2160 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Regierungsvorlage

Vereinbarung zwischen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden über eine risikoaverse Finanzgebarung

Der Bund, vertreten durch die Bundesregierung, und

die Länder Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien, jeweils vertreten durch den Landeshauptmann bzw. die Landeshauptfrau, sowie die Gemeinden, vertreten durch den Österreichischen Gemeindebund und den Österreichischen Städtebund

sind – gestützt auf Art. 15a Abs. 1 B-VG, auf das Bundesverfassungsgesetz über Ermächtigungen des Österreichischen Gemeindebundes und des Österreichischen Städtebundes und auf § 17 des Finanz-Verfassungsgesetzes 1948 – übereingekommen, nachstehende Vereinbarung über eine risikoaverse Finanzgebarung zu schließen:

Artikel 1

Risikoaverse Ausrichtung der Finanzgebarung der Gebietskörperschaften

Bund, Länder und Gemeinden stimmen überein, dass die Finanzgebarung des Sektors Staat risikoavers auszurichten ist und werden daher folgende Grundsätze in ihrer Finanzgebarung, insbesondere bei der Aufnahme von Schulden, beim Schuldenportfoliomanagement, bei der Veranlagung öffentlicher Mittel und beim Risikomanagement umsetzen:

           1. Grundsatz einer risikoaversen Finanzgebarung unter Festlegung von Richtlinien für das Risikomanagement für alle relevanten Risikoarten, insbesondere die Risikoarten Kredit-, Markt-, Liquiditäts-, Reputations-, Rechts- und operationelles Risiko. Die Länder werden ihre Richtlinien jeweils nach Anhörung des Bundes erlassen, der Bund wird seine Richtlinien nach Anhörung der Länder erlassen, davon sind unternehmensspezifische Daten (wie zB Linien für einzelne Kreditinstitute) ausgenommen. Dieser Grundsatz bedeutet insbesondere, keine vermeidbaren Risiken einzugehen (unter anderem keine offenen Fremdwährungsrisiken, Abschluss von derivativen Finanzinstrumenten nur mit entsprechendem Grundgeschäft) und dass Kreditaufnahmen nicht zum Zweck mittel- und langfristiger Veranlagungen erfolgen dürfen.

           2. Grundsatz einer strategischen Jahresplanung bezüglich Schulden- und Liquiditätsmanagement entsprechend den Vorgaben durch die hiefür zuständigen Organe.

           3. Grundsatz der Umsetzung einer Aufbau- und Ablauforganisation unter Einhaltung der personellen Trennung von Treasury/Markt und Risikomanagement/Marktfolge (Vier-Augen Prinzip). Die handelnden Personen müssen abhängig von ihren Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen.

           4. Grundsatz der Transparenz über getätigte Transaktionen:

                a) Die Kontrolle der Finanzgebarung und Einhaltung des Spekulationsverbots erfolgt durch das Österreichische Koordinationskomitee gemäß dem Österreichischen Stabilitätspakt 2012 (ÖStP 2012), BGBl. I Nr. 30/2013, bzw. durch das vergleichbare Gremium einer Nachfolgeregelung.

               b) Das Österreichische Koordinationskomitee berät auf Basis der Berichte der Kontrollgruppe über Maßnahmen zur Verbesserung der Ausrichtung der Finanzgebarung der Gebietskörperschaften.

                c) Die Vorbereitung der Besprechungen hat durch eine aus vier Fachleuten bestehende Kontrollgruppe zu erfolgen. Zwei Mitglieder werden vom Bund und zwei weitere Mitglieder werden von den Ländern nominiert.

               d) Einheiten des Sektors Staat gemäß ESVG haben einmal jährlich bis 31. Mai einen Bericht über alle im Vorjahr neu getätigten Transaktionen zur Finanzierung des jeweiligen Haushalts und einen detaillierten Bericht zum jeweiligen Schuldenstand zu erstellen und der Kontrollgruppe zu übermitteln. Der erste bzw. – wenn dies aus organisatorischen Gründen beim ersten Bericht nicht möglich ist – der zweite derartige Bericht hat auch einen Bericht über die gesamten bestehenden Transaktionen zu enthalten. Berichte gemäß Art. 6 des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (VSKS) betreffend die Emissionspläne der Gebietskörperschaften sind ebenfalls der Kontrollgruppe zu übermitteln.

                e) Für die Berichte gemäß lit. d gilt:

                     ea) Rechtsträger im Verantwortungsbereich des Bundes und der Länder im Sinne des Art. 13 Abs. 3 ÖStP 2012 bzw. einer vergleichbaren Bestimmung einer Nachfolgeregelung übermitteln ihre Berichte an den Bund bzw. an das jeweilige Land, welche diese und ihre eigenen Berichte an die Kontrollgruppe übermitteln;

                     eb) Rechtsträger im Verantwortungsbereich der Gemeinden im Sinne des Art. 13 Abs. 3 ÖStP 2012 bzw. einer vergleichbaren Bestimmung einer Nachfolgeregelung melden an die Gemeinde, welche diese und ihren eigenen Bericht in elektronischer Form über die Bundesanstalt Statistik Austria an die Kontrollgruppe übermitteln;

                     ec) Sonstige Rechtsträger der Teilsektoren S.1311 (Bund), S.1312 (Länder), S.1313 (Gemeinden) und S.1314 (Sozialversicherung) mit Ausnahme der im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zusammengefassten Träger der Sozialversicherung gemäß Europäischem System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen (ESVG) melden unmittelbar an die Kontrollgruppe;

                     ed) Die näheren Bestimmungen über Form und Inhalt der Berichte werden vom Österreichischen Koordinationskomitee festgelegt, insbesondere auch darüber, ob und inwieweit diese Berichte auf elektronischem Weg und über Datenschnittstellen zu legen sind. Das Österreichische Koordinationskomitee kann auch andere Übermittlungswege als die in den sublit. ea bis ec genannten festlegen sowie abweichende Fristen sowie häufigere Berichtstermine.

                f) Die Kontrollgruppe berichtet dem Österreichischen Koordinationskomitee über die Kontrolle der Finanzgebarung und der Einhaltung des Spekulationsverbots; sofern ein sanktionsrelevanter Sachverhalt festgestellt wird, ist dem betroffenen Rechtsträger zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von vier Wochen einzuräumen. Auf Basis der Berichte der Kontrollgruppe informiert das Österreichische Koordinationskomitee unter Anschluss allfälliger abweichender Stellungnahmen die Bundesanstalt Statistik Österreich und den Österreichischen Staatsschuldenausschuss.

           5. Die Grundsätze der Z 1 bis 4 sind auch einzuhalten, wenn ein Rechtsträger des Sektors Staat seine Finanzgeschäfte teilweise oder zur Gänze an Dritte auslagert.

Artikel 2

Sanktion

(1) Bei Zuwiderhandlung gegen die oben definierten Grundsätze und Vorgaben ist ein Sanktionsbeitrag bis zu 15 % der Bemessungsgrundlage zu leisten. Die Bemessungsgrundlage bildet das der spekulativ getätigten Transaktion zugrundeliegende Nominale.

(2) Der Sanktionsbeitrag ist vom Bund, von den Ländern und von den Gemeinden bei Zuwiderhandlung der Gebietskörperschaft selbst sowie sonstiger Rechtsträger der Gebietskörperschaften im Verantwortungsbereich der jeweiligen Gebietskörperschaften im Sinne des Art. 13 Abs. 3 ÖStP 2012 bzw. einer vergleichbaren Bestimmung einer Nachfolgeregelung zu leisten.

(3) Jedes Mitglied des Österreichischen Koordinationskomitees kann bei vermuteten Verstößen des Bundes oder eines Landes oder eines Rechtsträgers im Verantwortungsbereich des Bundes bzw. der Länder im Sinne des Art. 13 Abs. 3 ÖStP 2012 bzw. einer vergleichbaren Bestimmung einer Nachfolgeregelung den Rechnungshof bzw. bei vermuteten Verstößen einer Gemeinde oder eines Rechtsträgers im Verantwortungsbereich der Gemeinde die jeweilige zuständige Aufsichtsbehörde des Landes um ein Gutachten ersuchen, ob im Widerspruch zu dieser Vereinbarung stehende spekulative Transaktionen von Vertragsparteien (Art. 1 Z 1) oder sonstige Mängel in der Gebarung (Art. 1 Z 2 und 3) vorliegen.

(4) Wird durch den Rechnungshof bzw. die Aufsichtsbehörde des Landes nach vorheriger Einholung einer Stellungnahme der betroffenen Gebietskörperschaft festgestellt, dass ein sanktionsrelevanter Sachverhalt vorliegt, ist ein Schlichtungsgremium zu befassen und unverzüglich einzuberufen. Das Schlichtungsgremium entscheidet – wiederum nach vorheriger Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaft – über die Verhängung des Sanktionsbeitrags einvernehmlich.

(5) Für das Schlichtungsgremium, die Möglichkeit der Anrufung eines Schiedsgerichts sowie die Aufteilung eines Sanktionsbeitrags gelten die Bestimmungen des Art. 19 Abs. 2 erster und zweiter Satz, Abs. 3 bis 6 und 11 sowie Art. 22 Abs. 4 ÖStP 2012 bzw. die vergleichbaren Bestimmungen einer Nachfolgeregelung sinngemäß.

(6) Gutachten der Aufsichtsbehörde gemäß Abs. 3 sowie allfällige Stellungnahmen der Gebietskörperschaften sind auch auf der Homepage des Amtes der Landesregierung in unverkürzter Form mindestens einen Monat lang zu veröffentlichen. Für den Fall, dass eine Sanktion verhängt wird, sind die Gutachten des Rechnungshofs bzw. der Aufsichtsbehörde des Landes und Beschlüsse des Schlichtungsgremiums und des Schiedsgerichts sowie allfällige Stellungnahmen der Gebietskörperschaften in unverkürzter Form auf der Homepage des Bundesministeriums für Finanzen und der jeweils betroffenen Gebietskörperschaft mindestens ein Monat lang zu veröffentlichen. Sonstige Übermittlungs- und Veröffentlichungspflichten für Berichte des Rechnungshofs werden durch diese Vereinbarung nicht berührt.

(7) Ein Sanktionsbeitrag wird vom Bundesminister für Finanzen ehestmöglich von den Ertragsanteilen der betreffenden Gebietskörperschaft einbehalten.

Artikel 3

Gesetzliche Umsetzung

(1) Bund und Länder werden diese Grundsätze und Regeln gesetzlich verbindlich für sich in Kraft setzen, die Länder in ihrem Wirkungsbereich sinngemäß auch für die Gemeinden. Ebenso werden entsprechende Regelungen für die Sozialversicherung und für die sonstigen den Gebietskörperschaften zuzuordnenden ausgegliederten Rechtsträger des Sektors Staat getroffen werden.

(2) Soweit ein Festhalten an der Einhaltung der in Art. 1 Z 3 geforderten personellen Trennung aufgrund der Größe einer Gemeinde nicht verhältnismäßig ist, kann der Landesgesetzgeber für diese Gemeinden Ausnahmen von der Funktionstrennung vorsehen, wenn das Volumen der Transaktionen der Gemeinde einen vom Österreichischen Koordinationskomitee festzulegenden Wert nicht übersteigt und wenn die Transaktionen einfach strukturiert sind.

Artikel 4

Hinterlegung

Diese Vereinbarung wird in einer Urschrift ausgefertigt. Die Urschrift wird beim Bundeskanzleramt hinterlegt. Dieses hat allen Vertragsparteien beglaubigte Abschriften der Vereinbarung zu übermitteln.

Artikel 5

Inkrafttreten

(1) Diese Vereinbarung tritt für die jeweiligen Vertragsparteien in Kraft, sobald

           1. die nach den Landesverfassungen erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten wenigstens durch ein Land erfüllt sind und beim Bundeskanzleramt die Mitteilung des Landes darüber vorliegt sowie

           2. die nach der Bundesverfassung erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten für den Bund erfüllt sind.

(2) Für weitere Länder tritt die Vereinbarung in Kraft, sobald die nach der jeweiligen Landesverfassung erforderlichen Voraussetzungen für das Inkrafttreten erfüllt sind und beim Bundeskanzleramt eine Mitteilung des jeweiligen Landes darüber vorliegt.

(3) Diese Vereinbarung ist, unbeschadet der Übergangsregelung gemäß Abs. 4, auf alle nach dem Inkrafttreten gesetzten Maßnahmen der Finanzgebarung (Art. 1) anzuwenden. Bei Maßnahmen der Finanzgebarung, die vor dem Inkrafttreten der Vereinbarung getroffen worden sind, gelten die für diese Maßnahmen bestehenden Regelungen und Vorgaben weiter. Die zur Durchführung dieser Vereinbarung notwendigen bundes- und landesgesetzlichen Regelungen sind von den Vertragsparteien bis längstens drei Monate nach dem Tag, in dem die Vereinbarung für sie jeweils in Kraft tritt, zu treffen und in Kraft zu setzen. Die sonstigen für die Umsetzung der Vereinbarung erforderlichen Maßnahmen sind ehestmöglich zu treffen.

(4) Auch nach dem Inkrafttreten der Vereinbarung können entgegen den Grundsätzen in Art. 1 Z 1 bei Vertragsbeziehungen, die vor dem 1. Jänner 2013 eingegangen wurden,

           1. mit diesen im direkten Zusammenhang stehende Anschlussfinanzierungen (Rollierungen) und risikoreduzierende Absicherungen bestehender Geschäfte vereinbart werden, und

           2. weitere Vertragsbeziehungen für das Management des Portfolios, ohne das Nominale zum Stichtag 31. Dezember 2012 durch Zuführung von Mitteln zu erhöhen, vereinbart werden, insoweit die Finanzgeschäfte eines Rechtsträgers des Sektors Staat im Rahmen eines Finanzmanagements an Dritte ausgelagert wurden (Art. 1 Z 5),

wenn in den beiden Fällen

           a. der Rechtsträger bis 31. Oktober 2013 dem Österreichischen Koordinationskomitee eine geeignete Strategie für einen stufenweisen Abbau der Verträge, die in Widerspruch zu den Grundsätzen gemäß Art. 1 stehen, bis zum Ablauf des 31. Dezember 2016 übermittelt, und

           b. der Rechtsträger seine Vertragsbeziehungen gemäß dieser Strategie bis zum Ablauf des 31. Dezember 2016 tatsächlich anpasst.

Die Strategie für den stufenweisen Abbau kann mit Zustimmung des Österreichischen Koordinationskomitees einen späteren Endtermin als 31. Dezember 2016 vorsehen, wenn dies aufgrund des Volumens oder der Art der betroffenen Vertragsbeziehungen den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entspricht und das damit verbundene Risiko vertretbar ist.

(5) Die für die Berichterstattung der Gemeinden erforderlichen technischen sowie rechtlichen Voraussetzungen gemäß Art. 1 Z 4 lit. e sublit. eb werden ehestmöglich, längstens aber bis 31.12.2013 vorgenommen. Die Gemeinden unterstützen dieses Vorhaben und wirken an der Erarbeitung der Voraussetzungen mit.

(6) Das Bundeskanzleramt wird den anderen Vertragsparteien die Erfüllung der Voraussetzungen nach Abs. 1 oder Abs. 2 mitteilen.

(7) Bei einem ersatzlosen Außerkrafttreten des ÖStP 2012 oder einer seiner Nachfolgeregelungen sind die Bestimmungen des Österreichischen Stabilitätspakts, auf die in dieser Vereinbarung verwiesen wird, für Zwecke dieser Vereinbarungen weiterhin sinngemäß anzuwenden.

(8) Die Vertragsparteien kommen überein, dass diese Vereinbarung bis 30. Juni 2013 ratifiziert wird.