1871 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Umweltausschusses

über den Antrag 1979/A(E) der Abgeordneten Mag. Christiane Brunner, Kolleginnen und Kollegen betreffend vollständige Umsetzung der Aarhus-Konvention

Die Abgeordneten Mag. Christiane Brunner, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 13. Juni 2012 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Die Aarhus-Konvention, welche bereits im Juni 1998 unterzeichnet wurde, räumt BürgerInnen Informationsrechte (1), Mitwirkungsrechte in Genehmigungsverfahren (2) und die gerichtliche Durchsetzung von Umweltrecht im Fall der Verletzung desselben durch Behörden oder Dritte (3) ein. Während die ersten beiden Säulen im Wege von Richtlinien durch die Europäische Union umgesetzt und damit vorgezeichnet wurden, kam es bei der dritten Säule zu keiner Einigung über den Richtlinienvorschlag der Kommission von 2003. Die meisten Staaten, darunter auch Österreich, verweigerten die Diskussion einerseits unter Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip andererseits unter pauschalem Hinweis, es gäbe ohnehin Rechte der Öffentlichkeit.

Die Kommission gab einen Bericht zur Umsetzung von Art 9 Abs 3 der Konvention in Auftrag. Der Österreich betreffende Teil von 2007 (Univ.-Prof. Dr. Rudolf Feik) hielt in der Zusammenfassung ein klares Umsetzungsdefizit fest (http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/compliance/C2010-48/Correspondence/Submissions%20commun%2011.10.2010/Annex_10_MilieuStudy2007Austria_Final_Report.pdf):

Regarding Article 9(3) of the Aarhus Convention, Parliament and the Federal Ministry for the Environment state there is no imperative need for action since there is an existing system of protecting individual interests and other remedies (e.g., ombudsman). But this existing system is quite restrictive. Individuals are entitled to appeals only if they are party to the procedure. Third parties do not have any legal claims; they can only report the (presumptive) violation of environmental law to the administrative authorities and only the latter decide whether or not to withdraw or modify an illegal decision. In exceptional cases an official liability (Amtshaftung) is issued if the inaction causes the complainant harm. Only specific NGOs in very few cases have the right to assert environmental law and to appeal to the next instance, and they cannot appeal to the Administrative Court or the Constitutional Court. Access to justice for NGOs is the exception, not the presumption. Environmental organisations are blocked across a wide range of environmental issues.

Article 9(3) of the Aarhus Convention cannot be said to have been implemented when members of the public have no participatory rights in administrative procedures. The public’s ability to inform authorities of violations that could result in supervisory control proceedings, immediate administrative action or criminal proceedings is obviously insufficient.

 

Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums fand im Juni 2008 eine Vertragsstaatenkonferenz statt. Die Grünen verlangten aus diesem Grunde eine aktuelle Aussprache im Umweltausschuss, welche dann am 19. 6. 2008 stattfand.

Die Parlamentskorrespondenz berichtete u.a. (Nr 592, 23. GP): ‚Abgeordnete Ruperta Lichtenecker (G) monierte, dass die Frage des Zugangs zu Gerichten in Umweltsachen (3. Säule) noch ungelöst sei und wollte dazu die Vorstellungen des Ministers hören.‘ ….,Auch wenn Österreich bei der Umsetzung der Konvention schon sehr weit sei, müsse das Tempo bei der ‚3. Säule‘ erhöht werden, erklärte Umweltminister Pröll in Beantwortung der Fragen. Er sei an den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts mit der Bitte um Beurteilung der damit verbundenen rechtlich hoch komplexen Fragen herangetreten. ‚Die Umsetzung wird geschehen‘, sagte der Minister, ‚aber zuerst müssen wir das rechtlich ausloten.‘ Er hoffe aber, dass die Stellungnahme des Verfassungsdienstes in den nächsten Wochen, jedenfalls aber im Sommer, vorliegen werde.‘

Im Juli 2009 wurden dann von Univ.-Profin MMaga Drin Schulev-Steindl die vom BMLFUW beauftragte Studie ‚Rechtliche Optionen zur Verbesserung des Zugangs zu Gerichten (Access to justice) im österreichischen Umweltrecht gemäß der Aarhus-Konvention (Artikel 9 Abs 3) vorgelegt. Die Studie schlägt ein Umweltrechtsbehelfsgesetz auf Bundes- und auf Landesebene vor, womit insbesondere Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Rechtsinstrumente, um gegen Umweltrechtsvorstöße vorgehen zu können, eingeräumt werden sollen. (http://www.wiso.boku.ac.at/fileadmin/_/H73/H736/Schulev-Steindl/Endb-AarhusKV_Adobe.pdf).

Ein entsprechender Ministerialentwurf blieb jedoch aus. Aus diesem Grunde reichte das Koordinationsbüro der österreichischen Umweltorganisationen (ÖKOBüro) am 13. März 2010 eine Beschwerde beim Aarhus Convention Compliance Comittee (ACCC) in Genf ein. Das BMLFUW beauftragte einen Wirtschaftsanwalt mit der Vertretung, also dem Vorbringen des Ökobüro entgegenzutreten, obwohl die Schulev-Steindl-Studie, die es selbst beauftragt hatte, bereits klaren Handlungsbedarf Österreichs aufgezeigt hatte.

Im März 2012 wurde die Entscheidung des ACCC zugestellt (ACCC/C/2010-48, http://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/compliance/C2010-48/Findings/C48_FindingsAdvUnedCopy.pdf). ‚Demnach ist Österreich dazu verpflichtet, Umweltorganisationen (UO) in allen Umweltmaterien Rechtsmittelbefugnisse (‚Verbandsbeschwerde‘) im Hinblick auf Handlungen, Entscheidungen und Unterlassungen von Privatpersonen und Behörden einzuräumen, um der Verpflichtung des Art 9 Abs 3 nachzukommen (Rn 81). Während das ACCC zur Kenntnis nimmt, dass es im Rahmen von UVP und IPPC-Verfahren sowie bei der Umwelthaftung Rechtsmittel für UO gibt, wird klargestellt, dass dies in allen anderen Bereichen eben nicht der Fall ist. …Das ACCC stellte jedenfalls klar, dass weder das Zivilrecht noch die Umweltanwaltschaften ausreichen, um Art 9 Abs 3 zu entsprechen. Die Verpflichtung zur Einführung von Rechtsschutz für UO beschränkt sich, wie sich aus dem Wortlaut des Abkommens und der Entscheidung des ACCC ergibt, nicht auf Genehmigungsverfahren, sondern umfasst auch die Prüfung von Plänen und Programmen, die Einhaltung von Bescheidauflagen, UVP-Feststellungsverfahren oder andere Handlungen oder Unterlassungen von Privatpersonen und Behörden, die gegen Umweltrecht verstoßen.‘ (Thomas Alge, Aarhus-Entscheidung: Österreich unter Handlungsdruck, Rdu 3/2012).

Sofern Österreich den Empfehlungen des ACCC nicht folgt, wird die Vertragsstaatenkonferenz den ‚non compliance‘- Status Österreichs in zwei Jahren bestätigen. Auch für die EU-Kommission sind die ACCC‑Entscheidungen von Relevanz und könnte sich daraus ein Vertragsverletzungsverfahren ergeben.

Der Handlungsbedarf in Zusammenhang mit dem Umweltinformationsgesetz wird eigens thematisiert werden.

Es ist beschämend, dass Österreich 14 Jahre nach Unterzeichnung noch immer nicht die Aarhus‑Konvention vollständig umgesetzt hat.“

 

Der Umweltausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag in seiner Sitzung am 28. Juni 2012 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Christiane Brunner die Abgeordneten Martina Schenk, Werner Neubauer und Peter Stauber.

 

Bei der Abstimmung fand der Entschließungsantrag 1979/A(E) der Abgeordneten Mag. Christiane Brunner, Kolleginnen und Kollegen nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (dafür: G, B, dagegen: S, V, F).

 

Zum Berichterstatter für den Nationalrat wurde Abgeordneter Johann Rädler gewählt.


 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Umweltausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2012 06 28

                                  Johann Rädler                                                          Mag. Christiane Brunner

                                   Berichterstatter                                                                            Obfrau