2120 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Verkehrsausschusses

über den Antrag 69/A(E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Überarbeitung der StVO (Straßenverkehrsordnung) zugunsten des Radverkehrs und der Zufußgehenden

Die Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Entschließungsantrag am 25. November 2008 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Radfahren hat viele Vorteile.

                         - Radfahren ist preiswert - das gilt gleichermaßen für die NutzerInnen und die Infrastrukturbereitstellung. Die Mobilitätskosten für Radfahrende sind sehr gering. Radverkehrsförderung ist preiswerter als die Förderung jedes anderen Verkehrsmittels.

                         - Radfahren ist umweltfreundlich und leistet somit einen Beitrag zum Klimaschutz sowie zur Verbesserung der Umwelt- und Lebensqualität, da es leise ist und keinerlei Schadstoffe in die Luft ausstößt. Es verringert die Abhängigkeit vom Öl wirkungsvoll, weil es die energieeffizienteste Fortbewegungsart ist.

                         - Radfahren ist stadt- und ortsverträglich, weil es wenig Platz beansprucht und eine gezielte Förderung des Radverkehrs den Autoverkehr mit all seinen Problemen für die Städte und Orte verringern hilft.

                         - Das Rad lässt sich – im Sinne des ‚Umweltverbunds‘ - gut mit dem öffentlichen Verkehr verknüpfen, sei es bei der Mitnahme oder im Vor- bzw. Nachlauf.

                         - Radfahren ist gesund, weil es für körperliche Bewegung sorgt und viele Sinne anreizt. Regelmäßiges Radfahren vermindert insbesondere das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einigen Erkrankungen des Verdauungstraktes. Dadurch bleiben Menschen länger gesund, und zusätzlich wird Geld im Gesundheitsbereich eingespart. Jeder gefahrene Fahrrad-Kilometer erspart der Allgemeinheit 15 Cent an Gesundheitskosten.

                         - Das Fahrrad ist schließlich auch ein Wirtschaftsfaktor, nicht nur für die Hersteller und das Zweiradgewerbe, sondern insbesondere auch für die Tourismus- und Freizeitwirtschaft, denn Radtourismus in Österreich ist ‚in‘ und sorgt für hohe Umsätze. Fahrradfreundlichkeit ist daher auch ein touristisch bedeutsamer Standortfaktor.

                         - Radfahren macht nicht zuletzt Spaß und ist für viele Wege das schnellste Verkehrsmittel.

Der Radverkehr ist ein wesentliches Element des Verkehrsgeschehens. Als schadstofffreie und zudem gesundheitsfördernde Art der Fortbewegung ist der Radverkehr Bestandteil des ‚Umweltverbundes‘, der einer der Hauptansatzpunkte für eine Senkung der Umwelt-, Klima- und Gesundheitsbelastung aus dem Verkehr ist. Dass der Umweltverbund auch hilft, die stark gestiegenen Mobilitätskosten einzudämmen, ist ein zusätzlicher sozialpolitischer Mehrwert. Radverkehr sichert generell auch Mobilität für eine große Gruppe von Menschen - insbesondere Ältere, Frauen und junge Menschen -, die nicht über ein Kraftfahrzeug verfügen und in der großen Zahl von Orten und Regionen ohne oder ohne qualitativ ausreichendes öffentliches Verkehrsangebot leben.

Trotz all der genannten Vorteile könnte weit mehr Fahrrad gefahren werden. Das Potenzial des Radverkehrs in Österreich ist mit einem durchschnittlichen Anteil von nur 5% bei weitem nicht ausgeschöpft. Ähnliches gilt für das Zufußgehen, wobei Fußgängerfreundlichkeit zugleich ein wichtiger Beitrag zur Barrierefreiheit im Verkehr ist - spätestens in einer alternden Gesellschaft eine Frage, die alle auch persönlich betrifft.

Der gewaltige Rückstand Österreichs zur Fahrradnutzung in den Niederlanden oder Dänemark sowie zu Vorzeigestädten in Deutschland oder Oberitalien lässt sich aber nicht aus Topographie oder Witterung erklären. Zahlreiche, nicht zuletzt in Planung, Politik und Verwaltung weit verbreitete Vorurteile gegen das Radfahren, wie das überschätzte Unfallrisiko, die - in anderen Ländern offenbar nicht gegebene? - Witterungsabhängigkeit, unnötig hohe Infrastrukturkosten durch die angeblich unumgänglichen separierten Wege sind fachlich in den vergangenen Jahren widerlegt worden. Für die bisherige Nichtausnutzung der Potenziale beim Radfahren und Zufußgehen ist hauptverantwortlich, dass Planungs-, Bau- und Straßenverkehrsrecht nur unzureichend auf die Interessen der Zufußgehenden und der Radfahrenden eingehen. Im Rahmen der konkreten Ausgestaltung des vielzitierten ‚Miteinander‘ aller VerkehrsteilnehmerInnen wurde motorisierten VerkehrsteilnehmerInnen in den letzten Jahrzehnten sukzessive auf Kosten der anderen VerkehrsteilnehmerInnen Vorrang eingeräumt und Platz gegeben. Eine übertriebene Sondergesetzgebung speziell für den Radverkehr, die zu Nachteilen und Undurchschaubarkeiten führt, hat sich ebenfalls als untauglich und konfliktträchtig erwiesen.

Ergebnis der Kfz-zentrierten Rechts- und Vollzugspraxis im Straßenverkehr ist, dass das Unfallrisiko nichtmotorisierter VerkehrsteilnehmerInnen steigt und dass dort, wo vereinzelt doch Maßnahmen zu Gunsten der ‚Nichtmotorisierten‘ rechtlich verankert werden, die Akzeptanz vieler motorisierter VerkehrsteilnehmerInnen dafür fehlt.

In Österreich sind 50% der mit dem PKW zurückgelegten Fahrten unter 5 km Distanz, ein Viertel der Fahrten gar unter 2 km, 10% unter 1 km. Viele dieser Kurzstreckenfahrten wären bei entsprechend attraktivem Umfeld und verbesserten Rahmenbedingungen problemlos durch Fahrten mit dem Fahrrad oder sogar durch Zufußgehen ersetzbar. Zugleich liegt Österreich, was die Nutzung des Fahrrads als umwelt- und klimafreundliches Verkehrsmittel anbelangt, mit dem erwähnten Modal-Split-Anteil von nur 5% im internationalen Vergleich im hintersten Drittel. Durch ein Heranführen an international übliche Größenordnungen beim Radverkehrsanteil könnten jährlich zehntausende Tonnen Treibstoff eingespart und damit hunderte Tonnen Stickoxide sowie weit über hunderttausend Tonnen CO2 vermieden werden.

Für eine Energiewende samt Effizienzsprung auch im Verkehrsbereich ist eine rasche Stärkung des Radfahrens und Zufußgehens somit unumgänglich nötig.

Über die vielfältigen ungenutzt bleibenden Möglichkeiten in diesem Feld legen erfolgreiche Pilotprojekte immer wieder ein beredtes Zeugnis ab. So konnte am Beispiel einer konkreten österreichischen Kleinstadt nachgewiesen werden, dass in einer guten Rad-Infrastruktur und der zusätzlichen Motivation, diese zu nutzen, das größte Potential zum Verkehrssparen in dieser in allen österreichischen Bundesländern reichlich vertretenen Siedlungsform liegt.

In einer Vielzahl von Regierungsdokumenten und anderen Äußerungen von hoher staatlicher Ebene wird eine Stärkung des Radfahrens und Zufußgehens empfohlen und eingemahnt. Einige Beispiele:

                         - Im Regierungsübereinkommen vom Jänner 2007 wurde das Ziel eines Radverkehrsanteils von 10% (also eine Verdopplung gegenüber derzeit) bis 2015 als Beitrag insbesondere zur Reduktion der Treibhausgasemissionen des Verkehrs festgeschrieben.

                         - Die Klimastrategie 2007 fordert (wie ähnlich schon die Klimastrategie 2002!) im Rahmen des Maßnahmenpakets ‚Förderung des Rad- und Fußgängerverkehrs‘ explizit die ‚Novellierung und Überarbeitung rechtlicher Rahmenbedingungen zu Gunsten der Radfahrer und Fußgänger (z.B. StVO, RVS-Richtlinien‘ durch den und (BMVIT). Als Umsetzungszeitraum hält die Klimastrategie ‚2007‘ fest.

                         - Der 8. Umweltkontrollbericht, der am 28.6.2007 veröffentlicht wurde, fordert die ‚zügige und umfassende‘ Umsetzung der Verkehrsmaßnahmen der Klimastrategie und empfiehlt für den Fall, dass dies nicht ausreichen sollte, sogar bereits ‚weitere Maßnahmen‘ unter anderem im Bereich der ‚Förderung des Rad- und Fußgängerverkehrs‘. Ähnliche Überlegungen und Formulierungen sind bereits früheren Umweltkontrollberichten aus den Jahren 2004 und 2001 zu entnehmen.

                         - Auch im Rahmen des ‚Masterplans Radfahren‘, der – nachdem die Grünen bereits in der XXI. (1999-2002) und in der XXII. Gesetzgebungsperiode (2002-2006) des Nationalrats entsprechende Anträge eingebracht hatten – im Herbst 2006 durch den Umweltminister vorgelegt wurde, wird der Maßnahme ‚Novellierung der Straßenverkehrsordnung (StVO) und Anpassung von Richtlinien und Normen auf Bundesebene‘ hohes Gewicht eingeräumt und unter anderem ‚sehr hohe‘ Maßnahmeneffizienz attestiert.

                         - Schließlich haben sich auch andere Gebietskörperschaften entsprechend geäußert. So wird in der Resolution des 57. Österreichischen Städtetags Linz (1.6.2007) unter anderem festgehalten: ‚Der Österreichische Städtebund (...) gibt seiner Meinung Ausdruck, dass für eine weitere Hebung der Verkehrssicherheit in Ballungszentren und Städten entsprechende legistische Vorkehrungen in der Straßenverkehrsordnung zu treffen sind. Diese sollen vor allem Benachteiligungen für FußgängerInnen, RadfahrerInnen und Schienenfahrzeuge beseitigen sowie einer verbesserten Verständlichkeit der Regelungen der StVO dienen.‘

                         - Nunmehr enthält das Regierungsprogramm vom 23.11.2008 erneut die eigentlich unmissverständliche Formulierung der Verdopplung des Radanteils auf 10% (wenn auch nunmehr ohne Frist) und kündigt einmal mehr die Umsetzung des Masterplans Radfahren von 2006 und ‚die Schaffung radverkehrsfreundlicher rechtlicher Rahmenbedingungen‘ an.

Es ist dringend nötig, diesen Ankündigungen, Empfehlungen und Forderungen endlich nicht nur punktuell, sondern auf breiter Front konkrete Maßnahmen folgen zu lassen.

Auch haben sich ‚StVO-Sprache‘ und Umgangssprache seit den 1960er-Jahren auseinander entwickelt, beispielsweise ist für viele VerkehrsteilnehmerInnen nicht mehr selbsterklärend, dass bei ‚Straßenbenützer‘ nicht nur Kfz gemeint sind.

In den entsprechenden Passagen der StVO wäre daher dies zu klären, es wären die Rücksichtnahme auf nichtmotorisierte VerkehrsteilnehmerInnen explizit zu verankern und hervorzuheben sowie die Rechte der Nichtmotorisierten zu stärken.

Zu einer radfahrerInnen- und fußgängerInnenfreundlichen StVO-Überarbeitung gehört auch das Unterlassen beabsichtigter kontraproduktiver Maßnahmen sowie das Weiterverfolgen wichtiger flankierender Forderungen:

                         - An die u.a. auch im Masterplan Radfahren verankerte Forderung nach begleitender ‚Geschwindigkeitsdämpfung im Kfz-Verkehr‘ sei hier ausdrücklich erinnert.

                         - die Einführung einer Helmpflicht wäre wegen der entgegenstehenden Faktenlage - kein höherer Anteil an Kopfverletzungen im Vergleich zu Auto-Insassen! – unsachlich und daher zu überdenken,

                         - ebenso wäre Entwicklungen wie in einzelnen Nachbarländern, wo Warnwestentragepflichten für nichtmotorisierte VerkehrsteilnehmerInnen eingeführt werden, mit Nachdruck entgegenzutreten, da derlei ebenfalls dem Ziel im Weg stünde, den Anteil des Radfahrens und Zufußgehens am Modal Split auszubauen und die – eigentlich unabhängig von Bekleidung o.ä. selbstverständliche – Rücksichtnahme der motorisierten Verkehrsteilnehmer zu verbessern.

                         - Weiters wäre es dringend nötig, korrespondierende und nachgelagerte Rechtsmaterien ebenso zu überarbeiten. Insbesondere ist die Fahrradverordnung (BGBl. II Nr. 146/2001), um willkürliche und nicht nur für ausländische Benutzer heimischer Radverkehrsanlagen unverständliche sowie auch tw nicht mehr zeitgemäße Regelungen (Positionierung des Kindersitzes, Beleuchtungsvorschriften, ...) zu bereinigen bzw. zu aktualisieren.“

 

Der Verkehrsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag erstmals in seiner Sitzung am 24. Juni 2009 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Abgeordneten Dr. Gabriela Moser die Abgeordneten Mag. Josef Auer, Dipl.-Ing. Gerhard Deimek, Mag. Rosa Lohfeyer, Mag. Karin Hakl, Dietmar Keck, Christoph Hagen, Wilhelm Haberzettl, Mag. Christiane Brunner, Franz Eßl, Peter Stauber, Dr. Harald Walser, Bernhard Vock, Erich Tadler, DDr. Franz Königshofer, Gabriele Binder-Maier, Mario Kunasek, Dr. Ferdinand Maier sowie die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures. Auf Antrag der Abgeordneten Mag. Rosa Lohfeyer wurden die Verhandlungen vertagt.

In der Debatte am 28. Juni 2011 ergriffen die Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Dr. Ferdinand Maier, Christoph Hagen, Johann Singer, Gabriele Binder-Maier, Dipl.-Ing. Gerhard Deimek, Johann Rädler, Sigisbert Dolinschek sowie die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures das Wort. Auf Antrag des Abgeordneten Dr. Ferdinand Maier wurden die Verhandlungen abermals vertagt.

Der Verkehrsausschuss hat den gegenständlichen Entschließungsantrag wieder in seiner Sitzung am 12. Dezember 2012 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Dr. Franz-Joseph Huainigg, Gabriele Binder-Maier, Dr. Gabriela Moser, Dr. Martin Bartenstein, Sigisbert Dolinschek, Mathias Venier, Dipl.-Ing. Gerhard Deimek, Johann Rädler, Bernhard Vock, Mag. Karin Hakl, Mag. Kurt Gaßner sowie die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie Doris Bures.

Bei der Abstimmung fand der Entschließungsantrag 69/A(E) der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Kolleginnen und Kollegen nicht die Zustimmung der Ausschussmehrheit (für den Antrag: G, dagegen: S, V, F, B).

Zum Berichterstatter für den Nationalrat wurde Abgeordneter Johann Hell gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verkehrsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2012 12 12

                                    Johann Hell                                                                       Anton Heinzl

                                   Berichterstatter                                                                           Obmann