1877 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über die Regierungsvorlage (1716 der Beilagen): Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Art. 136 AEUV hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist

 

Der Beschluss des Europäischen Rates Nr. 2011/199/EU vom 25. März 2011 zur Änderung des Art. 136 AEUV hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, ist ein Beschluss zur vereinfachten Änderung des Dritten Teils des AEUV gemäß Art. 48 Abs. 6 EUV, der erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft tritt. Gemäß Art. 23i Abs. 4 B-VG in Verbindung mit Art. 50 Abs. 4 B-VG bedarf dieser Beschluss der Genehmigung des Nationalrats und der Zustimmung des Bundesrats mit erhöhten Quoren.

Die Mitglieder des Europäische Rats stimmten im Rahmen der Tagung vom 28. und 29. Oktober 2010 vor dem Hintergrund des Berichts der Arbeitsgruppe „Wirtschaftspolitische Steuerung“ und zur Gewährleistung eines ausgewogenen und nachhaltigen Wachstums darin überein, dass die Mitgliedstaaten einen ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiet als Ganzes einrichten sollten. Der Präsident des Europäischen Rates wurde ersucht, mit den Mitgliedern des Europäischen Rates Konsultationen über eine begrenzte Vertragsänderung zu führen, die hierzu erforderlich ist, wobei Art. 125 AEUV (Haftungsausschluss für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten, sog. "no bail out-Klausel“) nicht geändert werden solle (Punkt 2 der Schlussfolgerungen).

Die Arbeitsgruppe „Wirtschaftspolitische Steuerung“ wurde durch den Europäischen Rat am 24. und 25. März 2010 eingerichtet und hat sich in den Punkten 4, 46 bis 50 und 57 ihres Abschlussberichtes vom 21. Oktober 2010 mit der Frage eines ständigen Krisenmechanismus auseinandergesetzt. Im Wesentlichen kommt die Arbeitsgruppe zu der Auffassung, dass ein dauerhaftes Nachfolgeinstrument für die im Mai 2010 vereinbarten und bis Mitte 2013 befristeten Schutzinstrumente – die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), eingerichtet am 7. Juni 2010, und der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) – mittelfristig erforderlich sei. Dieses dauerhafte Nachfolgeinstrument müsse ein glaubwürdiger Krisenbewältigungsmechanismus für die dem Euro-Währungsgebiet angehörenden Mitgliedstaaten darstellen, mit dem finanzielle Schwierigkeiten bewältigt werden können und deren Übergreifen auf andere Mitgliedstaaten verhindern könne.

Der Europäische Rat hat sich am 16. und 17. Dezember 2010 mit der Frage einer begrenzten Vertragsänderung nochmals beschäftigt und eine Einigung über den Wortlaut des Entwurfs eines Beschlusses zur Änderung des AEUV erzielt. Die Staats- und Regierungschefs waren sich darin einig, dass der AEUV dahingehend geändert werden sollte, dass die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets einen ständigen Mechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets („Europäischer Stabilitätsmechanismus“) einrichten können. Dieser Mechanismus soll den EFSF und den EFSM, die bis Juni 2013 in Kraft bleiben, ablösen.

Der Europäische Rat beschloss, das vereinfachte Änderungsverfahren gemäß Art. 48 Abs. 6 EUV anzuwenden und unverzüglich einzuleiten, um nach Anhörung der betroffenen Organe den Beschluss im März 2011 förmlich annehmen zu können. Die Zustimmungsverfahren in den Mitgliedstaaten sollten aus Sicht des Europäischen Rates bis Ende 2012 abgeschlossen werden und die Änderung am 1. Jänner 2013 in Kraft treten können.

Die Europäische Kommission gab am 15. Februar 2011 eine befürwortende Stellungnahme zum Beschlussentwurf des Europäischen Rates ab. Die Europäische Zentralbank äußerte sich in ihrer Stellungnahme am 17. März 2011 grundsätzlich ebenfalls positiv. Das Europäische Parlament legte seine Stellungnahme am 23. März 2011 vor.

Anlässlich seiner Tagung am 24. und 25. März 2011 hat der Europäische Rat schließlich den am 16. und 17. Dezember 2010 angenommenen Entwurf unverändert beschlossen. Der Beschluss (2011/199/EU) wurde im ABl. Nr. L 91 vom 06.04.2011 S. 1, veröffentlicht. Gemäß Art. 1 dieses Beschlusses wird dem Art. 136 AEUV folgender Absatz angefügt:

„(3) Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“

Unionsrechtliche Grundlagen:

Der Beschluss des Europäischen Rates zur Änderung von Art. 136 AEUV stützt sich auf den durch den Vertrag von Lissabon neu eingeführten Art. 48 Abs. 6 des EUV. Der Vertrag von Lissabon änderte das Verfahren zur Änderung der die Europäische Union konstituierenden Verträge (einschließlich der Protokolle und Anhänge) grundlegend. Art. 48 EUV unterscheidet nunmehr zwischen einem ordentlichen und zwei Formen des vereinfachten Änderungsverfahrens.

Der vorliegende Beschluss des Europäischen Rates ist im vereinfachten Änderungsverfahren gemäß Art. 48 Abs. 6 EUV erlassen worden. Art. 48 Abs. 6 EUV sieht vor, dass der Europäische Rat einen Beschluss zur Änderung aller oder einzelner Teile der Bestimmungen des Dritten Teils des AEUV (dieser Teil regelt die internen Politikbereiche der Union) erlassen kann. Ein solcher Beschluss darf jedoch nicht zu einer Ausdehnung der Kompetenzen der Union führen. Die Durchführung eines vereinfachten Änderungsverfahrens kann von jedem Mitgliedstaat, der Europäischen Kommission oder dem Europäischen Parlament vorgeschlagen werden. Nach Anhörung des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und – bei institutionellen Änderungen im Währungsbereich – der Europäischen Zentralbank entscheidet der Europäischen Rat einstimmig mit Beschluss.

Ein derartiger Beschluss tritt erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft.

Verfassungsrechtliche Grundlagen:

Gemäß Art. 23i Abs. 4 B-VG ist auf andere (als im Art. 23i Abs. 3 B-VG genannte) Beschlüsse des Europäischen Rates oder des Rates, die nach dem Recht der Europäischen Union erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft treten, Art. 50 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden. Danach bedürfen solche Beschlüsse der Genehmigung des Nationalrates und der Zustimmung des Bundesrates, jeweils in Anwesenheit von mindestens der Hälfte ihrer Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, also mit erhöhten Quoren.

Nach erfolgter Genehmigung wird der Beschluss des Nationalrates und des Bundesrates gemäß Art. 23i Abs. 5 B‑VG unter Anschluss des Beschlusses Nr. 2011/199/EU unter Anwendung des § 5 Abs. 2 des Bundesgesetzblattgesetzes in deutscher Sprache im Bundesgesetzblatt kundgemacht werden. Die übrigen authentischen Sprachfassungen werden dadurch kundgemacht werden, dass sie zur öffentlichen Einsichtnahme im Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten aufliegen.

Der Verfassungsausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage erstmals in seiner Sitzung am 28. Juni 2012 gemeinsam mit den Anträgen 1985/A und 1986/A sowie der Regierungsvorlage 1731 der Beilagen in Verhandlung genommen und beschlossen, gemäß § 37 Abs. 9 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates ein öffentliches Hearing mit Univ.­Prof. Dr. Fritz Breuss, WU-Wien, Univ.-Prof. MMag. Dr. Gottfried Haber, UNI Klagenfurt, Professor Dr. Wilhelm Hankel, Prof. Markus C. Kerber, TU-Berlin, Dr. Barbara Kolm, Hayek-Institut, Mag. Dr. Peter Mooslechner, Österreichische Nationalbank, Univ. Prof. DDr. Michael Potacs, WU­Wien, Prof. Dr. Bernd-Thomas Ramb, UNI GHS Siegen, Univ.-Prof. Dr. Peter Rosner, UNI Wien und Dr. Ulrich Schuh, Eco-Austria durchzuführen. Nach der Berichterstattung durch den Abgeordneten Johann Singer und einleitenden Statements der Bundeministerin für Finanzen Mag. Dr. Maria Theresia Fekter sowie der Expertin und den Experten ergriffen in der Debatte die Abgeordneten Heinz-Christian Strache, Dr. Josef Cap, Josef Bucher, Dkfm. Dr. Günter Stummvoll, Mag. Harald Stefan, Mag. Werner Kogler, Herbert Scheibner, Mag. Christine Muttonen, Mag. Wolfgang Gerstl, Dr. Alexander Van der Bellen, Kai Jan Krainer, Fritz Neugebauer und Dr. Peter Fichtenbauer sowie der Staatssekretär im Bundekanzleramt Dr. Josef Ostermayer und der Ausschussobmann Dr. Peter Wittmann das Wort. Danach wurden die Beratungen vertagt.

Die Wiederaufnahme der Verhandlungen erfolgte am 2. Juli 2012. In dieser Debatte ergriffen die Abgeordneten Mag. Harald Stefan, Herbert Scheibner, Dkfm. Dr. Günter Stummvoll, Dr. Peter Fichtenbauer, Dr. Alexander Van der Bellen, Mag. Sonja Steßl-Mühlbacher, Dr. Johannes Hübner, Dr. Martin Bartenstein, Mag. Albert Steinhauser und Mag. Werner Kogler sowie die Bundesministerin für Finanzen Mag. Dr. Maria Theresia Fekter und der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Dr. Josef Ostermayer das Wort.

Bei der Abstimmung wurde mit Stimmenmehrheit (dafür: S, V, G dagegen: F, B) beschlossen, dem Nationalrat die Genehmigung des gegenständlichen Beschlusses des Europäischen Rates zu empfehlen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle beschließen:

Der Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Art. 136 AEUV hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (1716 der Beilagen), wird gemäß Art. 23i Abs. 4 B-VG genehmigt.

Wien, 2012 07 02

                                  Johann Singer                                                               Dr. Peter Wittmann

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann