1766 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Gesundheitsausschusses

über den Antrag 1842/A(E) der Abgeordneten Stefan Markowitz, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausweitung des Personenkreises der Entschädigungsberechtigten offensichtlich Thalidomid-/Contergangeschädigten auf Personen, die vor dem Jahr 1956 geboren wurden

Die Abgeordneten Stefan Markowitz, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 29. Februar 2012 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Die Zeittafel zur Entwicklung des Medikamentes ‚Contergan‘(Wirkstoff Thalidomid) sieht folgendermaßen aus:

1914                    Heinrich Mückter wird in Linnich (Ortsteil Körrenzing) geboren.

1940                    Gründung des Institutes für Fleckfieber- und Virusforschung des Ober-Kommandos des Heeres in Krakau / Polen.

1942                    Dr.med. Heinrich Mückter wird stellvertretender Leiter des Institutes für Fleckfieber- und Virusforschung des Oberkommandos des Heeres in Krakau/Polen.

1942                    Die ‚Forschungsgruppe der Militärärztlichen Akademie der Wehrmacht‘ (Heeresfilm stelle) produziert den Lehrfilm ‚Kampf den Fleckfieber‘.

1944                    Gemäß der Aussage von Martin Johnson (Thalidomid Trust GB) teilt der IG-Farber Direktor ‚Fritz ter Meer‘ dem ranghöchsten NS-Mediziner, Generalkommissar für Kampfstofffragen (Giftgas) und Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Prof. Dr. Karl Brandt, mit, dass die Substanz Nr. 4589 getestet und zum Einsatz bereit sei. Die Substanz Nr. 4589 soll - so Martin Johnson - mit der chemischen Formel von Thalidomid deckungsgleich sein.

1946                    Eintragung der Firma Chemie Grünenthal (Stolberg/Rheinland) ins Handelsregister.

1946                    Dr.med. Heinrich Mückter wird Mitarbeiter der Firma Chemie Grünenthal in Stolberg bei Aachen.

März 1954          Laut Darstellung der Firma Grünenthal/Stolberg synthetisieren der Pharmakologe Herbert Keller und der Apotheker Dr. Wilhelm Kunz erstmals in der Forschungsabteilung des Unternehmens Thalidomid (N-Pthalylglutamin-Säureimid); ein Derivat des bekannten Schlaf- und Schmerzmittels Doriden des Schweizer Pharmakonzerns Ciba.

Ab 1954              Erste Geburten von mutmaßlich thalidomidgeschädigten Kindern in Chile, Österreich und den USA.

April 1954          Unter der Bezeichnung K 17 wird Thalidomid beim Deutschen Patentamt angemeldet.

1955                    Die Substanz K 17 wird an der Medizinischen Universitätsklinik Köln an 300 Patienten getestet. Der durchführende Arzt berichtet nach Abschluss der Versuchsreihe über eine gute Verträglichkeit als Sedativum.

Dez. 1955            Thalidomid-Symposium: Pharmakologen der Firma Grünenthal stellen die toxikologischen und pharmakologischen Resultate ihrer Studien mit K 17 vor. Bereits zu diesem Zeitpunkt fällt auf, dass sich die Experimente im Tierversuch auf Nagetiere beschränken.

1956                    Der Leiter der Forschungsabteilung der Firma Grünenthal, Dr. Heinrich Mückter, bezeichnet in einem Aufsatz in dem Fachblatt Arzneimittelforschung ‚K 17 als relativ starkes Sedativum, dessen völlige Ungiftigkeit eine klinische Prüfung rechtfertige‘.

1956                    Die US-amerikanische Pharmafirma Smith, Kline & French (Philadelphia) zeigt Interesse an einem Lizenzvertrag für Thalidomid. Es kommt jedoch nicht zu einem Vertrag mit der Firma Grünenthal, da das Unternehmen bei hauseigenen Versuchen an Mäusen feststellt, dass der Wirkstoff trotz hoher Dosen von Thalidomid die motorische Aktivität der Tiere kaum reduziert. In einem Brief teilt Smith, Kline & French dem Stolberger Unternehmen mit, dass Thalidomid ‚keine bedeutende neue Wirkung‘ habe.

1956                    Erste Hinweise darauf, das Thalidomid erhebliche Nebenwirkungen hat. Klinische Prüfer berichten von Nervenbeschwerden, Kopfschmerzen, hang-over-Effekt, wahrscheinlich allergischen Hautreaktionen, Obstipation und Schwindel. Sie verweisen aber auch auf die gute schlaffördernde Wirkung. Den Nebenwirkungen wird keine große Bedeutung beigemessen.

1956 -1958          Klinischer Versuch in einer privaten Fachkfinik für Gynäkologie. Schwangeren wird im Rahmen der Testreihe Thalidomid nicht verabreicht.

Juni 1956            Thalidomid wird von der Firma Grünenthal als neuer Arzneistoff bei der Gesundheitsabteilung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums angemeldet. Eine Rezeptpflicht ist nicht geplant.

August 1956      Der Direktor der Universitätsfrauenklinik Bonn lehnt die klinische Erprobung von Thalidomid aus ‚prinzipiellen Erwägungen‘ ab.

Nov. 1956           Grünenthal bringt das thalidomidhaltige Erkältungsmittel ‚Grippex‘ im Raum Hamburg als Feldversuch in den Handel.

Nach heftigen Diskussionen im Parlament und Anträgen aller drei Oppositionsparteien wurde in Österreich von Seiten des Gesundheitsministeriums eine Einmalzahlung von 2,8 Millionen Euro für die Contergangeschädigten Österreichs zur Verfügung gestellt. Grundlage für die Anspruchsberechtigung sind zwei Dinge, die Anerkennung der Behinderung durch eine dafür eingerichtete Kommission und ein Geburtsjahrgang nicht älter als 1956.

Herr A. wurde am 14.07.1954 mit einer offensichtlichen Conterganschädigung in Salzburg geboren. Er hat dazu in Österreich einen Antrag auf Anerkennung gestellt und Anfang 2010 sämtliche Unterlagen, Bilder und ärztlichen Befunde, die eine mögliche Conterganschädigung bestätigen, an das Gesundheitsministerium übermittelt. Herr A. wurde anfangs als möglich Betroffener eingestuft, bekam jedoch darauf folgend vom Gesundheitsministerium ein Schreiben, dass seine Befunde nicht an die medizinische Kommission weitergeleitet werden. Die Begründung dafür lautet, er sei zu früh geboren und denn es werden nur ab 1956 geborene Personen untersucht.

Herr A. ist sowohl im Besitz eines Befundes eines namhaften Experten, der von einer hohen Wahrscheinlichkeit spricht, dass hier eine Schädigung durch Contergan vorliegt, als auch im Besitz einer selbst finanzierten Gen-Analyse samt Befund, dass er nicht an dem - als Differentialdiagnose möglichen – ‚Holt-Oram-Syndrom‘ leidet.

Im Lichte der Unklarheit, welche Substanz hier in der Zeit zwischen den Jahren 1944 und 1954 tatsächlich entwickelt wurde, dass zwischen der erstmaligen offiziellen Meldung über die Synthese der Substanz Thalidomid im März 1954 und der Anmeldung im Patentamt am 17. April 1954 nur ein Monat an Zeit liegt und dass 1954 die ersten Geburten von mutmaßlich thalidomidgeschädigten Kindern in Chile, Österreich und den USA zu verzeichnen wurden, ist es vollkommen unverständlich, warum Herrn A. die Teilnahme an der offiziellen Untersuchung verwehrt wird, wo doch alle Unklarheiten genau damit zu klären wären.

Ebenfalls zu beachten gilt, dass keiner der medizinischen Experten, die Herrn A. bisher untersucht haben, aufgrund der bekannten Faktenlage zu dieser Substanz ausschließen möchte, dass sie nicht schon weit vor dieser Zeit in medizinischen Fachkreisen weitergegeben wurde. Genau das ist aufgrund der Unterlagen und Lebensumstände die Herrn A. betreffen jedoch durchaus wahrscheinlich.“

Der Gesundheitsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 18. April 2012 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligte sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Dr. Wolfgang Spadiut die Abgeordnete Dr. Sabine Oberhauser, MAS.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Entschließungsantrag keine Mehrheit (für den Antrag: F, G, B dagegen: S,V).

Zur Berichterstatterin für den Nationalrat wurde Abgeordnete Dr. Sabine Oberhauser, MAS gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Gesundheitsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2012 04 18

                     Dr. Sabine Oberhauser, MAS                                   Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau