1848 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über die Regierungsvorlage (1717 der Beilagen): Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, der Republik Bulgarien, der Tschechischen Republik, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, dem Großherzogtum Luxemburg, der Republik Ungarn, der Republik Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Republik Polen, der Portugiesischen Republik, Rumänien, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem Vereinigten Königreich Großbritan­nien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) und der Republik Kroatien über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union samt Schlussakte

 

1) Entstehungsgeschichte

Nach dem Zerfall Jugoslawiens und den damit einhergegangenen Kriegswirren war die EU zunächst bestrebt, die Region zu stabilisieren und zur Friedenssicherung beizutragen. Dafür wurde mit Entscheidung des Rats für Allgemeine Angelegenheiten am 26. Februar 1996 der sogenannte „Regionale Ansatz“ gewählt, der auf Förderung politischer Stabilität und wirtschaftlicher Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen den neuen Staaten, sowie auf die Entwicklung bilateraler Beziehungen der EU zu diesen abstellte. Zentraler Aspekt dieses „Regionalen Ansatzes“ war das Konzept der Konditionalität. Länder sollten nur bei Erfüllen von allgemeinen und spezifischen Kriterien finanzielle Unterstützung erhalten.

Das dafür vorgesehene Instrument, PHARE („Poland and Hungary: Aid for Restructuring of the Economies“) wurde bereits 1995 auch Kroatien zugänglich gemacht. Zu den allgemeinen Kriterien zählten unter anderem die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und die Einhaltung demokratischer Prinzipien.

Der „regionale Ansatz“ wurde schließlich mit Beschluss des Rats für Allgemeine Angelegenheiten am 21. Juni 1999 in den Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess umgewandelt. Der Europäische Rat in Maria de Feira am 19. und 20. Juni 2000 betonte die damit verbundene Perspektive auf eine Mitgliedschaft in der EU („European perspective“) für alle am Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess beteiligten Länder. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen entspricht etwa dem „Europa-Abkommen“ zwischen der EU und den ehemaligen Kandidatenländern aus Zentraleuropa und verfolgte das Ziel, die Länder an EU-Standards heranzubringen. Dazu zählen insbesondere demokratische Prinzipien und die zentralen Elemente des Binnenmarktes. Neben dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen sollten finanzielle Unterstützung und autonome Handelsmaßnahmen, die den EU-Binnenmarkt für beinahe sämtliche Produkte aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens öffnen, zur Erreichung der politischen und wirtschaftlichen Ziele beitragen. Mit dem Gipfel von Zagreb im November 2000 wurde schließlich der Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess für Kroatien und vier weitere Länder eingeleitet, der zur Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens am 29. Oktober 2001 führte. Die Zeit bis zum tatsächlichen Inkrafttretens des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens am 1. Februar 2005 wurde mit einem Interimsabkommen überbrückt, mithilfe dessen die Bestimmungen über Handel und Handelsfragen angewandt werden konnten.

Am 21. Februar 2003 brachte Kroatien seinen Antrag auf Mitgliedschaft ein. Die Kommission präsentierte hierzu am 20. April 2004 eine positive Stellungnahme („Avis“) und schlug die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen vor. Im Rahmen der Stellungnahme wurden neben den im Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen festgelegten Kriterien insbesondere die vom Europäischen Rat am 22. Juni 1993 festgelegten, sogenannten Kopenhagener Kriterien geprüft:

-       das Erreichen einer Stabilität der Institutionen, welche Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten garantieren (politisches Beitrittskriterium),

-       das Vorhandensein einer funktionierenden Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, demWettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der EU standzuhalten (wirtschaftliches Beitrittskriterium),

-       die Fähigkeit des Kandidaten, die Verpflichtungen aus der Mitgliedschaft zu übernehmen, einschließlich dem Festhalten an den Zielen der politischen, Wirtschafts- und Währungsunion (administrative Kapazität, Umsetzung des Acquis),

-       die Fähigkeit der EU, neue Mitglieder unter Beibehaltung der Geschwindigkeit der europäischen Integration aufzunehmen.

In der Stellungnahme betonte die Kommission darüber hinaus, dass die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien weitergeführt werden müsse und alle Schritte zur Auffindung und Überführung des letzten ausständigen Angeklagten – General Ante Gotovina – an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien durch Kroatien zu ergreifen seien. Auf Grundlage dieser Empfehlung verlieh der Europäische Rat am 17. und 18. Juni 2004 den Kandidatenstatus und beschloss die Aufnahme von Verhandlungen für Anfang 2005. Gleichzeitig wurde der Auftrag zur Ausarbeitung eines Verhandlungsrahmens unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der fünften Erweiterungsrunde erteilt.

Die bereits in den Juni 2004-ER-Schlussfolgerungen enthaltene Aufforderung zur vollen Kooperation mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wurde durch den Europäischen Rat am 16. und 17. Dezember 2004 zu einer Bedingung für eine Aufnahme der Verhandlungen im März 2005 verschärft. Darüber hinaus wurde Kroatien zur Auffindung des letzten nicht an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien überführten Angeklagten aufgefordert. Aufgrund der Uneinigkeit unter den Mitgliedstaaten über die Fortschritte in der kroatischen Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien beschloss schließlich der Rat für allgemeine Angelegenheiten am 16. März 2005 die Vertagung der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen bis zur Feststellung voller kroatischer Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Erst mit dem positiven Bericht der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien sowie dem Versprechen zur Beibehaltung der vollen Kooperation bis zur Auffindung und Überstellung des letzten Angeklagten an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien durch den Kroatischen Premierminister Ivo Sanander, stimmte der Rat für allgemeine Angelegenheiten am 3. Oktober 2005 der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen zu. Am selben Tag wurden die Verhandlungen durch eine Beitrittskonferenz auf Ministerebene eröffnet. Die Frage der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien sollte trotz der Auslieferung von Gen. Gotovina an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien Ende 2005 weiterhin ein heikles Thema in den Beitrittsverhandlungen bleiben.

Der bereits anlässlich des Rats für allgemeine Angelegenheiten am 16. März 2005 angenommene Verhandlungsrahmen enthielt einige Neuerungen gegenüber dem Ansatz der fünften Erweiterungsrunde. Die tiefgreifendsten Änderungen waren dabei die Einführung einer Mehrstufigkeit in den Verhandlungen und die Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte im neuen Kapitel 23 „Judikative und Grundrechte“: Die Mehrstufigkeit des Verfahrens äußert sich darin, dass Kapitel erst eröffnet werden konnten, wenn die vom Rat festgelegten, sogenannten Eröffnungsbenchmarks erfüllt wurden. Ebenso konnten Kapitel erst abgeschlossen werden, wenn die vom Rat festgelegten Abschlussbenchmarks erfüllt wurden. Damit sollte erreicht werden, dass die Verhandlungen nur unter Sicherstellung des Erreichens der europäischen Standards abgeschlossen würden. Die Einführung eines eigenen Kapitels zu Rechtstaatlichkeit und Grundrechten war eine direkte Konsequenz aus Erfahrungen der vorangegangenen Erweiterungsrunde. Dieser Bereich, der rein rechtlich betrachtet nur bruchstückhaft in der EU-Rechtsordnung geregelt ist, sollte in Hinkunft im Detail überprüft werden.

Im Laufe der Verhandlungen zeigte sich schließlich auch, dass die Verhandlungen zu eben diesem neuen Kapitel 23 zu den langwierigsten und schwierigsten zählten. Aufgrund des nur in geringem Ausmaß vorhandenen Besitzstands der EU („Acquis“), aber auch aufgrund der Erfahrungen mit Bulgarien und Rumänien gestiegenen Erwartungen der Bevölkerung in den Mitgliedstaaten, mussten völlig neue Kriterien festgelegt werden. Diese reichten von umfassender Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien über Korruptionsbekämpfung und Minderheitenschutz bis hin zu genauen Vorschriften für die Ausbildung von und den Auswahlprozess für Richter und Staatsanwälte.

Gegenstand der Beitrittsverhandlungen bildete der gesamte Besitzstand der EU („acquis communautaire“), welcher aufgrund der oben aufgeführten Neuerungen für die Verhandlungen nunmehr in folgende Kapitel aufgeteilt wurde:

1: Freier Warenverkehr

2: Freizügigkeit für Arbeitnehmer

3: Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr

4: Freier Kapitalverkehr

5: Öffentliches Auftragswesen

6: Gesellschaftsrecht

7: Rechte am geistigen Eigentum

8:Wettbewerb

9: Finanzdienstleistungen

10: Informationsgesellschaft und Medien

11: Landwirtschaft und ländliche Entwicklung

12: Lebensmittelsicherheit, Tier - und Pflanzenschutzpolitik

13: Fischerei

14: Verkehr

15: Energie

16: Steuern

17: Wirtschaft und Währung

18: Statistik

19: Beschäftigung und Soziales

20: Unternehmen und Industrie

21: Transeuropäische Netze

22: Regionalpolitik und strukturelle Instrumente

23: Judikative und Grundrechte

24: Justiz, Freiheit und Sicherheit

25: Wissenschaft und Forschung

26: Bildung und Kultur

27: Umwelt

28: Verbraucher- und Gesundheitsschutz

29: Zollunion

30: Außenbeziehungen

31: Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik

32: Finanzkontrolle

33: Finanz- und Haushaltsvorschriften

34: Institutionen

35: Sonstiges

Der gesamte Verhandlungsverlauf wurde – wie bereits anlässlich der letzten Verhandlungsrunde – nach folgenden zwei Grundsätzen geführt:

         1.)   Äußerungen einer Verhandlungspartei zu einem Verhandlungskapitel präjudizieren in      keiner     Weise deren Standpunkt zu anderen Kapiteln;

         2.)   Vereinbarungen und Teilvereinbarungen, die im Laufe der Verhandlungen über die           nacheinander geprüften Kapitel erzielt werden, sind erst dann als endgültig zu betrachten, wenn                eine Gesamteinigung erzielt worden ist („nothing is agreed until everything is agreed“).

Durch die Beitrittskonferenzen auf Ministerebene, die vom 3. Oktober 2005 bis zum 30. Juni 2011 tagten, wurden die Voraussetzungen geschaffen alle Verhandlungskapitel vorläufig zu schließen. Der formelle Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit Kroatien erfolgte anlässlich der Beitrittskonferenz auf Ministerebene am 30. Juni 2011. Als Beitrittsdatum wurde unter Vorbehalt der Ratifizierung durch Kroatien und die bestehenden Mitgliedstaaten der 1. Juli 2013 festgelegt. Der Europäische Rat verwies am 23. und 24. Juni und am 9. Dezember 2011 auf die fortlaufende Überprüfung der bis zum Beitritt notwendigen weiteren Reformanstrengungen Kroatiens, insbesondere in den Bereichen Justiz und Grundrechte. Hierzu wird die Kommission in Ergänzung zu den jährlichen Fortschrittsberichten bis zum Beitritt Kroatiens halbjährliche Berichte vorlegen. Der Rat kann allfällig mit qualifizierter Mehrheit notwendige Maßnahmen beschließen.

Die Kommission legte am 12. Oktober 2011 eine positive Stellungnahme zum Beitritt Kroatiens auf Grundlage des Verhandlungsergebnisses vor. Das Europäische Parlament gab am 1. Dezember 2011 nach einvernehmlicher Debatte und nach positiver Empfehlung des österreichischen Berichterstatters Hannes Swoboda mit großer Mehrheit (564:38 bei 32 Enthaltungen) seine Zustimmung zur Aufnahme Kroatiens. Schließlich fasste der Rat Allgemeine Angelegenheiten vom 5. Dezember 2011 den Beschluss, dem Aufnahmeantrag Kroatiens stattzugeben. Dies wurde vom Europäischen Rat am 9. Dezember 2011 bestätigt. Die Unterzeichnung des Beitrittsvertrags und der Schlussakte durch die Staats- und Regierungschefs erfolgte am selben Tag in Brüssel. Gemäß Art. 49 EUV bedarf das gesamte Vertragswerk „der Ratifikation durch alle Vertragsstaaten gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften“. Nachdem das kroatische Parlament am 23. Dezember 2011 eine vorläufige Entscheidung zugunsten eines EU-Beitrittes angenommen hatte, wurde am 22. Jänner 2012 ein Referendum dazu abgehalten, bei dem sich über 66 % der Wähler für einen Beitritt (dagegen: 33 %) aussprachen. Kroatien hat im März innerstaatlich ratifiziert, aber noch nicht die Ratifikationsurkunde hinterlegt.

Die Koordination für die Erstellung der österreichischen Position zu einzelnen Verhandlungskapiteln wurde vom Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten vorgenommen. Das Einvernehmen hierzu wurde mit den für die einzelnen Dossiers federführenden Ressorts und Institutionen sowie mit dem Bundeskanzleramt hergestellt.

Der Nationalrat und der Bundesrat wurden über Stand und Verlauf der Beitrittsverhandlungen laufend informiert.

2) Struktur des Vertragswerks

Das Beitrittsvertragswerk orientiert sich inhaltlich weitgehend an jenem über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumänien zur EU im Jahr 2007 (vgl. BGBl. III Nr. 185/2006). Es finden sich daher im Vertragswerk eine Reihe von Artikeln, die denselben Wortlaut mit den Artikeln aus dem Beitrittsvertrag mit den beiden in der fünften Verhandlungsrunde beigetretenen Mitgliedstaaten aufweisen.

Das Vertragswerk umfasst den Beitrittsvertrag, die Beitrittsakte und Anhänge sowie die Schlussakte samt Erklärungen. Jene Bestimmungen über die aufgrund des Beitritts von einem neuen Mitgliedstaat vorzunehmenden technischen Anpassungen des Sekundärrechts und die Bestimmungen über die Übergangsmaßnahmen sind insbesondere in den Art. 7, 18, 19, 20, 24, 40, 41 und 42 der Beitrittsakte, sowie im Anhang V der Beitrittsakte normiert.

Es ist festzuhalten, dass der Beitrittsvertrag Primärrecht bildet und daher den höchsten Rang im EU-Recht aufweist. Änderungen des Beitrittsvertrags können daher grundsätzlich nur im Rahmen der Vertragsrevision gemäß Art. 49 EUV vorgenommen werden. Auch darf in die Beitrittsakte, deren rechtlicher Status sich vom Beitrittsvertrag herleitet (Art. 1 Abs. 3 des Beitrittsvertrags), grundsätzlich nur im Wege einer Vertragsrevision eingegriffen werden.

Wie die bisherigen Beitrittsverträge sieht der vorliegende Beitrittsvertrag ein Zieldatum für das Inkrafttreten vor, nämlich den 1. Juli 2013. Ein späteres Inkrafttreten für den Fall, dass die erforderlichen Ratifikationsurkunden nicht bis spätestens 30. Juni 2013 hinterlegt werden, ist im Vertrag nicht in Aussicht genommen. Für das Inkrafttreten des Beitrittsvertrages bedarf es daher der Hinterlegung der Ratifikationsurkunden durch alle derzeitigen Mitgliedstaaten sowie durch den neuen Mitgliedstaat vor dem 30. Juni 2013.

Art. 1 Abs. 3 des Beitrittsvertrags verweist auf die Beitrittsakte, dessen Bestimmungen Bestandteil des Beitrittsvertrags sind. Die Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Kroatien zur EU und die Anpassungen der Verträge auf denen die EU beruht, besteht aus 55 Artikeln und den Anhängen I bis IX.

Bei den Bestimmungen der Beitrittsakte, einschließlich ihrer Anhänge, kann man folgende grundlegende Kategorien unterscheiden:

         -      Grundsätze des Beitritts

         -      Aufgrund des Beitritts erforderliche Anpassungen des EU-Primärrechts

         -      Aufgrund des Beitritts erforderliche Anpassungen des EU-Sekundärrechts (so genannte                technische Anpassungen)

         -      Bestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer

         -      Bestimmungen über die Durchführungen der Beitrittsakte

Der erste Teil der Beitrittsakte (Art. 1 bis 8) enthält die Grundsätze des Beitritts, einschließlich der Begriffsbestimmungen. Das entscheidende, dem gesamten Vertragswerk zugrunde liegende Prinzip ist in Art. 2 der Beitrittsakte beschrieben. Ab dem Beitritt sind die ursprünglichen Verträge sowie das Sekundärrecht für den neuen Mitgliedstaat verbindlich. Dies gilt jedoch nur nach Maßgabe der Beitrittsakte: Sohin kommt das bestehende EU Primär- und Sekundärrecht für den neuen Mitgliedstaat in jenen Bereichen, in denen Übergangsmaßnahmen ausgehandelt wurden, inhaltlich entsprechend modifiziert und zeitlich abgestuft zur Anwendung. Das Verhältnis des neuen Mitgliedstaats zu den übrigen Bestandteilen des rechtlichen Besitzstandes der EU (interne Abkommen, Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der EU, Ausnahmeregelung für die Teilnahme an der Wirtschafts- und Währungsunion, völkerrechtliche Beziehungen, nicht verbindliche Akte usw.) ist in den Art. 3 bis 6 geregelt. Für die Beitrittsakte legt deren Art. 7 Abs. 1 entsprechend dem vom Beitrittsvertrag abgeleiteten primärrechtlichen Rang fest, dass diese (einschließlich ihrer Anhänge) grundsätzlich nur durch Vertragsrevision geändert werden kann. Der Art. 7 Abs. 3 der Beitrittsakte stellt hinsichtlich des von den Übergangsbestimmungen der Beitrittsakte berührten Sekundärrechts und hinsichtlich der technischen Anpassungen erleichterte Änderungsvorschriften dar. Art. 8 der Beitrittsakte stellt klar, dass Übergangsmaßnahmen zeitlich befristet sind.

Der zweite Teil der Beitrittsakte hat die Anpassungen der die EU begründenden Verträge zum Inhalt. Inhaltlich sind es hauptsächlich institutionelle Anpassungen (Art. 9 bis 11 der Beitrittsakte), in denen vor allem die Vertretung des neuen Mitgliedstaates in den Organen der EU geregelt wird. Darüber hinaus geht es um Anpassungen des Anwendungsbereichs der die EU begründenden Verträge (Art. 12 bis 14 Beitrittsakte).

Der dritte Teil der Beitrittsakte (Art. 15 bis 17 der Beitrittsakte) betrifft die auf Grund des Beitritts erforderlichen technischen Anpassungen des Sekundärrechts. Im Unterschied zu den im zweiten Teil der Beitrittsakte geregelten Anpassungen des Primärrechts handelt es sich hierbei um mechanische Anpassungen des Sekundärrechts, die angesichts des Umfangs des seit Gründung der EU geschaffenen Sekundärrechts sehr umfassend sind. Im dritten Teil der Beitrittsakte wird auf zwei Anhänge verwiesen, in denen die Anpassungen unmittelbar vorgenommen werden (Anhang III der Beitrittsakte) bzw. Leitlinien hierfür enthalten sind (Anhang IV der Beitrittsakte). Art. 17 des dritten Teils der Beitrittsakte normiert  das Verfahren über Anpassungen in der Gemeinsamen Agrarpolitik.

Der aus vier Titeln zusammengesetzte vierte Teil der Beitrittsakte (Art. 18 bis 26 der Beitrittsakte) ist mit „Bestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer“ umschrieben.

Titel I des vierten Teils der Beitrittsakte trägt die Überschrift „Übergangsmaßnahmen“. Unter diesem Titel finden sich alle Art., die Übergangsmaßnahmen zum Inhalt haben und die für den neuen Mitgliedstaat vereinbart worden sind. Sie werden in einem Anhang der Beitrittsakte gesondert aufgelistet. Dementsprechend verweist Art. 18 der Beitrittsakte auf den Anhang V. In diesem Anhang sind taxativ jene Übergangsmaßnahmen aufgelistet, die gegenüber dem neuen Mitgliedstaat zur Anwendung kommen sollen bzw. vom neuen Mitgliedstaat in Anspruch genommen werden.

Titel II (Art. 19 bis 26 der Beitrittsakte) hat Übergangsmaßnahmen für bestimmte Organe der EU wie der Kommission und dem Europäischen Parlament zum Inhalt.

Titel III (Art. 27 bis 35) normiert Übergangsmaßnahmen für das System der Eigenmittel und den Gesamthaushaltsplan. In diesem Bereich finden sich etwa die Bestimmungen über die pauschale cash-flow-Fazilität, über die Struktur- und Kohäsionsfonds, über die Schengen- sowie über die Übergangsfazilität.

 

Titel IV der Beitrittsakte (Art. 36 bis 44) trägt die Überschrift „Sonstige Bestimmungen“ und enthält die Bestimmungen über den Überwachungsprozess durch die Organe der EU (Art. 36), über die drei Schutzklauseln (Art. 37 die wirtschaftliche Schutzklausel, Art. 38 die Binnenmarkt-Schutzklausel, Art. 39 die Schutzklausel im Bereich Justiz und Inneres), über Grenzkontrollen sowie besondere Verfahrensbestimmungen für die Gemeinsame Agrarpolitik, für die Anwendung veterinär- und pflanzenschutzrechtlicher Bestimmungen und enthält in Art. 44 eine Normierung über die Durchfuhr von Waren bei Neum „Korridor von Neum“ durch das Hoheitsgebiet Bosnien und Herzegowinas.

Der fünfte Teil der Beitrittsakte (Art. 45 bis 55) trägt die Überschrift „Bestimmungen über die Durchführung dieser Akte“ und besteht aus drei Titeln.

Titel I (Art. 45) regelt die Einsetzung der Organe und Gremien, das heißt die auf Grund der Erweiterung der EU erforderliche Änderung der Zusammensetzung und Anpassung der Geschäftsordnungen der Organe sowie einer Reihe von Gremien, darunter auch solcher, die nicht in den die EU begründenden Verträgen, sondern im Sekundärrecht ihre Grundlage haben.

Titel II (Art. 46 bis 52) hat einige Bestimmungen betreffend die Anwendbarkeit des Sekundärrechts zum Gegenstand. Hierbei ist insbesondere auf Art. 46 zu verweisen, der vorsieht, dass alle umsetzungspflichtigen Rechtsakte ab Beitritt auch an Kroatien gerichtet sind, sofern diese Rechtsakte auch an alle derzeitigen Mitgliedstaaten gerichtet worden sind. Zugleich ermöglicht Art. 49 vorübergehende Ausnahmen von diesem Prinzip, der für bestimmte Rechtsakte, welche die Organe zwischen dem 1. Juli 2011 und dem Tag des Beitritts erlassen haben, einen Umsetzungsaufschub vorsieht.

Titel III (Art. 53 bis 54) enthält die Schlussbestimmungen, darunter auch jene Vorschrift, die sämtliche der Beitrittsakte beigefügten Anhänge und Anlagen zum Bestandteil der Beitrittsakte erklärt.

Die neun Anhänge der Beitrittsakte beinhalten zum Teil sehr umfangreiche Listen oder Bestimmungen zu jenen Artikeln der Akte, die auf den jeweiligen Anhang verweisen. Anhang II teilt den Schengen Besitzstand in acht Gruppen auf. Die Anhänge III bis V haben technische Anpassungen zum Inhalt. Die Anhang VI listet Bestimmungen zur Entwicklung des ländlichen Raums auf, Anhang VII die spezifischen Verpflichtungen in Bezug auf Justizreform, Strafverfolgung und Korruptionsbekämpfung. Und die Anhänge VIII bis IX umfassen die Umstrukturierung der kroatischen Schiffsbauindustrie, wie auch der Stahlindustrie.

Die inhaltlich umfangreichsten Anhänge bilden die Übergangsmaßnahmen für den neuen Mitgliedstaat. Im Anhang V finden sich die Übergangsarrangements insbesondere für die Arbeitnehmerfreizügigkeit, für die Erbringung bestimmter grenzüberschreitender Dienstleistungen sowie für den Erwerb landwirtschaftlich genutzter Flächen.

Schlussendlich ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 3 Abs. 4 des Beitrittsvertrages in Verbindung mit Art. 51 der Beitrittsakte der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit weitere notwendige, technische Anpassungen des Sekundärrechts vornehmen wird, die aufgrund des Beitritts von Kroatien erforderlich sind.

Schlussakte:

Der Text der Schlussakte zum Beitrittsvertrag folgt weitgehend dem Schema der Schlussakte zu den bisherigen Beitrittsverträgen.

Eingangs findet sich die Feststellung der Bevollmächtigten, dass folgende Texte im Rahmen der Beitrittskonferenz erstellt und angenommen worden sind:

         -      Beitrittsvertrag

         -      Beitrittsakte in kroatischer Sprache

         -      Anhänge zur Beitrittsakte einschließlich EAG-Vertrag in kroatischer Sprache sowie Wortlaute       des bisherigen EU-Primärrechts in kroatischer Sprache

         -      zugeteilten Menge betreffend Protokoll von Kyoto

In den Punkten 2 und 3 werden die in den Art. 47 und 50 der Beitrittsakte normierten Verfahren für die Anpassung des Beitrittsvertrages betont.

Danach folgen zunächst die Liste und dann die Wortlaute der der Schlussakte beigefügten Erklärungen. Diese Erklärungen haben die Bevollmächtigten zur Kenntnis genommen.

Die Schlussakte ist formalrechtlich nicht Bestandteil des Beitrittsvertrags. Den in ihr aufgenommenen Erklärungen kommt politische aber auch rechtliche Bedeutung zu, da sie von den Bevollmächtigten der 28 Vertragsparteien im Rahmen der Unterzeichnungszeremonie angenommen wurden und deshalb als Übereinkünfte für die Auslegung im Sinne des Art. 31 Abs. 2 lit. a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge anzusehen sind.

Die Schlussakte enthält gemeinsame und einseitige Erklärungen, auf deren formelle Verankerung sich die Vertragsparteien in den Beitrittsverhandlungen erklärt haben.

Bei den Erklärungen sind folgende Unterscheidungen vorzunehmen:

         -      Gemeinsame Erklärung der derzeitigen Mitgliedstaaten

         -      Gemeinsame Erklärung verschiedener derzeitiger Mitgliedstaaten

         -      Gemeinsame Erklärung der derzeitigen Mitgliedstaaten und der Republik Kroatien

         -      Erklärung der Republik Kroatien

Durch den gegenständlichen Staatsvertrag werden die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert. Sein Abschluss bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich.

Die Beschlüsse des Nationalrates sowie des Bundesrates bedürfen gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.

Der Staatsvertrag ist in deutscher, bulgarischer, dänischer, englischer, estnischer, finnischer, französischer, gälischer, griechischer, italienischer, kroatischer, lettischer, litauischer, maltesischer, niederländischer, polnischer, portugiesischer, rumänischer, schwedischer, slowakischer, slowenischer, spanischer, tschechischer und ungarischer Sprachfassung abgefasst, wobei jeder Text gleichermaßen authentisch ist.

Hinsichtlich der Kundmachung des Staatsvertrages hat die Bundesregierung dem Nationalrat vorgeschlagen, gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG zu beschließen, dass die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, irische, italienische, kroatische, lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dadurch kundzumachen sind, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 26. Juni 2012 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen des Berichterstatters Abgeordneten Johann Singer die Abgeordneten Mag. Johann Maier, Herbert Scheibner, Dr. Peter Fichtenbauer und Mag. Wolfgang Gerstl sowie der Staatssekretär im Bundeskanzleramt  Dr. Josef Ostermayer.

 

Bei der Abstimmung wurde einstimmig beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

 

Ebenso wurde einstimmig beschlossen, dass die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, gälische, italienische, kroatische, lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dieses Staatsvertrages gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundzumachen sind, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

 


Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

1.      Der Abschluss des Staatsvertrages: Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, der Republik Bulgarien, der Tschechischen Republik, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Republik Estland, Irland, der Hellenischen Republik, dem Königreich Spanien, der Französischen Republik, der Italienischen Republik, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, dem Großherzogtum Luxemburg, der Republik Ungarn, der Republik Malta, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der Republik Polen, der Portugiesischen Republik, Rumänien, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem Vereinigten Königreich Großbritan­nien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) und der Republik Kroatien über den Beitritt der Republik Kroatien zur Europäischen Union samt Schlussakte (1717 der Beilagen) wird gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 B-VG genehmigt.

2.      Die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, gälische, italienische, kroatische, lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dieses Staatsvertrages sind gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundzumachen, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

 

Wien, 2012 06 26

                                  Johann Singer                                                               Dr. Peter Wittmann

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann