1849 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über die Regierungsvorlage (1796 der Beilagen): Protokoll zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon

 

Damit der am 13. Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs der EU unterzeichnete Vertrag von Lissabon (kurz: VvL) in Kraft treten konnte, war eine Ratifikation durch alle 27 Mitgliedstaaten erforderlich. Im Zuge des irischen Referendums am 12. Juni 2008 sprach sich jedoch die Mehrheit der Abstimmenden gegen die Ratifikation des Vertrags durch Irland aus. Der Europäische Rat (in weiterer Folge: ER) nahm dies auf seiner Tagung am 19./20. Juni 2008 zur Kenntnis. Im Rahmen der Tagung des ER am 11./12. Dezember 2008 informierte der irische Premierminister über die Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des VvL in Zusammenhang mit der Steuerpolitik, Fragen der Familien- und Sozialpolitik und der Ethik sowie der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik hinsichtlich der traditionellen Neutralitätspolitik Irlands (Ausführungen des irischen Premierministers in Anlage 1 zu den Schlussfolgerungen vom 12. Dezember 2008). Weiters brachte er den Staats- und Regierungschefs die irischen Bedenken in Hinblick auf eine Reihe von sozialen Fragen, einschließlich der ArbeitnehmerInnenrechte zur Kenntnis. Der ER kam schließlich – gegen Zusage der irischen Regierung, die Ratifizierung des VvL bis zum Ende der Amtszeit der damaligen Kommission anzustreben – überein, den genannten Anliegen Rechnung zu tragen. Dementsprechend nahm der ER die Gewährung rechtlicher Garantien zu den drei folgenden Punkten in Aussicht:

• Durch den VvL erfolgt für keinen Mitgliedstaat irgendeine Änderung in Bezug auf den Umfang und die Ausübung der Zuständigkeiten der Union im Bereich der Steuerpolitik.

• Der VvL berührt nicht die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Mitgliedstaaten und somit weder die traditionelle Neutralitätspolitik Irlands noch die Verpflichtungen der meisten anderen Mitgliedstaaten.

• Es wird gewährleistet, dass die Bestimmungen der irischen Verfassung betreffend das Recht auf Leben, die Bildung und die Familie weder von dem Umstand, dass der VvL der Charta der Grundrechte der EU einen Rechtsstatus zuweist, noch von den Bestimmungen dieses Vertrags zum Bereich Justiz und Inneres in irgendeiner Weise berührt werden.

Auf der Tagung des ER am 18./19. Juni 2009 wurden ein „Beschluss der im Europäischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon“ (Anlage 1 zu den Schlussfolgerungen vom 19. Juni 2009) und eine „Feierliche Erklärung zu den Rechten der Arbeitnehmer, zur Sozialpolitik und zu anderen Angelegenheiten“ (Anlage 2 zu den genannten Schlussfolgerungen) angenommen. Der ER nahm ferner von der „Nationalen Erklärung Irlands“ (Anlage 3 zu den erwähnten Schlussfolgerungen) Kenntnis. Der Beschluss legt Garantien in den vom ER am 11./12. Dezember 2008 umschriebenen Bereichen fest. Unter Bezugnahme auf den Beschluss erklärten die Staats- und Regierungschefs, dass

         i)     die rechtliche Garantie gegeben wird, dass bestimmte Angelegenheiten, die der irischen Bevölkerung Anlass zur Sorge geben, durch das Inkrafttreten des VvL nicht berührt werden;

         ii)    dessen Inhalt mit dem VvL voll und ganz vereinbar ist und keine erneute Ratifikation des VvL        erforderlich macht;

         iii)   er rechtlich bindend ist und am Tag des Inkrafttretens des VvL wirksam wird;

         iv)  die Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Abschlusses des nächsten Beitrittsvertrags die    Bestimmungen des Beschlusses in ein Protokoll aufnehmen werden, das nach Maßgabe ihrer     jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften dem EUV und dem AEUV beigefügt wird;

         v)   das Protokoll in keiner Weise die Beziehungen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten             verändert. Mit dem Protokoll wird allein darauf abgezielt, den im Beschluss enthaltenen        Klärungen uneingeschränkten Vertragsstatus zu verleihen, damit den Anliegen der irischen Bevölkerung entsprochen wird. Sein Status wird dem ähnlicher Klärungen in Protokollen                entsprechen, die andere Mitgliedstaaten erwirkt haben. Das Protokoll dient der Klärung,     ändert jedoch weder den Inhalt noch die Anwendung des VvL.

Die Zustimmung der irischen Bevölkerung zum Vertrag von Lissabon im Zuge des am 2. Oktober 2009 abgehaltenen zweiten irischen Referendums ermöglichte schließlich die Ratifikation des Vertrags auch durch Irland und ein Inkrafttreten am 1. Dezember 2009.

Aufgrund der politischen Vereinbarung der im ER vereinigten Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten der EU vom 18./19. Juni 2009 hat Irland mit Schreiben vom 20. Juli 2011 dem Rat gem. Art. 48 Abs. 2 EUV einen Vorschlag zur Änderung der Verträge unterbreitet, wonach den Gründungsverträgen der EU das oben erwähnte Protokoll beigefügt werden soll. Der Rat hat den Vorschlag mit Schreiben vom 14. Oktober den nationalen Parlamenten übermittelt. Der ER hat anlässlich seiner Tagung am 23. Oktober 2011 gem. Art. 48 Abs. 3 EUV beschlossen, das EP und die EK zu hören und das EP zu ersuchen, seine Zustimmung zum Absehen von der Einberufung eines Konvents zu erteilen, da in Hinblick auf den Umfang der geplanten Vertragsänderung dessen Einberufung nicht gerechtfertigt sei.

Der ER hat daher mit Schreiben vom 25. Oktober 2011 gemäß Art. 48 Abs. 3 UAbs. 1 EUV das Europäische Parlament und die Europäische Kommission in Hinblick auf einen Beschluss des ER zugunsten einer Prüfung der zu den Verträgen vorgeschlagenen Änderungen konsultiert. Darüber hinaus hat er das EP gemäß Art. 48 Abs. 3 UAbs. 2 EUV um Zustimmung ersucht, von der Einberufung eines Konvents abzusehen, da dessen Einberufung aufgrund des Umfangs der geplanten Vertragsänderung nicht gerechtfertigt sei.

Das EP hat am 18. April 2012 seine Zustimmung zum Verzicht auf die Einberufung eines Konvents und eine befürwortende Stellungnahme in Hinblick auf einen Beschluss des ER zugunsten einer Prüfung der zu den Verträgen vorgeschlagenen Änderungen abgegeben. Die EK hat am 4. Mai 2012 ebenfalls eine befürwortende Stellungnahme abgegeben. In Folge hat der ER am 11. Mai 2012 das Mandat für eine Regierungskonferenz zur Prüfung der Vertragsänderung festgelegt, welche vom Präsidenten des Rates noch am selben Tag für den 16. Mai 2012 einberufen wurde. Die Regierungskonferenz hat sich auf die an den Verträgen vorzunehmenden Änderungen geeinigt. Die Vertragsänderung wurde unter Einem von der Mehrheit der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten zur EU unterzeichnet. Die Unterzeichnung ist bis 30. Juni 2012 möglich.

Wesentlicher Inhalt des Protokolls zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon:

Das Protokoll mit klarstellendem Charakter hält fest, dass weder die Bestimmungen des VvL, die der Charta der Grundrechte der EU Rechtsstatus verleihen, noch die Bestimmungen dieses Vertrags im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts den Geltungsbereich und die Anwendbarkeit des Schutzes des Rechts auf Leben, des Schutzes der Familie und des Schutzes der Rechte in Bezug auf Bildung der Verfassung Irlands berühren und dass durch den VvL für keinen Mitgliedstaat irgendeine Änderung in Bezug auf den Umfang und die Ausübung der Zuständigkeiten der EU im Bereich der Steuerpolitik erfolgt. Weiters enthält das Protokoll klarstellende Bestimmungen in Hinblick auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU und der Mitgliedstaaten, inklusive der traditionellen Neutralitätspolitik Irlands.

Unionsrechtliche Grundlagen:

Ordentliches Vertragsänderungsverfahren.

Gemäß Art. 48 Abs. 2 EUV kann u.a. die Regierung jedes Mitgliedstaats dem Rat Entwürfe zur Änderung der Verträge vorlegen, die vom Rat an den ER weitergeleitet und den nationalen Parlamenten zur Kenntnis gebracht werden müssen. Beschließt der ER nach Anhörung des EP und der EK gemäß Art. 48 Abs. 3 EUV mit einfacher Mehrheit die Prüfung der vorgeschlagenen Änderungen, so beruft der Präsident des ER einen Konvent von Vertretern der nationalen Parlamente, der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten, des EP und der EK ein. Der ER kann jedoch mit einfacher Mehrheit mit Zustimmung des EP beschließen, keinen Konvent einzuberufen, wenn dies aufgrund des Umfangs der geplanten Änderung nicht gerechtfertigt ist. In diesem Fall legt er das Mandat für eine Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten fest. Gemäß Art. 48 Abs. 4 erfolgt die Einberufung der Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten durch den Präsidenten des Rates, um die an den Verträgen vorzunehmenden Änderungen zu vereinbaren. Die Änderungen treten in Kraft, nachdem sie von allen Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer verfassungsrechtlichen Vorschriften ratifiziert worden sind.

 

Die Bundesregierung hat beschlossen, dem Nationalrat vorzuschlagen, anlässlich der Genehmigung des Staatsvertrages zu beschließen, dass die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, irische, italienische, lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dieses Staatsvertrages gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundzumachen sind, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

 

Durch den gegenständlichen Staatsvertrag werden die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert. Sein Abschluss bedarf daher gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 B-VG der Genehmigung durch den Nationalrat. Gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG ist die Zustimmung des Bundesrates erforderlich.

 

Die Beschlüsse des Nationalrates sowie des Bundesrates bedürfen gemäß Art. 50 Abs. 4 B-VG jeweils der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen.

 

Hinsichtlich der Kundmachung des Staatsvertrages hat die Bundesregierung dem Nationalrat vorgeschlagen, gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG zu beschließen, dass die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, irische, italienische,  lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dieses Staatsvertrags gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundzumachen sind, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Staatsvertrag in seiner Sitzung am 26. Juni 2012 in Verhandlung genommen. Die Abgeordnete Angela Lueger berichtete im Ausschuss mündlich über die Vorlage.

 

Bei der Abstimmung wurde mehrstimmig (dafür: S, V, F, G, dagegen: B) beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des Abschlusses dieses Staatsvertrages zu empfehlen.

 

Weiters wurde einstimmig beschlossen, dass die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, irische, italienische, lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dieses Staatsvertrages gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundzumachen sind, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.


Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

1.      Der Abschluss des Staatsvertrages: Protokoll zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon (1796 der Beilagen) wird gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 2 B-VG genehmigt.

2.      Die bulgarische, dänische, englische, estnische, finnische, französische, griechische, irische, italienische, lettische, litauische, maltesische, niederländische, polnische, portugiesische, rumänische, schwedische, slowakische, slowenische, spanische, tschechische und ungarische Sprachfassung dieses Staatsvertrages sind gemäß Art. 49 Abs. 2 B-VG dadurch kundzumachen, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

 

Wien, 2012 06 26

                                  Angela Lueger                                                               Dr. Peter Wittmann

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann