oder das Verschwindenlassen von schwangeren Frauen, Minderjährigen, Personen mit Behinderungen oder anderen besonders verletzlichen Personen erfolgte. Für den Fall, dass bei Tod des Opfers das vorsätzliche Tötungsdelikt (§ 75 StGB – Mord) vorliegt, ergibt sich schon allein aus der Strafdrohung (Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe) eine strengere Bestrafung. § 33 Z 7 StGB sieht einen besonderen Erschwerungsgrund vor, wenn durch die Begehung der Tat die Wehr- oder Hilflosigkeit eines anderen ausgenutzt wurde. Dies trifft im besonderen Maße für die in Art. 7 Abs. 2 lit. b des Übereinkommens genannten Personen zu.

Zu Art. 8

Nach Art. 8 Abs. 1 muss sichergestellt werden, dass die Verjährungsfrist bei der Strafverfolgung von langer Dauer ist, im Verhältnis zur außerordentlichen Schwere dieser Straftat steht (Artikel 8 Abs. 1 lit. a) und mit dem Zeitpunkt der Beendigung der Straftat des Verschwindenlassens zu laufen beginnt (Artikel 8 Abs. 1 lit. b).

Der Missbrauch der Amtsgewalt verjährt nach § 57 Abs. 3 StGB nach Ablauf von fünf Jahren, wobei dem Umstand, dass es sich beim Verschwindenlassen um ein Dauerdelikt handelt, entsprechend berücksichtigt wird, weil die Verjährungsfrist erst dann zu laufen beginnt, wenn die mit Strafe bedrohte Tätigkeit abgeschlossen ist, oder das mit Strafe bedrohte Verhalten aufhört (§ 57 Abs. 2 StGB).

Nach Art. 8 Abs. 2 muss das Recht der Opfer von Verschwindenlassen auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor Ablauf der Verjährungsfrist gewährleistet werden. Jeder, der von der Begehung einer strafbaren Handlung Kenntnis erlangt hat (auch das Opfer) ist nach § 80 StPO zur Erstattung einer Anzeige bei der Kriminalpolizei oder bei der Staatsanwaltschaft berechtigt. Durch das amtswegige Einleiten (wonach die zuständigen Behörden nach § 2 StPO verpflichtet sind) eines Ermittlungsverfahrens kann nach § 58 Abs. 3 StGB der Fortlauf der Verjährungsfrist gehemmt werden und somit eine Verfolgungsverjährung verhindert werden. Darüber hinaus werden dem Opfer nach §§ 65 f StPO umfassende Rechte im Strafverfahren eingeräumt.

Art. 8 gilt „unbeschadet des Artikels 5“ und verweist damit implizit darauf, dass bei Vorliegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit - also bei ausgedehnter oder systematischer Praxis des Verschwindenlassens - keine Verjährung greift (vgl. Art. 29 IStGH-Statut).

Es wird zur Zeit auch ein Entwurf für die Einführung eines eigenen Tatbestands „Verschwindenlassen einer Person“ im StGB erwogen.

Zu Art. 9

Nach Art. 9 Abs. 1 muss inländische Gerichtsbarkeit dann bestehen, wenn die Straftat in einem der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates unterstehenden Gebiet oder an Bord eines in diesem Staat eingetragenen Schiffes oder Luftfahrzeugs begangen wird (Art. 9 Abs. 1 lit. a), oder wenn der Verdächtige Angehöriger des betreffenden Staates ist (Art. 9 Abs. 1 lit. b), oder wenn die verschwundene Person Angehörige des betreffenden Staates ist und der Vertragsstaat es für angebracht hält (Art. 9 Abs. 1 lit. c). Der Text von Art. 9 lehnt sich an Art. 5 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, BGBl. Nr. 492/1987, an. In Österreich wird nach innerstaatlichem Recht die inländische Gerichtsbarkeit für die in Art. 9 Abs. 1 lit. a und b genannten Sachverhalte durch die Bestimmung des § 62 und 63 StGB (hinsichtlich lit. a) und nach § 65 Abs. 1 StGB begründet, sofern die Tat im Ausland auch mit Strafe bedroht ist (hinsichtlich lit. b). Hinsichtlich der in Art. 9 Abs. 1 lit. c postulierten Verpflichtung sieht das innerstaatliche Recht keine entsprechende Regelung vor, wobei aber ein solcherart weitgehendes Verständnis der inländischen Gerichtsbarkeit auch nicht zwingend umzusetzen ist (arg. „soweit der Vertragsstaat es für angebracht hält“), sodass bereits die bestehende Rechtslage den Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen entspricht.

Nach Art. 9 Abs. 2 sind die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um eine Zuständigkeit zur Ausübung der Gerichtsbarkeit über die Straftat des Verschwindenlassens dann zu begründen, wenn der Verdächtige sich in einem der Hoheitsgewalt des betreffenden Staates unterstehenden Gebiet befindet und dieser ihn nicht im Einklang mit seinen internationalen Verpflichtungen an einen anderen Staat ausliefert oder übergibt oder an ein internationales Strafgericht überstellt, dessen Gerichtsbarkeit er anerkannt hat. Diese Regelung beruht auf dem Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege. Danach wird die Gerichtsbarkeit auch für den Fall begründet, dass sich der Verdächtige auf dem Hoheitsgebiet des betreffenden Staats befindet und nicht an einen anderen Staat ausgeliefert oder übergeben oder an ein internationales Strafgericht überstellt wird. Eine vergleichbare Regelung ist in § 65 Abs. 2 StGB enthalten.

Zu Art. 10

Nach Art. 10 Abs. 1 ist ein wegen einer Straftat des Verschwindenlassens Verdächtiger, nach Prüfung der ihm vorliegenden Informationen und in Anbetracht der Umstände, in Haft zu nehmen oder es sind alle anderen erforderlichen rechtlichen Maßnahmen zu treffen, um seine Anwesenheit sicherzustellen. Die Haft darf nur so lange aufrechterhalten werden, wie es erforderlich ist, um die Anwesenheit des Verdächtigen während eines Straf-, Übergabe- bzw. Überstellungs- oder Auslieferungsverfahrens sicherzustellen.

Die in Art. 10 Abs. 1 angeführte Verpflichtung wird durch die Bestimmungen der §§ 173 ff StPO erfüllt, soweit ein dringender Tatverdacht besteht, dass der Täter eine derartige strafbare Handlung begangen hat und die Verhängung der Untersuchungshaft dem Verhältnismäßigkeitsgebot (§ 5 StPO) entspricht. Allenfalls kann, nach den Gegebenheiten des Einzelfalles, auch durch die Anwendung gelinderer Mittel nach § 173 Abs. 5 StPO die Anwesenheit des Verdächtigen (ohne Verhängung der Untersuchungshaft) sichergestellt werden. Entsprechende Regelungen für die Auslieferungs- und Übergabehaft sehen die Bestimmungen der § 18 Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), BGBl. I Nr. 36/2004 idF BGBl. I Nr. 112/2007 und § 29 Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG), BGBl. Nr. 529/1979 idF BGBl. I Nr. 112/2007, vor.

Nach Art. 10 Abs. 2 ist unverzüglich eine vorläufige Untersuchung oder Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhalts durchzuführen und sind den Staaten, die nach Artikel 9 Abs. 1 zuständig sind, die getroffenen Maßnahmen anzuzeigen, einschließlich der Haft sowie der rechtfertigenden Umstände. Auch muss über das Ergebnis seiner vorläufigen Untersuchung oder seiner Ermittlungen berichtet werden und mitgeteilt werden, ob der Vertragsstaat seine Gerichtsbarkeit auszuüben beabsichtigt. In Österreich unterliegen die Strafverfolgungsbehörden in Fällen der Haft einem besonderen Beschleunigungsgebot (§ 9 Abs. 2 StPO), wonach die Ermittlungen vordringlich vorzunehmen sind. Was das Auslieferungs- und Übergabeverfahren anbelangt, so sehen die Bestimmungen der §§ 31 ff ARHG bzw. die Bestimmungen der §§ 20 ff EU-JZG entsprechende Regelungen vor.

Nach Art. 10 Abs. 3 kann eine aufgrund des Abs. 1 in Haft befindliche Person unverzüglich mit dem nächsten zuständigen Vertreter des Staates, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, oder, wenn sie staatenlos ist, mit dem Vertreter des Staates, in dem sie sich gewöhnlich aufhält, verkehren. Der Verkehr von Angehörigen des Entsendestaates mit konsularischen Vertretungsbehörden ist grundsätzlich bereits in § 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen, BGBl. Nr. 318/1969, vorgesehen. Generell sind Strafgefangene nach innerstaatlichem Recht berechtigt, Briefe, Karten und Telegramme abzusenden und zu empfangen (§ 87 StVG). Der schriftliche Verkehr mit der konsularischen Vertretung des Heimatstaates ist darüber hinaus sogar im verschlossenen Kuvert möglich, soweit nicht der konkrete, anders nicht auszuräumende Verdacht einer unerlaubten Sendung besteht (§ 90b Abs. 4 Z 3 StVG); in diesem Fall wäre das Kuvert in Gegenwart des Insassen zu öffnen. Für den fernmündlichen Verkehr verlangt § 96a StVG berücksichtigungswürdige Gründe, worunter auch die durch das Übereinkommen eingeräumten Kommunikationsrechte zu subsumieren sein werden. Für staatenlose Personen ist eine dem § 90b Abs. 4 Z 3 StVG entsprechende Regelung nicht vorgesehen, diese können jedoch von den Möglichkeiten der §§ 87 VStG und 96a StVG Gebrauch machen.

Zu Art. 11

Art. 11 Abs. 1 regelt den Fall, dass die Gerichtsbarkeit nach dem Grundsatz der stellvertretenden Strafrechtspflege begründet wurde (siehe auch Erläuterungen zu Art. 9 Abs. 2), wonach die Sache den zuständigen Behörden zum Zweck der Strafverfolgung zu unterbreiten ist. Die zuständigen Behörden werden nach den Bestimmungen der StPO tätig.

Art. 11 Abs. 2 stellt klar, dass die Entscheidung in einem derartigen Fall in gleicher Weise wie in vergleichbar schwerwiegenden nationalen Fällen zu erfolgen hat und dem Verdächtigen keine Sonderbehandlung zukommen darf. Eine derart geforderte Gleichbehandlung ergibt sich bereits aus dem verfassungsrechtlich garantierten Gleichbehandlungsgrundsatz, der auch für die Bestimmungen der StPO uneingeschränkt gilt.

Gleiches gilt auch für den in Art. 11 Abs. 3 formulierten Grundsatz eines fairen Verfahrens, was durch die Einhaltung des Art. 6 EMRK für das Strafverfahren erreicht wird.

Zu Art. 12

Die in Art. 12 Abs. 1 und 2 enthaltene Verpflichtung der Entgegennahme von Anzeigen und deren unparteiische Prüfung wird einerseits durch § 80 StPO (siehe auch Erläuterungen zu Art. 8 Abs. 2) und andererseits durch den in § 2 StPO verankerten Grundsatz der Amtswegigkeit (soweit ein entsprechender Anfangsverdacht iSd § 1 Abs. 2 StPO vorliegt) im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Objektivität nach § 3 StPO erfüllt. Was den Schutz von Zeugen anbelangt, so gibt es entsprechende Zeugenschutzprogramme sowie die Möglichkeit einer anonymen Aussage (§ 162 StPO) oder einer kontradiktorischen Vernehmung (§ 165 StPO), um das Opfer vor einer ernsten Gefahr zu bewahren und eine möglichst schonende Einvernahme zu ermöglichen.

Nach Art. 12 Abs. 3 müssen die zuständigen Strafverfolgungsbehörden über die notwendigen Befugnisse und Mittel verfügen, um die Untersuchung wirksam durchzuführen, einschließlich über den Zugang zu den für ihre Untersuchung einschlägigen Unterlagen und Informationen (Abs. 3 lit. a) und - soweit erforderlich mit vorheriger Genehmigung eines Gerichts - den Zugang zu jedem Ort der Freiheitsentziehung oder zu jedem anderen Ort, an dem sich die verschwundene Person befindet (Abs. 3 lit. b). Diese umschriebenen Befugnisse werden durch die StPO gedeckt, sei es durch Übermittlung von entsprechenden Unterlagen im Wege der Amts- und Rechtshilfe nach § 76 StPO oder durch die Ermittlungsmaßnahmen, wie etwa die Durchsuchung von Orten und Gegenständen nach den §§ 119 ff StPO.

Die in Art. 12 Abs. 4 angeführte Verpflichtung zur objektiven und uneingeschränkten Aufklärung der Fälle des Verschwindenlassens ergibt sich schon aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit (§ 2 Abs. 1 StPO); demnach sind die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft verpflichtet, jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Verdacht einer strafbaren Handlung von Amts wegen aufzuklären. Der Verpflichtung zur Objektivität (§ 3 StPO) entspricht es, dass die Ermittlungen von Organen geführt werden, die nicht als befangen gelten (§ 47 Abs. 1 Z 1 StPO).

Zu Art. 13

Dieser Artikel statuiert eine umfassende Auslieferungsverpflichtung, um eine wirksame Verfolgung der gegenständlichen Straftat zu gewährleisten.

Nach Abs. 1 darf die Straftat des Verschwindenlassens nicht als politische Straftat, als eine mit einer politischen Straftat zusammenhängende oder als eine auf politischen Beweggründen beruhende Straftat angesehen werden, weshalb ein Auslieferungsersuchen, dem eine derartige Straftat zugrunde liegt, nicht alleine aus diesen Gründen abgelehnt werden darf. Abs. 7 stellt allerdings klar, dass die Auslieferung unzulässig ist, wenn das Ersuchen gestellt worden ist, um die auszuliefernde Person im ersuchenden Staat wegen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Staatsangehörigkeit, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer politischen Anschauungen oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu verfolgen oder zu bestrafen, oder wenn der Person aus einem dieser Gründe Schaden zugefügt werden könnte (sog. Auslieferungsasyl; vgl. § 19 Z 3 ARHG).

Abs. 2 bis 6 wollen die Auslieferung von Verdächtigen des Delikts des Verschwindenlassens umfassend ermöglichen und bestimmen daher, dass das betreffende Delikt in bestehenden Auslieferungsverträgen als eine der Auslieferung unterliegende Tat und damit als in den Vertrag einbezogen gilt. Zusätzlich verpflichtet Abs. 3 die Vertragsstaaten, das Verschwindenlassen als auslieferungsfähige Straftat in künftige Auslieferungsverträge aufzunehmen. Nach Abs. 4 stellt das gegenständliche Übereinkommen die Rechtsgrundlage für die Auslieferung dar, wenn ein Vertragsstaat die Auslieferung vom Bestehen eines Vertrages abhängig macht, was für Österreich nicht der Fall ist, und ein Auslieferungsersuchen von einem anderen Vertragsstaat erhält, mit dem er keinen Auslieferungsvertrag hat. Durch Abs. 5 werden die Staaten verpflichtet, die Straftat des Verschwindenlassens in ihren wechselseitigen Beziehungen als auslieferungsfähige Straftat anzuerkennen. Abs. 6 stellt klar, dass sich die Auslieferung nach den im Einzelfall anwendbaren Auslieferungsverträgen bzw. dem nationalen Recht des ersuchten Vertragsstaats richtet.

Zu Art. 14

Art. 14 Abs. 1 verpflichtet die Vertragsstaaten zur weitestgehenden Rechtshilfeleistung im Zusammenhang mit Strafverfahren wegen der gegenständlichen Straftat. Dabei wird klargestellt, dass sich die Rechtshilfeleistung nach den im Einzelfall anwendbaren Rechtshilfeverträgen bzw. dem nationalen Recht des ersuchten Vertragsstaats richtet (Abs. 2).

Zu Art. 15

Art. 15 verpflichtet die Vertragsstaaten zur Zusammenarbeit, die einander im größtmöglichen Umfang Hilfe zur Unterstützung der Opfer des Verschwindenlassens und bei der Suche nach verschwundenen Personen, der Ermittlung ihres Aufenthaltsorts und ihrer Freilassung sowie im Fall ihres Todes bei der Exhumierung, Identifizierung und Überführung der sterblichen Überreste gewähren sollen. Der Umfang dieser Verpflichtung ist durch die geltenden Rechtshilfeübereinkommen gedeckt.

Zu Art. 16

Nach Art. 16 Abs. 1 darf eine Person nicht in einen anderen Staat ausgewiesen, abgeschoben, an diesen übergeben oder ausgeliefert werden, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie dort Gefahr liefe, Opfer eines Verschwindenlassens zu werden. Diese Verpflichtung wird durch § 19 ARHG entsprechend berücksichtigt und darf eine Auslieferung nicht erfolgen, wenn rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden würden. Entsprechendes sieht auch § 25 EU-JZG für die Übergabe vor. Auch im Fremdenrecht wird diese Verpflichtung geprüft (vgl. etwa § 50 Fremdenpolizeigesetzes (FPG), BGBl. Nr. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011). Die in Art. 16 Abs. 2 angeführten Umstände sind entsprechend zu berücksichtigen.

Zu Art. 17

Nach Art. 17 Abs. 1 darf niemand geheim in Haft gehalten werden. Zur deutschen Übersetzung wird angemerkt, dass in den verbindlichen Übereinkommenssprachen in Art. 2 und Art. 17 dasselbe Wort verwendet wird (engl. „detention“, frz. „détention“), das in der deutschen Übersetzung in Art. 2 mit „Entzug der Freiheit“ und aber in Art. 17 Abs. 1 mit „Haft“ übersetzt wurde. Aus diesem Grund und aus dem Zusammenhang des Art. 17 (arg. „Freiheitsentziehung“ in Art. 17 Abs. 2 und 3) ist davon auszugehen, dass sich Art. 17 Abs. 1 nicht nur auf Haft im engeren Wortsinn, sondern generell auf Freiheitsentziehung bezieht.

Nach Art. 17 Abs. 2 sind die Bedingungen festzulegen, unter denen eine Freiheitsentziehung angeordnet werden kann (lit. a), die Behörden zu bezeichnen, die befugt sind, eine Freiheitsentziehung anzuordnen (lit. b), zu gewährleisten, dass jede Person, der die Freiheit entzogen ist, ausschließlich an offiziell anerkannten und überwachten Orten der Freiheitsentziehung untergebracht wird (lit. c), zu gewährleisten, dass jeder Person, der die Freiheit entzogen wurde, gestattet wird, mit ihrer Familie, ihrem Rechtsbeistand oder jeder anderen Person ihrer Wahl zu verkehren und von diesen besucht zu werden, oder, sofern es sich um eine Ausländerin oder einen Ausländer handelt, im Einklang mit dem anwendbaren Völkerrecht mit ihren Konsularbehörden zu verkehren (lit. d), allen zuständigen und gesetzlich befugten Behörden und Einrichtungen Zugang zu den Orten der Freiheitsentziehung zu gewährleisten (lit. e) und jeder Person, der die Freiheit entzogen ist, oder allenfalls den Verwandten dieser Person, oder ihren Vertretern oder ihrem Rechtsbeistand das Recht zu gewährleisten, ein Verfahren vor Gericht einzuleiten, damit unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entschieden wird (lit. f).

Art. 17 Abs. 3 sieht vor, dass der Vertragsstaat entsprechende amtliche Register zu führen hat, bzw. amtliche Akten über die Personen, die der Freiheit entzogen wurden.

Der Vollzug der Untersuchungs- und der Strafhaft sowie des Maßnahmenvollzugs ist in der Strafprozessordnung, BGBl Nr. 631/1975 idF BGBl. I Nr. 1/2011 (§§ 173 ff StPO) bzw. dem Strafvollzugsgesetz, BGBl. 144/1969 idF BGBl. I Nr. 111/2010 (§§ 131 ff, 157 ff StVG) geregelt. Die in Art. 17 Abs. 2 lit. a bis c enthaltenen Verpflichtungen werden durch die Bestimmungen der StPO erfüllt, die festlegen, unter welchen Voraussetzungen und wie lange eine Person in Haft genommen werden darf bzw. welche Behörde für die Anordnung und Bewilligung zuständig ist. Das StVG bestimmt den Ort des Vollzugs (Strafvollzugsanstalten und gerichtlichen Gefangenenhäuser), in dem eine Freiheitsstrafe vollzogen wird (siehe §§ 8 f StVG). Was den Kontakt der Strafgefangenen mit der Außenwelt anbelangt (Abs. 2 lit. d), so sind die entsprechenden Bestimmungen in §§ 86ff StVG enthalten; für den Kontakt der Untersuchungshäftlinge gilt darüber hinaus § 188 StPO. Was den Zugang der zuständigen und gesetzlich befugten Behörden anbelangt, so gilt für die Dauer der Untersuchungshaft § 188 StPO iVm § 96 StVG und für Strafgefangene gilt § 96 StVG. Hinsichtlich der in lit. f umschriebene Verpflichtung kann auf die Ausführungen zu Art. 12 verwiesen werden. Der größte Teil der in Art. 17 Abs. 3 angesprochenen Daten über die Insassen der österreichischen Strafvollzugsanstalten und gerichtlichen Gefangenenhäuser sind in der elektronisch geführten Integrierten Vollzugsverwaltung (IVV) enthalten und bundesweit jederzeit abrufbar. Darüber hinaus wird über jeden Insassen in der Anstalt, in der er angehalten wird, ein persönlicher Akt geführt, der alle weiteren genannten Informationen enthält. Diese Daten sind den zuständigen Strafverfolgungsbehörden und Gerichten auch verfügbar.

Hinsichtlich der Freiheitsbeschränkungen, die an psychisch erkrankten Personen in psychiatrischen Abteilungen von Krankenanstalten vorgenommen werden können, werden die Anforderungen des Art. 17 durch die Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Unterbringung psychisch Kranker in Krankenanstalten (Unterbringungsgesetz – UbG), BGBl. Nr. 155/1990 idF BGBl. I Nr. 18/2010 sowie §§ 38a ff Bundesgesetz über Krankenanstalten und Kuranstalten (KAKuG), BGBl. Nr. 1/1957 idF BGBl. I Nr.  61/2010, erfüllt.

Eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Bundesgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit während des Aufenthalts in Heimen und anderen Pflege- und Betreuungseinrichtungen (Heimaufenthaltsgesetz – HeimAufG), BGBl. I Nr. 11/2004 idF BGBl. I Nr. 18/2010, liegt vor, wenn eine Ortsveränderung einer in einem Heim oder einer vergleichbaren Einrichtung bzw. in einer (nicht-psychiatrischen) Krankenanstalt betreuten oder gepflegten Person (im Folgenden Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln unterbunden wird. Es ist davon auszugehen, dass der Begriff des Entzugs der Freiheit in Art. 2 und Art. 17 auch eine Freiheitsbeschränkung nach dem HeimAufG umfasst. Im Zusammenhang mit Freiheitsbeschränkungen nach dem HeimAufG werden die Träger von Heimen und ähnlichen Einrichtungen mit der Vollziehung hoheitlicher Aufgaben betraut. Diese Betrauung der Träger von Einrichtungen erfolgt durch „Inpflichtnahme“. Darunter ist die Heranziehung zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Hoheitsakt, hier gesetzliche Verpflichtung, zu verstehen. Eine zur Anordnung freiheitsbeschränkender Maßnahmen nach § 5 HeimAufG befugte Person wird „in die Pflicht“ genommen. Freiheitsbeschränkungen nach dem HeimAufG werden daher im weitesten Sinn auch von „Bediensteten des Staates“ (vgl. Art. 2 des Übereinkommens) vollzogen. Nach dem HeimAufG steht jedem Bewohner jederzeit die freie Wahl seines Aufenthaltsorts zu (Übersiedlung in ein anderes Heim oder in jedwede andere Form der Privatbetreuung, auch Rückkehr nach Hause mit oder ohne Verwandtenbetreuung), er kann jederzeit – natürlich nicht gegen seinen Willen – von Verwandten besucht werden, und einer vertraulichen Kontaktaufnahme (brieflich, telefonisch, elektronisch) dürfen keinerlei Hindernisse entgegenstehen.

Das HeimAufG erfüllt die Vorgaben des Art. 17 Abs. 1 und 2. Jede Freiheitsbeschränkung ist nach § 7 Abs. 2 HeimAufG an den Bewohnervertreter (und allenfalls weitere Vertreter des Bewohners) zu melden, und ist also keineswegs als „geheim“ im Sinn des Abs. 1 anzusehen. Insbesondere die – bei den Vereinen für Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung angesiedelte – Bewohnervertretung im Sinn des § 8 Abs. 2 HeimAufG stellt einen wirksamen Rechtsbeistand der Bewohner auch im Sinn des Art. 17 Abs. 2 lit. f dar. Die Bewohnervertretung hat nach § 9 HeimAufG weitgehende Kontrollbefugnisse, so kann sie etwa jederzeit jede in abstracto dem HeimAufG unterworfene Einrichtung besuchen, womit Artikel 17 Abs. 2 lit. d und e des Übereinkommens erfüllt sind. Das – etwa auf Antrag des Bewohners oder seiner Vertretung einzuleitende – gerichtliche Überprüfungsverfahren ist in den §§ 11 ff HeimAufG geregelt und erfüllt die Erfordernisse der lit. a, b und f. Wie erwähnt ist jede Freiheitsbeschränkung der – unter der Aufsicht des Bundesministeriums für Justiz stehenden – Bewohnervertretung zu melden, die – zur Erleichterung der Administration – entsprechende „Register“ führt. Insofern kann man von einem „amtlichen Register“ im Sinn des Art. 17 Abs. 3 des Übereinkommens sprechen. Die inhaltlichen Vorgaben des Abs. 3 jedenfalls werden weitgehend erfüllt.

Im Wehrrecht ist Freiheitsentzug nach § 11 Militärbefugnisgesetz (MBG), BGBl. I Nr. 86/2000 idF BGBl. I Nr. 85/2009, und § 43 Heeresdisziplinargesetz 2002 (HDG 2002), BGBl. I Nr. 167/2002 idF BGBl. I Nr. 111/2010, möglich. Der Freiheitsentzug nach MBG und HDG ist inhaltlich ausreichend geregelt (Voraussetzungen, Zuständigkeit, Zweck, Dauer maximal 24 Stunden, Verständigung einer Person des Vertrauens und eines Rechtsanwalts) und durch diverse Rechtsschutzeinrichtungen (insbes. UVS) bzw. im Rahmen der Dienstaufsicht überprüfbar.

Die in Art. 17 Abs. 2 lit. a bis c enthaltenen Verpflichtungen werden – im Bereich der Fremdenpolizei - durch die Bestimmungen des FPG erfüllt, die festlegen, unter welchen Voraussetzungen und wie lange eine Person in Haft genommen werden darf (vgl §§ 76 ff FPG) bzw. welche Behörde für die Anordnung und Bewilligung zuständig ist (vlg § 6 FPG iVm § 2 Abs. 2 SPG). Der Verpflichtung in Art. 17 Abs. 2 lit. f. wird durch das in §§ 82 ff FPG vorgesehen Schubhaftprüfungsverfahren entsprochen.

Gemäß Art. 4 Abs. 7 Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988 idF BGBl. I Nr. 2/2008, hat jeder Festgenommene das Recht auf sein Verlangen und ohne unnötigen Aufschub nach seiner Wahl einen Angehörigen und einen Rechtsbeistand von der Festnahme zu verständigen.

Im Anwendungsbereich des FPG werden diese Rechte in § 40 FPG (Information des Betroffenen über Gründe der Haft und Verständigungen der konsularischen Vertretung) sowie in § 40 FPG iVm § 36 Abs. 4 Verwaltungsstrafgesetz (VStG), BGBl. Nr. 52/1991 idF BGBl. I Nr. 111/2010  (Besuch von Rechtsanwälten und konsularischem Vertreter) und § 47 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), BGBl. Nr. 566/1991 idF BGBl. I Nr. 33/2011 (Information betreffend Festnahme an Rechtsbeistand und Angehörigem) umgesetzt. Um dem Betroffenen die Ausübung seiner Rechte zu ermöglichen, wird dieser im Zuge der Festnahme durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes darüber belehrt bzw. erfolgt die Belehrung unmittelbar nach Eintreffen des beigezogenen Dolmetschers. Dem Betroffenen werden dazu Informationsblätter (in einer ihm verständlichen Sprache) ausgefolgt. Wird der Fremde auf Grund des FPG festgenommen (vgl. § 39 leg. cit.), erhält er das „Informationsblatt für Festgenommene (VStG, FPG, AsylG)“. Dieses steht neben Deutsch in 45 weiteren Sprachen zur Verfügung. Für Personen über die die Schubhaft verfügt wurde (§ 76 FPG) wurde darüber hinaus ein Informationsfolder erstellt. Dieser wird derzeit in vier Polizeianhaltezentren in einem Pilotprojekt erprobt. Darin wird unter Punkt 1.2. (Kann ich jemanden über meine Schubhaft informieren? Habe ich das Recht, einen Rechtsvertreter/eine Rechtsvertreterin und/oder Familienangehörige zu informieren?) auch auf die Verständigungsrechte des Betroffenen, sowie unter Punkt 4.15- 4.17 (Möglichkeit Besuch zu empfangen, Möglichkeiten zu telefonieren, Briefe zu schreiben und zu empfangen) hingewiesen. Dieser Folder steht derzeit neben Deutsch in 26 weiteren Sprachen zur Verfügung. Die Dokumentation der Belehrung des Angehaltenen über seine Rechte erfolgt im Rahmen des Haftberichts 2.

Zur Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass die im Erlass des Bundesministeriums für Justiz vom 27. Juli 2001 über Babynest und anonyme Geburt in Österreich (JMZ 4600/42-I 1/2001) für Mütter in besonderen Notsituationen vorgesehenen Möglichkeiten, nämlich ihr Kind zur Welt zu bringen und der Obhut des Jugendwohlfahrtsträgers zu überlassen, ohne ihre Identität preiszugeben, keine Freiheitsberaubung darstellt.

Zu Art. 18 und 20

Art. 18 Abs. 1 stellt sicher, dass allen Personen (Rechtsbeistand, Verwandte), die ein berechtigtes Interesse an Informationen über den Freiheitsentzug haben, der Zugang zu näher umschriebenen Informationen ermöglicht werden soll.

Wird eine Person in Untersuchungshaft gehalten, so kann der Beschuldigte oder der Vertreter im Zuge der Akteneinsicht (§ 51 StPO) diese Daten in Erfahrung bringen. Verwandte, sofern sie nicht gesetzliche Vertreter sind, haben grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht, können aber bei einem begründeten rechtlichen Interesse nach § 77 StPO bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht Einsicht erlangen. Entsprechend dem Artikel 20 Abs. 1 erfolgt eine Einschränkung dieses Informationsrechtes, wenn dadurch der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre (§ 51 Abs. 2 StPO). Werden im Ermittlungsverfahren diese Informationen vorenthalten, so kann sich jeder davon Betroffene mittels eines Einspruchs wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO – in Entsprechung des Art. 20 Abs. 2 – zu Wehr setzen. Im Zuge der Hauptverhandlung wird der Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs. 1 Z 4 StPO verwirklicht, wenn entweder während der Vorbereitungsfrist zur Hauptverhandlung oder während der Hauptverhandlung in bestimmte Aktenstücke nicht eingesehen werden konnte.

Für den Zugang zu den Daten (siehe Erläuterungen zu Art. 17 Abs. 3) während des Strafvollzugs ist als Anspruchsgrundlage das Auskunftspflichtgesetz, BGBl Nr. 287/1987 idF BGBl. I Nr. 158/1998 heranzuziehen, wobei entsprechend dem in Art. 20 Abs. 1 angeführten Vorbehalt gesetzliche vorgesehene Gründe (beispielsweise dieVerschwiegenheitsverpflichtung was die Auskunft an Verwandte anbelangt) einer Auskunft entgegenstehen würden. Wird nach dem Auskunftspflichtgesetz eine Auskunft nicht erteilt, so kann man die Ausfertigung eines Bescheides verlangen (vgl. § 4 Auskunftspflichtgesetz), der dann entsprechend bekämpft werden kann. Eine Notwendigkeit die in Art. 18 Abs. 2 angeführten Maßnahmen zu ergreifen, wird für Österreich nicht gesehen, da ausreichende Schutzmechanismen bestehen, die nachteilige Folgen der betroffenen Personen verhindern.

Zu Art. 19

Für die in Art. 19 angeführten Daten sieht das Sicherheitspolizeigesetz (§§ 53 ff SPG) entsprechende Regelungen vor. Zur Auffindung von Abgängigen sind auch Ermittlungen der DNA zulässig (§ 67 Abs. 1a und § 75 Abs. 1 SPG). Genetische Informationen, die durch eine erkennungsdienstliche Maßnahme ermittelt wurden, dürfen nur eingeschränkt verwendet werden (vgl. §§  71 und 75 SPG). Die entsprechenden Regelungen des SPG sind wie in Art. 19 Abs. 2 gefordert mit verfassungsrechtlich gewährten Rechten vereinbar.

Zu Art. 21

Nach Art. 21 sind die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass Personen, denen die Freiheit entzogen ist, entsprechend einem Verfahren freigelassen werden, das es erlaubt, verlässlich nachzuprüfen, ob sie tatsächlich freigelassen worden sind. Weiters müssen die erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden, um die körperliche Unversehrtheit dieser Personen und ihre Fähigkeit, ihre Rechte uneingeschränkt auszuüben zu gewährleisten.

Die in dieser Bestimmung sehr allgemein gehaltene Verpflichtung wird einerseits durch die Regelungen über die Aufhebung der Untersuchungshaft (§ 177 StPO) sowie durch die Bestimmungen über die Entlassung aus dem Strafvollzug (§§ 148 ff StVG) erfüllt. Die körperliche Unversehrtheit wird einerseits durch das Verbot von Misshandlungen während des Entzugs der Freiheit erreicht (Österreich hat das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet und mit Wirksamkeit vom 17. Oktober 1987 ratifiziert (BGBl. Nr. 492/1987). Gegenstand dieses Übereinkommens sind Übergriffe staatlicher Organe. Es verpflichtet die Vertragsstaaten zur wirksamen Vorbeugung, Aufklärung und Strafverfolgung) sowie andererseits durch die Verpflichtung zur Gesundheitspflege während des Strafvollzuges nach § 66 StVG. Die Entlassungsdaten der Strafgefangenen werden in ihren persönlichen Akten und in der elektronisch geführten integrierten Vollzugsverwaltung erfasst und sind daher hinreichend dokumentiert. Eine Einschränkung der Rechte des Entlassenen erfolgt nicht.

Gemäß § 25 der Verordnung der Bundesministerin für Inneres über die Anhaltung von Menschen durch die Sicherheitsbehörden und Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Anhalteordnung - AnhO), BGBl. II Nr. 128/1999 idF BGBl. II Nr. 439/2005, ist jedem Betroffenen bei seiner Entlassung aus dem Haftraum der Behörde eine Bestätigung über die Dauer der Anhaltung auszufolgen (Haftbestätigung).

Zu Art. 22

Nach Art. 22 soll eine Behinderung oder Verschleppung der Rechtsbehelfe nach Art. 17 Abs. 2 lit. f und Art. 20 Abs. 2 (lit. a), ein Pflichtversäumnis bei der Erfassung alle Freiheitsentziehungen in einem Register sowie die Eintragung von Informationen, deren Unrichtigkeit dem für das amtliche Register zuständigen Bediensteten bekannt war oder hätte bekannt sein müssen (lit. b) und die Weigerung, Auskünfte über eine Freiheitsentziehung zu erteilen, oder das Erteilen unrichtiger Auskünfte, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen für das Erteilen dieser Auskünfte erfüllt sind (lit. c), verhindert und geahndet werden.

Diesen Verpflichtungen wird durch das österreichische Recht entsprochen, das derartige Verhaltensweisen mit Strafe bedroht. Die in lit. a vorgesehene Verhinderung einer Behinderung oder Verschleppung von Rechtsbehelfen kann den Tatbestand des § 302 StGB verwirklichen, wenn das Verhalten einen wissentlichen Befugnismissbrauch darstellt und zu einer Schädigung führt. Gleiches gilt auch, wenn die Auskunftsverweigerung (lit. c) mit entsprechendem Vorsatz erfolgt. Jedenfalls ist dadurch eine Dienstobliegenheit verletzt, die entsprechend disziplinär zu ahnden wäre.

Ebenso stellt die Führung der persönlichen Akten der Insassen sowie die Eintragung der Daten in die elektronisch geführte Integrierte Vollzugsverwaltung (auch das Führen der Register bei den Staatsanwaltschaften oder bei den Gerichten) mit der Funktion eines Insassenregisters eine Dienstpflicht dar, deren Verletzung disziplinar- und allenfalls auch strafrechtlich (§ 302 StGB) geahndet wird.

Abschließend ist zu Art. 22 zu bemerken, dass eine Verpflichtung zur Erfassung durch gerichtliche Tatbestände nicht erforderlich scheint. Während die englische Fassung im Art. 6 von „criminally responsible“ und im Art. 25 von „punish under its criminal law“ ausgeht, erwähnt Art. 22 lediglich „impose sanctions“, sodass eine Ahndung mit Verwaltungsstrafrecht oder mit Mitteln des Disziplinarrechts ausreichend erscheint.

Zu Art. 23

Nach Art. 23 Abs. 1 muss sichergestellt werden, dass die Ausbildung des mit dem Gesetzesvollzug betrauten zivilen und militärischen Personals, des medizinischen Personals, der Angehörigen des öffentlichen Dienstes und anderer Personen, die mit dem Gewahrsam oder der Behandlung einer Person, der die Freiheit entzogen ist, befasst werden, entsprechend vorgenommen werden muss.

Dieser Verpflichtung wird dadurch entsprochen, dass Richter und Staatsanwälte laufend über Fragen des Grundrechtsschutzes geschult werden; weiters werden alle im Strafvollzug tätigen Bediensteten für ihre Tätigkeit im Sinne eines gesetzeskonformen Strafvollzugs und der sorgfältigen Führung der einschlägigen Register umfassend ausgebildet.

Die Justizbetreuungsagentur ist gemäß § 2 Abs. 6 Justizbetreuungsagentur-Gesetz, BGBl. I Nr. 101/2008 idF BGBl. I Nr. 137/2009 verpflichtet, für die erforderliche strafvollzugsspezifische Aus- und Fortbildung des eingesetzten Personals zu sorgen. Diese Verpflichtung umfasst auch das im Rahmen der Justizbebetreuungsagentur eingesetzte medizinische Personal.

Für den Fall eines (militärischen) Einsatzes, in dem Soldaten die Befugnis zur Festnahme bzw. die Befugnis zur Aufsicht über festgenommene Personen innehaben, werden im Zuständigkeitsbereich des BMLVS die in Artikel 23 angesprochenen Ausbildungsinhalte durch einschlägiges Fachpersonal vermittelt. Dafür wird im Rahmen der Laufbahnausbildung und auch der unmittelbaren Einsatzvorbereitung ausreichend Ausbildungszeit zur Verfügung gestellt.

Die in Art. 23 Abs. 2 genannte Verpflichtung ist durch den Tatbestand des § 302 StGB hinreichend abgesichert (siehe die Erläuterung zu Art. 6). Auch die Nichtbefolgung einer Weisung, die auf einen unrechtmäßigen Freiheitsentzug abzielt, ist nicht strafbar, weil strafrechtswidrige Weisungen nicht befolgt werden dürfen.

Die in Art. 23 Abs. 3 genannte Verpflichtung wird durch § 78 StPO entsprechend umgesetzt, wonach eine Behörde oder öffentlichen Dienststelle zur Anzeige verpflichtet ist, wenn ihr der Verdacht einer Straftat bekannt wird, die ihren gesetzmäßigen Wirkungskreis betrifft. Weiters hat die Behörde – nach Kenntnisnahme – alles zu unternehmen, was zum Schutz des Opfers oder anderer Personen vor Gefährdung notwendig ist (§ 78 Abs. 3 StPO).

Zu Art. 24

Art. 24 Abs. 1 bezeichnet als „Opfer“ die verschwundene Person sowie jede natürliche Person, die als unmittelbare Folge eines Verschwindenlassens geschädigt worden ist. Dieser Opferbegriff deckt sich mit jenem des § 65 Z 1 lit. a und c StPO. Hinsichtlich der in Art. 24 Abs. 2 normierten Informationsrecht darf auf die Ausführungen zu Art. 18 und 20 verwiesen werden. Nach § 66 Abs. 1 Z 2 StPO können Opfer Akteneinsicht nehmen; nach § 66 Abs. 1 Z 4 StPO sind sie vom Fortgang des Verfahrens zu verständigen.

Zu der in Art. 24 Abs. 3 vorgesehene Verpflichtung, alle geeigneten Maßnahmen im Hinblick auf die Suche nach verschwundenen Personen, die Ermittlung ihres Aufenthaltsorts und ihre Freilassung sowie im Fall des Todes im Hinblick auf die Ermittlung, Achtung und Überführung der sterblichen Überreste, zu ergreifen, sehen einerseits die Regelungen des SPG umfassende Möglichkeiten vor. Soweit der Verdacht einer strafbaren Handlung gegeben ist, kommen andererseits die Bestimmungen der StPO (Ermittlungsmaßnahmen wie etwa die Durchsuchung von Orten und Gegenständen) zur Anwendung.

Die Bestimmungen des Art. 24 Abs. 4 bis 6 decken sich mit dem geltenden österreichischen Zivil- und Amtshaftungsrecht. § 1329 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB), JSG Nr. 946/1811 idF BGBl. I Nr. 58/2010, deckt bei vorsätzlichen Freiheitsentziehungen in Verbindung mit den §§ 1ff. Amtshaftungsgesetz (AHG), BGBl. Nr. 20/1949 idF BGBl. I Nr. 194/1999, alle in Art. 24 Abs. 5 genannten Schadensteile – einschließlich eines Anspruchs auf Zahlung eines Schmerzengeldes sowie eines Unterlassungsanspruchs gegen ein künftiges „Verschwindenlassen“ – ab. Unterhaltsberechtigte Angehörige können in einem solchen Fall nach dem letzten Satz des § 1329 ABGB Ersatzansprüche (wegen ihres Unterhaltsentgangs) geltend machen. Ob ihnen weitere Ansprüche – etwa ein „Angehörigenschmerzengeld“ wegen des Verschwindens einer ihnen nahestehenden Person - zustehen, wird davon abhängen, ob sie (vgl. auch Art. 24 Abs. 1) als unmittelbare Folge des „Verschwindenlassens“ einen Schaden erleiden, beispielsweise wenn sie wegen der Ungewissheit über das Schicksal dieser Person erkranken. Auch dann scheint die österreichische Zivilrechtslage auszureichen.

Auch Personen, die dem HeimAufG unterliegen, und als unmittelbare Folge des Verschwindenlassens geschädigt worden sind, haben einen Anspruch auf eine gerechte und angemessene Entschädigung; entsprechendes ist in § 24 HeimAufG vorgesehen. Erfolgte eine Freiheitsbeschränkung iSd Art. 2 „gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen, oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person“, so ist die Freiheitsbeschränkung – mangels Meldung an die Bewohnervertretung nach § 7 HeimAufG – im Sinn des § 24 Abs. 1 HeimAufG rechtswidrig und löst daher – auch immateriellen Schadenersatz umfassende – Amtshaftung aus.

Die in Art. 24 Abs. 7 einzuräumende Rechte auf Bildung von Organisationen oder Vereinen, deren Ziel es ist, dazu beizutragen, die Umstände der Fälle von Verschwindenlassen und das Schicksal der verschwundenen Personen aufzuklären sowie Opfer des Verschwindenlassens zu unterstützen, wird einerseits bereits durch bestehenden Opferschutzeinrichtungen erfüllt. Andererseits wird durch das verfassungsrechtlich eingeräumte Recht auf Vereinsfreiheit (Art. 12 StGG, Art. 11 EMRK) die Gründung weiterer Vereine und Organisationen nicht eingeschränkt.

Zu Art. 25

Nach Art. 25 Abs. 1 sind weitere Handlungen unter Strafe zu stellen, wobei die in Art. 25 Abs. 1 lit. a enthaltene Kriminalisierungsverpflichtung innerstaatlich bereits durch § 302 StGB erfüllt wird, wobei das allgemeine Delikt des § 195 StGB (Kindesentziehung) durch § 302 StGB verdrängt wird. Auch Art. 25 Abs. 1 lit. b wird, soweit ein über die strafbaren Handlungen gegen die Zuverlässigkeit von Urkunden und Beweiszeichen (§ 223 ff StGB) hinausgehender Schädigungsvorsatz nachweisbar ist, durch § 302 StGB umgesetzt.

Den Strafverfolgungsbehörden obliegt die in Art. 25 Abs. 2 enthaltene Verpflichtung, die Kinder nach Abs. 1 lit. a zu suchen und dem Erziehungsberechtigten zu übergeben. Dabei kann auch auf die internationale Rechtshilfe (Abs. 3) zurückgegriffen werden.

Die Möglichkeit nach Art. 25 Abs. 4, Adoptionen zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben, ist durch § 184a ABGB und §§ 91a ff Außerstreitgesetz (AußStrG), BGBl. I Nr. 111/2003 idF BGBl. I Nr. 111/2010, gewährleistet. Die in Abs. 5 vorgesehene Einbeziehung des Kindes in das Verfahren wird durch § 90 Abs. 1 Z 1 und § 91b Abs. 3 AußStrG gewährleistet.

TEIL II

Zu Art. 26:

Gemäß Art. 26 wurde ein Ausschuss über das Verschwindenlassen (im Folgenden: Ausschuss) errichtet. Die institutionellen Bestimmungen ähneln im Wesentlichen denjenigen anderer unter Menschenrechtsübereinkommen errichteter Ausschüsse (vgl. etwa das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, BGBl. Nr. 7/1993). Im Rahmen der ersten Vertragsparteiensitzung des Übereinkommens am 31. Mai 2011 in New York wurden in geheimer Wahl 10 Ausschussmitglieder gewählt.

Zu Art. 27:

Diese Überprüfungsklausel wurde aufgenommen, weil es im Vorfeld umstritten war, ob ein eigener Ausschuss eingerichtet werden sollte. Es war diskutiert worden, statt dem gegenständlichen Übereinkommen ein Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. Nr. 591/1978, mit einer Überwachung durch den Menschenrechtsausschuss oder aber durch einen Unterausschuss des Menschenrechtsausschusses einzuführen. Man einigte sich schließlich auf das gegenständliche separate Übereinkommen mit einem eigenen Ausschuss als Überwachungsorgan.

Zu Art. 28:

Art. 28 normiert in Abs. 1 eine Kooperationspflicht und in Abs. 2 eine Konsultationspflicht des Ausschusses bei der Ausübung seiner Befugnisse. In Abs. 2 ist insbesondere die Konsultation mit dem durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte errichteten Ausschuss für Menschenrechte hervorgehoben, um eine Einheitlichkeit der jeweiligen Stellungnahmen und Empfehlungen zu gewährleisten.

Zu Art. 29:

Art. 29 verpflichtet die Staaten, binnen zwei Jahren nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens für den betreffenden Vertragsstaat einen Bericht über die Umsetzung des Übereinkommens zu erstellen und legt das Verfahren der Behandlung dieser Berichte im Ausschuss fest. Insbesondere kann der Ausschuss Bemerkungen, Stellungnahmen oder Empfehlungen zu den Berichten abgeben.

Zu Art. 30:

Art. 30 gewährt bestimmten Individuen das Recht, beim Ausschuss einen Antrag auf Suche und Auffindung einer verschwundenen Person einzureichen und regelt das Verfahren der Behandlung dieser Anträge im Ausschuss. Der Ausschuss kann insbes. einen Vertragsstaat um Auskunft ersuchen, dem Vertragsstaat Empfehlungen übermitteln und zu erforderlichen Maßnahmen, einschließlich vorläufigen Maßnahmen, aufrufen. Der Ausschuss hält den Antragsteller über das Verfahren auf dem Laufenden.

Zu Art. 31

Art. 31 sieht eine fakultative Individualbeschwerde vor. Inspiriert wurde die Bestimmung vom Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (BGBl. Nr. 105/1988). Die Abgabe einer österr. Unterwerfungserklärung ist in Aussicht genommen.

Zu Art. 32

Art. 32 sieht eine fakultative Staatenbeschwerde vor. Der Ausschuss kann Mitteilungen entgegennehmen und prüfen, in denen ein Vertragsstaat geltend macht, ein anderer Vertragsstaat komme seinen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen nicht nach (vgl. Art. 41 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, BGBl. Nr. 591/1978). Die Abgabe einer österr. Unterwerfungserklärung ist in Aussicht genommen.

Zu Art. 33

Art. 33 sieht ein obligatorisches Besuchsverfahren vor. Erhält der Ausschuss zuverlässige Informationen, die darauf hinweisen, dass ein Vertragsstaat die Bestimmungen dieses Übereinkommens in schwerwiegender Weise verletzt, so kann er nach Konsultation des betreffenden Vertragsstaats eines oder mehrere der Ausschussmitglieder auffordern, einen Besuch durchzuführen und ihm unverzüglich zu berichten. Nach dem Besuch übermittelt der Ausschuss dem betreffenden Vertragsstaat seine Stellungnahmen und Empfehlungen. Dem Verfahren liegt der Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen Staat und Ausschuss zugrunde.

Zu Art. 34

Art. 34 sieht im Fall des Verdachts einer ausgedehnten oder systematischen Praxis des Verschwindenlassens die Möglichkeit einer dringenden Unterrichtung der VN-Generalversammlung im Wege des VN-Generalsekretärs vor.

Zu Art. 35

Art. 35 regelt die Zuständigkeit des Ausschusses ratione temporis.

Zu Art. 36

Art. 36 enthält Regelungen zum Jahresbericht des Ausschusses.

TEIL III

Zu Art. 37 - 45

Die Art. 37 bis 41 und 44 - 45 enthalten die üblichen Schlussbestimmungen insbes. über die Unterzeichnung des Übereinkommens, seine Ratifikation, den Beitritt dazu, sein Inkrafttreten und das Verfahren bei Änderungen. Art. 42 sieht ein Streitbeilegungsverfahren für Streitigkeiten über die Auslegung oder Anwendung des Übereinkommens vor, gegen das gemäß Art. 42 Abs. 2 ein Vorbehalt eingelegt werden kann. Art. 43 regelt das Verhältnis des Übereinkommens zum humanitären Völkerrecht und zu den Rechen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.

 

Die Bundesregierung hat beschlossen, dem Nationalrat vorzuschlagen, anlässlich der Genehmigung des Staatsvertrages zu beschließen, dass die arabische, chinesische, französische, russische und spanische Sprachfassung dieses Staatsvertrages gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundzumachen sind, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

 

 

Daran anknüpfend wurde mit Rücksicht auf eine sparsame und zweckmäßige Verwaltung gemäß § 23 Abs. 2 GOG-NR von der Vervielfältigung und Verteilung dieser Sprachfassungen Abstand genommen. Die gesamte Regierungsvorlage liegt in der Parlamentsdirektion zur Einsicht auf. Über­dies ist diese Regierungsvorlage mit allen Sprachfassungen auf der Homepage des Parlaments unter http://www.parlament.gv.at abrufbar.