2281 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXIV. GP

 

Bericht

des Ausschusses für Arbeit und Soziales

über den Antrag 2095/A der Abgeordneten Karl Öllinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das ASVG (BGBl. Nr. 189/1955) zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 89/2012, abgeändert wird

Die Abgeordneten Karl Öllinger, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 16. Oktober 2012 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„In der gegenwärtigen Rechtslage ist für Personen ohne Berufsschutz ein Zugang zur Invaliditätspension nur dann möglich, wenn sie infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande sind, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihnen unter billiger Berücksichtigung der von ihnen ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (§255 ASVG).

Wer keinen Berufsschutz erworben hat, kann also, sofern er oder sie noch rein theoretisch die Hälfte des niedrigst denkbaren Vollzeit-Arbeitslohns erwerben könnte, auch trotz erheblichster gesundheitlicher Einschränkungen keine Invaliditätspension in Anspruch nehmen und wird auf den so genannten ‚fiktiven Arbeitsmarkt‘ verwiesen.

Dieser Markt ist tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes ‚fiktiv‘, als Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet sind, auf Grund der Niedrigstlöhne in diesen Bereichen unmöglich zu einem existenzsichernden Einkommen führen können. Andererseits werden Tätigkeiten in diesen Bereichen auch nicht in einem Maße am Arbeitsmarkt angeboten, das den betroffenen Menschen eine berufliche Integration erlaubt. Zwangsläufige Folge dieser Rechtslage ist, dass in Österreich zumindest knapp 30.000 Menschen ohne beruflich verwertbare Ausbildung und Berufsschutz, dafür aber mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen und ohne Perspektive, je wieder einer Erwerbsarbeit nachgehen zu können, in Sicherungssystemen festgehalten werden, die ihnen nicht die in ihrer Situation notwendige Sicherheit und Unterstützung bieten. In der Regel sind dies die Arbeitslosenversicherung und die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Zur fehlenden Sicherheit und Unterstützung kommt auch noch die enorme gesundheitliche und emotionale Belastung der Betroffenen und ihres sozialen Umfelds wie PartnerInnen, Familienmitglieder und FreundInnen.

Es ist menschenverachtend, zynisch und absurd, dass in Österreich Menschen einzig und allein auf Grund ihrer fehlenden Ausbildung und ihrer gesundheitlichen Einschränkungen in einer entwürdigenden, unsicheren und Heilungsprozesse behindernden Situation ohne Perspektive festgehalten werden. Die Absurdität, der Zynismus und die Menschenverachtung werden auch noch auf die Spitze getrieben, als die betroffenen Menschen auf Grund des fehlenden Berufsschutzes auch keine Möglichkeit der Rehabilitation im Rahmen des Zieles ‚Rehabilitation vor Invaliditätspension‘ erhalten, da sie ja ohne weitere Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eben keine Invaliditätspension erreichen können, die Gefahr derselben jedoch Voraussetzung eines Rechtsanspruches auf Rehabilitation darstellt.

Die vorgeschlagene Regelung löst dieses Problem zumindest insofern, als in der Folge nicht mehr 50% des niedrigsten denkbaren Einkommens unterschritten werden muss, um Zugang zu Rehabilitation (und im Fall deren Unzumutbarkeit: der Invaliditätspension) zu erhalten, sondern ein Nettoerwerbseinkommen das unter der für die Ausgleichszulage festgelegten Grenze liegt.

Der Österreichische Arbeitsmarkt kennt derzeit Beschäftigungsverhältnisse, die mit lediglich € 1.070,- brutto für eine Vollzeiterwerbstätigkeit entlohnt werden. 50% dieses Arbeitslohns führen bei ganzjähriger Beschäftigung zu einem Jahresnettoeinkommen von € 6.372 (oder € 454,- im Monat, 14 Mal im Jahr). Es ist evident, dass mit diesem Einkommen ein Leben in Würde nicht möglich ist. Fraglich ist, ob mit einem solchen Einkommen in Österreich überhaupt ein Leben möglich ist.

Es ist moralisch geboten und auch sozialpolitisch wie gesundheitspolitisch intelligent, den Zugang zum Rechtsanspruch auf Rehabilitation und allenfalls zur Invaliditätspension insofern zu erleichtern, als diese zynisch niedrige Einkommensgrenze deutlich erhöht wird. Die Heranziehung der für die Ausgleichszulage festgelegten Einkommensgrenze erlaubt es, den Betrag, der nicht unterschritten werden darf, auf monatlich € 814,82 netto (etwa 958 € brutto) festzulegen. Dieser Bezug auf die Ausgleichszulage macht Sinn, als Personen andernfalls gezwungen wären, ohne Perspektive ein niedrigeres Erwerbseinkommen als die ihnen zustehende Pension zu akzeptieren. Ebenso erscheint es als sinnvoll, sich hierbei auf das Nettoeinkommen zu beziehen, da sonst die Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht belohnt würde. Dieser Aspekt wurde beispielsweise auch bei der Regelung zur Rezeptgebühren-Obergrenze und der Befreiung von Telefon- und GIS-Gebühren berücksichtigt.

Ein weiterer positiver Effekt dieser Erleichterung des Zugangs zum Rechtsanspruch auf Rehabilitation und gegebenenfalls zur Invaliditätspension wäre eine deutlich realistischere Darstellung der Verhältnisse am österreichischen Arbeitsmarkt. Ausgehend von jenen knapp 30.000 Menschen ohne beruflich verwertbare Ausbildung und Berufsschutz, die aber aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen kaum über eine Perspektive auf eine Reintegration am Arbeitsmarkt verfügen, würde ein Wegfallen dieser Personen aus den Zahlen der Arbeitslosenversicherung und der bedarfsorientierten Mindestsicherung einen erheblich realistischeren Blick auf die Arbeitsmarktstatistik ermöglichen.

§ 255 Abs. 3a erster Satz verweist auf den konkreten Grenzbetrag, der auch mit gesundheitlichen Einschränkungen erreicht werden muss, um eine gesicherte Existenz garantieren zu können und in § 293 Abs. 1 Lit a Sublit. bb ASVG mit € 814,82 festgelegt ist.“

 

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 17. April 2013 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer dem Berichterstatter Abgeordneten Karl Öllinger die Abgeordneten Adelheid Irina Fürntrath-Moretti, Karl Donabauer, Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein und Sigisbert Dolinschek sowie der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer.

Bei der Abstimmung fand der gegenständliche Initiativantrag keine Mehrheit (für den Antrag: G, dagegen: S,V,F,B).

Zum Berichterstatter für den Nationalrat wurde Abgeordneter Dietmar Keck gewählt.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Ausschuss für Arbeit und Soziales somit den Antrag, der Nationalrat wolle diesen Bericht zur Kenntnis nehmen.

Wien, 2013 04 17

                                   Dietmar Keck                                                                   Renate Csörgits

                                   Berichterstatter                                                                            Obfrau